mart nicht nur die überwiegende Masse der Bevölkerung in der Land­wirthschaft thätig, sondern besigt auch Dänemark   noch einen sehr zahl= reichen mittleren und kleinen Bauernstand. Das gibt der Landfrage naturgemäß auch einen anderen Charakter als in Ländern mit vor­herrschenden Grundbesiz. Die Verstaatlichung, oder, wenn das Wort in den Ohren unserer Genossen in Kopenhagen   einen zu unangenehmen Klang hat, die Vergesellschaftung des Grund und Bodens ist in weitere Ferne gerückt. Soll die Sozialdemokratie in Dänemark   deshalb darauf berzichten, die Kleinbauern und Landarbeiter schon heute für sich zu interessiren? Gewiß nicht. Natürlich darf dieses Interessiren nicht durch Vorschläge geschehen, deren Verwirklichung eine. Berewigung der heu­tigen Eigenthumsverhältnisse bedeuten würde, aber deshalb jeden Vor­schlag, der nicht gleich auf die große Expropriation hinausläuft, als Bauernfängerei" zu verwerfen, das scheint uns ein sehr unfruchtbarer Doktrinarismus. Warum sollen wir nicht zeigen, durch welche Mittel schon heute die Lage der landarbeitenden Bevölkerung erheblich ver­bessert werden könnte, wenn nicht bei den heutigen Machthabern die fapitalistischen Interessen maßgebend wären?

Was aber die Notiz in unserm Blatt betrifft, die die Einsender so entsetzt hat, so glauben wir, daß das Entseßen sich etwas legen wird, wenn sie sie noch einmal genau durchlesen. Sie werden dann wahr­scheinlich finden:

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1) daß es sich in ihr nur darum gehandelt hat, einem bürger= lichen Blatt der liberalen Korrespondenz" diejenigen bei gutem Willen heute schon durchzuführenden Mittel anzugeben, durch welche den antibürgerlich- reaktionären Tendenzen der Agrarier auf den Latifundiengütern zur Zeit entgegengewirkt werden könnte, wenn man wirklich nur die Interessen der betheiligten 2andarbeiter in's Auge faßte.

2) Daß wir ausdrücklich hinzusetzten: Vor Beidem aber( nämlich dem organisirten Widerstand der Landproletarier" und" der Schaf= fung freier Landarbeitergenossenschaften mit Staatskredit) schreckt das bürgerliche Gewissen der Liberalen Korresp." ebenso zurück, wie der heutige Militärstaat, der im Landjunkerthum seine edelste und beste Stüße erblickt. Den Landproletarier wird erst der So= zialismus erlösen."

Wie bei diesen Einschränkungen der Saz Sozialisten bedenklich er= scheinen konnte, ist uns wenigstens unerfindlich.

Sozialpolitische Rundschau.

London  , 3. September 1890. Technische Rücksichten verschiedener Art machen es nothwendig, die letzte Nummer des ,, Sozialdemokrat" bereits Anfangs der zweiten Hälfte dieses Monats fertig zu stellen, so daß Einsendungen für dieselbe bis spätestens Mitte September in unseren Händen sein müssen. Wir glauben, ausdrücklich darauf aufmerksam machen zu sollen, weil wir annehmen, daß es vielen unserer Leser und Freunde Bedürfniß sein wird, in dieser Abschiedsnummer, die einen entsprechenden Inhalt haben wird, ihrerseits noch einmal das Wort zu ergreifen. Auch wollen wir nicht verhehlen, daß wir eine solche Mitarbeiterschaft aus dem Kreise der Genossen gerade für die lezte Nummer sehr gerne sehen würden. Es brauchen, ja, es dürfen, nicht lange Abhandlungen sein, aber einige wenige Worte über den Stand der Bewegung am Ort, als der Sozialdemokrat" in's Leben trat, und nun, da er scheidet, über die Erwartungen, mit denen die Genossen der Zukunft entgegengehen, dürften gewiß diesem Anlaß ent­sprechen.

Man wird uns nicht mißverstehen. Wir haben uns stets nach Mög­lichkeit von der Reklame ferngehalten, und wollen uns nicht zu guter Lezt noch untreu werden. Aber unsere Abschiedsnummer wird in ihrer Art ein Gedenkblatt sein, und anstatt sie mit Aussprüchen großer Männer auszufüllen, halten wir es für angemessener, Denen das Wort zu geben, die uns so lange Jahre treu zur Seite gestanden, und denen als Organ dienen zu dürfen, wir stets als eine besondere Auszeichnung betrachtet haben.

Aus Deutschland   wird uns geschrieben:

Das nerquickliche 3 wischenspiel, welches mehrere Wochen lang den Gegnern zur Freude unser Parteileben trübte, ist nach dem Ausgang der Riesenversammlung, welche am 25. ds. Mts. in Berlin   stattfand, als be endigt anzusehen. Mit erdrücken­der Majorität wurde die Opposition" von den Berliner   Arbeitern desavouirt und die weitere Austragung des Streits" falls eine solche noch nothwendig vor den Parteitag verwiesen, wohin allein derartige Differenzen gehören. Wir sagen:" falls eine solche noch noth­wendig" das Eigenthümliche dieses Streits" ist nämlich, daß die " Oppofition", je mehr sie gedrängt wird, ihre Beschwerden vorzubringen, desto weniger vorzubringen weiß. Ein furchtbarer Fall von Kor­ruption", mit welchem in dunklen Andeutungen gedroht wurde, schrumpfte

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Wir haben noch eine vierte große Straftheorie, die wir kaum noch eine solche nennen können, da der Begriff Strafe" hier ganz ver= schwindet. Man nennt sie die Präventionstheorie, weil hier die Ver= hütung der Verbrechen das leitende Prinzip ist. Die eifrigsten Ver­treter dieser Ansicht sind zunächst die Radikalen aller sozialistischen  Schulen."

Minder schwärmerrische und sogar sehr praktische Naturen haben sich ebenfalls für die Präventionstheorie entschieden, insofern sie von der Boltserziehung die Abnahme der Verbrechen erwarteten. Sie haben noch ganz besondere staatsökonomische Vorschläge gemacht, die dahin zielen, den Verbrecher vor seinen eigenen bösen Anfechtungen zu schützen, in derselben Weise wie die Gesellschaft vor der Unthat selbst hinreichend bewahrt wird. Hier stehen wir auf dem pofitiven Boden der Prä­bentionslehre. Der Staat wird hier gleichsam eine große Polizeianſtalt im edelsten und würdigsten Sinne, wo dem bösen Gelüfte jeder Antrieb entzogen wird, wo man nicht durch Ausstellungen von Leckerbissen und Buzwaaren einen armen Schlucker zum Diebstahl und die arme Gefall­sucht zur Prostitution reizt, wo feine diebischen Emporkömmlinge, feine Robert Macaires der hohen Finanz, keine Menschenfleischhändler, keine glücklichen Hallunken ihren unverschämten Lugus öffentlich zur Schau geben dürfen, furz, wo das demoralisirende böse Beispiel unterdrückt

wird."

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Wenn man aufmerksam das Exposé des motifs liest, womit der französische   Minister des Innern seinen Gefeßentwurf in Betreff der Gefängnißreform einleitete, so ist es augenscheinlich, wie hier die zuletzt bezeichnete Ansicht den Grundgedanken bildet, und wie das sogenannte Repressiv- Prinzip der Franzosen   im Grunde nur die Praxis unserer Präventivtheorie ist.

" Im Prinzip sind also unsere Ansichten ganz übereinstimmend mit denen der französischen   Regierung. Aber unsere Gefühle sträuben sich gegen die Mittel, wodurch die gute Ansicht erreicht werden soll. Auch halten wir sie für Frankreich   ganz ungeeignet. In diesem Lande der Soziabilität wäre die Absperrung in Zellen, die pennsylvanische Me­thode eine unerhörte Grausamkeit, und das französische   Volt ist zu großmüthig, als daß es je um einen solchen Preis seine gesellschaftliche Ruhe erkaufen möchte. Ich bin daher überzeugt, selbst nachdem die Kammern eingewilligt, kommt das entsetzliche, unmenschliche, ja unnatür­liche Zellulargefängnißwesen nicht in Ausführung, und die vielen Mil­lionen, welche die nöthigen Bauten kosten, find, Gottlob! verlorenes Geld. Diese Burgverließe des neuen Bürgerritterthums wird das Volk ebenso unwillig niederreißen, wie es einst die adelige Bastille zerstörte. So furchtbar und düster dieselbe von außen gewesen sein mochte, so war sie doch gewiß nur ein heiteres Stiost, ein sonniges Gartenhaus im im Vergleich mit jenen kleinen schweigenden amerikanischen   Höllen, die nur ein blödsinniger Pietist ersinnen, und nur ein herzloser Krämer, der für sein Eigenthum zittert, billigen konnte. Der gute fromme Bürger foll hinfüro ruhiger schlafen können Das will die Regierung mit löblichem Eifer bewirken. Aber warum sollen sie nicht etwas weniger schlafen? Bessere Leute müssen jest wachend ihre Nächte verbringen. Und dann, haben sie nicht den lieben Gott, um sie zu schüßen, fie, die Frommen? Oder zweifeln sie an diesem Schuß, sie, die Frommen?"

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zu der bekannten Thatsache zusammen, daß Auer in einem Artikel des Volksblatt" vor Jahresfrist von dem Lehrer Krüger, bekannt aus den Prozessen mit dem berüchtigten Attenhofer, eine Charakteristik gegeben hatte, die zu schroff gewesen sein mag, aber doch den Anschau­ungen eines großen Theils der Parteigenossen in Zürich   entsprach und jedenfalls von Rücksichten auf das Interesse der Partei eingegeben war.*) Es konnte sich hierbei doch blos um eine falsche Auffassung han­deln, die berichtigt worden wäre, wenn man Auer von der Falschheit seiner Auffassung überzeugt hätte. Und daraus wurde ein Fall furcht­barster Korruption" in der Partei gemacht! Und so war es mit allen Anschuldigungen der Opposition"; griff man zu, so hatte man nichts in der Hand, wie denn auch die ganze Opposition", sobald zugegriffen ward, sich als nebelumworbenes Nichts herausstellte, und zwischen den Fingern zerfloß.

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Auf dem Parteitag wird die Opposition" ebensowenig zu Tag för­dern können, wie sie es bisher gethan hat. Die sämmtlichen im Lauf der Streitigkeiten vorgebrachten Argumente und Tiraden gegen die Fraktion und die Parteitaktit reichen der gehässigen Persönlichkeiten entkleidet für einen fimplen Leitartikel kaum aus, der in dem ersten besten Parteiblatt hätte erscheinen können, ohne das geringste Aufsehen zu erregen. Er wäre in einem anderen Artikel widerlegt und dem Verfasser nachgewiesen worden, daß er nur alten Quark wiedergefäut. Indeß über den Geschmack läßt sich nicht streiten, und das Wieder­fäuen alten Quarts war das gute Recht des Verfassers, das ihm ge= wiß von Niemand bestritten worden wäre. Sogar die famose Heerden­theorie, welche der Führer" der Opposition" entdeckt zu haben glaubt, hätte in der Parteipresse ohne jegliches Bedenken Aufnahme gefunden

freilich würde der Wahre Jakob" sich ihrer bemächtigt, und viel= leicht auch dem Erfinder nachgewiesen worden sein, daß ihm das Miß­geschick passirt ist, mehrere Posttage zu spät zu kommen, sintemalen seine Erfindung schon lange vorher erfunden war und zwar verschiedene Male unter andern von einem gewissen Louis Bonaparte  , alias Na­ poleon III.  , der in der Vorrede zu der für ihn von Anderen geschrie­benen Geschichte 3äsar's schrieb oder schreiben ließ, die Menschen seien eine Heerde, die planlos herumlaufe, wenn sie nicht irgend einen Leithammel oder Leitochsen habe; und die Geschichte der Menschen sei daher in Wirklichkeit die Geschichte der Leithämmel oder Leitochsen, welche große Männer" genannt werden. Jedenfalls bedurfte es keines Nadau's, um diese Heerdentheorie wieder einmal auf den Markt zu bringen.

Ebenso wenig bedurfte es eines Nadau's, um die alte bakuni= stische und vor bakunistische Weisheit von der Nutlosigkeit parla­mentarischer und organisatorischer Arbeit, von der Werthlosigkeit des allgemeinen Stimmrechts und von der Wunderkraft des Glaubens an die alleinseligmachende Revolution, die als gebratene Taube vom Him­mel herunter den Gläubigen in den Mund fliegt, der jungen Generation aufzutischen und der alten in's Gedächtniß zurück zu rufen in einem Feuilletonartikel hätte sich das weit besser besorgen lassen.

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Und was die Ausstellungen an dem Organisations Ent= wurf der Fraktion betrifft, so sind dieselben, nachdem das erste Ge­schrei über die Diktaturgelüfte der Fraktion" verstummt sind, auf ein so geringes Maß zusammengeschrumpft, und qualitativ wie prinzipiell so unbedeutend, daß sie in wenigen Zeilen zu formuliren waren.

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Mit einem Wort: was die Opposition" als Grund ihrer Oppo= fition angegeben hat, rechtfertigt und erklärt nicht das geräuschvolle, gehässige Vorgehen derselben. Und die Herren von der Opposition" dürfen deshalb nicht die Entrüsteten spielen, wenn sie in Verdacht kom­men, andere Motive, als die von ihnen angegebenen, zu haben.

Der Verdacht verdichtet sich, wenn wir die eigenthümlichen Strö­mungen betrachten, die in den Organen der Opposition" zu Tag ge­treten sind. Die Artikel der Volfstribüne", welche den Antisemi= tismus in die Partet einzuschmuggeln suchen und gegen die wissen= schaftlich= revolutionäre Grundlage der Sozialdemokratie ( den Marrianismus") eifern, sind aus dem Schooße der Oppo­sition" hervorgegangen. Und wenn wir uns dann ferner die Haltung der gegnerischen Presse, deren eifrige Parteinahme für die Opposition" bergegenwärtigen und vor Augen haben, wie die Polizei der an­geblich so revolutionären" und" radikalen"" Opposition" offen und unverhüllt und mit aller Kraft Vorschub leistet, so können wir in dem Verdacht nur bestärkt werden.

Wie die Gegner die Sache auffassen, das erhellt aus den ärger­lichen Auslassungen sämmtlicher deutschen   Bourgeois- und Polizei­organe über die erdrückende Niederlage der Opposition". Nun läßt

*) Siehe unsere Notiz in voriger Nummer. Wir haben zu derselben nur noch zu bemerken, daß, als wir sie schrieben, uns der Artikel der Herren Müller und Kampffmeyer nicht im Original vorlag, sonst würde sie wahrscheinlich noch schärfer ausgefallen sein. Wir wollen indeß aus den bereits angeführten Gründen die Sache hier auf sich beruhen lassen, zumal Herr Krüger jezt in Aussicht stellt, seine Beschwerden an zu­ständigem Orte" anbringen zu wollen. Wir sind damit durchaus ein­verstanden, und werden mit Vergnügen die Gelegenheit benutzen, die ungeheuerlichen Lügen nud Verdrehungen, über die Herr Krüger sich beschwert, und zu denen nicht zum Mindesten die für Herrn Krüger reklamirten Verdienste um die Entlarvung verschiedener Spizel ge= hören, richtig zu stellen.

Heine's Voraussetzung hat sich nicht erfüllt, die vielen Millionen, welche die Bellengefängnisse fosteten, sind kein verlorenes Geld. Dem Bürgerthum ist für seine Ruhe fein Preis zu hoch; es hat mit Hilfe der Arbeiter die Bastille niedergeriffen, aber viel schrecklichere Bastillen für das Proletariat errichtet. Und diese kleinen schweigenden Höllen" haben sich die Welt erobert, sie sind überall heimisch und bleiben vor­aussichtlich so lange bestehen, bis das Proletariat Manns genug ist, dieselben zu zerstören.

Verweilen wir einen Augenblick bei den glücklichen Bewohnern der Isolirzelle. Für Halle kommen da besonders militärische Verbrecher in Betracht.

Wer hat nicht schon einmal einen echten Preußen renommiren hören über das wohldisziplinirte, stramme preußische Militär? Ob alle diese Renommiſten aber auch wissen, mit welchen Opfern diese Strammheit erkauft ist? Das Militär saugt nicht nur nahezu die gesammte Steuer­kraft des Volkes auf und verbraucht sie, es stößt auch eine Menge widerstrebender Elemente aus der Volksgemeinschaft aus und füllt da­mit die Festungen und Zuchthäuser. Die Militärbehörden in Preußen haben wirklich triftige Gründe, sich dem Verlangen eines öffentlichen Gerichtsverfahrens zu widersezen. Dem Volk würden dabei die Augen übergehen. Fast die Hälfte der Zellen in dem Haller Zuchthaus   find mit militärischen Verbrechern belegt. Allenthalben geben die Tafeln an den Zellenthüren den Bescheid: Meuterei, Fahnenflucht mit Diebstahl, Aufruhr, oder die unbestimmte Auskunft: Militärisches Verbrechen. Und die meisten dieser jungen, fräftig gebauten Leute sind aus Polen  , aus Pommern   und Posen; sie haben schon eine lange Tour hinter sich

2 bis 3 Jahre Soldatenleben, 3 bis 4 Jahre Festung, und das Finale bilden 4 bis 6 Jahre Zuchthaus. Hoch in den Zwanzigern oder Anfang der dreißiger Jahre ihres Lebens betreten sie erst als junge Greise die Welt wieder. Das Herz krampft sich einem im Leib zusammen vor Mitleid, wenn man diese jungen Riesen so dahinwelten fieht.

Die Zuchthausarbeit.

sich aus dieser Haltung der uns feindlichen Presse an sich kein nach­theiliger Schluß ziehen in Bezug auf die Absichten derer, welche die " Opposition" vor der Oeffentlichkeit vertreten haben, allein die auch durch andere Thaten unterstüßte Vermuthung, daß Feinde der Partei hinter den Kulissen thätig waren und sind, wird durch diese Auslassungen der gegnerischen Presse entschieden ge= fräftigt.

Der Parteitag wird sich mit dieser Seite der Angelegenheit sehr ernsthaft zu beschäftigen haben, und dann wird man ja in der Lage sein, den ganzen Sachverhalt zu übersehen. Vor dem Parteitag sind kaum noch Reibungen zu erwarten: die Geduld der Genossen ist er­schöpft davon haben die Herren Wille und so weiter in der Ver­sammlung des 25. Auguft sich überzeugen müssen die Stimmung war so erbittert, wie noch bei keinem Anlaß zuvor. Und das ist die Stim­mung überall in Deutschland  .

Nun

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die Gegner der Sozialdemokratie sind wieder einmal um eine Hoffnung betrogen und die Partei kann jetzt in aller Nuhe die Diskussion des Organisationsentwurfes vornehmen und die sonstigen Vorbereitungen für den 1. Oktober treffen.

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Die Regierung will am 1. Oktober durch Massenverbrei­tung einer Flugschrift Propaganda und Reklame für die kaiserlichen Erlasse" machen. Die deutschen   Arbeiter sollen belehrt werden, daß es flüger ist, besonnen und sicher voranzuschreiten", als einen Sprung in's Dunkle" zu wagen. Nun, so klug sind die deutschen   Arbeiter, ohne daß man ds ihnen in einer amtlichen Broschüre zu sagen braucht; sie wollen besonnen und sicher voranschretten", wie sie das seit einem Vierteljahrhundert gethan haben, und vor einen Sprung in's Dunkle" haben sie eine so gewaltige Abneigung, daß sie auch nicht im Entferntesten daran denken, den festen Boden unseres soliden Pro­gramms mit dem kymmerischen Dunkel der neuesten deutschen  Sozialpolitik und Sozialreform zu vertauschen. Erst beseitige man dieses Dunkel dann werden wir sehen. Entwindet sich dem Chaos irgend etwas Brauchbares und Gutes nun, wir sind keine Kost­verächter. Und alles, was brauchbar und gut, ist Futter für die Sozialdemokratie.

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Von einem deutschen   Genossen in London   geht uns folgen­des Schreiben mit der Bitte um Aufnahme zu:

Werthe Redaktion! Obgleich ich die Ansicht des Einsenders in Nro  . 32 über das Fortbestehen des" Sozialdemokrat" nicht theile, son­dern Ihren Beschluß, denselben mit dem 1. Oktober einzustellen, für durchaus logisch und den Verhältnissen angemessen halte, so meine ich doch, daß der Brief Beachtung verdient.

Es ist wohl außer Frage:

Alle im Ausland lebenden Genossen, und selbst Ausländer, sehen in dem Anmarsch des internationalen Arbeiterheeres die deutsche Sozial­demokratie eine hervorragende Stellung einnehmen und verfolgen daher die Entwickelung derselben mit wachsendem Interesse.

Durch das Eingehen des Sozialdemokrat" würden diese Leute ge­zwungen sein, die Vorgänge und wichtigen Aeußerungen der Partei in der Tagespresse zu verfolgen. Auch zum neuen Zentralorgan ist ein tägliches Blatt in Aussicht genommen. Würde dadurch nun nicht für Tausende im Ausland lebender Genossen, sowie auch für viele Genossen in Deutschland   das Halten des Zentralorgans sehr erschwert? Und würde sich deshalb nicht die Veranstaltung einer Wochenausgabe des Zentralorgans rechtfertigen und den Wünschen vieler Arbeiter ent­sprechen?

Ob dagegen diese Ausgabe in Deutschland   oder in London   erscheint, halte ich für weniger wichtig. Mit sozialdemokratischem Gruß

Ihr Genosse

e."

Die Anregung des Einsenders scheint uns durchaus der Erwägung werth. Wie wir den Vorschlag der Reichstagsfraktion, das Berliner Voltsblatt" zum Zentralorgan zu erklären, verstehen, so ist dabei weniger an ein Organ im Stile des früheren Vorwärts" gedacht, dessen Abonnement sozusagen eine Art Parteipflicht war, sondern ein­fach daran, ein bestimmtes Organ zu schaffen oder herzurichten, das als Zentralpunkt für die Erörterung aller, die Gesammtpartei betref= fenden Angelegenheiten dient, und dessen politische Leitung weder von lokalen noch von privaten Motiven irgendwelcher Art beeinflußt wird. Dieser Vorschlag mag durch die kolossale Entwickelung, welche die Partei während der 12 Jahre des Ausnahmegesezes genommen hat, gerechtfertigt sein, er zeigt jedenfalls, wie wenig es denjenigen, die ihn gemacht, in den Sinn kam, die Parteipresse bevormunden zu wollen. Denn grade weil das Tageblatt nicht die Verbreitung finden kann, wie fie ehedem das Zentralorgan hatte d. h. im Verhältniß zur Partei­stärke und ihrer Ausdehnung würde die Lokalpresse ihm viel eben= bürtiger gegenüberstehen, als das früher der Fall. Dies nebenbei. Der Charakter als Tageblatt hat jedoch zur Folge, daß das neue Zentral­Organ eine Menge Ballast mit sich führt, der für die auswärtigen Ge­nossen fast interesselos ist, ihnen aber das Halten des Organs erheblich erschwert. Es ist deshalb gewiß nicht überflüssig, auch die Frage in's Auge zu fassen, wie den Wünschen dieser Genossen am Besten ent­sprochen werden kann.

Strafe der Ausstoßung und mit Entziehung des Unterhaltes bedroht, sobald er keine Kräfte mehr einzuseßen hat, sobald er invalid gewor= den mag er sich sonst noch so sehr der Achtung aller Welt erfreuen und sein ganzes Leben dem Dienste des Kapitals geweiht haben.

Und die Großindustrie ist flug, viel flüger als der gewöhnliche Phi­lister, dessen ganze Weisheit in der stehenden Nedensart gipfelt:

Statt den Verbrecher jahrelang zu füttern und zu ernähren, wie jetzt geschieht, soll man ihn einige Monate barbarisch behandeln, und durch tägliche Peitschenhiebe, durch Hunger und Arbeiten, daß er schwarz wird, das Wiederkommen verleiden."

( Schluß folgt.)

Von Herrn Vittor Dave geht uns folgende Zuschrift zu mit der Bitte, sie an dieser Stelle zum Abdruck zu bringen:

Werthe Redaktion!

In der 7. Fortsetzung des Wunderlich'schen Tagebuch eines poli­tischen Zuchthäuslers"( Nr. 34 vom 23. August Ihres geschäßten Blat­tes) kommt ein Saß vor, gegen welchen ich heute schon Protest ein­legen muß, und zwar deshalb, weil auch ich seit langen Jahren ein politisches Tagebuch führe, das einmal zur Veröffentlichung gelangen wird, und worin mein Zuchthausleben natürlich des Längeren Erwäh­nung findet.

Nach Wunderlich's Vermuthung soll ich der Urheber der Entdeckung der Zuchthausschrift Freie Gedanken" gewesen sein. Ob mit Recht oder Unrecht beschuldigt, weiß er indeß nicht.

Hätte Herr Wunderlich dann nicht besser gethan, diese Insinuation zu unterlassen?

Die Sache verhielt sich folgendermaßen: Wunderlich wurde bestraft, weil er die Zeitung geschrieben hatte, Hammel, weil sie in seiner Belle vorgefunden wurde, Binger, weil er auf die erste Seite der Schrift einige Bemerkungen hinzugefügt hatte; mir aber wurde vom Direktor Regis folgendes gesagt:" Daß Du die Zeitung nicht geschrieben hast, ist klar, Du kannst kein so forrettes Deutsch schreiben und Deine Hand­

Bei diesem Kapitel sind wir an dem Punkt angelangt, wo den Sträf- schrift hat auch gar keine Aehnlichkeit mit der der Freien Gedanken". lingen der wahre Zweck ihrer Strafe am eindringlichsten zu Gemüthe geführt wo auch der freie" Arbeiter und auch das Proletariat als Selaffe indirekt empfindlich mitbetroffen wird.

Im Mittelalter waren die Handwerksmeister gar engherzig und em= pfindsam; sie würden wahrscheinlich sehr entrüstet gewesen sein und es weit von sich gewiesen haben, wäre ihnen die Zumuthung gestellt wor= den, ihre Geschäftsartikel von Verbrechern herstellen zu lassen. Aber unfere heutige Großindustrie ist über solche Schwächen erhaben, sie hat fich einen weitherzigeren Moralkoder zurecht gelegt. Liebevoll nimmt sie die armen, von der ganzen übrigen Welt verstoßenen Verbrecher in ihre Dienste, und mit besonderer Vorliebe drängt sie fich an die verruchtesten Mörder und Räuber. Nicht der Verbrecher ist es, den die Industrie mit ihrem Bannstrahl trifft, nur der freie Arbeiter wird mit der

Du behauptest, daß Du das Ding gar nicht gesehen hast, und da Du nicht ertappt wurdest, will ich Dir glauben. Abtreten." Ich füge noch hinzu, daß Kaplan Peter die Zeitung nicht zu sehen bekam und mit der ganzen Angelegenheit überhaupt gar nichts zu thun gehabt hat. Alles Andere, was Wunderlich über mich erzählt, braucht nicht for= rigirt zu werden, und ich schließe diesen Brief gerne mit der Bemer­fung, daß ich sein Zuchthaus- Tagebuch mit großem Interesse gelesen habe und die Fortsetzung desselben mit eben so viel Interesse verfolgen

werde.

Für die Aufnahme dieser Zeilen dankend, zeichnet mit sozialistischem London  , 27. August 1890.

Gruß

Vittor Dave."