tation, ein praktischer Ansazpunkt für das soziale Befreiungswerk. Er ergriff ihn, weil sich ihm im Moment kein Besserer zu bieten schien, es tam ihm mehr auf das da ß als auf das wie an. Daß er sich dabei vergriff, ist erstens dem Umstande geschuldet, daß Lassalle, wie er selbst wiederholt betont hat, weniger Defonom als Jurist war, daß er gerade durch die Agitation vom Studium der Defonomie fortgerissen wurde, und zweitens, daß die politischen Bedenken selbstverständlich für ihn hinwegfielen, solange er der Revolutionär- an der Spige der Be­wegung stand. Nun, das Mittel oder dieses eine Mittel war falsch, aber der Zweck wurde trotzdem erreicht, und der unauslöschliche Nuhm Lassalle's bleibt bestehen, der Initiator einer Bewegung gewesen zu sein, aus der die deutsche Sozialdemokratie hervorgewachsen ist, die heute durch ihre Größe die Welt in Erstaunen versetzt.

-

-

Doch hören wir, ehe wir weitergehen, Wilhelm Bracke über diese Seite der Lassalle'schen Thätigkeit.

Mein Kampf", schreibt er, bevor er sich an die Kritik des Lassalle '= schen Vorschlags macht, wendet sich nicht gegen die Bedeutung Lassalle's für die Arbeitersache, er wendet sich allein gegen den Lassalle'schen Vorschlag als eines Erlösungsmittel für die arbeitende Menschheit. Die populären Schriften Lassalle's tragen ein tiefes Verständniß über öko­nomische Dinge in die Arbeiterschaft. Das Feuer seiner Nede zündete in den Arbeiterherzen und zündet noch heute. Niemand wie ihm war es in demselben Maße gegeben, die Arbeitermasse aufzurütteln und die Bewegung für Deutschland neu zu beleben. Das ist ein Verdienst, das ihm die dankbare Anerkennung der Bewegung für lange Zeiten sichert, auch wenn sie längst über seinen Vorschlag" zur Tagesordnung übergegangen sein wird.

Als Lassalle die Fahne der Sozialdemokratie erhob, war es sogar erklärlich, daß er einen positiven Vorschlag machte. Aber so erklärlich dies damals war, so nothwendig ist es heute, die Bewegung von dem schädlichen Einflusse dieses Vorschlags zu befreien.

Weshalb? Das wird sich sogleich überzeugend ergeben.

Um nicht mißverstanden zu werden, erkläre ich ausdrücklich, ehe ich weiter gehe, was folgt:

1) Lassalle hat die moderne Gesellschaft treffend und scharf kritisirt; Stapital, Kapitalrente, Arbeitslohn und die Lage der arbeitenden Klassen finden sich bei ihm scharf und klar entwickelt. Er benuzte dabei, wie dies im Bastiat- Schulze von ihm selbst ausgesprochen ist, das damals erschienene erste Heft des Marr'schen Werkes: Zur Kritik der politischen Dekonomie", dessen wesentlicher Juhalt jetzt in Das Kapital " über­gegangen ist.

2) Auf Grund dieser richtigen Auffassung der ökonomischen Verhält­nisse hat Lassalle auch die Aufgabe, um welche es sich handelt, richtig gestellt: Beseitigung des Unternehmergewinns und der Lohn­arbeit; dem Arbeiter den Ertrag seiner Arbeit.

3) Daß es sich hierbei um das höchste Kulturinteresse handelt, das jemals die Menschheit bewegte, ist von ihm richtig und mit Wärme entwickelt.

4) Daß der Staat die heilige Pflicht hat, den Kulturinter­essen der Menschheit zu dienen, und daß der Staat zugleich das Mittel ist, den berechtigten Forderungen der Arbeiterklasse rechtliche Anerkennung zu verschaffen, ist unzweifelhaft treffend von ihm dar­gestellt."

So Bracke, und mit dieser Würdigung Lassalle's wollen wir heute, wo auch der Geburtstag des großen Agitators vor der Thür steht, diesen Theil unseres Artikels abbrechen.

( Fortsetzung folgt.)

Materialien zur Frage des Achtstunden­Tages.

Unter 8ugrunbelegung eines Auffages von Vittor Delahaye. I.

In Nro. 12 unseres Blattes erwähnten wir bei Charakterisirung der Theilnehmer an der Berliner Arbeiterschuß- Konferenz einca von Bittor Delahaye, dem von der französischen Regierung ihrer Delegation beigegebenen Arbeiter- Sachverständigen, vor fünf Jahren veröffentlichten Aufsatz über die Achtstundenfrage. Wir halten es für zweckgemäß, dieser in mancher Hinsicht bemerkenswerthen Arbeit einige längere Auszüge zu entnehmen. Vorausgeschickt sei, daß Delahaye sich zur Aufgabe stellt, die Nüglichkeit des Achtstundentages als nationaler Einrichtung zu beweisen, resp. seine nationale Durchführbarkeit. Er schreibt:

Entgegen einem sehr verbreiteten Vorurtheil fordern wir die Herab­segung der Arbeitszeit auf acht Stunden täglich nicht, um die tägliche Produktion jedes einzelnen Arbeiters zu vermindern, sondern im Gegen­theil, um sie zu erhöhen und den Kostenpreis der Produkte herabzu­segen. Wir fordern sie, um unsere nationale Industrie auf den höchsten Stand der Entwicklung zu bringen. Unter dieser Voraussetzung werden wir die ausländische Konkurrenz erfolgreich bekämpfen, unsere Produkte ebenso leicht auf dem Pariser , Londoner und Berliner Markte ver­äußern können, als auf den Märkten von Algier , New York und Kanton...

Hören wir, wie er diese Behauptung begründet: and

=

=

I. Jährliche Durchschnittsproduktion und tägliche Arbeits: stunden pro Mann in der Allgemeinen Telephongesellschaft Paris .

Was die Allgemeine Telephongesellschaft", eine Aftiengesellschaft mit 25 Millionen Stapital, anbetrifft, so entnimmt Delahaye einem offi­ziellen Bericht, verlesen in der Generalversammlung vom 22. März 1883 folgende Angaben:

Die drei Werkstätten der Gesellschaft beschäftigen 480 Arbeiter, die im Verlaufe des Jahres einen Werth von 2,790,432 Franken produ zirten. Nach Abzug von 10 Personen für die Verwaltung der dret Werkstätten ergibt sich folgendes Resultat:

Jährliche Durchschnittsproduktion pro Person: 5695 Franken. Die durchschnittliche Arbeitszeit betrug 10 Stunden.

II. Ehemals Cail'sche Etablissements. Aktiengesellschaft mit 25 Millionen Kapital.

Die Gesellschaft taufte im Januar 1882 die Werke der Maschinen­bauanstalt Cail u. Comp. in Liquidation. Die folgenden Zahlen find dem offiziellen Bericht der Gesellschaft auf der Amsterdamer Industrie­Ausstellung entnommen:

Die Gesellschaft befigt Werkstätten in Paris , 15 Quai de Grenelle, in Denain und in Douai . Die Erstgenannte ist die größte, sie bedeckt eine Fläche von 8000 Quadrat- Metern und beschäftigte zur Zeit 2000 Arbeiter. Das Gesammtpersonal aller drei Werkstätten betrug über 3000 Personen( Arbeiter und Beamte). Die hauptsächlichen Erzeug­nisse des Etablissentents sind, bezw. waren: Lokomotiven, Apparate für Zuckerfiebereien, Brückenbau-, sowie überhaupt eiserne Baubestand­theile. Marktwerth der jährlichen Produktion: 12,000,000. Macht bei 3000 Arbeitern pro Kopf: 4000 Franken.

Delahaye, der 1857 und 1858 selbst bei Cail u. Co. gearbeitet hat, knüpft hieran folgende Bemerkung:

=

In der Generalversammlung vom 2. Januar 1881 hatten die At­tionäre eine Kommission von fünf Mitgliedern ernannt, die den Stand des Geschäfts prüfen und namentlich untersuchen sollte, aus welchen Ursachen die Firma seit 1875 teine Dividenden mehr zahlte. In einer im Mot d'Ordre" von diesem Jahre( Mai bis Juli) abgedruckten Ein­gabe wies das Streiffomite der Lokomotiven Monteure nach, daß die Leistungsunfähigkeit und der Verfall des Etablissements auf drei Haupt­ursachen zurückzuführen sei: 1) Die übertriebene Verlängerung der Arbeitsstunden. 2) Unzulänglichkeit der Löhne. 3) Die Erneuerungs­bedürftigkeit der Arbeitsmaschinerie. Den Arbeitern wurde kein Gehör gegeben und der Bankrott trat ein. Die Aktien zum Nennwerth von 500 Franken fielen auf den lächerlichen Kurs von 75 Franken." Seitdem hat man die Geräthe etwas verbessert, dagegen wird noch immer bis zu 14 Stunden gearbeitet. Mit welchen Resultaten, wird der Leser später sehen. Gehen wir jetzt zu Amerika über:

III. Maschinenbauanstalten des Staates New- Yersey. In dem fünften( 1882er) Jahresbericht des Bureau's für Arbeits­statistik des Staates New- Yersey, wird S. 382 u. 383 über nur ein Geschäft dieser Branche im Staate berichtet; in demselben waren 72 Arbeiter( 71 Erwachsene und ein jugendlicher Arbeiter von über 15 Jahren) beschäftigt.

Werth der Jahresproduktion 972,000 Franken. Durchschnittsproduktion pro Person: 13,505 Franken. Durchschnittsdauer des Arbeitstages: 81% Stunden.

IV. Maschinenbauanstalten im Staate Massachussetts. Die Zahlen sind entnommen einer Arbeit des Vorstehers des Bureau's für Arbeitsstatistik von Massachussetts, Carrol J. Wright, über den 1875er Zensus des genannten Staates.

In den 331 Maschinenbau - 2c. Werkstätten von Massachussets waren 1875 insgesammt 9561 Arbeiter( Männer, Frauen und jugendliche Ar­beiter) beschäftigt.

Der Marktwerth der Jahresproduktion betrug 87,355,996 Franken. Durchschnittsproduktion pro Person: 9136 Franken.

Aus dem zehnten Jahresbericht des Arbeitsinspektors, S. 146, ergibt fich, daß im Jahre 1875 die Arbeiter in Massachussets eine Arbeitszeit hatten von 9 Stunden pro Tag.

Wir erhalten somit folgende Tabelle:

Ehemals Cail'sche Etablissements Allgemeine Telephongesellschaft Maschinenfabriken von Massachussets Maschinenfabrik in New- Yersey

Dauer des Werth der Arbeitstages Durchschnitts Stunden Produktion im Jahr pr. Arbeiter 4000 Frs. 5695

Zahl der Arbeiter

3000

12

916

480

10

9651

9

"

913696

"

"

72 do 82 13505

Absolut beweiskräftig sind diese Zahlen freilich nicht, weil es sich in drei Fällen um einzelne Geschäfte handelt, und bei solchen die ver­schiedenartigsten Faktoren in Betracht kommen. Aber froßdem treffen fie kaum weitab vom Ziel, wie fich aus der folgenden Tabelle ergeben wird. Delahaye geht nämlich, nach einigen Betrachtungen über das ungünstige Bild, das sich aus den vorstehenden Zahlen für die fran­ zösische Maschinen- Industrie ergibt, dazu über, den Werth der Jahres­Produktion von ganz Paris und ganz Frankreich mit dem Werth der Jahresproduktion der Staaten New- Yersey, Massachussetts und der Vereinigten Staaten zu vergleichen, die folgendes Bild aufweisen. Gesammtwerth der Jahresproduktion in den Industrien von Paris und ganz Frankreich . disk stilst ind

Da es einen entsprechenden Zensus in Frankreich nicht gibt, so hat Maurice Block in seiner Statistit Frankreichs " unter Zugrundelegung des von den Handelskammern gelieferten Materials eine Schäßung ent­worfen( Bd. II., S. 245), wonach im Jahre 1873 betrugen Der Gesammtwerth der Industrieprodukte:

d In Paris

3,969,092,949 Fr. 12,792,000,000 Fr. In ganz Frankreich , Paris inbegriffen, Die Gesammtzahl der in der Industrie beschäftigten Personen betrug: In Paris 550,280 Arbeiter 2,827,260 diui

Theorie wie Pragis stimmen in Bezug auf zwei Grundprinzipien überein, die man, wie folgt, formuliren kann: esd manding sid ni 1. Um von einem Durchschnitts- Individum in möglichst furzer Zeit das möglichst große Quantum Arbeit zu erlangen, ohne dessen Ge­fundheit zu beeinträchtigen, darf die Arbeitszeit desselben in feinem Falle acht von je 24 Stunden überschreiten, bei einem Ruhetag pro td( 10135 is in Woche. 2. Wenn man die Arbeitszeit über acht Stunden pro Tag hinaus berlängert, so nimmt die Intensität der Arbeit im umgekehrten Ber - n ganz Frankreich , infl. Paris hältniß der verlängerten Zeit ab. old and Halten wir uns zunächst ausschließlich an die Erfahrung und die bei den Nationen und in den Fabriken beobachteten Thatsachen, wo die moderne Großindustrie am höchsten entwickelt ift.nd

Der durchschnittliche Werth der Jahresproduktion stellt sich danach pro Person: ht allot Für Paris

Für ganz Frankreich , inkl. Paris

Die Länder, wie Großbritannien und die Vereinigten Staaten , wo die Arbeitszeit durch die Gesetzgebung und durch Streits auf acht bis neun Stunden reduzirt find, find grade unsere gefährlichsten Kontur­renten geworden, nicht nur auf den fremden Märkten, sondern auch In Paris ! auf unserm heimischen Markt und in unsern Kolonien.

6123 Franken. 3342

Die durchschnittliche Arbeitszeit betrug nach Angabe der Handels­fammern: 7612 hon 11 Stunden dem of In Frankreich , inkl. Paris 12 mil Das ist durchaus keine Uebertreibung, denn als im Jahre 1881 die Kammer einen Antrag auf Reduktion der Arbeitszeit auf 10 Stunden berieth, der natürlich abgelehnt wurde, erklärte der Berichterstatter, Herr Waddington, daß in gewiffen Industrien Nordfrankreichs die Ar­beitszeit bis zu 16 Stunden pro Tag betrage.

So produzirt bei nur 54 Stunden Arbeitszeit pro Woche jeder Ar­beiter in den Vereinigten Staaten fährlich einen Durchschnittswerth von 10,194 Franken, während der Arbeiter in Frankreich bei durch­schnittlich 12 Stunden pro Tag jährlich nur einen Werth von 3342 Franken produzirt.*) Mit andern Worten, ein Arbeiter in den Ver­ einigten Staaten produzirt, bet drei Stunden weniger Arbeitszeit pro Tag, dreimal mehr Handelswerth als der Arbeiter in Frankreich .. Bergleichen wir nunmehr die Berhältnisse in der Industrie Frank reichs und der Vereinigten Staaten , mit Bezug auf die Zahl der Ar­beitsstunden pro Tag. Als Metallarbetter müssen wir unsere Beispiele aus der Metallindustrie nehmen, weil wir diese am Besten o kennen. Aber um diese Studie zu verallgemeinern, haben wir sie auf die Gejammtheit aller Industrien ausgedehnt. Nachdem wir möglichst genau die Maschinenindustrie in Frankreich und den Vereinigten Staaten verglichen haben, haben wir dieselbe Arbeit für die Gesammtindustrie beider Länder angestellt... Was die Dokumente anbetrifft, auf die wir uns stüßen, so fügen wir jedesmal die Quelle bet, der wir sie ent­nommen, damit jeder, der es für nöthig hält, fie auf ihre Richtigkeit prüfen kann.

345

Aus den franzöfifchen Etablissements wählen wir die Werkstätten der­Allgemeinen Telephongesellschaft und die ehemals Gail'schen Etablisse ments aus.**)

*) Die höheren Preise Amerika's tragen selbstverständlich auch zu dieser Differenz bei. Aber selbst wenn wir die Preisdifferenz auf 33% Prozent veranschlagen, ist der Vergleich nicht minder schlagend. 910 Der Verfasser.

**) Im Folgenden geben wir ebenfalls nur Auszüge aus den Zu sammenstellungen Delahayes. Red. d. Soziald.

d

Massachussetts

"

Gesammtwerth der Jahresproduktion in Massachussetts, New- Yersey und den Vereinigten Staaten . Der Marktwerth der Industrieprodukte betrug im Jahre 1875: Im Staate New- Yersey. 3,079,606,202 Fr.) 1,322,151,000 2) 27,922,272,000 3) Die Zahl der beschäftigten Arbeiter im gleichen Jahre: 308,974 Arbeiter 126,038 2,738,930

"

In den Ber. Staaten überhaupt

Im Staate Massachussetts

"

New- Yersey

In den Ver. Staaten überhaupt

"

Der durchschnittliche Werth der Jahresproduktion stellt sich danach

pro Person:

Für Massachussetts.

New- Yersey

"

die Ver. Staaten überhaupt

9967 Franken. 10394 10194

"

Die durchschnittliche Arbeitszeit betrug in New- Yersey 834 Stunden, in Massachussetts und den Vereinigten Staaten überhaupt 9 Stunden Stellen wir auch diese Zahlen in einer Tabelle zusammen.

291) Compendium of the Census of 1875, p. 159-162. 2) Fifth annual Report of the Bureau of Statistics p. 381. 3) Tenth Census, official Returns. 1882.

Paris Frankreich

Massachussetts

New- Yersey

Ver. Staaten

Zahl der Arbeiter

Dauer des

Arbeitstages

Stunden

550,280

11

3,827,260

12

308,974

9

126,038

2,738,930

83/4 9

Werth der Durchschnitts­Produktion im Jahre

pro Arbeiter

6123 Franken

3342

"

9967

"

10494

"

10194

Man sieht, das Bild entfernt sich nicht von dem der weiter oben gegebenen Tabelle. Vor Allem stimmen beide darin überein: Die höchste Arbeitszeit trifft mit dem niedrigsten Werth der Jahrespro­duktion zusammen und umgekehrt. Das ist ganz sicher kein Zufall mehr, hier stehen wir vor einem voltswirthschaftlichen Gesetz.

390 In

Sozialpolitische Rundschau.

London , 9. April 1890.

- Aus Deutschland , den 5. April, wird uns geschrieben: Da die Polemit, welche auläßlich der Feier des 1. Mai inner­halb der deutschen Genossen entstanden ist, im Sozialdemokrat" eine eingehende Besprechung gefunden hat, so halte ich es für nothwendig, über die Entstehung und das Wesen des Streits einige Worte zu sagen. Indem ich mich mit Ihrem Urtheil durchaus einverstanden er­fläre, will ich zunächst hervorheben, daß die ganze Differenz nicht hätte vorkommen können, wenn der Wahltermin nicht so früh au­gefekt worden wäre. Von dem Moment an, wo es flar wurde, daß die Wahl schon für den Winter oder spätestens für Früh= lingsanfang in Aussicht genommen war also schon von vori­gem Herbst an konzentrirte sich selbstverständlich die Aufmerksamkeit und Thätigkeit der Partei auf die Wahl; und daß die Fraktion nach dieser Richtung ihre Pflicht im vollsten Maße erfüllt hat, das wird von Niemanden geleugnet werden können.

-

Aber auch in Bezug auf den 1. Mai hat die Fraktion ihre Pflicht nicht hintenangesetzt. Es sind alle Möglichkeiten ins Auge ge­faßt und rechtzeitig ist das Erforderliche vorbereitet worden. Die alte Parteileitung konnte natürlich nicht auf eigene Faust vorgehen, sie mußte es der neuen Fraktion überlassen, die nöthigen Schritte zu thun, und falls der Reichstag nicht rechtzeitig einberufen wurde, die Fraktion zu einer besonderen Konferenz einladen. Dies ist geschehen, und seitens der alten Fraktionsmitglieder und auch verschiedener neuer das Möglichste gethan worden, um Klärung zu schaffen.

Man könnte nun sagen, die Fraktion habe früher auf den Plan treten müssen. Allein der Einwand ist ohne jegliche Berechtigung. Die Sozialdemokraten sind keine Sch a fherde, welche eines Leithammels bedürfen, und wenn auch die Fraktion, fraft des Vertrauens der Wähler und kraft wiederholter Kongreßbeschlüsse, ein Doppel­mandat zur Leitung der Partei hat, so soll die Leitung doch feine Bevor mundung sein, sondern einfach eine administra= tive Zusammenfassung der Kräfte zur Ermöglich­ung einheitlichen Handelns. Und die Fraktion würde einen tadelnswerthen, weil mit dem demokratischen Prinzip unserer Partei im Widerspruch stehenden Bevor mundungsversuch gemacht haben, wenn sie von vorn herein ein bestimmtes Programm über die Ausführung des auf den 1. Mai bezüglichen Pariser Kongreßbeschlusses vorgeschlagen hätte. Die Parteigenossen mußten, wie sich das ge= hört, die Frage unter einander erörtern; und erst nach dem die Wünsche und Ansichten der Partei zum Ausdruck gelangt waren, hatte die Fraktion ihres Amites als Parteileitung zu walten.

Der bekannte Aufruf einiger Berliner Genossen, welcher zu der Po­lemit Anlaß gegeben hat, geht von der durchaus irrigen Voraussetzung aus, daß die Fraktion in der Sache entweder überhaupt nichts habe thun wollen, oder mit ihrem Eingreifen zu lange gewartet habe. Die Falschheit b esteren Annahme ist schon dargelegt worden; und mit Recht hat es unangenehm berührt, daß die betreffen­den Berliner Genossen sich nicht durch einen einfachen Brief an irgend ein Mitglied des Parteivorstandes von der Irrigkeit ihrer Ansicht über­zeugt haben.

Ebenso hinfällig ist die zweite Annahme. Verwirrung in den Partei­freisen soweit solche besteht oder bestand ist bloß durch das Vorgehen der Unterzeichner des Berliner Aufrufs hervorgerufen worden. Die Genoffen waren zwar verschiedener Ansicht über die Feier des 1. Mai, allein die Ansichten waren auf dem besten Weg sich zu klären, und der Hauptdifferenzpuntt: soll der 1. Mai ein Tag allgemeiner Arbeitsruhe sein oder nicht? war ja von den Unterzeichnern des Aufrufs selber, die vorher entschieden für die allgemeine Arbeitsruhe gewesen waren, in dem Aufrufe thatsächlich aufgegeben worden, so daß bei Veröffentlichung des Aufrufs gar tein ernstlicher Differenzpunkt mehr best and. Wenn dann die Fraktion, spätestens Mitte April- jet es im Reichstag oder in besonderer Konferenz zusammentrat und in einer Ansprache an die Partei ihre Vorschläge vorlegte, so war das vollauf Zeit, um die Einheitlichkeit der Aktion zu sichern.

Der Parteivorstand hatte aber schon vor den Stichwahlen be­

schlossen, daß die Fraktion am Tage vor dem Beginn der Seffion, welcher damals für den 14. April erwartet wurde, ihre erste Sigung abhalten solle, in welcher die Frage des 1. Mai als erster Punkt der Tagesordnung erledigt worden wäre.

Die Seifion wird nun voraussichtlich später beginnen; der Vor= stand hat darna. eine Konferenz der Fraktion auf den 13. April zu berufen beschlossen. Und da der Konferenz bestimmte Vorschläge unterbreitet werden, so kann und wird der Auf­ruf der Fratefon schon am 14. April an die deutschen Arbetter ergehen. Also über 14 Tage genau sechzehn Tage

dem 1. Mat!

-

bor

Aus dieser Darlegung ergibt sich, daß auch die zweite Annahme der Unterzeichner des Berliner Aufrufs, die Fraktion oder der Vorstand habe zu spät gehandelt, aller Begründung entbehrt.

-

Genug für den Aufruf bestand feinerlei praktisches Bedürfniß, aber er war und ist ehr als ein praktischer Fehler, er ist ein schwerer Verstoß gegen die Parteidisziplin. Was soll aus der Partei werden, wenn die Genoffen eines jeden Orts, wenn beliebige Gruppen von Genossen nach Gutdünken die Lei­tung der Partei in die Hand nehmen können? Das wäre ja die reiuste Anarchte. Was den Berlineru recht ist, ist den a m- burgern, Leipzigern, Dresdenern u. f. w. billig. Was soll bei folcher Wirthschaft aus der Partei werden? Man braucht sich nur die Frage ernst vorzulegen, und die Abgeschmacktheit, die Verderb­lichkeit einer solchen polnischen Wirthschaft" springt in die Augen. Wohl weiß ich, daß einige der Unterzeichner des Aufrufs es für eine Berlegung des demokratischen Prinzips" halten, daß Die Fraktion die Partelleitung habe. Allein eine Leitung, in dem oben von mir definirten Sinne, müssen wir haben und zur Leitung sind doch die durch das Vertrauen der sozialdemokratischen Wähler in den Reichstag entfendeten Genoffen sicherlich besser berufen, als eine beliebige Gruppe von Bartelgenossen, die, seien sie auch noch so tüchtig, doch unmöglich die Autorität beanspruchen können, wie die Fraktion als Gesammtvertretung der Partel.

-

Ich habe das Wort Autorität" gebraucht und man wendet nun vielleicht ein: Die Sozialdemokratie will feinen Autoritätsglauben." Ganz recht. Und ich auch nicht. Das Wort Autorität" nehme ich, ähnlich wie vorhin das Wort Leitung", im demokratischen Sinn. Der Zufall des Mandats verwandelt keinen gewöhnlichen Sozialdemo fraten in einen Parteigözen das weiß ich, und mein Gleichheits­gefühl wird es nie dahin kommen lassen, daß ich einen Genossen, der nicht Reichstagsabgeordneter ist, weniger hoch halte, wie Einen, der ein Mandat bekommen hat; aber, wenn die Partei nicht zerfallen will, muß sie eine Leitung haben, und die natürliche Leitung der deutschen Sozialdemokratie liegt, wie die tongreffe es ausgesprochen haben, wenigstens so lange das Sozialistengeset dauert, in der Fraktion der Sozialdemokratie. Und die Fraktion hat ein Recht, von den Genoffen zu fordern, daß sie das anerkennen und das ist die Autorität, welche die Fraktion nach meiner Ansicht