34. Jahrgang. Nr. 23
Freier Tag.
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Sonntag
Weißt du was so ein freier Tag ist-? Solch ein Tag, Da nicht mit schriller Stimme schon am Morgen Die Not dich weckt und Müdigkeit und Sorgen, Daß auch die kleinste Luft sich nimmer rühren mag- Da wanderst du hinaus in hellen Lerchenschlag Und spürst die Seele wundersam geborgen In Gottes reichem Feiertag...
Und abends dann, in einfamem Gemach- Du zündest heute feine Lampe an Und schließt die Augen, die so sati und wach Bon allem, was dir dieser Tag getan. Du schließt die Augen und da tönt dir nach Der liebe Gruß, den dir ein schlichter Mann, Ein Unbekannter, im Borbeigehn sprach. Du atmest Erde, fühl und schollenbraun, Und hörst ein Mädchenlachen überm Zaun, Der unter Rosen faft zusammenbrach...
Gedeih und Verderb.
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Zwei Stunden lang fuhr ich vor Pfingsten durch einen blühenden Obstgarten; zwei Stunden lang sah ich durch das Eisenbahnfenster auf die üppigste Blütenpracht. Schwaben ist seit Menschenaltern das deutsche Obstland, wie groß der Obstreichtum des Landes ist, das sieht man erst, wenn man zur Blütenzeit hindurchfährt. Der strobenden Ueppigkeit der Natur wird man auf keine andere Weise so gewahr, wie auf dieser Fahrt durch ein Meer blühender Bäimme. Die Brust wurde mir weit, das Gehirn fing an seine Welt zu entfalten. Chaotisches Gefühl drängte sich zum Gedanken und wurde ,, Andacht".
O, du üppiger Stern! Winzig im Weltall , uns aber unerschöpflich groß! Bewältigt durch den Menschengeist, ihm aber dennoch immer ein Geheimnis!
Nicht alle alle diese Blütenträmne des Gartenlandes Schwaben werden Frucht werden und reifen. Aber um die ersten Kirschen aus dem Remstale zanken sich schon im voraus die Menschen. Die Händler aus München , die seit vielen Jahren gewöhnt sind, den Segen der schpäbischen Flur nach der bayerischen Hauptstadt zu bringen, will man diesmal ausschalten, die Stuttgarter wollen heuer ihre eingeborenen Kirschen alleine essen. Die Remstaler Bauern aber halten es mit ihren Händlern und mit guten Preisen. Vierzig Pfennig das Pfund seien zu wenig. Wie mir schien, wird man sich auf 45 einigen, und die Händler aus München werden kommen, diesmal aber die Kirschenernte nicht nach Bayern , sondern nach Stuttgart verkaufen müssen. Gerauf um die Früchte, die Natur und Kultur miteinander Kriegswirtschaft! Mangel und Wettbewerb erregen ein
erzeugen.
Ja, so, Kultur! Dort vor mir breitet sich ihr Segen aus! Menschenhand hat diese Millionen fruchttragender, blüteprangender Bäume gepflanzt, gehegt! Vieles Gewaltige gibts, doch nichts ist gewaltiger als der Mensch!" Das Korn wogt in Wehren. Zwei Wochen haben das Antlitz der Heimat vollkommen geändert. Damals fam ich auch durch das Land, durch Norddeutschland, Mitteldeutsch land, Süddeutschland . Die Bäume waren noch kahl. Der Acker fing erst an, aus dem langen, diesmal so tiefen Winterschlaf zu erwachen. Vierzehn warme Maitage haben aus dem niedrigen Grasteppich der Wintersaat ein wellendes Aehrenfeld gemacht. So zusehends ist wohl das deutsche Korn selten in die Saat geschossen wie heuer!
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Beilage zum„ Vorwärts" Berliner Volksblatt
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die Pferde dort, die Kühlein vor dem Wagen sie alle find Kriegsmaterial und Kriegsinstrumente, und die Frauen dort auf dem Acker haben keine Männer zu Hause, gebären feine Kinder, und wer weiß, wie sie an die Söhne denken, die sie vormals geboren haben. Schon rechnet man aus, ob wohl die Welt, die ganze Brot und Fleisch essende Menschheit, im fommenden Jahre eine Hungersnot erleben werden wie in Jahrhunderten oder Ländern mit dürftiger Kultur. Das deutsche Chlorkalium fann nicht den Ader Ameritas be reichern, der ohne das Düngesalz seinen Ertrag einschränken muß. O, Kultur!
Berlin , 10. Juni 1917 unweiblich" erlebt! Was für kühne Biegungen hat er sich gefallen lassen müssen! Bald folgt er einigermaßen sinnvoll der fortschreitenden Klärung im Bewußtsein einer Epoche, bald macht er tolle Sprünge rückwärts, bald überkreuzen sich gegenteilige Betrachtungen in einer finnlos launenhaften Forderung an das weibliche Wesen, das man doch selber im Ton des Vorwurfs das launenhafte nennt.
So hat in den letzten Monaten sich die Kulturgeschichte inmitten ihres blutige Ernstes wieder einmal einen kleinen Witz geleistet. Es traten als ihre Sachwalter, zur Rettung des wahren, weiblichen Wesens, Geistliche und Behörden auf, um Noch immer ist die Fülle, die du schaffst, den Menschen mit drakonischer Strenge mit Rücksicht auf das Gefühl für ein Mittel der Vernichtung! Was aus deinem Bunde mit der Weiblichkeit etwas zu berbieten, was im selben Moment zahlNatur gedeiht, muß dem Verderben dienen, das um loje Behörden anderwärts verfügten. Aus dem bayerischen sich her zu breiten der Mensch immer wieder für seine Be- Hochgebirge, aus Garmisch- Partenkirchen , verlautete, daß die stimmung hält. Wenn der nährende Friede dem zehrenden Ortsbehörde und Kurverwaltung das Herumgehen von Unfrieden die Gewalt über die Menschen hat einräumen Touristinnen in der unweiblichen" Tracht der Hosen müssen, wird die Natur selbst ebenso ein Kriegsfaktor wie der verbot. In genau derselben Zeit begrüßte man ganz allgeMensch. Man„ baut nur, um desto gewisser die Ber - mein mit Erleichterung und durchweg wohlwollender Zustimstörung fortseßen zu fönnen, fich selbst und seine Werke mung die immer häufiger werdende Erscheinung der Bahnzu vernichten, sein fünftiges neues Friedenswert mit zer- steigschaffnerin, der Zugbegleiterin, der fahrenden rüttender Last zu beladen, das ist der Menschen Sinnen und Botin in Hosen und Widelgamaschen. Schon wird Trachten nun. Die Frucht, die der Sichel entgegenreift, ist da und dort, wo sich die unglückselige Straßenbahnschaffnerin bestimmt, die Kraft zu ernähren, die man braucht, um bei im schwer lastenden, hennmenden Rock zwischen den geprest dem Willen zur Vernichtung bleiben zu können! stehenden Fahrgästen durchzwängen muß, die unwillige Frage laut, warum nicht auch sie in Hosen gehen, die die freiere und sichere Bewegung gestatten. Man scheint also ganz vergessen zu haben, daß dies Kleidungsstück vom Volksempfinden abgelehnt wird.
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Ist der Wetteifer des Verderbens, der Krieg, auch ein Mittel der Auslese der Tüchtigsten"? Ist Kultur also nur eine verböserte Natur, eine Steigerung ihrer grausamsten Mittel und Wege? Ist der Krieg wirklich nicht nur der Vater, sondern sogar das Ziel aller Dinge? Das immer neue Ziel Erfreulicherweise. Denn es ist natürlich eine ganz stumpf aller Friedensarbeit, aller ,, Kultur"? gewohnheitsmäßige Auffassung, daß der Charakter der weibMüßte man es glauben, dann bliebe einem zur Wah- fichen Gestalt durch ein Kleidungsstück gestört würde, das in rung seiner eigenen Menschlichkeit, seiner persönlichen, mir anderen Ländern nicht nur in der Türkei gerade als ihr der vollkommenste Ekel gegen die anderen. entsprechendster Ausdruck gilt. Man hat jederzeit weit unAber man muß es nicht glauben, sondern man darf und harmonischeres, ja Abstoßendes, als selbstverständlich, ia als muß den Menschen zutrauen, daß sie nach dieser Erfahrung anziehend hingenommen, wenn es die launische Mode ersann. eine gemeinsame große Wut kennen werden, die gegen den Es ist eben einfach einleuchtend, daß die im öffentlichen Krieg, gegen Kriegsrüstungen und Kriegspropheten. Eine Verkehrsdienst Tätigen für die Bequemlichkeit der Uebersicht Internationale wird es nach dem Kriege am gewissesten geben, sich vom Publikum durch eine einheitliche Tracht abheben die Liga der Kriegsfeinde. Sie wird die Sache der Mensch- müssen, es ist ferner so klar, daß der wallende, von Fahrzeugen heit werden, nicht der Partei. Vielmehr: die Menschen werden allzu leicht erfaßte Rod ein Unding ist, daß niemand mehr in zwei Parteien fich scheiden: eine Kriegs- und eine Friedens- die Berechtigung der uniformierten Frau in Zweifel zicht. partei; diese aber wird die Gewalt des Lebens für sich ge- und das Bewikeln hat sich längst gelegt, ebenso das Begaffen, winnen, wird übermächtig werden, und- seitdem auch im Straßenbild die vom Dienst heimkehrende Uniformierte zur Alltäglichkeit wurde.
Kann es anders sein? Muß es nicht so kommen, daß nach diesem Verderben die Menschen dessen inne werden, daß Kultur Vernunft ist, Krieg aber rrfinn?
Freilich, es muß zugegeben werden, daß zuerst das richtige Gefühl für die Uniform nicht da war. Beinlich wirkten Die Bäume blühen; das Korn wogt; die Menschen die Ziernädelchen und unsoliden gefährlichen Hutnadeln zur schaffen. Schwabenland, wie schön bist du! Und deine Men- praktisch gediegenen Dienstmüze, noch peinlicher die Stöckelschen waren nie falt. Du bist der Stamm, aus dem Dichter schuhe mit gleißenden unechten Spangen unter der schlichten und Schwärmer geboren werden. Hast du mich angestedt? Diensthose. Und weit peinlicher ist, daß die Männertracht In Stuttgart fand ich eine Palästina- Weinstube. Natür- Schäden im Wuchs und Haltung einer Frau schonungslos lich! Sind nicht vor Jahrzehnten Schwaben gewandert, um preisgibt, die die Frauentracht zu verhüllen versteht, wenig rechtzeitig am Blaze zu sein, wenn der Heiland wieder auf der ftens dem für Körperkultur so besonders unempfindlichen Erde erscheinen würde, das Tausendjährige Reich aufzu- Blid unserer Zeit und unserer Rasse. richten, das nach aller Propheten Weissagung unmittelbar anbrechen müßte? Der eine Prophet wußte, es ginge in SüdAber es ist ganz unbestreitbar, daß die meisten Uniforrußland an, der andere: in Palästina. Nach beiden Ländern mierten in diesen kurzen Monaten ganz ausgezeichnet in ihre sind dort geblieben. Auf den Heiland haben sie vergeblich ge und erfreulicherweise bestätigte sie ein Bericht eines neutralen wanderten schwäbische Kolonisten. Ihre Kinder und Enkel Uniformen hineingewachsen sind. Das ist nicht nur eine Einzelbeobachtung, sie wird von allen Seiten zugegeben wartet, aber es ging ihnen gut, denn sie waren fleißig. Bis Reisenden, der umlängst in einer Schweizer Zeitung darüber statt des Tausendjährigen Reiches der große Krieg fam. Warten wir lieber nicht auf die„ Baroufie", sondern er- sprach, wie prächtig sich die deutschen Frauen den Uniformen richten wir das Tausendfährige Reich ohne außerordentlichen angepaßt haben. In der Tat sieht man wenig mehr von Beistand aus den Wolfen . Es müßte doch mit dem Teufel jenem sinnlosen und gefährlichen Bierat, die Frauen haben zugehen, wenn die Menschen nicht an diesem Kriege für begriffen, daß eine Uniform je schnucker ist, je schlichter und viele, viele Menschenalter genug hätten, vielleicht für tausend fachgemäßer sie ist. Aber weit wichtiger ist die Zielsicherheit Jahre, vielleicht für immer! der Bewegungen, die straffere Haltung, die sie gewonnen haben.
Die Frau in Uniform.
Von Hermine Schmidt- 2ahr.
In der Tat, man müßte die Anpassungsfähigkeit der Frau rückhaltlos bewundern, die von der fachlichen Not. wendigkeit der Männeruniform überzeugt, so guten Gebrauch von ihr zu machen lernte, wenn man nicht zugleich ihre große Geduld und Bescheidenheit bedauern müßte, mit der sie sich
Der Winter hat gutem Acer feinen Schaden getan. Bu Zeiten, als Goethe jung war, galt es als unendlich auch dem willig anpaßte, was in sachlichen Notwendigkeiten, Gerade weil er so streng war, hat der Frost über die Saat in unweiblich", Schlittschuh zu laufen. Wenn wir heutzu- d. h. in Erfordernissen des Verkehrs nicht begründet ist, schwerem Boden nichts vermocht. Er hielt auf diesen Feldern tage auf öffentlichen Eislaufpläßen biegsame Bogenläufe- sondern weit öfters in einer Sparsamkeit auf Kosten der ardie Begetation so lange zurück, bis er selbst das Feld räumen rinnen in ihren gewandten Kurven bewundern, selbst wenn beitenden Frauen. Wenn die Männeruniform fraglos weit mußte, und da er besonders dem erwachten wir die unbeholfen täppischen Versuche einer Anfängerin geeigneter ist, vor Unbilden der Witterung zu schüßen und es Frühlingsleben schadet, wenig dem schlafenden des belächeln, fällt es uns schwer, auszudenken, was an solcher für die Gesundheit der Frauen nur von Vorteil sein konnte, Winters, so mußte er selbst die Flur von seiner zerstörenden Haltung und Handlung unweiblich sein soll. Als die ersten in dieser Zeit der wollarmen miserablen Kleiderstoffe für den Gewalt behüten. Radfahrerinnen sich von den Großstädten, wo man Winter da hineingesteckt zu werden, so fragt sich doch, ob im
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Wo aber leicht auftauender Sand sich zu bald der Sonne sich allgemach an sie gewöhnt hatte, aufs platte Land hinaus Sommer nicht von den Frauen und ihrer Art, sich vor der ergab, ist das Kornfeld dürftig geworden. Im Osten mag es wagten, wurden sie von mandher Dorfbevölkerung mit Stein- Size zu schüßen, gelernt werden könnte. Wenn die Dienstin manchen Bezirken so stehen wie auf fümmerlichem märki- würfen empfangen, die den Protest bedeuteten gegen solch müße als Unterscheidungsmerkmal nötig ist, so ist doch damit schen Boden; zwischen Berlin und Salle sieht man viel unweibliches" Gebaren. Nicht selten wurden Fallen gestellt nicht gesagt, daß das die alte Männermüße sein muß, die auf dürftigen Wuchs. Wo das deutsche Land nicht spärlich" ist, und Drähte über Dorfstraßen gezogen als Antwort auf die das volle Haar der Frau gestülpt, im Sommer zur Tortur da stehen die Saaten reich, und sie gedeihen so rasch, daß man freche Herausforderung, als die man eine radelnde Frau werden muß. Ein loses, weites Gewand ist schon richtig, aber sogar besonders früh wird ernten fönnen. Im schwäbischen auffaffen zu müssen meinte. Heute fahren Vierländerinnen muß es die Männerjoppe sein, bloß weil sie noch vorhanden Amt Neckarsulm blühte der Roggen zwei Wochen in der Tracht, Schwarzwälderinnen in der Flügelhaube mit ist? Am Anfang, als die Frauen so miteingestellt wurden, bor Pfingsten! dem Rad von Dorf zu Stadt und niemand denkt mehr daran, da begriff's sich, daß sie der Einheitlichkeit wegen einfach in Natur und Kultur, wie fruchtbar ist ihr Bund! Wie ihnen das zu verübeln. So ging's mit dem Rauchen und den Männerrod schlüpften. Heute sollten sie, wo sie in der empfänglich ist der Schoß der Erde, wie rüstig die Kraft des tausend anderen kleinen Lebensgewohnheiten und Betäti- großen Ueberzahl sind, ihrerseits die Uniform sich anpassen, Menschen, wie groß der Reichtum, den ihre Gemeinschaft her- gungen, wobei wir noch ganz absehen vom Wandel der An- statt umgekehrt. schauung in großen und wesentlichen Fragen weiblicher Eigborruft! Es ist freilich nicht überall so sparsam und unbarmherzig Aber wie die Kirschen aus dem Nemistale heuer nicht nach nung. Gerade in ihnen aber, wie z. B. in der Frage der in- verfahren worden, wie in Berlin . In Frankfurt a. M. tragen München dürfen, weil der Krieg es ihnen verbietet, weil der dustriellen Frauenarbeit und ihres derzeitigen die Straßenbahnschaffnerinnen lose, aber für sie gearbeitete Mangel der Näheren sich ihrer bemächtigt, so werden Ueppig. Auswachsens zum Raubbau am weiblichen Organismus, wird und leichte Schoßblusen aus Waschstoff mit freiem Hals und feit und frühes Gedeihen der Saat en Faktor des Krieges; meist sehr viel weniger zimperlich verfahren, und harte Not- weißem Umlegekragen, während ihre Berliner Kolleginnen -man blidt auf sie mit dem Gedanken: euer Gedeihen muß wendigkeit erst legt die Rücksicht auf weibliche Eigenart auf. auch im Sommer ihr schweres Tagewerk verrichten unter der dem tobenden Unheil zur Ausdauer helfen! In aller Welt, Ganz absehend also von diesen großen, grundsäßlichen Fragen Last der schweren Zoppe feuchend und bis zum Ohr im hohen in der alten und der neuen, schäßt man die Ernte für den und uns beschränkend auf das Gebiet reiner Aeußerlichkeiten Männerfragen stedend. Und auch in München , wo man selbst Krieg ein, wie die Mannschaft auch. Die Kirschen, die Saat, was haben wir nicht schon an Wandlungen des Begriffs in Kriegszeiten nicht verlernt hat, dem Straßenbild sein er
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