54. Jahrgang. ♦ Nr. 48 Seilage Zum �vorwärts" Serlinee Volksblatt Serlin, 2. Dezember 1917 Manne? an öer Newa ... Männer an der Newa , über die Wälle der Gräber hinweg, lieber die Mauer der getöteien und lebendigen Leiber hinweg grüßen wir euch! von den wiegen der Ztlenschheti her. von Osten her flutet das Licht: laug, ach so grausam lang ist der weg über die Steppen. aber bald glänzen die Städte, die zwiespältigen Herzen der Welt. wir höreu eure Dolalajken. die schluchzenden Gesänge der Versöhnung: Brüder, Allbrüder auf Erden! Heimstötten wollen wir bauen und Tempel dem heiligen Leben. Feste, Kongresse gilt es zu rüsten der Freiheit und Demokratie! Recht ist zu sprechen auf Treu und Handschlag und lachen wollen wir lachen wie Kinder, die ein grausiger Spuk nur gescheucht.... Wölfe der Freiheit, der Revolution! Krieg, die Hyäne, zu Tode gehetzt! Nrtur Zickler. wie groß soll Groß-Serlin sein! Aon Paul Umbreit . Dos Problem„G r o ß- B e r l i n" ist durch die Begrün- dung eines BürgerausschussesGroß-Berlin und durch seine Propoganda in den Kreis lebhafterer Bestrebungen geraten. Es gibt Optimisten, welche die gegenwärtige Zeit des Umlernens und der Umgestaltungen aus allen Gebieten des öffentlichen Lebens für fähig halten, uns auch dre V e r- toirklichung von Groß-Berlin als Gemeindeeinheit zu bringen. Um so notwendiger dürste es sein, von vornherein über die Grenze n dieses Problems Klarhest zu schaffen, damit nicht halbe Arbeit geleistet und das mühsam Erreichte in seiner Gesamtanlage zur Lebens- und Leistungsunfähigkeit verurteilt werde. Die Leitsätze des Bürgerausschusses Groß-Berlin gehen davon aus, daß die Stadt Berlin mit ihren Nachbarorten zu einer baulichen, wirtschaftlichen und kulturellen Ein- b e i t zusammengewachsen sei, der die setzige Genieindever- sassung von Groß-Berlin nicht entspreche. Der Versuch der Staats. ejcrung 1911, einen Teil der öffentlichen Gemein- schastsauwoben dem Zweckverband zu übertragen, habe sich als untauglich erwiesen, weil der Bezirk des ZlveckverbandeS mit dem großstädtisch bebauten und unmittelbar dazugehörigen Gebiete willkürlich zusammenschließt rein landwirtschaftliche, noch auf Hahrzehnte nicht für großstädtische Entwicklung bestimmte Teste der Land- kreise Teltow und Niederbarnim , und West der Aufbau dieses Zweckverbondes die Lösung der Einzelaufgaben ;tii Sinne des Groß-Derliner Gemeinschaftsinteresses hindert. Deshalb solle eine Form der Gemeindeverfassung von Groß- Berlin gefunden werben, die die Besriedigung der Gerneiw schastsinreressen voranstelle durch Schaffung einer auf iiir in ittelbarer Wahl der Groß-Berliner Bürgerschaft beruhenden G�saintgenieindeverwaltung. deren sachliche Zuständigkeit und deren örtlicher Umfang alle Gemeinden umschließe, die in wirtschaftlichem Zusammenhange mit Groß-Berlin stehen. Man kann sich diesen wirtschaftlichen Zusammenhang in Weiteven und engeren Grenzen denken. Spricht man aber von Nachbarorten, die mit Berlin nicht bloß eine wirtschaftliche und kulturelle, sondern in erster Linie eine bauliche Ein- h e i t bilden, und beklagt man es, daß die Landkreise Teltow und Niederbarnim landwirtschaftliche, für groß- städtische Entwicklung auf Jahrzehnte nicht bestimmte land- wirtschaftliche Teile in den Zwcckverband hineingebracht hätten, so ergibt sich daraus, daß das Groß-Berlin des Biir- gerausschusses als ein rein städtisches Gemein- Wesen gedacht ist, etwa von dem Umfange der Stadt Berlin und der mit dieser unmittelbar zusammenhängenden Stadt- und Landgemeinden Charlottenburg, Wilmersdorf, Schöne- berg, Friedenau , Tempelhof , Neukölln. Treptow , Stralau, Rummelsburg , Lichtenberg , Weißensee , Hohenschönhausen, Pankow , Nicbcrschönhausen, Reinickendorf und Schönholz , vielleicht auch noch Steglitz und Schmargendorf Hinzugenom- wen. Das würde im wesentlichen nur ein: etwas große»'? Großstadt ergeben, wobei der Eingemeindnngsweg, weil er bei einer Reihe der in Betracht komnienden Gemeinden auf Schwierigkeiten und Abneigung stößt, durch einen Zusammen- schluß unter Scheidung zwischen Gemeinschaftsverwaltung und Einzelverwaltung ersetzt werden würde. Ein solcher Zusammenschluß würde zweifellos manche MißHelligkeiten und üblen Erfahrungen vermeiden, die sich früher aus dem gelegentlichen, ungeordneten Zusammenwir- ken, wie aus dem seit 1911 geordneten, aber höchst unzweck- mäßigen Zusammensein ergeben haben. Aber er würbe nur be- siegeln, was schon vor 29 bis 39 Jahren hätte geschehen sollen, dagegen außerstanbe sein, Z u k u n f t s a r b e i t zu leisten, weitere Probleme des Großstadtwesens in Angriff zu nehmen, weil er bei deren Ausführung an die gleichen Grenzen stoßen würde, die Berlin vor einem Menschenaltcr unerträglich eingeengt hatten. Groß-Berlin ist aber heute auch schon längst über den Ring seiner Vorortgemeinden hinaus- gewachsen. Es braucht nicht städtische Gebiete, sondern Land. und zwar recht viel Land zur Durchführung seiner Ent- Wickelung als Gemeinwesen. Was heute die kleinste Dorf- gemeinde besitzt, nämlich ein Ausdehnungsbcreich nicht bloß zur Aufnahme ihres Bewohnerzuwachses, sondern auch zur Versorgung ihrer Bewohner mit den dringendsten LebenSnot- wendigkeiten, das fehlt der Hauptstadt des Deutschen Reiches, und nicht bloß dieser, sondern auch den meisten Großstädten. Will sie Trinkwasser beschaffen, so muß sie in fremde Gemeinden gehen; für Erholungsplätze. Gärten und Wälder hat sie keinen Raum, nicht einmal so viel, um ihre eigenen Toten zu begraben. Ihre Abwässer und Fäkalien muß sie über fremdes Land führen, Licht- und Kraftwerke außerhalb ihres Gebiets errichten, für Kranken-, Siechen- und Irrenhäuser, Waisenhäuser und andere städtisch? Anstalten das Gastrecht entlegener Gemeinden in Anspruch nehmen. Und wo wollte Groß-Berlin in dem engen Gürtel. der jetzt anscheinend dafür vorgesehen ist, weitaus- schauende Wohnungs- und Siedlungspläne verwirklichen? Der wenige noch nicht bebaute Grundbesitz. der hier in Betracht kommt, hat bereits das Niveau großstädii- scher Preise erreicht, der jede volkstümliche W o h- n u n g s p o I i t i k, vor allem den K l e i n h a u s b a u, aus- schließt. Nicht Trennung von den Landkreisen, sondern Aufsaugung der Landkreise und deren städtische Durchdringung muß daher das Ziel eines zukunftssrohcn Groß-Berlin sein. Natürlich darf diese Vereinigung nicht im Sinne des gegenwärtigen Zweck- Verbandes geschehen, durch Ueberstimmung der Dreimillionen- Bevölkerung Groß-Berlins durch die beiden Landkreise, sondern im Sinne der Schaffung einer w i r k l i ch e n E i n h e i t von Stadt und L a n d aus Basis völliger Selbstverwal- tung. Wie der Londoner G r a f s ch a s t s r a t sich völlig selbst regiert, aus allen Gebieten staatlicher Tätigkeit, der Sicherheits- und Gesundheitspolizei, deS Schul- und Armen- Wesens, des Verkehrswesens, der Wirtschaftspflege undWozial- Politik, nicht neben der Staatsgewalt, sondern alL Verkörpe- rung der Staatsgewalt, so bedürfen auch die durch Vereinigung von Großstadt und umliegenden Landkreise zu schaffen- den neuen Verwaltungseinheiten der vollen Selbstregicrung, um ihre eigenen Angelegenheiten ohne staatliche Bevormundung zu regeln. Eine solche Vereinigung Groß-Berlins mit den umgeben- den Landkreisen würde zunächst ausreichenden Raum für eine wirkliche Wohnungs- und Siedlungspolitik schaffen, sowohl durch Einschluß der Wohngemeindcn und Siedlungskolonien der schon heute in Groß-Berlin wirt,chusr- lich tätigen Bevölkerung, als auch durch Erschließung weiteren Geländes für die hinausdrängenden Stadtbewohner und für den künftigen Bevölkerungsüberschuß;— Wohnland nicht für 4— ostockige Mietskasernen, sondern für kleine Woh- iiungen mit Garten. Durch Ausdehnung der Garten- und Kleinlandkultur würde die Ernährungsfrage für einen großen Teil der städtischen Bevölkerung in viel wirksamerer Weise gelöst werden können, als bisher. Auch die land Wirt- s ch a f t l i ch c Fläche kann die Großstadt nicht entbehren. sondern sie braucht ihre Erzeugnisse und muß sie in möglichst innige Wechselwirkung zu bringen suchen. Die Großstadt kann der ihr eingeschlossenen Landwirtschaft Vieles geben: Absatz, Verkehrsmittel, Dünger, Kapitalien usw. Sie kann die Verwertung ihrer Produkte durch Markthallen. Molkereien, Kühlhäuser und städtische Milchzuführung erleichtern und er- höhen. Sie kann eigene Landwirtschaft auf Rieselgütern, Milchwirtschaften, Obstplantagcn und dergleichen betreiben und die Lebensmittelversorgung ihrer Bevölkerung in eigene Hand nehmen. Das e i g e n w i r t s ch a f t l i ch e Interesse der Großstadt verlangt aber auch Raum für die Trinkwasserversorgung, für Licht- und Kraftwerke an Flüssen und Seen, sür die Verwertung städtischer Abwässer und Abfälle, die sie unabhängig macht von fremden Vorschriften. Das gleiche gilt für die hygienischen Einrichtungen und Anlagen, für'Wälder und Parks, für Heil- und Pflegeanstalten, für welche Groß-Berlin in fremder Ge- markung Unterkunft suchen mutz. Die Vorteile der Vereinigung von Stadt und Land liegen indes nicht bloß bei der Großstadt und ihren Bedürfnissen, sondern auch die Landbezirke, soweit sie nicht durch bureaukratische Verwaltung mißleitet sind, verlangen dringend nach der Gemeinschaft. Das Verkehrswesen würde systematischer und großzügiger gestaltet, das Schulwesen ganz anders auf dem Lande entwickelt und dem Stande der Großstadt angenähert, das allgemeine Bildungswes e n durch Bibliotheken, Volkskonzerts, Theater und Stätten wissen- Die irre /lnn. Erzählung von Paul Zech . Eine halbe Stunde vom Kanal lag die Zeckenkolonie. So ein armes Grubenarbeiterdorf mit breiten, ungepflasterteu Strotzen, kleinen Vorgärten und schmutzigen Ziegelhäusern. Tags lagen da die Kinder halb nackt auf den Steinfliesen, balgten sich wie junge Katzentiere oder warfen einem Borübergehenden Schimpfworte nach. L» den Haustüren standen die Weiber zu vieren und fünfen zu sammen und klatschten mit flinken Mäulern. Abends, bald nach dem Glockenschlag sechs, veränderte sich das Bild. Mir schweren Siampfschritten und in soldatenhaften Reihen kamen die ruifigen Männer aus dem Schacht. Blickten nicht rechts und nickt links. Sprachen selten ein Wort miteinander und krochen gebückt in die Stuben. Dann flammten die Lampen auf. Magere Suppen dampften auf den Tischen, und wer von den Männern in der Bibel Bescheid wußte, erhob die vom Staub verschlammte Stimme. Auf den Straßen huschten zuweilen Pärchen oder Tiere, die sich griffen. Und Schwarz, der Laternenmanu, stelzte mit der Zündsiange von Pfahl zu Pfahl. Dieser Sckwarz war ein Halbinvalide. Er trug einen grünen Lemenkutel, der ihm bis in die Kniekehlen fiel, und einen breiten Lederriemen mit einem Messingschlotz um den Leib. Seine der- wiitert« Äappsnmütze hatte er bis über die Ohren gezogen. Aber unter dem glänzenden Schirm hingen graue Haarsträhnen hervor. ES war etwas Schleichendes in seinem Gang. Wie ein Schakal, der den Schatten sucht. Das schmatzende Geräusch seiner Pfeife klang wie Fauchen. Am Tage verrichtete Schwarz Botendienste auf der Gewerkschaft. Hatte die Kranken zu kontrollieren und die Witwen» gelber abzuliefern. Dafür erhielt er freie Wohnung, und eS war das ansehnlichste HauS des Dorfes. Deine Frau Sabine hielt aus Ordnung. Ihre drei Stuben waren mustergültig. Hatten immer blanke Fenster und saubere Gardinen davor. Und aus den Simsen standen Geranien und Pelargonien. An den Zänkereien der anderen Frauen beteiligte fie sich nie. Die drei Söhne waren ihr untertänig im Gehorsam und Liebe. Sie war wohl an die fünfzig Jahre alt. Dick und rund. Hatte immer eine gestärkte Schürze vor und trug das weiße Haar in der Mitte gescheitelt. Eines Nachmittags trat ich in ihre Stube, um dem Schwarz eine Anweisung zu überbringen. Er war schon von neun Uhr an unterwegs und hatte sich im Bureau nicht mehr sehen lassen. Die alte Frau nötigte mich zum Sitzen. Goß mit rotfenchten Händen den Kaffee in die großen, braunen Schalen und bat: «Gedulden Sie sich noch was, Herr. Mein Mann sagte, daß er den Salle aufsuchen muß. Sie wissen ja. Der sich das Bein ge- brachen hat. Sein Bruder, der drüben in FlaaSberg wohnt, hat ihn dorthin genommen. Run wollte mein Alter doch nach der Orb- nung sehn.41 Ich sagte, daß ich dann doch lieber auf einen Augenblick mal nach Hause gehen möchte und daß dann der Schwarz zu mir kommen konnte, sobald er da wäre.' .Tun Sie das lieber nicht, Herr. Ihre Frau ging soeben den Weg hinaus zur Stadt. Sie hatte den Korb mit. Wahrscheinlich wird sie einkaufen wollen. Und fie muß ja diesen Weg wieder zurückkommen. Da.seht Ihr sie ja dann von hier aus. Da blieb ich. Ich sah Sabine an. als sie den Tasienkopf über die Nase stülpte. Aus ihrer Stirn zeigten sich über den Augenbrauen ein paar tiefe Falten. .Sie haben wohl viel Sorge mit dem großen Haushalt?' Ich fragte so, weil sie ein paar Seufzer von unten heraus auStöme. .Ach ja, Ivie man daS nimmt,' erwiderte sie und tunkte eine Brotrinde in den Kaffee. Und wie es mir denn ginge. Leise und zurückhaltend. Und da hatten wir unser Gespräch. .Ach ja.' sagte sie nach einer Weile..Für euch beide ist diese schöne, junge Zeit so wie ein warmer Junilag. Gab der Himmel, daß es noch lange bleiben möchte. Noch so jung seid ihr. Aber, wenn ihr mal daS auf dem Buckel habt, wie Schwarz und ich, werdet ihr anders reden und manches wissen, das müde macht." Sie sah zu Boden und zerdrückte die Worte in der Kehle. .Sie wollen etwas vor mir verbergen, Frau Schwarz. Warum reden Sie nicht aus?' Da hob sie den Kopf und strich mit den Augen über die Wände. Dort hingen Photographien in runden, schwarzen Rahmen. Junge Burschen in Knappentracht. Nach einer Weile begann sie, den Blick herabgeschlagen und die Hände in den Schoß gefaltet: .Sie kennen ja meine JungenS. Den Heiner und den Jupp. Aber da war noch einer. Erich. Ter ist nun schon lange Jahre tot. Das war mein«cltester und im Schacht einer der waghalsig- ften. Er kam nie unter zwanzig Taler die Löhnung nach Hause. Und getrunken bat er auch nicht. Aber ein Mädchen war da, daö er heiraten wollte. Die Anna. Sie war damals knapp achtzehn und hatte nur die Mutier noch. .Eines Mittags, es war im August, und mein Mann und die JungenS waren alle unter Tag, kam Anna aufgeregt über die Straße zu uns herein und sagte, daß sie einen bösen Traum gehabt hatte die Nacht. Sie war laum zu beruhigen und zitterte ain Leibe wie Espenlaub. Ich gab ihr Kaffee und redete ihr den Unsinn auS. Sie war dann auch wieder ruhig und half mir bei der Wäsche. Da kam plötzlich ein Beamlcr zu uns herein und keuchte und machte ein ernstes Gesicht. Konnte gar nicht sprechen und verdrehte die Augen. Endlich sagte er:.DaS ist doch hier bei SchwarzenS?' .Ja,' sagte ich. »Dann erschreckt nicht. Da ist was passiert unten. Man weiß ja noch nicht, wie viel Und wer alles, aber...* .Da gellt auf einmal ein Schrei— ich werde da» mein Leb« tag nicht vergesjen, Herr und— und Anna hatte den Mann am Arm gegriffen. .Er ist tot. schrie fie. und lachte und schrie— Herr, daß es mir durch und durch ging und lief aus bloßen Strümpfen aus dem Hause auf die Straße und zur Grube hinunter. .Ich wollte nach und brach da, wo Sie jetzt sitzen, Herr, zu- sammen. „Als ich wieder den Tag ansah, standen die beiden Jüngsten in der Stube, schwarz, blutend und mit versengten Kitteln. .Vater, wo ist Bater, schrie ich. und der Erich?! «Ach. Mutter, beruhige Dich man. Vater hat bloß das Bein gequetscht. Er ist noch beim Doktor.' »Und Erich. Wo ist Erich?"
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