geistes. Wir mußten dieje Gelegenheit auch deshalb ergreifen, weil sie uns ein Mittel in die Hand gab, die bisher noch indifferenten Volks­massen zunächst für ein praktisches und naheliegendes Ziel zu prä­pariren, weil sie uns endlich die Stärke unseres Einflusses zeigen kann." Und das ist auch in würdigster Weise geschehen so eindrucksvoll, baß selbst die bürgerliche Presse die Bedeutung der Demonstration nicht herabzusetzen vermag. Mehr als 60 glänzend besuchte Arbeiter= Ver= fammlungen fanden am Vormittag statt und faßten einmüthig Reso­lutionen zu Gunsten des achtstündigen Arbeitstages. Am Nachmittag zogen die Arbeiter in den Prater, und ihre Zahl wird von unparteiischer Seite auf mindestens 40,000 angegeben.

In ähnlich großartiger Weise verlief der erste Mat in Prag  , Brünn  , Steyer, Reichenberg und anderen Städten und Industries zentren Oesterreichs  . Zu Konflikten mit den Behörden ist es nur in Broßnis und Frautſtadt gekommen, indeß aus Anlässen, die mit

der Feier direkt nichts zu thun hatten.

13, reiht

Auch Budapest  , die Hauptstadt Ungarns  , reiht sich würdig den Städten des Nachbarreiches an. Die von der Ungarländischen Allge­meinen Arbeiterpartei am Nachmittag dieses Tages auf der großen Wiese im Stadtwäldchen abgehaltenen Massenversammlung war von 50,000 Personen besucht, die einstimmig den Resolutionen des Pariser Kongresses zustimmten. Auch in Provinzstädten Ungarns  , z. B. Neuſazz, ist der erste Mai gefeiert worden.

Ebenfalls als Ruhetag der Arbeit wurde der erste Mai in den skandinavischen Ländern gefeiert: voran Schweden   und Dänemark  , aber auch die noch junge Arbeiterpartei in Norwegen  fehlte nicht. In Stockholm   nahmen an der von der sozialistischen  Arbeiterpartei veranstalteten Demonstration 30,000 Personen Theil, fast ebensoviel in Kopenhagen   an der von der sozialistischen   Ar­beiterpartei veranstalteten Massenversammlung außerhalb der Stadt. Ein Umzug war von der Polizei des Herrn Estrup verboten werden. Weiter hat in Frankreich   in einer ganzen Reihe von Städten ein großer Theil der Arbeiter am 1. Mai Arbeitsruhe eintreten lassen. Wir bringen darüber an anderer Stelle einen speziellen Bericht, und bemerken hier nur soviel, daß die Leiter der Achtstundenbewegung in Frankreich   selbst erstaunt sind über die großen Dimensionen, die die= selbe bereits diesmal angenommen hat; sie hat die fühusten Erwar= tungen derselben übertroffen.

Auch aus Italien   ist uns ein spezieller Bericht freundlichst zugesagt worden; soweit sich aus den Zeitungsnachrichten bis jetzt ersehen läßt, haben froß der Verbote des Herrn Crispi in verschiedenen größeren Städten Demonstrationen stattgefunden, denen gegenüber die Polizei mit gewohnter Brutalität einschritt, so daß es in Mailand  , Turin  , Lugo   und in anderen Orten zu argen Zusammen­stößen und allerhand Ausschreitungen der gereizten Menge gekommen ist. Um seine staatsretterische Befähigung vor dem Auslande in's rechte Licht zu setzen, hat Herr Crispi jodann den telegraphischen Nach­richtendienst unter Zensur stellen lassen.

In Spanien   haben Madrid  , Barcelona   und einige andere Städte den ersten, Bilbao  , Saragossa   und eine ganze Neihe von Städten den 4. Mai demonstrirt. Aus Barcelona  , wo die Arbeiter verschiedener größerer Branchen im Streit liegen und infolge= deffen erbitterte Stimmung herrscht, berichtet der Telegraph von aller­hand heftigen Zusammenstößen zwischen Arbeitern und Polizei, bezw. Militär. Ueber die näheren Umstände sind genauere Nachrichten abzu­warten, soviel ist aber sicher, daß die Arbeiterbewegung in Spanien   in hohen Wogen geht.

In Portugal   ist von den zur sozialistischen   Arbeiterpartei zählen­den Organisationen sowohl in Lissabon   wie in Oporto   der erste Mai als Tag der Demonstration festgesetzt worden. Nachrichten über den Verlauf derselben liegen uns zur Zeit, da wir dies schreiben, noch nicht vor.

Sehr eindrucksvoll und würdig ist der Arbeiterfeiertag in den Hauptzentren Belgiens   begangen worden. Im Borinage haben 20,000, in Becken von Charleroi   30,000, in Becken von Lüt= tich und dem Vesdre Thal 30,000, im Becken des Zentrums 35,000 Arbeiter gefeiert; in Brüssel   hielten die organisirten Ar­beiter am Abend einen festlichen Umzug, der za. 15,000 Theilnehmer zählte. In Gent   nahmen über 10,000 Personen am Festzug Theil, und zwei mächtige Säle, in denen zu gleicher Zeit Volfsversammlungen stattfanden, fonnten nicht die Hälfte der andrängenden Massen auf­nehmen. Man hatte solche Begeisterung nicht erwartet", schreibt uns ein Genosse von dort, das nächste Jahr wird Gent   am Arbeiterfesttag feiern."

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Aus Verviers  , Lüttich  , Mecheln   liegen ähnliche Berichte vor. In Holland   haben in Amsterdam  , im Haag, in a stricht, in Rotterdam   und vielen andren Orten am Abend des 1. Mai Volksversammlungen stattgefunden, von denen namentlich die beiden ersterwähnten glänzend verliefen. In Amsterdam   fand außerdem auch um 1 Uhr Mittags ein öffentliches Meeting statt, das über Gr­warten gut besucht war.

In der Schweiz   haben in Bern   und St. Gallen   am Nach= mittag des ersten Mai Umzüge stattgefunden, von denen der erstere aus zirka 1500, der lettere aus gegen 800 Personen bestand. Zürich   hatte am Nachmittag ein Boltsfest, in einem Lokale vor der Stadt, zu dem bereits gegen 1000 Personen mit Sang und Klang hinauszogen, am Abend alsdann eine große Demonstration vor der Tonhalle, die von über 4000 Personen besucht war. In Winter­ thur   feierte ebenfalls ein Theil der Arbeiter, und in Basel   fand Abends ein Umzug und im Anschluß daran eine Volksversammlung statt, beide überraschend großartig die Zahl der Theilnehmenden wird anf 4000 geschäßt.

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Der Zahl nach, und man kann wohl sagen, auch im Verhältniß, am großartigsten verlief die Demonstration in London  . Freilich fand sie nicht am 1. Mat, sondern erst am Sonntag, dea 4. Mai statt, da die meisten Arbeitervereine nicht rechtzeitig genug Stellung genommen hat­ten, um die Arbeitsruhe am 1. Mai mit Erfolg durchführen zu können. Aber dafür nahm die Demonstration so gewaltige, so überwältigende Ausdehnung an, daß sie alles weit in den Schatten stellt, was in Bezug auf öffentliche Manifestationen in England, in der ganzen Welt, je da= gewesen war. So groß war die Menschenmenge, die in unabsehbaren Bügen zum Hyde- Park gezogen fam, das alle Schäßung der Masse fast als hoffnungslos aufgegeben wurde. Selbst die verbissensten Gegner geben die Masse der Demonstranten auf mindestens 300,000 an jage breimalhunderttausend, und geben weiter zu, daß der weit­aus größere Theil derselben für die entschiedeneren Resolutionen stimm ten, die den achtstündigen Arbeitstag als gefeßliche Maßregel forderten. 9 von 15 Plattforms waren von Rednern bejeßt, welche in diesem Sinne sprachen, und auch auf den übrigen 6 Plattforms, von denen herab eine Resolution befürwortet wurde, welche die Frage der Durch­führung offen läßt, sprachen eine Anzahl Redner in diesem Sinne. Es war eine grandice Kundgebung, die auf alle Theilnehmer tiefen Ein­bruck gemacht hat, und ihre Rückwirkung auf die Arbeiterbewegung und die politischen Parteien nicht verfehlen wird. Nimmt man sie als den Abschluß der diesmaligen Maifeier, so darf man wirklich sagen: Ende gut, Alles gut.

Wie die Maidemonstrationen jenseits des Ozeans ausgefallen sind, darüber gibt das von der Bourgeoisie monopolisirte Stabel nur sehr dürftige Auskunft, dagegen vermittelt es uns eine andere, sehr wichtige Nachricht: daß diejenige Geschäftsbranche der Arbeiter, die nach dem Plan der Leiter der dortigen Achtſtundenbewegung den Kampf für den Achtstundentag eröffnen sollte, bis jezt überall siegreich gewesen ift. Die Zimmerleute Amerifas, geführt von dem wackeren McGuire, haben in einer Reihe von Städten den achtstündigen Arbeits­tag praktisch durchgesezt, in andern sind sie im erfolgreichen Vorrücken. Und die übrigen Sektionen der großen Arbeiterfederation folgen ge= spannten Blickes ihren Bewegungen, um eine nach der andern ihnen im Rampfe zu folgen.

So hat der erste Mai oder die erste Woche des Mai in ber ganzen Kulturwelt eine Bewegung gesehen, wie sie in biefer Gleichzeitigkeit und Gleichartigkeit die Welt nie zuvor gekannt hat. Und doch war es diesmal nur ein erster Ver­such, der erste Schritt der Arbeiterbewegung auf einer neuen Bahn, fast möchten wir sagen, die erste Probe. Daß da nicht alles überall gleich klappte, daß hier und da noch Miß­

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griffe vorfielen darf offen zugestanden werden. Ein andres Mal wird man die gemachten Erfahrungen berücksichtigen und die früheren Fehler vermeiden, denn es wird bei dem ersten Mal nicht bleiben. Der Arbeiterfeiertag hat sein Bürgerrecht in den Herzen von wir übertreiben nicht, wenn wir sagen, Millionen Arbeitern erworben, und keiner irdischen Macht wird es gelingen, ihm dasselbe streitig zu machen. Von Jahr zu Jahr wird die Bewegung zunehmen, tiefgehender, allge­meiner werden. Von Jahr zu Jahr werden zahlreichere Massen die hohe Mission dieses Festtages begreifen, von Jahr zu Jahr mehr Arbeiter für die Forderungen zur Erringung ihrer Emanzipation eintreten. Von Jahr zu Jahr werden die Ausgebeuteten und Unterdrückten mehr lernen, einen Willen zu haben, einen Willen kundzugeben. Und wo ein Wille der Ausgebeuteten und Beherrschten ist, da ist auch ein Weg für die Ausbeutenden und die Herrschenden.

Noch einmal die Grundsätze und Taktik der russischen Sozialisten.

Zu der über die Plechanow  'sche Broschüre entstandenen Debatte nimmt nun auch der Verfasser selbst das Wort. Wir geben es ihm hiermit, nicht nur weil er als Angegriffener natürlichen Anspruch da= rauf hat, sondern auch weil seine Darlegungen uns in der That ge= eignet erscheinen, allen mißverständlichen Auffassungen und Auslegungen der von den russischen Sozialdemokraten vertretenen Auschauungen ein Ende zu machen.

Werther Genosse!

Seit einiger Zeit erscheint mein Name wiederholt in den Spalten Ihres geehrten Organs. Den Anlaß dazu gab ein kleines Vorwort zu einer kleinen Broschüre, das anfangs mit unverdientem Lob beehrt, dann aber gründlich niedergedonnert und schließlich wieder in Schuß genommen wurde. Wenn ich es nicht für nöthig hielt, auf die literari­schen Exerzitien des Herrn Beck zu antworten, so veranlaßt mich da­gegen der in Nro  . 17 des Sozialdemokrat" erschienene Artikel Ueber die Propaganda unter den russischen Arbeitern", einige Zeilen Ihres Blattes zu wenigen wichtigen Bemerkungen in Anspruch zu nehmen. Einige Wendungen in der Antwort des Genossen Ossipowitsch auf die von Herrn Beck hervorgehobenen Punkte scheinen mir nämlich Mißver­ständnisse über die Stellung unserer Partei zu den berührten Fragen nicht ganz auszuschließen. So fagt 3. B. Genosse Ofsipowitsch in Gr­widerung auf die Bemerkung des Herrn Beck: die russischen Arbeiter bedürften einer gründlichen Literatur, dieselben feien noch zu un= reif, um Ausführungen" im Sinne des Herrn Beck begreifen zu fönnen. Es ist mir nicht bekannt, welcher Art diese Ausführungen" sind; vielleicht sind sie von einer Tiefe, die selbst für den westeuro­päischen Arbeiter unergründlich wäre. Ich kann daher auch nicht ga= rantiren, daß unter den von uns unternommenen Publikationen je eine Propagandaschrift erscheinen wird, welche den tiefsinnigen Herrn Beck befriedigen fönnte. Aber soweit ich die russischen Arbeiter kenne, kann ich dafür bürgen, daß die Theorien des modernen Sozialismus, selbst­verständlich in flarer und leichtfaßlicher Darstellung, ihrer Intelligenz vollständig zugänglich sind. Wenn meine Vorrede feine wissenschaft­lichen Fragen berührte, so geschah es aus dem einfachen Grunde, daß ihr Zweck fein anderer war, als die Erläuterung und Ergänzung einiger von Peter Alexejeff in seiner Nede ausgesprochenen Saße. Ich wollte nur gelegentlich die Aufmerksamkeit der Arbeiter auf einige politische Forderungen lenken, die für den Erfolg ihrer Bewegung unbedingt nothwendig sind. Diese Forderungen lassen sich in furzen Worten zu= sammenfassen: Allgemeines Wahlrecht und politische Freiheit. Sie verstehen wohl, wie wichtig dieses Recht und diese Freiheit für die Arbeiterbewegung überhaupt find. Sie wissen auch, daß bei uns in Rußland  , wo der zarische Despotismus stets so mächtig war, die Ent­wicklung des politischen Bewußtseins von besonderer Wichtigkeit iſt. Endlich darf man nicht vergessen, daß wir Nussen die politischen For derungen des Proletariats besonders betonen müssen, weil die bafuni­stische Propaganda eine ungeheure Begriffsverwirrung bei unseren So­zialisten zur Folge gehabt hat: bei uns gibt es noch jetzt Leute, die den Sozialismus" der Politit" entgegenseßen und ernsthaft glauben, daß der reine Sozialismus mit den politischen Fragen nichts zu thun habe. Das ist der Grund, warum ich glaube, daß meine Vorrede, die feinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit" macht, mit den Grundfäßen des modernen wissenschaftlichen Sozialismus nicht im Widerspruch steht. Was die wenigen Worte betrifft, die ich an die Adresse der In telligenz" gerichtet habe, so hatte ich dabei die jüngst bei uns aufge= tauchte liberale Intelligenz im Auge, die unter Andern Das freie Rußland" zum Organ hatte, einen wahren Kreuzzug gegen den So­zialismus unterhielt, die Lehren von Marg für veraltete Metaphysik erklärte und sich sogar mit Verleumdungen gegen die russischen Arbeiter hervorwagte. Einen Anhänger dieser Partei, der die lügenhafte Be­hauptung aufgestellt hatte, daß die russischen Arbeiter, sobald sie von der Polizei gepackt werden, sich stets als Verräther erwiesen, habe ich als Junkerchen" bezeichnet und hinzugefügt, daß die Arbeiter von solchen Leuten sich nicht beirren lassen dürften. Daß unsere neuauf­gekommenen Fortschrittler" es nicht unterlassen werden, in Freunde der Arbeiterklasse" umzuschlagen, sobald wir in die konstitutionelle Be­riode treten, das kann keinem Zweifel unterliegen; Sie können darüber aus der Geschichte der westeuropäischen Länder urtheilen. Sie wissen anch, daß ie früher man solche Arbeiterfreunde" entlarvt, desto besser die Arbeiterbewegung vor sich geht.

Es war nie und wird nimmer meine Absicht sein, das Andenken der russischen Terroristen Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre in den Augen der Arbeiter zu schmähen. Diese Männer haben einen Heldenkampf mit dem Zarenthum geführt; und obgleich viele unter ihnen in der That den blanquistischen Anschauungen" huldigten, hat sie dies nicht gehindert, Revolutionäre zu sein. Aber dieser Stampf ist jetzt bereits in's Gebiet der Vergangenheit getreten. Jest gibt es in Rußland   und im Auslande nur mehr oder weniger ter­roristisch" gestimmte Persönlichkeiten und Gruppen, aber es existirt feine ausgedehnte Organisation, ähnlich derjenigen der Partei des Volkswillens". Wir durchleben jetzt eine kritische Periode, die revo= lutionäre Partei muß von Neuem organisirt werden. Wir find der festen Ueberzeugung, daß dies bald geschehen wird. Dafür bürgen uns die Ungeheuerlichkeiten des beutigen russischen Regime's. Die Frage ist nur die: auf welchen Grundlagen soll die Neorgani sation unserer revolutionären Partei geschehen Meiner Ansicht nach find diese Grundlagen folgende:

1) Theoretisch müssen unsere Sozialisten mit allen Formen des Ba­funismus aufräumen( auch mit derjenigen, welche der verstorbene Peter Tfatichoff vertrat, und die Friedrich Engels   in seiner Broschüre So­ziales aus Rußland" verhöhnt hat, für die aber Herr Beck augen­scheinlich eine Neigung befißt.) Die Lehren von Karl Marx   können und müssen die unerschütterliche theoretische Grundlage der sozialistischen  Bewegung in Rußland   bilden.

2) Praktisch müssen die russischen Sozialisten aus den Neihen der Intelligenz die Arbeiter in die Bewegung ziehen. Der russische Zaris­mus, der Jahrhunderte lang sich auf die Stupidität der russischen Bauern stüßte, wird seinen unüberwindlichen Feind in der Macht des aufgeklärten Proletariats finden, das Dank der raschen Entwickelung des Kapitalismus jeden Tag an Zahl zunimmt.

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Die Erfahrung unserer revolutionären Bewegung hat deutlich ge= zeigt, daß die Macht der Intelligenz allein ungenügend ist, um den Zarismus zu besiegen. Um ihn zu stürzen, müssen neue Armeen in's Feld gezogen werden, diejenigen Armeen, die bisher in der Neserve standen die Arbeiterklasse. Auf die Bourgeoisie haben wir als eine Stüße nicht zu rechnen. Wenn die deutsche Bourgeoisie, wie sich En­ gels   ausdrückt, zu spät gekommen ist, so hat sich die russische noch viel mehr verspätet. Außer der Bourgeoisie und dem Proletariat sehen wir keine anderen gesellschaftlichen Mächte, auf die bei uns oppositio­nelle oder revolutionäre Kombinationen sich stüßen könnten. Wir sind nicht so naiv, um die Ansichten derjenigen zu theilen, die die Studenten

und Gymnafiasten als eine besondere gesellschaftliche Slaffe" betrachten, die berufen ist, eine selbstständige Rolle in der Geschichte zu spielen. Das sind unsere Ansichten, welche wir bereits sieben Jahre bemüht find, unter der russischen Intelligenz zu verbreiten.

Vielen gefallen unsere Ansichten nicht. Aber wir stehen hier und tönnen nicht anders. Wir sind nicht und waren nie gegen den Ter rorismus. Wir betrachten diese Stampfesweise vom Standpunkte der praktischen Zweckmäßigkeit. Aber wir sind entschieden gegen terrori­stische Phrasen im Geschmacke von Most und den französischen   Anar­chisten. Solche Phrasen fönnen nach unserer festen Ueberzeugung jeder Bewegung nur schaden. Vielleicht betrachtet Herr Beck diese Abneigung gegen Phrasen als ein großes Verbrechen unsererseits? G. Plechanow.

790

man uns

орто Sozialpolitische Rundschau.

London  , 7. Mai 1890.

- Die Verkommenheit der deutschen Bourgeoisie- schreibt ist vielleicht niemals so scharf zum Ausdruck gekommen, wie anläßlich des großen Maifestes der Arbeiter. Wie sie Angst geschwist haben, diese Angstmeier, das wurde bereits gebührend dem Gelächter preisgegeben. Und wie sie dann, als sie sahen, daß der Staat all seine Polizisten und Soldaten zu ihrem Schuß aufbot, plöglich die Kourage des tollgewordenen Hammels befamen und den Arbeitern polternd und großschnauzig ein Handeln verboten, an das diese garnicht dachten, und vor dem obendrein die Parteileitung gewarnt hatte, dafür gibt es nur ein Wort: infam!

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Vor dem 1. Mai schon vor Angst schwißend, erwarteten diese tapferen Männer den Anbruch des schrecklichen Tages mit ähnlichen Ge­fühlen, wie ein zum Tode Verurtheilter das Grauen des Morgens am Tage seiner Hinrichtung. Zitternd standen sie hinter den Fenstern: ,, werden die Arbeiterbataillone heranziehen?" Und beim leisesten Ge­räusch glaubten sie schon das wilde Getöse des Aufruhrs, das Knattern der Flinten zu hören. Die Aber die Arbeiterbataillone gingen nicht in die Straße. wenigen Arbeiter, welche sich zum Feiern entschlossen hatten, zogen mit ihren arbeitslosen Kollegen, deren jetzt sehr viele sind, hinaus in die schöne Natur, wo die herrliche Maisonne lacht athmeten die leben­spendende Frühlingslust, welche den Lungen ein doppeltes Labsal ist nach dem Brodem der giftigen Fabrikluft sie freuten sich ihres Da­seins und gedachten, wie schön die Erde doch sein könnte, wenn der vernunftbegabte Mensch von seiner Vernunft auch einen menschenwür­digen Gebrauch machte und sie dazu benußte, sich und seinen Mit­menschen das Leben zu erleichtern und zu verschönern, anstatt einestheils nur darauf zu finnen, den Mitmenschen zum Sklaven zu machen und ihm, zum elenden Sondervortheil, das Mark auszufangen oder an statt anderntheils stumpfsinnig das Elend und die Knechtschaft hinzu­nehmen, als sei es ewiges Naturgesetz. Und sie gedachten des Eman­zipationskampfes der Arbeit und der Bedeutung des 1. Mai und sie gelobten sich, alle ihre Straft zu setzen an das heilige Werk der Be­freinng.

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Das waren eben nur wenige der arbeitenden Arbeiter. Die meisten der Lohusklaven folgten dem eisernen Zwange der Nothwendigkeit: feine Arbeit tein Brot! Und sie gingen in die Bastillen der Arbeit. Aber auch sie gedachten des 1. Mai gedachten der glücklicheren und auch der unglücklicheren Genossen, die sich in der freien Natur herumtummelten, und gedachten der Millionen und Millio­nen von Arbeitern und Brüdern aller Länder der Welt, die jetzt gleich ihnen einig im Denken und Fühlen, entschlossen waren, den 1. Mat 1890 zu einem ewigen Markstein der Arbeiterbewe gung zu machen und Jeder sein Schärflein zur großen Kollektiv­arbeit" der Befreiung und Mensch machung der Ar= beiter, und damit der Auferstehung der Menschheit bet­zutragen.

Mit feierlicheren Gedanken und höherer Weihe ist niemals ein Feiertag begangen worden und niemals einer zugleich von so vielen Millionen.

Der Tag verlief in Ruhe!

Und die Hasenherzen faßten nun Muth, und wie jedes Hafenherz, das einen heftigen Schreck gehabt, dann zum eisenfressenden Bramarbas wird, so wurden die Angstmeier von Bourgeois, als sie sahen, daß es ihnen nicht an's Leben ging, auf einmal gar tapfer und riefen erleich­terten Herzens aus:" Die Arbeiter haben vor uns Angst gehabt. Wir haben sie ins Bockshorn gejagt! Der 1. Mai ist ver­unglückt-die Arbeiter haben eine Niederlage erlitten sie haben vor uns die Segel gestrichen und nicht zu feiern gewagt!" Es ist zum Todtlachen, diese Hasen, die- hinter dem Eisenwall des Militarismus versteckt, dem Löwen imponirt" zu haben glauben!

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Daß die Bourgeoisie alle ihre Niederlagen in moralische Siege" umzulügen pflegt, ist eine bekannte Sache. Ünd in diesem speziellen Fall flammert sie sich an den theilweisen Fehlschlag der Agitation zu Gunsten der Arbeitsruhe am 1. Mai. Daß dieser Fehlschlag rein privater Natur ist und daß die Arbeiter in überwältigender Mehr­heit dem Nath der Fraktion folgten daß überhaupt niemals eine allgemeine Arbeitsruhe geplant war, das haben diese Hasenherzen, obgleich sie es hundertmal in den Zeitungen gelesen, in ihrer blinden Angst radikal vergessen.

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Nun ihre eigenen Blätter, welche die Niederlage der Sozial demokratie und den großen Sieg der Arbeitgeber" pomphaft verkünden, find gefüllt bis zum Nande mit Telegrammen und Berichten über den 1. Mai.

Ja, wenn der Versuch gemacht worden wäre, eine allgemeine Arbeits­ruhe für den 1. Mai zu erwirken, und wenn die Arbeiter, statt ihrem ur sprünglichen Programm treu zu bleiben, Straßenumzüge veranstaltet und mit der Polizei und den Soldaten Händel   gesucht hätten- wenn es zu einer Mezelei und zur Proklamirung des Standrechts mit der sichern Aussicht auf Erneuerung und Verschärfung des Sozialistengesetzes gefommen wäre mit andern Worten, wenn die Arbeiter das gethan hätten, was nicht gethan zu haben, ihnen als eine Niederlage" aus­gelegt wird, dann freilich hätten die Hasenherzen in der That einen Sieg erfochten.

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Die Arbeiter haben ihnen den Gefallen nicht gethan. Und die ge waltige Rundgebung des 1. Mai 1890 hat nicht bloß. die Stärke des Internationalen Proletariats, sondern auch seine politische Reife im vollsten Glanze gezeigt. Die Lodipigelei verfängt nicht mehr. Das Proletariat ist zu flug geworden, um in die Fallen zu tappen, welche ihm die Feinde gestellt haben es fennt und es geht den sichern Weg zum Sieg, zum endgültigen Ziel.-

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Internationale Solidarität. Aus Philadelphia   erhalten wir folgende Buschrift:

Werther Genosse!

Einliegend finden Sie eine Anweisung über 100 Dollars= Pfd. 20 10 Sh. 8 Pce.

Diese Summe ist der Ueberschuß unserer Kommunefeier, und ist bes stimmt für den Reichstagswahlfonds der deutschen   Sozialdemokratie. Bitte, befördern Sie das Geld an die entsprechende Adresse.

Das Fest war von der deutschen  , der flämischen und der französischen  Sektion der Sozialistischen Arbeiterpartei veranstaltet worden, und unsere Genossen der französischen   Sektion machten den Vorschlag, daß der Ertrag des Festes für den obigen Zweck verwendet werde. Die flämische Sektion unterstützte den Antrag, der alsdann einstimmig angenommen wurde.

Bitte, nehmen Sie von diesem Afte der Solidarität im Sozial demokrat  " Notiz. Mit brüderlichem Gruße

John D. Bruyn." Jeder Zusak unsererseits würde die erhebende Wirkung dieses schönen Beweises internationaler Solidarität abschwächen.