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34. Jahrgang.+ Nr. 22

Sonntag

Beilage zum Vorwärts" Berliner Volksblatt

Sozialpolitik im Friedensvertrag

Zur internationalen Gewerkschaftskonferenz in Stockholm  am 8. Juni.

Von Rudolf Wissell  .

Die umfangreichen sozialpolitischen Forderungen des Internationalen Gewerkschaftsbundes  zum Friedensvertrag, die der zum 8. Juni 1917 einberufenen internationalen Gewerkschaftskonferenz zur Be ratung unterbreitet sind, zeigen, in welch hohem Maße wahrhafte Kulturarbeiten von der Gewerkschaftsbewegung geleistet werden. Jm Korrespondenzblatt der General­kommission" vom 26. Mai 1917 abgedruckt und in Nr. 141 des Vorwärts" in seinen wesentlichen Teilen wiedergegeben, stellt dieses Friedensprogramm ein unvergängliches Kultur­dokument dar. Freizügigkeit und freies Koalitionsrecht sollen den Arbeitern die Geltendmachung der vereinzelt so schwachen, vereint so starken Kräfte ermöglichen, nicht zulegt auch, um auch die Durchführung des Arbeiterschutzes zu sichern; dieser und die Arbeiterversicherung soll in weitgehendstem Maße ausgebaut und alles im Friedensvertrage sichergestellt werden. In der Richtung der hier aufgestellten Grundsätze wird, das läßt sich schon jetzt sagen, der internationale Arbeiter­schutz seine Entwicklung nehmen. Unter der Arbeiterschaft der ganzen Welt wird sich kein Gegner dieses Programms finden. Hier ist ein Boden gefunden, der alle Arbeiter eint, hier handelt es sich um Bestrebungen, die allen Ar­beitern gemeinsam sind, deren Verwirklichung, deren Um­segung zur gesetzlichen Tat ein Ziel von Nord und Süd, von Dit und West ist. Der Baum, der hier gepflanzt werden wird, trägt die Gewähr dauernden Gedeihens in sich. Denn der Boden zu seinem Gedeihen ist gedüngt, mit dem Herz­blute vieler Millionen der am Krieg beteiligten Völker.

Erhebt die Stimme!

Um Abend wölbt sich der blaue Himmel über die Berge unendlich weit,

Und im Tal auf den Wiesen schließen die Blumen die Kelche und schlummern ein;

Berlin  , 3. Juni 1917

nationalen Maßnahmen, die Einrichtung von Zentralstellen der Arbeitsnachweise und des Einigungswesens, der Ausbau der Arbeitslosenversicherung einhergehen. Der internationale Arbeiter­schutz wird selbst in der erbitterten Stimmung nach dem Welt­friege als Mittel gelten können, im neubeginnenden internatio nalen Wettbewerb die Gewährung von industriellen Vorzugs­prämien für eine der beiden feindlichen Gruppen zu verhüten."

Es sind nur einzelne Stellen, die wir aus dem reichen Mir aber deucht es, das dunkele Menschenleid Inhalt des nur 28 Seiten zählenden Büchleins wiedergeben Könnte in dieser friedlichen Stunde in funkelndes Glück können, aber sie zeigen, von welchem Geiste die Ausführungen

verwandelt sein.

Ihr in den Hüffen alle, die ihr voll Kummer und Herze­leid feid,

3hr in Fabriken, Männer und Frauen, die ihr auf frum­men Rüden Arbeit und Sorge fragt, Thr Duldenden alle, die ihr in angstvollen Nächten nach Erlösung und Frieden schreif,

Ihr Mädchen alle, die ihr mit blufendem Herzen nach eurer Zukunft fragt,

Ihr Frauen, die ihr den Mann verlorf und die Kinder mit Mühe ernährt,

Ihr Frauen, die ihr die Söhne in Schlachten und Todes­not wißt,

Ihr Frauen, die ihr die Kinder der Zukunft gebärt, Der Zukunft, die in der blutigen Gegenwart unerschütter­lich tief verwurzelt ist,

3hr alle, die ihr den Schrei nach Frieden auf lechzenden Lippen fragt,

Ihr alle, die ihr fief über die Erde, über ein Grab gebeugt, Menschenschicksal erkanntet und zu dem fernsten Nächsten

noch Bruder sagt,

Ihr alle, die ihr das Göttliche im Menschen unverzagt be­zeugt:

Wiffet: Jeder Mann, der in dieser Stunde fällt, Jeder Jüngling, deffen jubelnde Kraft an einem Stüd Eisen zerschellt,

Jede Frau, die ihren Sohn, ihren Gatten nie mehr in Urmen hälf,

getragen sind. Geht Bauer auch nicht überall in seinen Forderungen so weit, wie der Internationale Gewerkschafts­ bund  , so sind sie ein gutes Omen für die Stockholmer  Tagung.

Möge sie die Hoffnung erfüllen, die wir auf sie setzen!

Soziale Frauenschulen.

Von Anna Blos  .

Schon vor dem Kriege bestanden soziale Frauenschulen, die die Ausbildung von Frauen in den Wohlfahrtseinrich­tungen aller Art übernahmen. Jetzt während des Krieges, wo die Notwendigkeit sozialer Fürsorge in immer höherem Maße hervortritt, vermehren sie sich auffallend rasch. Sie werden zunächst nicht von Staat und Gemeinden gegründet, sondern es sind vorzugsweise private Anstalten, die heute schon vielerorts bestehen oder gegründet werden sollen. Die wachsende Erkenntnis, daß die wirtschaftliche und soziale Ent­wicklung auch wachsende Pflichten gegen die breiten Massen auferlegt, auf deren Hände Arbeit das wirtschaftliche Gedeihen im wesentlichen beruht, veranlaßt behördliche und private Organisationen zu gesteigerter Bekämpfung gesundheitlicher, sozialer und sittlich- geistiger Schäden bei den besonders ge­fährdeten Volksklassen. Eine Vorbedingung für den Besuch der sozialen Frauenschulen ist heute vielfach die Reifeprüfung einer höheren Mädchenschule. Hier liegt entschieden eine große Gefahr. Ein Mädchen kann vorzügliche Schulzeugnisse haben, fann viel geleistet haben in Unterrichtsfächern wie Mathematik und Fremdsprachen. Sie eignet sich deshalb noch längst nicht für Erziehungs- und Fürsorgetätigkeit, wäh­rend umgekehrt viele Arbeiterinnen sich dazu vorzüglich eig­nen würden. Sie müssen hierzu herangezogen werden und

Jedes Kind, das Waise wird: ist ein Richter der feindlichen werden eine ganze Reihe der in der sozialen Hilfstätigkeit zu

Welt.

Darum: Erhebt den Schrei, den ihr hinter leidverzerrten Lippen fragt!

leistenden Aufgaben erfüllen können. Sie kennen aus eigener praktischer Erfahrung die Leiden der Arbeiterinnen, die in Rauch und Lärm häufig mehr als zehn Stunden schwere för­perliche Arbeit leisten. Sie arbeiten in Tag- und Nachtschichten in den Munitionsfabriken, an schweren Maschinen, in Gluthige und verdorbener Luft. Sie sind in den Bergwerfen tätig, sogar

Erhebt das Herz, das zu dem fernsten Nächsten noch Bruder jagt! Erhebt die gewaltige Stimme, die die schreckliche Schlacht unter Tag. Man findet sie in den Hochöfen, Walzwerken,

überschreit:

Frieden! Freiheit!!

Hans Gathmann.

Und dieser im internationalen Boden wurzelnde Baum wird gehegt und gepflegt werden von jedem einzelnen Volke; gehegt und gepflegt werden müssen. Jedes Bolt wird den Boden zu beackern haben, in dem die in sein Land hinein­dringenden Wurzeln die Nahrung suchen. In seinem eigenen Interesse. Wo sich dieser Boden trok alledem als steinig er­weisen sollte, wird die internationale Vereini­gung für geseglichen Arbeiterschutz in Basel  , der die Durchführung und Förderung des internationalen Arbeiterschutzes nach dem gewerkschaftlichen Programm anvertraut werden soll, für seine Beaderung sorgen. Bie keine andere Organisation eignet sich zunächst diese dazu. Zunächst! Denn an die Stelle dieser privaten Vereinigung wird eine solche der am Arbeiterschutz interessierten Staaten treten müssen. Das ausführende Organ dazu ist im Kern vor­handen: das internationale Arbeitsamt, die Spitze der internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz. Dieses muß wirklich das werden, als was es ursprünglich ge­plant war. Schon 1899 hatte die Schweiz   ein offizielles beim Kesselreinigen, auf Bauten und Ziegeleien. Sie tragen internationales Arbeiterschußamt der Staaten in Anregung Kohlen und übernehmen die unendlich schweren Dienste auf gebracht. Der Verwirklichung traten bisher nicht zu über­Elektrischen und Eisenbahnen. Der Durchschnittsverdienst windende Schwierigkeiten entgegen. Die 1900 in Paris   ge­selbst schwer arbeitender Frauen ist nur gering. Wochenlöhne schaffene Internationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschuh bon 12 bis 17 M. sind nicht selten. Verhältnismäßig hohe schuf das jetzige Internationale Arbeitsamt als freie Schöpfung. Löhne sind dagegen Ausnahme, und sie werden nur erreicht In der Hoffnung, daß dieses Amt der Vorläufer eines Die Erhaltung und Entwicklung dieser lezten Aktiven durch besondere Geschicklichkeit, großen Kraftaufwand und end­offiziellen Amtes der Staaten sein werde, hat ihm die Schweiz   muß erstrebt werden. Einmal dadurch, daß die Kaufkraft der los lange Arbeitszeit. Hier soll neuerdings die Fabrikpflegerin von vornherein eine finanzielle Unterstützung gewährt. Im großen Massen nicht beeinträchtigt wird durch eine Schmälerung wirken, sie soll für zweckmäßige Arbeitseinteilung sorgen, für Laufe der Jahre haben sich auch eine Reihe von anderen des Realeinkommens durch große spekulative Monopolgewinne, möglichsten Gesundheitsschutz, für genügende Ernährung der Staaten, unter ihnen auch Deutschland  , zu finanzieller Unter- und zum anderen durch intensivste Schonung der Arbeitskraft arbeitenden Frauen und für geeignete Unterbringung der stützung bereit gefunden; im letzten Friedensjahre waren es und die Bekämpfung der sie schwächenden Einflüsse. Für Kinder. Wie weit das Reifebefugnis der höheren Mädchen­eine internationale Gemeinschaftsarbeit zum Schuße der Kauf- schule und die kurze Ausbildungszeit sie für den Posten der Während des Krieges hat das Amt mit allen Staaten, fraft der großen Massen und der damit gegebenen Pro- Fabrikpflegerin geeignet machen, der sehr viel Taft, aber viel Regierungen und ihm angeschlossenen Sektionen den Verkehr duktionsförderung auf allen Gebieten eröffnet sich ein un- Kenntnisse der Lage der Arbeiterinnen erfordert, wer ent­aufrecht erhalten und es geht, wie auch die internationale absehbares Betätigungsfeld. Von der Forderung des Inter  - scheidet darüber? Vier bis sechs Wochen sind dafür vor­Vereinigung für gesetzlichen Schuß selbst, aus der schweren nationalen Gewerkschaftsbundes kommen hier die die Frei- gesehen. Im allgemeinen dauern die Ausbildungskurse Welterschütterung ungebrochen hervor. Wenn dieses Amt nun zügigkeit und das Koalitionsrecht betreffenden in Betracht. auf den sozialen Frauenschulen längere Zeit. Sie sind wirklich wird, was es von vornherein hatte sein sollen, ein Und weiter sagt Bauer: teils theoretisch, teils praktisch. Ausgebildet werden Woh­offizielles Amt aller a nt Arbeiterschuh interessierten Staaten, dann ist die Stelle ge­schaffen, der die Durchführung des internationalen Arbeiter­schutzes nicht nur anvertraut werden kann, sondern ihr auch gewichtigen Nachdruck zu verleihen vermag.

20 Staaten.

Ist es ein Zufall, daß gerade in derselben Stunde, in der uns das Programm der internationalen Gewerkschafts­konferenz auf den Tisch gelegt wurde, auch ein kleines Heftchen den gleichen Weg fand: Sozialpolitik im Kriege und nach Friedensschluß von Professor Dr. Stephan Bauer, Direktor des des Internationalen Arbeitsamtes in Basel  ." Zürich   1917? Der Titel sagt, worum es sich handelt. Das Büchlein gibt den Inhalt eines von Professor Bauer im Dezember 1916 gehaltenen Vortrags wieder. Und dieser Vortrag liest sich wie eine einzige Begründung des Friedens­programms des Internationalen Gewerkschaftsbundes  . Bauer sagt:

,, Eine wirtschaftlich tief zerrüttete Welt ist sein( des Krieges) Erbe. Man kann annehmen, daß 10 Millionen Menschen durch Tod und Arbeitsunfähigkeit dem Wirtschaftsleben entzogen sein werden und so ein jährlicher Produktionswert von schäzungsweise 40 Milliarden der Weltwirtschaft entgehen wird. Die Friedens­wirtschaft kann sich nur von den Grundsägen leiten lassen, die jeder ökonomischen Erholung zu Grunde liegen; der Steigerung der unentwickelten Hilfsquellen, dem Verzicht auf die sie schädigenden Ausgaben. Welche Hilfsquellen bleiben nach der Zerstörung von Menschenmassen, Boden, Kapitalien, Verkehrs­mitteln übrig? Es sind die Kinder der Arbeit, es sind die geistigen und technischen Ueberlieferungen und Erfahrungen, die die Orgien der Gewalt noch verschont haben."

Die zweite Aufgabe bildet die planmäßige Fortbildung des nungspflegerinnen, Säuglings- und Kinderpflegerinnen, Lei­Arbeiterschutzes, die Verhütung der sinnlosen Ausnügung der Arterinnen von Entbindungsheimen, Krippen, Horten u. a. beitskraft. Man hat vor dem Kriege in gewissen Kreisen gefabelt, Bei Ausbruch des Krieges arbeiteten etwa 12 000 Frauen Arbeiterschutz und Arbeiterversicherung erzögen ein Heer von in den verschiedenen Zweigen der Gemeindeverwaltung. In Memmen, die nur an die Renten denken". Mit dieser zynischen 79 Städten saßen Frauen in 120 Kommissionen. Da Deutsch­Denfungsweise hat der Krieg nur allzu grausam aufgeräumt."

land 1300 Städte mit über 5000 Einwohnern hat, ließen folg­Ja, wir dürfen sagen, daß nach dem Kriege die Sicherung lich 1221 Städte keine Frauen in ihrer Verwaltung mit­der Gesundheit der arbeitenden Selassen in größerem und rascherem arbeiten. Nur in 30 von 48 Großstädten waren Frauen in Tempo sich wird vollziehen müssen als vorher, will Europa   nicht der Gemeinde tätig, und zwar gehörten sie meist nur einer vollständig ins Hintertreffen geraten. Man wird den Kinderschutz Kommission an. Der Krieg ergibt nach einem Vergleich des nach den Beschlüssen von Basel   international auf das Niveau der aus den Großstädten neu gewonnenen Materials bei der Schweiz   bringen können und in gefährlichen Betrieben, nament- Zentralstelle für Gemeindeämter der Frauen in Frankfurt  lich im Bergbau, untersagen ,, auf ein höheres Zulassungs- a. M. ein überraschend schnelles zahlenmäßiges Anwachsen alter... bringen dürfen. Man wird ein höheres Maß von Fort  - der weiblichen Hilfskräfte, ferner die Eröffnung einiger bildungsgelegenheit der jugendlichen Arbeiter nach dem Hinscheiden neuer Arbeitsgebiete und schließlich eine Vertiefung des Ar­so vieler geschulter Arbeitskräfte erheischen; man wird untersuchen beitsinhalts durch starke Zunahme der mit organisatorischen müssen, in welchen Industrien die Einführung der Achtstunden- Aufgaben verbundenen Aemter". So bricht sich während des schicht für Frauen sich als notwendig erweist. Man wird den Krieges die Erkenntnis Bahn, daß die wirtschaftlichen Lei­Frühsonnabendichluß und das Verbot der Sonntagsarbeit inter  - stungen, der Bildungsgrad, die sittlichen Eigenschaften der national einführen und eine Einigung über die Zahl der Feier- Frau nicht nur über das Glück der Familien entscheiden, son­tage im Jahre zu erzielen suchen. Die Regelung der Arbeitszeit dern auch für das Wohl der Gemeinden von höchster Be­in ununterbrochenen Betrieben, der Unfallverhütungsmaßregeln deutung sind. Ein Zurückstauen des Bestrebens der Frauen, in Bergwerken, Tunnels Steinbrüchen, der während zur Mitarbeit in den Gemeinden herangezogen zu werden, des Krieges höchst vernachlässigten Vergiftungsgefahren ist nach dem Kriege nicht zu erwarten. Sie haben durch die in wird gefährlichen Betrieben sich aufdrängen. Das großen Opfer, die sie gebracht haben, das Recht, mit aufbquen Mindestlohnprinzip wird durch internationale Verträge, durch zu helfen, was der Krieg an Kulturwerten zerstört hat. Tief Gesetz und Tarifverträge seinen Lauf vollenden. Es werden bedauerlich aber wäre es, wenn dies Recht nur den Frauen Mittel gefunden werden müssen, um auch für den Kriegsfall die zuteil würde, die die sozialen Frauenschulen absolviert haben. Ansprüche fremder Arbeiter auf Unfallsrenten, die sie im Frieden Fast alle Arbeiterinnenvertreterinnen würden dann von der erworben haben, sicherzustellen. Daneben wird eine Reihe von Mitarbeit in der Gemeinde ausgeschlossen. Da die Einrich

und