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in sichere und unmittelbare Aussicht gestellt. Die Partei war zu groß geworden" für die Führer, die lauter hergelaufenes Gesindel, Pyg­mäen, feine Titanen", wie der geniale" Alkoholist   natürlich zu schwache Schultern hatten für die ihnen durch das neckische Schicksal zugewiesenen Riesenaufgaben. Unser Sieg war unser Verderben- weit entfernt, ein neuer Ausgangspunkt des Welteroberungs- Feldzuges des Sozialismus zu sein, war der 20. Februar 1890 in Wirklichkeit das Ende unserer Herrlichkeit der Beginn unseres Zerfalls. Ein gei­wie ftiges, moralisches, prinzipielles Band umschlang uns ja nicht die Führer", so waren auch die anderthalb Millionen Wähler nur zufammengelaufenes Gesindel, von feinem gemeinsamen Gedanken befeelt, nicht einmal von einem gemeinsamen Gefühl, sondern nur von einer gemeinsamen, gemeinen Leidenschaft: dem Neid und der Unzufriedenheit. Alle Neidhammel der Welt, alle niedrigen Elemente, die in sich selbst nicht das Zeng haben, emporzukommen, hatten sich unter der Fahne der Sozialdemokratie vereinigt, die eigentlich grün und gelb sein müßte wie der giftige Neid. Und da nun bekanntlich jeder Neidhammel eine andere Sorte von Neid hat der Eine ist neidisch auf Geld und Gut, der Andere auf ein Amt, der Dritte auf einen Orden, der Vierte auf gut Essen und Trinken, der Fünfte auf schöne Seleider u. s. w. durch die ganze Masse der anderthalb Millionen sozialdemokratischer Wähler hin­durch so mußte der Sieg uns den Untergang bringen. Sobald es an die Vertheilung der Beute" ging denn getheilt", geplündert" mußte nach dem Siege ja werden, sonst wären die Sozialdemokraten ja nicht Sozialdemokraten so fam es an den Tag, daß jeder der anderthalb Millionen Neidhammel sein besonderes Neidideal hatte, die Neidhammel geriethen unter sich selber in Streit, und schlügen einander todt, wie die gepanzerte Drachensaat des Kadmus vorausgesezt, daß fie es nicht vorzogen, ein under mit Haut und Haaren aufzufressen, wie die weiland berühmten Löwen der Fliegenden Blätter  ". Genug der berauschende Becher des Sieges war für uns ein tödtlicher Gift­becher der 20. Februar führte uns auf's Eis und in's Verderben. Wir hatten die Probe der Praxis zu bestehen, und wie war es denk­bar, daß Sozialdemokraten etwas Anderes thun könnten, als was die Abgeschmacktheit, die Tollheit, die Gemeinschädlichkeit der Sozialdemo­Tratie dem gesammten Volte der Nichtneidhammel ad oculos demonstriren würde.

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Nein es war fein Zweifel wir hatten uns to dtgefiegt, und noch gründlicher todtgesiegt wie der unvermeidliche Pyrrhus, der doch noch einen Sieg zu erleiden hatte, ehe er verloren war. Und als nun erst in irgend einem Winkelblättchen die frohe Botschaft zu lesen stand, daß die Sozialdemokraten zu pfiffig seien, ihren Wahlsieg aus zunuzen, und aus Bosheit im Neichstag nichts thun würden, da kannte der Jubel feine Grenzen es war aus mit uns, wir waren todter als todt. Und hätten die klugen Kassandren noch ein paar Wochen länger Zeit gehabt, so hätten sie sicher noch entdeckt, daß die Kartell­parteien am 20. Februar bloß Simulation getrieben und sich nur zum Schein hatten schlagen lassen, um die Vernichtung der Sozial­demokratie desto ficherer zu bewerkstelligen. Diese Bennigsen und Kon­sorten sind ja vertenfelte Schlaumeter.

Nun die Auflösung und Spaltung ist gekommen. Aber am un= rechten Ort vom Standpunkt der Kassandra   aus. In allen anderen Parteien ist der Krach nur nicht in der Sozial­demokratie. Die 35 sozialdemokratischen Abgeordneten traten zusammen und siehe da, nie ist die Fraktion so einig gewesen, nie herrschte- mit einer einzigen Ausnahme, die zu ignoriren Thorheit wäre, die jedoch nur die Regel bekräftigt ein solch einträchtiger follegialischer Geist in der Frattion, niemals war man sich so einmüthig flar über die erwach­senen Pflichten und Alles, was noth thut. Die Lage ist ja auch außer= ordentlich günstig. Das Bismarck  'sche System ist gefallen- genau in der Weise und aus den Ursachen, die wir von Anfang an dargelegt. Und daß es gefallen, ist wesentlich unser, der Sozialdemo= tratie, Werf. Ohne den 20. Februar wäre Bismarck   noch heute im Anit, wenn auch nicht ganz mit derselben Machtvollkommenheit wie unter dem alten Wilhelm: Gelang es ihm was seine Absicht war die Sozialdemokratie sich dienstbar zu machen oder sie zu zertrümmern, so war er heute noch im Sattel. Ein Vierteljahrhundert lang versuchte er es abwechselnd mit Zuckerbrod und Peitsche das Zuckerbrod ward ihm in's Gesicht geworfen und die Peitsche seinen Händen, entrissen und ihm selber zu foſten gegeben.

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Das Bismarc'sche System ist gefallen sagten wir. War das nicht zu viel gesagt? Ist nicht bloß die Person gefallen? Und dauert das System nicht fort? Ja, wenn man unter dem System Bismarck" das System der wirthschaftlichen Ausbeutung und politischen Unterdrückung im Allgemeinen ver= stehen wollte, dann würde es gewiß eine große Illusion sein, von dem Sturz des Systems zu sprechen. Das wäre jedoch unrecht. Unter System Bismarck   verstehen wir diejenige Form, welche Fürst Bismarck  der Ausbeutung und Unterdrückung verliehen hat, welche den Ausfluß und Ausdruck seiner Judividualität bildet. Die bodenlose Rohheit, zynische Heuchelet und jeder Scham bare Korruption des Systems Bis­marck find persönliche Eigenthümlichkeiten, und dieses System ist allerdings mit der Person des Fürsten Bismarck gefallen, von der es unzertrennlich. Die wirthschaftliche Ausbeutung hat damit aber so wenig aufgehört, als die politische Unterdrückung, aber nach dem Zusammenbruch des Bismarck'schen Systems nuß fie andere For= men annehmen und hat sie bereits angenommen. Vielleicht gefähr­lichere Formen. Der Vortheil des Bismarck  'schen Systems lag gerade in seiner abstoßenden Brutalität. Dieser in der Kultur rück­ständige Hinterpommer arbeitete mit Mitteln, die für seine rückständige Umgebung zeitgemäß sein mochten, für das große Deutschland   aber ein überwundenes Kulturniveau repräsentirten. Er war ein leben= diger Anachronismus und wäre in Ländern wie Frankreich  und England von Amerika   garnicht zu reden eine einfache Un­möglichkeit gewesen. Und in Deutschland   wurde er nur möglich durch die unglaubliche Feigheit und Niedertracht unseres Bürgerthums, dem die Angst vor der Sozialdemokratie und den Arbeitern jedes Re­giment wünschenswerth erscheinen läßt, das ihm den schwungvollen Be= trieb des Diebshandwerks gewährleistet.

Die angenehme Temperatur", die gegenwärtig im Reichstag herrscht, birgt mancherlei Gefahren, die durch die Brutalität des Bismarck  'schen Systems und den Bismarck  'schen Manieren von vorn herein ausge= schlossen waren. Die Sozialdemokratie freilich braucht keine Angst zu haben. Sie kennt ihre Pappenheimer und weiß, daß ein lächeln= der Feind mehr zu fürchten ist, als ein polteruder, plump und roh zuschlagender.

Die Liebenswürdigkeit", mit welcher das neue System sich ein­geführt hat, ist einer Partei bereits verhängnißvoll geworden: den Fortschrittlern. So lange Bismarck auf sie loshänimierte, hielten fie zusammen. Seßt, wo Caprivi verbindliche Höflichkeiten sagt, ist es mit der Einigkeit vorbei, die ohnehin bloß äußerlich war. Der unter= irdische Kampf zwischen Richter einerseits und Nickert hänel anderseits ist offen zum Ausbruch gekommen, und einer Pala st= revolution ist es gelungen, den armen Engen  , den Bismarck der Fortschrittspartei", zu stürzen. Der Handstreich) wird allerdings wohl kaum von dauerndem Erfolg sein, indeß wenn auch Eugen Richter   wieder in seinen alten Vertrauensposten an die Spiße der Partei eingesetzt wird, so dauert der Zersegungsprozeß doch fort und über furz oder lang jedenfalls im Lauf dieser Legislaturperiode muß eine Trennung und Andersgestaltung der Partei und der Parteien er= folgen. Denn die Fortschrittler sind nicht die einzigen, denen die Auf­lösung und Spaltung droht. Auch unter den Nationalliberalen und Freikonservativen weiß Niemand, wer Koch und Keller­meister ist eine komplete Deroute. Es ist unter den obwaltenden Verhältnissen sehr wahrscheinlich, daß die demokratischeren Elemente der Fortschrittspartei sich mit den Volksparteilern zu einer bürgerlich- demo­fratischen Gruppe vereinigen; daß die Hänel- Mickert'schen den Miquel'= schen die Hand reichen, und daß Bennigsen mit dem Troß seiner Ge­freuen sich weiter rechts fonzentrirt. Desgleichen gährt's start im Zentrum und unter den Deutschkonservativen.

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Die einzige Partei, die fest steht, ist die Sozialdemokratie. Und das berdankt sie ihrem Programm nicht dem offiziellen Partei­programm, über dessen Mängel sich ein Jeder von uns klar ist, son= dern der Gesammtheit ihrer Anschauungen und Ziele. Wir haben kein steinernes oder papierenes Tagesprogramm, das beliebig umgestoßen und zerrissen werden kann,- unser Programm wird vomi Webstuhl der Zeit gewoben was immer der nie ruhende Menschengeist schafft in den Werkstätten der Wissenschaft und der praf­tischen Arbeit, das bereichert und ergänzt unser Pro=

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gramm das liefert Waffen und Munition für unser Arsenal.

Wir entwickeln uns immer fort, und da es im Wesen der Sozial­demokratie liegt, daß sie in Wahrheit an der Spize der Zivi­lisation marschirt", und in dem Wesen der anderen Bar­teien, daß sie gegen die Konsequenzen der Zivilisation Front machen, so ist auch die Möglichkeit ausgeschlossen, daß die Sozialdemokratie von andern Parteien überholt und gesprengt werden kann! Die anderen Parteien sind ausnahmslos Augenblicksgebilde, die mit den sich verändernden Verhältnissen veränderte Gestalt annehmen und schließlich verschwinden müssen die Sozialdemokratie mit ihrem ewigen, und troß alles organischen Wachsthums uner= schütterlich festen Programm, tann fich nur fort= entwickeln.

Aus dem deutschen Reichstag. Drei Tage dauerten die Debatten über die Gewerbeordnungs- Novelle der Reich 3- regierung, und wir machen ein sehr weitgehendes Zugeständniß, wenn wir das Gesammtergebniß derselben mit dem Worte nicht ganz ungenügend" bezeichnen. Es hat sich immerhin gegenüber dem System Bismarck- Puttkamer mit seiner ausschließlichen Berücksichtigung der Aus­beuter- Interessen, oder sagen wir lieber der Ausbeuter- Prätenfionen, eine leise, ganz leise Wendung zum Bessern offenbart, freilich immer noch mehr potentiell als in wirklichen Thaten. Wo es zur Ausführung kommt, schrecken die Berlepsch 2c. sofort vor dem Geschrei des zeternden Fabrikantenthums entsetzt zurück. Dieses versteht es eben, sich in jeder Weise geltend zu machen, und wird daher immer wieder hervorragend becücksichtigt eine Lehre, welche die Arbeiter nie vergessen dürfen. Es wird, das hat auch diese Debatte bewiesen, einer unablässigen, energischen Aktion der Arbeiter selbst bedürfen, die Feinde aus der Offensive endgültig in die Defensive zurückzuschlagen.

Im   Reichstag wurde der Standpunkt der Arbeiter zum Regierungs­entwurf von Grillenberger in wirksamister Weise zum Ausdruck gebracht. Ohne lebertreibungen, aber fest und entschieden wies er die Mängel, die Halbheiten und direkten Ungerechtigkeiten der Vorlage ein­gehend nach, überall den Regierungsvorschlägen die Forderungen der Arbeiter, wie sie im Arbeiterschutzgeseßentwurf der Sozialdemokratie ent= halten sind, gegenüberstellend. Seine Rede verfehlte denn auch ihre Wirkung nicht. Selbst der berüchtigte tönig" Stumm, der nach Grillenberger sprach, gab seinem Ausbeuter- Hochmuth etwas weniger ficheren Ausdruck, als man es von Seiten diejes anmaßenden Schlot­junters bisher gewohnt war. Die Herrschsucht des Autokraten von Geldsacks Gnaden konnte er natürlich nicht verlängnen, seinen Haß gegen die freien Organisationen der Arbeiter suchte er mit einer Art patriarchalischer Fürsorge zu bemänteln. Er liebt" eben seine Arbeiter wie Väterchen an der   Newa seine Russen.

Recht schwach traten die Redner des Zentrums und des deutschen Freisinns auf, gegenüber den Angriffen auf das Koalitionsrecht der Arbeiter beschränken sie sich ausschließlich auf die Abwehr, und oben= drein eine ziemlich lahme Abwehr. Doch dürfte der arbeiterfeindliche Abänderungsvorschlag im Regierungsentwurf unter den Tisch fallen. Grillenberger hat mit Recht betont, daß ein Arbeiterschutz ohne völlig freies Koalitionsrecht der Arbeiter werthlos sei, diese ist und bleibt das A und O der Arbeiterforderungen.

Der Regierungsentwurf wurde an eine Kommission verwiesen, in der fozialistischerseits Bebel, Dieß und Grillenberger fißen.

Am 21. Mai tam eine Interpellation der Freisiunigen, wie es mit dem versprochenen Gesetz über den Vollzug der Freiheits­strafen stehe, zur Debatte. Dieselbe gab Genossen Geyer Gelegen­heit, die von Seiten der verschiedenen Gefängnißverwaltungen gegen Sozialdemokraten verübten Rohheiten und Nichtswürdigkeiten zu brand­marken. Auf seine, durch zahlreiches Material unterstügten Auflagen wußten die Vertreter der verschiedenen angegriffenen Regierungen nichts zu entgegnen.

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Gesetzlichkeit. Wo mag das Folgende geschrieben stehen? Gewiß ist es, daß es eine Pflicht des Gehorsams gegen das Gesetz gibt. Aber handelt die Behörde gefeßmäßig, wenn sie das Unrecht ver­ewigt? Unterwürfigkeit unter ein unabanderliches Uebel ist vielleicht ein Ausfluß der Klugheit oder der Resignation, nicht aber der Gerech= tigkeitsliebe und der Moral. Je de Bewegung, welche die Aufhebung eines bestehenden Unrechts bezweckt, muß den Gharatter eines Kampfes annehmen, inner­halb oder außerhalb der Grenzen des Gesetzes. Von Den= jenigen, welche es sich zur Gewissenssache machen, alles Unrecht über sich ergehen zu lassen, sagt man, sie hätten den Gipfelpunkt des Menschen­thums erklommen; dem steht aber jener andere Saß gegenüber, daß die Erduldung der Ungerechtigteit, das Unrecht, gegen welches wir uns immer auflehnen sollten, nur noch ermuthigt."

Das heißt ja Jeden, der sich für das Opfer irgend eines Unrechts hält, geradezu zur Auflehnung gegen das Gesetz herausfordern, ruft hier der erste beste Ordnungsphilister aus." Das hat sicher wieder irgend so ein gewerbsmäßiger Aufwiegler, so ein sozial­demokratischer Heßapostel geschrieben".

Gemach, guter Freund. Das hat kein Hezapostel irgend welcher Art geschrieben, sondern das ist eine Schlußfolgerung, zu welcher nach ob­feftiver Prüfung der Verhältnisse ein vom Staat angestellter Be­amter fommt. Freilich kein vom preußischen Staat angestellter Beamter, sondern ein Beamter des Staates New-   York der nordameri­tanischen Republik. Und er schreibt es nicht etwa mit Bezug auf natio­nale oder rein politische Stämpfe, wo ja, im Hinblick auf die Geschichte der Gründung der Vereinigten   Staaten, noch gelegentlich in Festreden von honnetten, wohlgenährten Bourgeois Aehnliches geäußert wird, um am nächsten Tage vergessen zu werden, sondern er schreibt es mit Be­zng auf den aktuellsten aller Kämpfe, den Klassenkampf zwischen Arbeit und Kapital, den Kampf des Proletariats wider seine Ausbeuter. Es ist der Arbeitsstatistiker des Staates New   York, der rühmlichst be= kannte Charles F. Peck, der in einem soeben veröffentlichten Bericht über die Streits in den legten fünf Jahren, bei Be­sprechung der Fälle, wo streitende Arbeiter mit dem Ge= sez in Konflikt tamen, zu den obigen Schlußfolgerungen kommt. Man sollte wirklich meinen, Herr Peck habe die Gewerbeord= nungs- Novelle gefannt, mit der soeben die deutsche Reichsregier ung ihre neue arbeiterfreundliche"   Aera einleitet. Liest man den obi­gen Sag aus der Feder eines Mannes, der an der Hand eines reichen Materials jahrelang die Verhältnisse auf dem Stampfplaß der Industrie gründlich studirt hat, und hält man den neuen§ 153 der Reichs­Gewerbe- Ordnung dagegen, dann hat man eine Kritik dieses Schutz­paragraphen", wie sie schärfer nicht gedacht werden kann. Wir em= pfehlen sie derstommission zur Berathung der Gewerbeordnungs- No­velle auf's Augelegentlichste.

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Den Anlaß zu dem im Vorstehenden zitirten Ausspruch bietet Herrn Peck die Statistik der bei den Streits in den letzten fünf Jahren auf Seiten der Arbeiter vorgekommenen Verstöße gegen das Gesez." Im Ganzen wird die Zahl der in den lezten fünf Jahren( 1885-1889) ausgebrochenen Streits auf 9,384 angegeben, an denen 338,019 Arbeiter Theil nahmen. Die Zahl der dabei vorge­kommenen Verhaftungen 2c. beträgt Alles in Allem 529, d. h. je eine auf 18 Streits oder ein Arbeiter aus 639 Streifer. Mit welch' an= deren Zahlen würde eine entsprechende deutsche Statistik jezt schon aufmarschiren können, und mit welch anderen Zahlen würden sie erst aufmarschiren, wenn die von der Regierung vorgeschlagene Aenderung des§ 153 durchgeht! Sind etwa die   amerikanischen Arbeiter gefeßes liebender als die deutschen? Mit nichten. Gerade die Arbeiterschaft im Staate New-   York setzt sich zum Theil aus Elementen zusammen, die von anderwärts als turbulent" fortmußten. Aber wo ein Gesetz

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das Athmen verbietet, gibt es überhaupt nur noch Staatsver= brecher.

Die genauere Statistik dieser 529 Verstöße gegen das Gesetz lautet: In 282 Fällen lautete die Klage auf Gewaltthätigkeit, in 35 auf Boykott, in 68 auf unordentliches Betragen, während der Nest auf sogenannten technischen Klagen beruhte. 114 der Angeklagten erhielten furze Gefängnißstrafen, 89 geringe Geldstrafen, 60 wurden entlassen, und der Rest auf verschiedene Weise erledigt. Geuan klassifizirt sind die gegen die 529 Verhafteten erhobenen Auflagen wie folgt: Angriff 288, Erpressung 3, Boyfott 35, Herbeiführung von Explosionen 3, Verschwö rug 18, unordentliches Betragen 68, Bertheilung von Boykott- Zirku­lären 9, Abfeuern eines Revolvers 1, Ginschüchterung 6, Bersperrung

des Zugangs zu Gebänden und Einschüchterung von Arbeitern 3, Wache­dienst 1, keine bestimmte Auflage 99. Erledigung der Klagen: Ent­lassen 24, nicht prozessirt 8, verschiedentliche Geldstrafen 85, 5 Doll. oder 5 Tage 1, 100 Doll. oder 100 Tage 1, 300 Doll. oder 300 Tage 2, der Grand Jury überwiesen, von dieser aber nicht angeklagt 11, ein­gesperrt 114, von der Grand Jury angeflagt 17, unerledigt 133, unter Friedensbürgschaft 18, Geldbußen, Einsperrung oder noch schwebend 25, theils verurtheilt, theils entlassen 25, Prozeß in der Schwebe 5." Die obenerwähnten Streits vertheilen sich auf die einzelnen Jahre, wie folgt:

Streits

Personen

1885

1620

52,442

1886

3686

174,537

1887

1677

54,171

1888

1027

24,092

1889

1374

32,777

Von diesen 9384 Streits waren 4432 ganz und 1434 zum Theil er folgreich, 3468 schlugen fehl und 50 sind noch unentschieden. Der an Löhnen verloren gegangene Betrag war 8,042,915.59 Doll. die Kosten, welche den Arbeiter- Organisationen durch die Führung der Streits und Zahlung von Streitbenefits erwuchsen, waren 1,210,260.53 Doll. Der abgeschäßte Gewinn an Löhnen war 18,623,060.77 Doll. Der den Arbeitgebern erwachsene Verlust betrug 5,157,942.15 Doll. Es ist statthaft", bemerkt dazu das Phil. Tageblatt", dent wir diese Auszüge entnehmen, hinzuzufügen, daß dieser Verlust keinen wirklichen Verlust repräsentirt, wie im Falle von Lohnverdienst, sondern nur ein Verlust von Geschäft, das vielleicht Profit abgeworfen hätte. Man kann erklären, daß die Arbeitgeber an 10-20 Prozent von mög­lichen Profiten an erwarteten Geschäften verloren haben. Das tem­poräre Einstellen des aktiven Geschäfts ist sogar manchmal ein indirekter Gewinn für den Arbeitgeber, wie Minenbefizer z. B. die Produktion einstellen, um die Vorräthe zu reduziren und die Preise zu erhöhen. Die Anzahl der Leute, welche durch Streifs ihre Stellen verloren, war 20,823."

Ablösung vor! Nach dieser Parole scheint es jetzt nachgerade überall in   Deutschland herzugehen. Die Polizei verliert durch das be­vorstehende Ende des Schandgesezes einen Theil ihrer Funktion, das heiligste Palladium" des sittlichen Staats, den ungeschmälerten Aus­beuterprofit und die uneingeschränkte Kapitalherrschaft, zu schüßen, und an ihre Stelle tritt die Justiz. An Stelle des Schandgesetzes Schandurtheile.

In   Erfurt stand am 17. Mai der Redakteur der dort erscheinenden " Thüringer Tribüne", StarI Schulze, wegen öffentlicher Beleidigung der Direktion der Königlichen Gewehrfabrik vor Gericht. Diese Be­leidigung" sollte in folgender Notiz begangen sein:

"   Erfurt. Damit es den Arbeitern der Königlichen Gewehr­fabrik, mit der wir uns leider immer wieder beschäftigen müssen, nicht zu wohl ergehen soll, wird lustig am   Lohne gefürzt. Kürzlich wurden die Gewindearbeiter zum Inspektor befohlen und ihnen dort eröffnet, weil die Arbeit nicht schnell genug ginge, es dem Herrn Inspektor nicht möglich fet, bei den jeßigen Löhnen die Arbeitskraft genugsam anspannen zu können, deshalb solle der Lohn von 9 Mart auf 7 Wart 50 Pfennig herabgesetzt werden. Wer die Arbeiter verhöhnt und verspottet, der säet natürlich keine Unzufriedenheit, das machen die Sozialdemokraten. Daß der Herr Inspektor wegen Insubordination bestraft wird, bezweifeln wir, obwohl es uns scheinen will, als ob seine Handlungsweise mit der ,, kaiserlichen Botschaft", welche ja noch immer zu Recht bestehen soll, d. h. so weit sie früher gehandhabt wurde, sich nicht vertrüge. Nun, das wird zwar nicht verhindern, daß den Arbeitern bei der Wahl gesagt wird, sie hätten treu zu König und Vaterland" zu stehen, aber sie wird verhindern, daß die Arbeiter gedankenlos diesen Worten glauben werden, deshalb besten Dank." Alle Thatsachen, die in dieser Notiz behauptet sind, stellten sich in der Verhandlung als richtig heraus. Nur suchte der als Be­laftungszeuge geladene Subdirektor Kohlwalk der Sache dadurch ein anderes Gesicht zu geben, daß er erklärte, für alle Klassen der in der Gewehrfabrik beschäftigten Arbeiter seien Minimal-, Normal- und Marimallöhne festgesetzt, nach Maßgabe derselben die Löhne erhöht, resp. gekürzt würden. Wenn z. B. der Verdienst der Arbeiter den Maximalsaz überschreite, so werden die Akkord­lohnsäße entsprechend gekürzt. Eine solche Kürzung fönne aber eine Lohnreduktion nicht genannt werden, weil der Normalverdienst ein feststehender sei.

"

Nun, darüber wird man gefälligst verschiedener Meinung sein können. Das System ist nichts als eine Schraube, immer mehr Arbeit aus den Arbeitern herauszupressen. Den Arbeitern wird zugemuthet, dieselbe Leistung für einen geringeren Lohn, wie bisher, fertig zustellen, und. das ist, wie man das Ding auch dreht und wendet, eine Lohnreduktion. Und dann, was ging die Notiz die Direktion an? Sie ist mit keinent Wort angegriffen. Wenn sie den Schritt des Jnspektors veranlaßt hatte, sich also gewissermaßen ideell" durch die Notiz getroffen fühlte, so ist es geradezu unerhört, aus diesem ideellen Zusammenhang eine gegen fie gerichtete Beleidigung herauszukonstruiren, ganz abgesehen davon, ob der Wortlaut der Notiz überhaupt als eine Beleidigung be= zeichnet werden kann. Er drückt eine Mißbilligung einer bestimmten Maßregel aus, aber er tritt der persönlichen Ehre der sie ausführenden Person in keiner Weise zu nahe. Auf jeden Fall hatte aber höchstens der betreffende Inspektor, resp. die Direktion der Gewehrfabrik für ihn zu einer Klage Anlaß.

Davon wollte aber der Staatsanwalt nichts wissen, und der Ges richtshof schloß sich ihm an.

Und was meint man, war die Strafe, zu der Schulze verurtheilt wurde? Man lese die Notiz erst noch einmal durch, ehe man die Frage beantwortet.

Eine geringe Geldstrafe", wird der Leser sagen. Mehr ist ja für einen so verhältnißmäßig milden Angriff kaum denkbar.

Naive Seele, die so folgert. Für das Verbrechen, einen Beamten einer töniglichen Werkstätte abfällig fritisirt zu haben, wurde Schulze 311 sage und schreibe vier Monaten Gefängniß verurtheilt. Selbst der Staatsanwalt hatte sich mit Beantragung von einem Monat Gefängniß begnügt. Aber der Gerichtshof fand das viel zu milde und erfannte auf vier Monate Gefängniß. Von Rechts wegen. Wunderbar ist die Urtheilsbegründung:

"

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Was die Höhe des Strafmaßes anlange, so set das Gericht über den Strafantrag des Staatsanwaltes hinausgegangen, weil gerade die Arbeiter der königlichen Gewehrfabrik hohe Löhne be­zögen und zu Unzufriedenheit keine Veranlassung hätten. Daß das der Fall sei, gehe daraus hervor, daß die Arbeit in der Gewehr­fabrik sehr gesucht sei. Um so gehässiger sei es deshalb, in dieselbe, in welcher Zufriedenheit herrsche, den Samen der 3wietracht zu streuen und zu hetzen".

Woher die Herren Richter wissen, daß in der Gewehrfabrik 3u= friedenheit herrsche, verschweigen sie klüglich. Wahrscheinlich ,, nehmen" sie es" an". Denn wäre es wirklich der Fall, so würde Die Redaktion der Tribüne" schwerlich in der Lage gewesen sein, über= haupt über die Sache zu berichten. Und dann, wenn die Arbeiter der Gewehrfabrik so zufrieden sind, woher kommt denn das enorme Wachs­thum der sozialdemokratischen Stimmen in   Erfurt? Doch, wozu auf diese Nedensart, deren Ungereimtheit auf der Hand liegt, noch des Längeren eingehen? Das ganze Urtheil ist nichts als ein Basquill auf den Begriff einer unparteiischen Justiz, es ist eine Verhöhnung allen Rechtsgefühls, ein schamloser Ausfluß brutalen Klassenhasses, eine schändliche Vergewaltigung eines politischen Gegners. Mit solchen Richtern braucht man fein Knebelgesetz, sie bilden eine politische Knebelbande, die der Polizei des Herrn Buttkamer an Gewalt­thätigkeit in Nichts nachsteht.

Folgendes find die Namen der Herren: Landgerichtsrath Reich= ard, Borsigender; Landgerichtsrath Krieger, Landgerichtsrath Schim­melpfeng, Landrichter Dr. Jacobsen und Gerichtsassessor Dr. Groschel, Beisizer.

Ehre, dem Ehre gebührt!

- Eine Bergessene. Ein hiesiger Leser unseres Blattes schreibt

uns:

Beehrte Redaktion! Würden Sie vielleicht in Ihrem geschätzten Blatte, das ja der Sache aller Unterdrückten und Verheiten gewidmet ist, die Aufmerksamkeit auf eine arme Bergessene lenken, die feit nahezu