Berachtung anheimgefallen, wäre nicht nur von den herrschenden Klaffen, nein auch von den breiten Volksmassen für einen hiruver= brannten Phantasten gehalten worden. Zwar hatte seit dem Tode des alten Wilhelm das Prestige und Ansehen des Schöpfers" unserer nationalen Einheit", des genialen Reichsgründers" einigermaßen ge= litten, indeß noch immer war der Glaube fest eingewurzelt, der eiserne Kanzler" sei unentbehrlich; und daß er vor seinem Tode aufhören könne, die Zügel der Regierung zu führen, erschien als ein alberner Traum.

Und heute? Das Gößenbild liegt zertrümmert am Boden in einer Pfüße von Unrath, und auch die fanatischsten der einstigen An­beter haben sich der Ueberzeugung nicht verschließen können, daß der vermeintliche Ausbund aller menschlichen Größe in Wirklichkeit ein Aus­bund von Kleinlichkeit und Erbärmlichkeit ist.

Der Glaube an die großen Männer" ist in die Brüche ge= gangen, und das ist ein großer Fortschritt. Freilich, es darf nicht ver­hehlt werden, daß mächtige Gewalten daran arbeiten, an die Stelle des gestürzten Gößen einen neuen Gözen zu setzen, und zwar Nie­mand anderen als den neuesten Kaiser, allein das ist nicht gefährlich. Dieser Baum wird gewiß nicht in den Himmel wachsen. Zum zweiten Mal läßt sich das deutsche Reich nicht gründen, zum zweiten Mal nicht ein heiliger Krieg" mit lauter Siegen gegen irgend einen Erbfeind" in Szene setzen.

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Unterschätzt darf der Kultus jedoch nicht werden, den der Chef des Hauses der Hohenzollern   mit sich treiben läßt. Hier handelt es sich nicht um eine flüchtige Laune hier haben wir es mit einem festen Plan und mit methodischer Ausführung zu thun. Das persönliche Re­giment soll nicht abgeschafft, es soll nur durch eine andere Person repräsentirt werden: Wilhelm II  , statt Bismarck   der Kaiser an Stelle des Reichskanzlers. Der Kaiser soll den Kanzler in der Phantasie des Volkes verdrängen. Das ist eine verteufelt simple Jdee und wir sind auch nicht die ersten, welche sie entdeckt haben, und es ist nicht das erste Mal, daß wir davon reden. Wir lenken jetzt blos die Aufmerksamkeit auf den Plan, weil mit wachsender Emfigkeit an seiner Verwirklichung gearbeitet wird.

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Zum Glück sind die Zustände nicht mehr so russisch oder türkisch, daß Derartiges möglich ist. Die ausschlaggebende Kraft ist heute doch das Volt. Und so wenig der Kaiser den Kanzler hätte los werden können, ohne das Volksverdikt vom 20. Februar, so wenig wird er die Rolle, welche er sich in seinen fühusten Träumen zugedacht hat: auf den Trümmern des bürgerlichen Klassenstaats den patriarchalisch= abso= lutistischen Sozialtaiser zu spielen, durchführen können, ohne daß er sich auf das arbeitende Volt stüßt. Und das arbeitende Volk wird ihm wohl helfen, den Klassenstaat zu untergraben, womöglich zu zer­stören jedoch sicherlich nicht, das Sozialkaiserthum aus dem Reich der Träume in das der Wirklichkeit überzuführen. Es bedarf da frei­lich gar keiner Verhinderung: die Aufgabe ist an sich eine unlös­bare, ein Unsinn, eine windige Utopie. Dem Bürger= thum aber graut es vor dieser Utopie. Mehr und mehr wagt sich die Opposition gegen das soziale Programm" des Kaisers hervor, und immer schärfer tritt die Thatsache hervor, daß sämmtliche Oppo­fitionselemente sich um den Reichskanzler a. D. gruppiren. In seinem letzten Interview diesmal mit einem deutschen   Fart­fätscher sprach er mit zynischem Hohn von den kaiserlichen Erlassen, erklärte er eine Verschärfung des Sozialistengesezes für nothwendig, furz er machte ein förmliches Pronunziamento als Haupt der rebellischen Bourgeoisie.

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Wie das noch enden wird? Tragisch? Komisch? Tragikomisch? Wahrscheinlich das letztere. Wundern sollte es uns nicht, wenn der alte Alfoholiker gelegentlich aus Friedrichsruhe geholt, vor eine Kommission von Aerzten gestellt und zur Kur seines delirium tremens in ein maison de santé gesteckt würde.

Die Situation ist für die Sozialdemokratie überaus günstig: die Regierung in Opposition gegen die Bourgeoisie, was kann man sich besseres denken? Der Auflösungsprozeß in der bürgerlichen Gesell­schaft wird rapid beschleunigt, die Elendigkeit der herrschenden Zustände in das grellste Licht gerückt, und die Träger der Autorität werden gezwungen, die Autorität zu vernichten.

Vor der großen französischen   Revolution war es ähnlich: Die Monarchie selbst bereitete den l m sturz der Monarchie bor  , bis sie schließlich ihre eigne Todtengräberin ward. Es scheint ein geschichtliches Naturgesetz zu sein, daß die Vertreter ab­sterbender Staats- und Gesellschaftsformen diesen den Gnadenstoß geben. So günstig die Situation für uns ist, so schwierig und so verant­wortlich ist sie das kann nicht oft genug hervorgehoben werden. Wir haben genau alle Phasen des Duells zwischen Kaiser   und Kanzler, und der Kämpfe zwischen und in den Parteien unserer Gegner zu ver= folgen; und wir haben unser Handeln genau nach den Bedürfnissen des Moments einzurichten.

Daß wir ruhig berechnen, gefällt unsern Feinden nicht; und höhnend rufen sie uns zu, wir hätten unser Programm und unser Wesen ver­leugnet, feien Opportunisten geworden, vermuthlich gezähmt durch das Sozialistengeſetz.

Nun, die Sieger des 20. Februar fönnen lächelnd über solche einfältigen Wige zur Tagesordnung übergehen.

- Die Feinde der Arbeiterbestrebungen formiren ihre Kadres das ist die gegenwärtige Situation in Deutschland   auf dem Gebiete des sozialen Klassenkampfs. Wenngleich diese Stadres, und seien sie noch so stark an Zahl und noch so fest gegliedert, gegen die Gesetze der wirthschaftlichen Entwicklung ohnmächtig sind, so bleibt ihnen doch Spielraum genug, allerhand Schaden anzurichten, und zwar um so mehr, je mehr man sie auf Seiten der Arbeiter unterschäßt. Die Ar­beiter dürfen nie die elementare Grundregel der Kriegsführung außer Augen lassen, daß es vor allem nöthig ist, die Bewegungen des Fein­des aufmerksam zu verfolgen, sich über die Stärke seiner Truppen, seine Machtmittel und Hülfsquellen beständig auf dem Laufenden zu erhalten.

2.

Feuilleton.

Aus dem Tagebuch eines politischen Zuchthäuslers. Während mich in diesem Anblick versunken

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ein heißes Sehnen nach Freiheit beschlich, überhörte ich ganz, daß meine Zellenthür offen und eine herkulische Gestalt, der Oberaufseher, hinter mir stand. Und wie vertrieb mir der meine Grillen!

" Du hast wohl die Hausordnung noch nicht gelesen, die dort an der Wand hängt?" polterte er los. Bist Du auch ein Sozialdemokrat? Was wollt Ihr denn eigentlich bezwecken? Ihr könnt gar nichts be= zwecken. Denn erstens seid Ihr zu schwach, dann habt Ihr kein Geld, und drittens seid Ihr viel zu dumm!"

Ich war im ersten Moment ganz starr ob der vernommenen sokra­tischen Weisheit. Die Worte waren mit einer Bestimmtheit gesprochen, als dozire der Sprecher absolute Wahrheit, die jeden Widerspruch aus­schließt. Aber man wird leicht übersättigt, sobald des Guten zu viel auf einmal geboten wird; Magen wie Hirn, jedes will seine Zeit, um der Verdauungsarbeit obliegen zu fönnen. So ging es mir bereits am ersten Tag im Zuchthaus mit den goldenen Lebensregeln, die ich zu verdauen bekam. So würde es auch dem Leser ergehen; ich will ihn daher mit weiteren Zitaten aus den großen Schaze dortiger Philo­sophen verschonen.

Mittlerweile wurde es sieben Uhr. Kaum hatte eine weithinschallende Glocke das Zeichen zum Schlafenlegen gegeben, als auf dem Gang meiner Etage eine kräftige sonore Stimme Feierabend" rief. Doch was ist das? Klipp flapp, klipp flapp ging es Trepp auf, Trepp ab. Es waren Sträflinge; sie wurden von den Arbeitssälen nach ihren Schlafzellen geführt. Die Lederschlappen an ihren Füßen verursachten das laute und unangenehme Geräusch. Die Aufseher eilten mit un­glaublicher Geschwindigkeit von Zelle zu Zelle, mit einem furzen knackenden Griff die Thüren schließend. Noch war das nicht zu Ende, und schon wurde meine Aufmerksamkeit auf's Neue gefesselt. Hat denn das wilde Heer sich hinter die Mauer des Zuchthauses zurückgezogen, um seinen Spuck hier um so toller treiben zu können? Unter dem Dache des Flügels Chervor quoll ein lauter unmelodischer Gesang eines Kirchen­liedes, und ebenso unter den Dächern anderer Flügel, aber von jedem Flügel ein anderes Lied. Alles das vermischte sich zu einem unent­wirrbaren Chaos von Stimmen, das nicht weniger als erbaulich tlang, bis es sich nach und nach wieder löste und verstummte.

Ein deutschfreisinniges Organ, die Kieler Zeitung  ", veröffentlichte neulich eine Zusammenstellung der theils schon festorganisirten, theils in der Organisation begriffenen Unternehmer- Verbände, die auch in unserm Blatt veröffentlicht zu werden verdient. Hier folgt sie.

1. Verband sämmtlicher Arbeitgeber Leipzigs  , der vornehmlich bezweckt, die guten und friedlichen Arbeiter gegenüber den Aufwieglern zu schüßen". Für legtere soll eine schwarze Liste(!!) angelegt und den Mitgliedern des Verbandes es zur Pflicht gemacht werden, keinen Aufwiegler" mehr in Arbeit zu behalten. Die Zahl dieser agitatorischen" Elemente Leipzigs   wird auf 2-300 veranschlagt. 2. Verband der Flachsspinnerei- Besizer von Nordwest­ Deutschland   zur gemeinsamen Abwehr unberechtigter Arbeiteraus­Wollen die stände( und die berechtigten Arbeiterausstände? Herren nicht endlich einmal sich darüber erklären, woran man einen, be­rechtigten" von einem unberechtigten" Arbeiterausstand unterscheiden fann?). 3. Verein der Brauereibesiger in Rheinland  , Westfalen  , Hessen  - Nassaut u. s. w. zur Wahrung ihrer Inter­essen den Arbeitern gegenüber.( Bravo  ! Das ist doch offen gesprochen.) 4. Verbindung Lausißer Zigarrenfabrikanten zur Ab­wehr gegen unberechtigte Arbeitseinstellungen. Die wichtigsten Bestim= mungen sind: Es wird ein Schiedsgericht gebildet, welches aus dem Vorsitzenden des Verbandes, zwei bei einem eventuellen Streit unbe­theiligten Fabrikanten und zwei unbetheiligten Arbeitern besteht. Wenn die Forderungen der Arbeiter als gerechte anerkannt werden, hat sich der Fabrikant zu fügen, andernfalls er keine Unterstützung vom Ver­bande zu erwarten hat. Die vom Verbande abgewiesenen und trotzdem streifenden Arbeiter dürfen von keinem Verbandsfabrikanteu beschäftigt werden, der betreffende Fabrikant hat sofort eine Liste dieser Arbeiter einzureichen, die jedem Verbandsfabrikanten mitgetheilt wird. Der Ver­bandsfabrikant, der solche Arbeiter innerhalb acht Wochen, vom Streit an gerechnet, beschäftigt, zahlt pro Person 50 Mark, die event. vom Vorstande eingeklagt werden können. 5. Verband deutscher  Metallindustrieller, welcher die Bezirksvereine der Provinz Hannover  , Magdeburg  , Braunschweig  , Halle a. b. S., Hamburg  , Berlin  , Offenbach   a. M., sowie die Firma Henschel   und Sohn in Kassel   um= faßt. Der Verband erachtet es, neben der werkthätigen Förderung des Wohles der Arbeiter, als Pflicht der Arbeitgeber, unberechtigte(!!) Be­strebungen der Arbeiter, welche darauf gerichtet sind, die Arbeitsbedin­gungen einseitig vorzuschreiben, gemeinsam abzuwehren und in ihren Folgen unschädlich zu machen. Zur Erreichung dieses Zweckes sind die Verbandswerke verpflichtet, streifende Arbeiter anderer Verbandsbetriebe so lange nicht in ihren Arbeitsstätten zu beschäftigen, als der von einem Bezirksverein für unberechtigt erklärte Streik dauert. Als unberechtigten Streif erachtet der Verband das gemeinsame planmäßige Niederlegen der Arbeit zu dem Zwecke, die Erfüllung von Arbeitsbedingungen, welche durch die Arbeiter einseitig aufgestellt sind, zu erzwingen, gleich­viel ob die Arbeitsniederlegung mit oder ohne Kontraktbruch erfolgt. Ebenso wie gegen Streits hat der Verband auch seine Thätigkeit gegen die von Arbeitern ausgehenden Sperren zu richten. 6. Ziegler verein für den Regierungsbezirk Magdeburg   und das Herzogthum Anhalt, dessen Mitglieder, sobald eine Arbeits­einstellung auf einer Ziegelei erfolgt, auf allen Ziegeleien den Betrieb einstellen und sämmtliche Arbeiter entlassen. 7. Arbeitgeberber­band Hamburg- Altona, dem sich angeschlossen haben: Der Verein Hamburger Rheder, der Hamburger   Eisenindustrie, die Bau­hütte, fast sämmtliche Hamburger   Innungen, der Verein Hamburg­Altonaer Ewerführer, Hamburger   Quartiersleute, die Kornumstecher, der Verein der Spritinteressenten, der der Brauereien und Mälzereien von Hamburg   und Umgegend. Der Verband richtet sich gegen die Uebergriffe und Ausschreitungen der Sozialdemokratie(!) und deren Führer(!) zum Schutz der besonnenen" Elemente unter den Arbeitern. Der Verband erstreckt sich über Hamburg  , Altona  , Wandsbek   und Har­burg. 8. 11. 9. Der Vorstand des wirthschaftlichen Vereins und der Gruppe des Vereins deutscher   Eisen- und Stahl= industrieller im Saargebiet haben den Angehörigen der beiden genannten Vereinigungen zur Pflicht gemacht, kein Mitglied der Fach- und Gewerkvereine, sowie der sogenannten Rechts­schutzvereine zu beschäftigen. Außer den aufgezählten kommen, wie die N. A. 3." meldet, mit ähnlichen Einrichtungen in Betracht: 10. Verband der Tuch fabriken in Rottbus, 11. der Riemenfabrikanten in Barmen, 12-14. der Tabat: fabrikanten in Braunschweig  , Halberstadt   und Nord­ hausen  , 15. von Kartonfabritanten in Berlin  , und 16. der Rathenower   Ziegeleibesizer."

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Es kommen

Die Liste ist aber bei Weitem noch nicht vollständig. noch die Verbände der Krüppelschüßen", Innungen genannt, hinzu, sowie andere Unternehmerfoalitionen, die ihre arbeiterfeindlichen Ten­denzen hinter einer harmlosen Firma verbergen. Allen diesen haben die Arbeiter im Großen und Ganzen nur erst die Anfänge kriegstüch­tiger Organisationen entgegenzusehen, und wenn ihr hochentwickeltes Klassenbewußtsein, ihr starkes Solidaritätsgefühl, ihre Erfenntniß der sozialen Entwicklung und der sich daraus für sie ergebenden Pflichten, sowie das eiserne Gebot der Noth und der soziale Selbsterhaltungstrieb, diesen Mangel in Etwas ersetzen, vollständig aufheben können sie ihn nicht. Es heißt also, von den Feinden lernen. Organisation, Organi­sation und wieder Organisation ist die Parole.

Zweierlei Strafen. Wie der Sächs. Arbeiterztg." mitgetheilt wird, sind zwei Jäger, welche am 1. Mai aus einem der Fenster ihrer Kaserne an der Albertbrücke in Dresden   bei der Zurückkunft sozialdemokratischer Ausflügler von Loschwiz mit bunten Taschentüchern schwenkten, deshalb zu schweren Freiheitsstrafen( wie ver­lautet, zu 1 resp. 2 Jahren Gefängniß) verurtheilt worden. Die verhängnißvollen Taschentücher sollen Kasernengeschenke gewesen sein und enthielten auf rothem Grund Armee- Initialen, Waffen und Wappen 2c."

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In Berlin   ist vor einigen Tagen ein gewisser A. Sack wiß, der

Bald war der letzte Ton verklungen, der letzte Schritt der Aufseher verhallt. Nun klappte auch ich die Bettstelle von der Wand und suchte mein Lager auf. Zur höchsten Ueberraschung fand ich eine breite und

weiche Matraze. Wahrhaftig, dieſes Bett machte der Anstalt alle Ehre. In meiner vorangegangenen Untersuchungshaft hatte ich mit den Nacht­lagern üble Erfahrungen gemacht. Zu Hanau   im Landgerichtsgefängniß mußte ich den Strohsack mit einer Rotte Mäuse theilen. Die Bestien machten die Nacht zum Tag. Mit unermüdlichem Eifer verwühlten und zerzausten sie das Stroh, nur auf Augenblicke konnte ich durch energisches Schütteln des Strohsacks und durch Draufschlagen mir Ruhe verschaffen. Nach kurzer Pause schon begannen sie ihr Vernichtungswerk mit ver= doppelter Wuth. Morgens waren sie inimer verschwunden, alles Er­neuern des Strohes und des Sackes half nichts; wohl oder übel, ich mußte mir diese lästige Gesellschaft gefallen lassen.

Und im Leipziger   Untersuchungsgefängniß? O wie oft wünschte ich den Strohjack herbei und die Mäuse!

Die Matraße, steinhart und sehr schmal, lag, wenn sie von der Wand herabgelassen war, an der sie, wie auch hier, während des Tages fest­geschnallt ist, mitten in der schmalen Zelle und taum 30 Millimeter über dem Fußboden. Fast den größten Theil der Nacht mußte ich zum Zusammensuchen der verschiedenen Bettutensilien verwenden; bald rutschte der als kissen dienende Keil über den Kopf hinaus auf den Boden, gleitete die Decke hinab, bald lag ich selbst drunten.

Doch das Bett hier war nicht zu verachten. Mit dem Gedanken: Wo man singt, da laff' dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder, legte ich mich zur Ruhe. Tiefe Stille und tiefer Friede herrschten auf dem ganzen großen Flügel, der einige hundert Menschen beherbergte.

Langandauerndes Glockengeläute und derselbe Gesang wie am Abend, nur etwas schlaftrunkener, weckten mich Morgens 3/45 aus dem Schlummer. Der Aufseher sagte mir auf Befragen, das Singen rühre von den Sträffingen her, die in Schlafsälen unter den Dächern der verschiedenen Flügel liegen. Mit Gesang wird bei denen das Tagewerk begonnen, und mit Gesang wird es beendet.

Dieser Tag brachte meine offizielle Vorstellung beim Direktor, dem Arzt und dem Priester. Morgens 8 Uhr holte mich ein Aufseher ab, doch kamen wir lange noch nicht zu dem Direktor; auf der Liste des Aufsehers standen die Namen vieler Sträflinge, die er alle vorzuführen hatte. Er nahm mich mit durch die ganze Anstalt, durch lange dunkle Gänge mit Jsolirzellen auf beiden Seiten, durch große Arbeitssäle hoch oben im fünften Stock und unter der Erde, durch die Höfe, durch die

nach einem Wortwechsel seinen jüngeren Bruder durch einen tiefen Stich in die Kehle getödtet hat, unter Zubilligung mildernder Umstände zu 1/2 Jahren Gefängniß verurtheilt worden. Ueber die Verhandlungen lesen wir in einem Lokalbericht:

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Aus dem Verhör mit dem Angeklagten, der teine Spur von Neue zeigte, ist Folgendes hervorzuheben. Präs.: Angeklagter, Sie behaupten jetzt, daß Ihr Bruder Sie zuerst mit einem Gummischlauch angegriffen hat und ein solcher ist am folgenden Tage auch unter der Kommode in der Stube gefunden worden.*) Aber wollen Sie wirklich behaupten, daß Sie es für nöthig hielten, zum Messer zu greifen? Angetl.: Ja, ich habe mich in Nothwehr befunden, wenn ich ange= griffen werde, vertheidige ich mich. Präs.: Meinen Sie auch heute noch, daß Sie berechtigt waren, das Messer zu gebrauchen? Angekl.: Ja wohl. Präs.: Denken Sie denn gar nicht an Ihren verstor= benen Bruder? Haben Sie keine Spur von Neue? Anget.: Ja, es thut mir ja leid, daß es so gekommen ist, aber ich werde mich doch Präs. Sie haben ja noch einen Bruder, nicht schlagen lassen. dann könnten Sie es mit dem ja ebenso machen. Anget!. schweigt. - Präs.: Haben Sie Ihren Schwager, den Maurer Nitschke, nicht auch einmal mit dem Messer bedroht? Angekl.: Das ist lange her." Und dieser Mensch, der von dem Messer in geradezu frivoler Weise Gebrauch macht, kommt mit Jahren Gefängniß davon, während der Soldat, der vom Fenster aus seine Freunde begrüßt- was übri gens gar nicht verboten ist zu zwei Jahren Gefängniß verurtheilt wird. Vielleicht well die Freunde Arbeiter waren? Oder weil im Taschentuch die rothe Farbe" vorwog", wie der beliebte Ausdruck lautet? Wahrscheinlich wird Beides zusammen die Herren vom Militärgericht veranlaßt haben, diese exemplarische Strafe" zu verhängen. Und ein Erempel ist sie allerdings. Aber ein Exempel, auf das die Lösung erst noch gefunden werden soll.

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Einen durchaus gerechtfertigten Protest hat der Grütli­Verein Bern neulich gegen die Sammlungen für ein Kolossal Monument Wilhelm Tell'  s erlassen. Wir halten es für eine Ehrenpflicht, dieses ebenso männlich entschieden wie würdig gehaltene Schriftstück auch im Sozialdemokrat" zum Abdruck zu brin= gen. Es lautet:

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,, Tell- Monument und General- Anwalt.

Durch die Schweizerpresse macht ein allgemeiner Appell an das Volk zur Geldsammlung für ein Tellmonument die Runde. Dieses Monument, das wahrscheinlich in Altdorf zu stehen kommt, soll sicherem Vernehmen nach kolossale Dimensionen annehmen und dementsprechend eine folossale Summe kosten.

Das wäre an sich schön und recht und eines freien Volkes würdig, wenn nur dieses Vorhaben im Entferntesten harmontren würde mit den gegenwärtigen Verhältnissen.

Es steht natürlich jedem Einzelnen, sowie jeder Grütlisektion frei, dazu einen Beitrag zu leisten. Anderseits mag es auch Jedem freige­stellt sein, seine Betrachtungen darüber anzustellen. Die Grütlianer Berns thun dies, selbst auf die Gefahr hin, als umpatriotische Bürger oder gar als Vaterlands- und Reichsfeinde" verschrien zu werden. Da sie an diese Vorwürfe und Titel schon etwas gewöhnt sind, so kommt es ihnen auf ein Mehr oder weniger nicht viel an.

Wir fassen es als eine Vermessenheit sondergleichen auf, wenn die gleichen Leute, die uns den Generalanwalt vor nicht langer Zeit aufgehalst, nun vom gleichen Volke Geld verlangen zur Verherrlichung der kühnen Freiheitsthat des Tell.

" Jezt gerade, wo durch die Plaudereien Bismarck'  s, des Vaters und des Sohnes, die damaligen Vorgänge Jedem vollständig flar geworden sind, der sehen will, jezt, wo sogar die Berner Zeitung  " zugeben

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muß, daß der Bundesrath vor Puttkamer- Bismarck den Nacken ge­beugt, und wo ein schweizerisches Sozialistengesez und ein schmähliches Auslieferungsgesetz auf den Tischen der eidgenössischen Räthe liegen, fönnen wir Freiheits- Deklamationen, wie sie von Anhängern und Freun den jener schlechten Politik für die Errichtung des Telldenkmals in's Feld geführt werden, nur mit Entrüstung als unaufrichtige oder mindestens als gedankenlose Phrasen betrachten.

Wir wollen von der Tellverherrlichung jener Leute nichts wissen und nicht in diesem von Widersprüchen getrübten, unlautern Dinge sein. Müssen wir vorerst noch ohnmächtig zusehen, wie von unserer heimischen Freiheit Stück für Stück abgebrochen wird, so können wir heute auch noch zusehen, wie die Denkmäler zerbröckeln, die einem Frei­heitssinne gelten, der heute von unsern herrschenden Parteien faktiſch verpönt, geschmälert und verfolgt wird. So lange in unserm Lande diejenigen Freiheitskämpfer, welche doch nur mit den Waffen des Gei­stes fämpfen, verfolgt und gemaßregelt werden, nur fremden Monarchen zu lieb, so lange geben wir feinen Rappen für alle schönen Worte von der Art des Aufrufes für ein Tellmonument. Aber an dem Tage, wo man uns unsere alte Freiheit wiedergibt, wo wir wirklich wieder es verdienen werden, ein freies Land zu heißen, da werden auch wir mit Leib und Seele beitragen zur Verherrlichung der Freiheits­Thaten unserer Vorfahren.

" Allerdings haben die Freiheitsbestrebungen eines einzelnen Volkes in heutiger Zeit sehr wenig Aussicht auf Erfolg, weil rings um uns die reaktionäre Diplomatie das Szepter führt, mit welcher auch unfere schweizerische Oberbehörde auf gutem Fuß stehen will. Dieser Umstand ist schuld, daß solche Früchte bei uns reifen können, wie wir sie oben gezeigt haben, Früchte, welche beweisen, daß wirklich in den obersten Streifen eine gewisse internationale Einigkeit herrscht, mit der Tendenz, den Freiheitsbestrebungen der untern Klassen Schranken zu setzen. Da mit ist aber auch dargethan, daß aus den nationalen Freiheitsfämpfen der einzelnen Völker ein großer internationaler Klassenkampf geworden

*) Es sei hierbei bemerkt, daß ein dritter Bruder, der bei der Szene zugegen war, nur gesehen hat, daß der Getödtete, als der Weltere mit Schimpfen nicht nachließ, mit der Hand ausholte, aber keinen Schlag hat fallen hören.

Stirche und Schulräume, hier und dort einen Sträfling mitnehmend, bis ein stattliches Häuslein zusammen war, welches dann der Direktion zu­marschirte.

Der erste Eindruck, den der Direktor auf mich machte, war eine große Enttäuschung. Was, dieses kleine unscheinbare Männchen soll der Dif­tator des Zuchthauses sein? Der soll im Stande sein, 900 Sträflinge in Schach   zu halten? Er kann ja kaum über den Tisch blicken, hinter dem er sizt. Es war gar drollig anzusehen, wenn er einem Unter­beamten Befehle ertheilte, wie der kleine Knirps an jenen hinaufschielte, wie ein Bube zu seinem Vater. Draußen, im Gewühle der Welt, würde man ihn kaum beachten, aber in seinem Reich hat er sich ein so sicheres und festes Auftreten angewöhnt, daß es Einen in Erstaunen setzt. Stumm wie eine Bildsäule nehmen die Beamten seine Anordnungen entgegen. Jetzt kam ich an die Reihe. Mag sein, daß der Vortrag, mit dem er mich beehrte, infolge einer fast täglichen Wiederholung mechanisch abgehaspelt, so fade und nichtssagend ausfiel, wie er mir erschien; auf mich verfehlte er alle Wirkung. Doch halt, bald hätte ich den auf die Hausordnung sich beziehenden Passus zu erwähnen ver­gessen: Er empfehle mir, ja genau nach der Hausordnung zu handeln. Sie steht nicht blos auf dem Papier, sie wird bis auf den Punkt über dem i durchgeführt, jedes geringste Abweichen davon wird unnachfichtlich und unerbittlich streng geahndet. Dafür seid Ihr eben im Zuchthaus und nicht zum Vergnügen. Ihr sollt gezüchtigt werden für Eure be= gangenen Unthaten."

"

nein, das waren keine Phrafen, teine leeren Einschüchterungs­ver uche. Wenn der leiseste Zweifel an dem Ernst, dem bitteren Ernst dieser Worte den Hörer beschleichen sollte, ein Blick in das falte nube= wegliche Gesicht des Direktors hätte ihn bald verscheucht. Es muß wohl schon lange her sein, als der Mann noch ein Herz besaß, schon lange, feit er seine Gefühle wie lästigen Ballast über Bord warf und jein Gesicht versteinerte. Nicht jene leidenschaftlich zerrissenen, häßlich- schönen Züge eines Marat, eher Robespierre's starres, strenges Antlig blickt uns entgegen, wenn überhaupt ein Vergleich mit diesen Männern gestattet ist. Oder sollte ich irren? Sollte dieser Direktor einer von jenen ge= trenen Beamten sein, die ihre Pflichten nur mit schwerem Herzen er füllen und außerhalb des Berufes die liebenswürdigsten Menschen sind? In Romanen findet man ja deren so schöne Beispiele, aber eben nur

in Romanen. Was man auch sagen mag, es ist nicht wahr, daß ein humaner, gefühlvoller Mensch zugleich ein harter und unbeugsamer Be­amter sein kann; stets wird der Mensch seine Lebensanschauung auch in seinem engeren Wirkungskreis zum Ausdruck bringen. Wohl wissen

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