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AS. Jahrgang. Ne.lZ Seilage Zum»vorwärts" Serlmer Volksblatt Serlin, 31. März 191$ Auferstehung. Iu dieser hohen Stunde bricht der tiefste Grund, das stillste Grab und mit verklärtem ZNunde spricht. was sich der Zeit zum Opfer gab. «Wir fahren auf. wir fahren auf! Uns hall kein Tod und keine Ztacht. Wir stürmen in beschwingtem Lauf die Sonne, die euch köstlich lacht. Erlöser wir. doch erst erlöst, Befreier, selber nur befreit, wenn Hast nicht mehr die Herzen stöstl und nach der Brüder Blute schreit. Erlöste in erlöster Welt und dem verklärten Lichte nah, wenn unsre Stimme Kraft behält: Der Geist ist für die Liebe dai" ___ Karl vröger. Sestere Zukunft! Von Ariur Z i ck l e r. Das christliche Europa   feiert das vierte KriegSostern. Es bleibe dahingestellt, wie viele Menschen heute noch damit den Glauben an die geschichtliche Wahrheit der Auferstehungs- legende verbinden, das Volk füllt das alte Fest mit dem Ge- fühl der Gegenwart. Der Frühling kommt in das Land, mit heiteren Wolken im Himmelsblau, mit Keimen und Blühen. mit Winden, die den Duft der Verheißung und der Hoffnung tragen. Vorbei des Winters Not und Leid, vorbei Finsternis und Kälte vor uns Sonne, Blühen, Reifen und Ernten. Aufeistehnng! Seit vier Jahren klafft in diesen Frohgefühlen der Riß der Zeit. Wer in Blumen sterben muß, fühlt den Abschied schwerer als der Mann, der eins wird mit der toten Starre des Winters. Wem das Leid am Herzen frißt, dem will die Aufersiehungsfröhlichkeit ein Hohn dünken, der ihm die Bürde noch schwerer macht. Und selbst dem, den nicht persönlich die Schicki'alSpranke traf, sind die sonnigen Zeiten mit den Schatten des Weltivchs verhängt. Die Hoffnung kann nicht sterben, sie rankt über Tiefen und Gräber. Mit der Sonne wird auch Güte. Vernunft und Frieden über der Wintcrsnacht des Krieges aufsteigen und der Messias der Menschenliebe muß doch kommen I Gekommen sitid immer nur die Frühjahrsoffensiven. Nur der Tod und der Krieg verjüngten sich mit der Sonnenwende und der Menschheit mächtiger Zukunftswille rannte in die Bajonette. 1815. 1916, 1917 immer das gleiche furchtbare Lied von Ansturm und Erschöpfung. Erfolg und Verlust, Wiederaufbau und Vernichtung. Tiefer brannten die Wunden, tiefer fraßen sich Haß und Erbitterung in die Herzen der Völker. Jähes Erkennen schrie auf: die Waffen, die Maschinen, die toten kreisenoen Dinge sind die Herren der Erde, die Materie wütet und zwingt den Menschen, ihren klugen, törichten, tapferen und schwachen Schöpfer und Former in ihre unbarm- herzige Gesetzmäßigkeit. Führer standen auf, den Weg auS der Wirrnis zu weisen, in großen Versammlungen gab sich der Wille zur Versöhnung kund, Staatsmänner redeten aber die Zeitungen gilben und der Krieg lebt. Im letzten Jahre mischten sich neue Klänge in den Chorus der Vernichtung: die Trompecen der russischen Revolution. Neue unerhörte und doch dem Menschlichen in uns so traute Worte hörten wir. Die einfach Denkenden, die Unpolitischen im Lande sahen nicht den Mechanismus des Werdens im Osten, sie spürten den Geist, der wie ein Frühlingshauch ihre Stirnen kühlte. Ob es richtig war oder nicht, in den Stuben der armen Leute verstand man den russischen Messias, der die Tische der Wechsler umwarf, das Brot brach und denen die Röcke nahm, die zwei und mehrere hatten! Der weltpolitische Wille eines Volkes ließ, sich ein Hei- land, ans Kreuz der Weltgeschichte schlagen. Um damit das Größte zu erreichen: die E r l ö s u n g, nach der die Völker lechzen. Die Schützengräben im Osten ebnen sich ein. Brücken werden geschlagen, Schienen gelegt und im Donau- delta   werfen österreichische Monitoren die Versandung aus. Doch was hilft das alles, sagt der Müde und der Zweifler, im Westen greift Knochenmanns Sense mit doppelter Wucht ins Volle. Frühlings Anfang zeigte der Kalender, da sprangen auf 80 Kilometer Breite die deutschen Sturmtruppen aus den Gräben, und alles, was wir in den schweren Jahren erlebt haben, bleibt hinter dem zurück, was sich in Nord- frankreich abspielt. Sehen wir den Dingen inS Gesicht. Die Stoßkraft der deutschen   Heere, mag sie noch so sehr auf technischer und organisatoriicher Vorbereitung beruhen, läßt sich nur be- gründen mit dem Willen des einzelnen und des letzten Mannes, mit dem Kriege ein Ende zu machen! Nicht in kriegerischer Waffenfreude, die nie im Arbeiter und Bürgersmann in Uniform gelebt hat, nicht im Erobe- rungsdrang und der Sucht nach Unterknechtung fremder Völker, die nur auf Zeitungsredaktionen, Syndikatsbureaus und sonstigen absolut bombensicheren Unterständen der Heimatfront- existiert, sondern im leidenschaftlichen Willen zum Frieden liegt das Geheimnis der Stoßkraft der deutschen Armeen begründet! Darum braucht noch nicht be- hauptet zu werden, daß der tapferen Gegenwehr der eng- tischen und französischen   Soldaten die entgegengesetzte Absicht zugrunde liegt. Es scheint, als wolle der Krieg sich selbst vollenden. Er wird auf jeden Fall arme erschöpfte Völker zurücklassen. Viel- leicht auch tief gedemütigte. Aber die Kräft? selbst, die die Dornenkrone deS Kriege» durch die Jahre getragen haben, die ein widriges Schicksal gegeneinander gekehrt hat mögen sie den längsten Atem gehabt haben oder nicht: sie leben und wollen wirken! Sie sind noch wie die Völker, die ihre Träger sind, unsterblich wie die Keime in der Winterstarre. r  , Darauf kommt es an. Eines Tages werden die Kanonen schweigen. Die Völker werden vor der Prüfung stehen, ob der Kneg ihnen eine Lehre und damit nicht umsonst gewesen ist. Und des weiteren wird sich entscheiden, ob das Ver- gangene oder das Zukünftige maßgebend sein soll für das, was geleistet wird und was das Ziel sein soll. Hier stehen sich Heere gegenüber, für die eS keinen Verständigungsfrieden gibt. Sie ringen schon heute erbittert miteinander, aber nicht auf den Schlachtfeldern Nordfrankreichs, sondern in den Völkern selbst. In diesem Kampfe stehen alle, zur Parteinahme verpflichtet, mitten drin. Wir als Sozial- dcmokraten bewußt und mit heißen Herzen; mit der festen Ueberzeugung, daß wir siegen müssen. Denn wir haben die Gesetzmäßigkeit für uns, die den Sonnenball höher in den Zenith zwingt und köstliche Ernten aus blutgetränkten Ge- ftlden wecken wird. Der Frieden muß die Auferstehung einer neuen Kultur bedeuten. Aus dem Winter des Hasses und der Zerstörung hinein in den Frühling der gegenseitigen Würdigung und des Zusammenarbeitens das wird ein Ostern sein I Im Sturme gebiert sich der Frühling. Und im Sturme der gioßen Offensive»vollen»vir sozialdemokratischen Arbeiter, die wir die Pflichten zu unserem Volke wie zur Menschheit nicht als Gegensätze empfinden. eS wagen, die Fahnen besserer Zukunft zu ferner Sicht zu htffen l Zrühling und �uferstehungsmpthus. Daß das Wiederaufleben der Natur und damit deS Menichen selber mit der Feier der Auierstehung eines GorieS zusammenhängt, weih man nicht erst seit unlängst.Er feiert die Auferstehung des Herrn denn er ist selber auferstanden: aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern" uiw. sagt schon Goeihe. Noch mehr als der miuelalterltche Menich, den der Dichter hier im Auge Hai  , hat der ältere, besonders der nordische Mensch, den erwachenden Frühling als eine AuierstehungSperiode aus dem Sckneegrabe. in das ihn der Wimer versenkt, angesehen und demgemäß.Auferstehung" innig und stark gefeiert. Doch ist der Gedanke nicht bei»hm entstanden; er ist ihm von außen zugekommen und er hat ihn nur. weil seiner Lage wohl entsprechend, aufgenommen und festgehalten. Die Völker de« nördlichen Ostens kennen eine festlich zu begebende AuserstehungSlegende nicht Der Gedanke ist nach Nordeurova erst übertragen worden mit einer neuen Religion; das Fest ist ur- sprünglich ein solches deS wärmeren OrienlS, der ein völliges Ab- sterben der Natur im Wimer nur ans großen Berghöhen kennt, und dem deshalb da» gefühlsmäßige, naturgemäße, da» wir dem Feste zugrunde legen, gar nicht eigeniümlich ist. Nickt alio bei Naiur- sondern bei Kulturvölkern ist das Auierstehungöfest in seiner heutigen Form enistanden und vor allem: ausgebildet worden. Deshalb kann der Nalurvorpang des FrühlingsanbrulbS allein nicht Ursache deS Festes sein, wenigstens nickt in seiner derzeitigen Ge- Ein Untergang. Die Helle eine» ersten Frühlingstage« lag über den Tannen wie eine glückbaste Offenbarung. Die Sonne, Flut köstlichen Licht». wärmte, und das Strömen tausendfachen Glücks und Werden« be- seelre den schimmernden Tag. Erstes Keimen, erste« Grün an nackten Zwergen o wunderbare Wiedergeburt des Leben», das, triumphierend über den starren Tod, in reicher Fülle neuen Odem, Kran und Farben über die Weit ergoß. HanS Joachim schritt unter dem hohen blauen Himmel, den Blick ms Weite gerichtet, und in seinem Schreiten lag alle» Glück dieser FrühlingSstunde. Fast war eS ein Tanz, ein sehnsüchtiger Rhylbmu« beieeüe seine Glieder, und alle« Gewesene bröckelte ab von seiner Seele. Glückhaste. neue Welt! So schreiten auf ihr, frei, frei von Licht umspielt, von prangenden Farben umschlosien. von tausenb sawen Wcrdekräsien, LebenSsäsien umgeben, umrauscht, selbst eine Kraft, eine große, gütige, liebevolle, die Glück schafft sich und anderen, dickt bereitet und Wege bahnt in da« freie, herrliche Land! Eine tiefe Freude verschönte Hans Joachims ernstes Geficht, seine Züge belcbien sich: er war»o glücklich in seiner Hoffnung, seiner jungen Kraft. Da binien aber lag daS Elend. Sein Elend, seine Not, seine Todesangst Vergangen. Aber verwurzelt in seinem Leben, seinem Wesen, so daß er nur über das Bergangene hinweg wie über eine Mauer steigend, in das neue Leben, in die ichöne. freie Welt gelangen tonnte. Da hinten lag das Elend der Zeit. In tauiend dunklen Stuben eingeschloffen, von grauen Höken umragt, in Fabriken, auf den Straßen. In Herzen eingegraben. Das Elend, die Not der Seele, die Not des Menschen. Das Elend... und sah mit unheimlich leeren Bugen, fahl und steinern, in den Glanz des Tage«, und hielt unerbittlich in seinen tausend Krallenbänden taukenv zuckende Menichenherzen. Er iah die armen, unfreien, geängftigten, ungetrösteten Herzen alle und kannte fie alle. Da war da« seiner Schwester. Es glich dem hundert anderer Frauen. Es klopfte bang und müde, schmerz- hast lebensmüde. Seine Freude war tot. Und sein Freund war tor. Und die grauen, gefräßigen Ragetiere Hoffnungslofigteit und Verzweiflung fraßen an ihm. Da war das seiner Mutter. ES glich dem hundert anderer Müller. Ganz ausgehöhlt von Gram, lag es starr und tot Ge- tölel!.. Er fühlte Schuld, und einen Augenblick trübte sich sein Auge. Wer schuf da« Elend? Wer nährt das Elend? Wer über- antworte: der Menschen Herzen in deS Elends Krallenhändc? Der Mensch! Der Mensch!... Ich und du... und wir alle I.. Wir müffen uns frei machen, sagte Hau» Joachim fast laut. »nd darum müssen wir liebreich und hilfreich und gut werde», j Nicht einander verfolgen mit bösen Worten und Taten, nicht ein- ander tölen mit Glsiworten. nichl einander töten mit Verbrecher­hand und finnlos aufgestellten Mordmasckinen. Jeder soll sich be- freien von seinem Unmensch, jeder Mensch werden, ein Weien der Gemeinschaft, ein Glied des BrudertumS, ein Berkünder der Liebe, ein Prediger des Guten. Hasset daS HaffenSwerte I Bor allem in euch l wollte er rufen, dann springen tausend Herzen befreit au« de« Elends gekrampiten Händen in den blauen Himmel einer werdenden Welt. Lafiet eure Knechtsseele, daS Unterwürfige, Demütige in euch, und pflegt euren freien Mm. euren wahren Sinn, daß ihr zu eurem wahren Sein gelangt! Euer reine« Herz bewahrt und haltet fest und«stärket an eurer Liebe. Ihr seid gut geboren. Ihr sogt die Liebe aus eurer Mutter Brust. Ihr hattet fie, ihr war« reich in ihr. Kinder... aber ihr seid eS nicht geblieben. Man beraubte euch. Man nahm euch euch selbst, man stahl euch euch selbst umer den Händen fort Nun seid ihr nickt mehr ihr ein Schallen nur, ein Trugbild euer selbst... und tragt euer wahres Sein, euren Sinn und eure Freiheit wie einen Traum und eine Hoffnung. Und seid elend, krank, unfrei, böse, verderbt. und die euch elend, krank, unfrei, bös« und verderbt machen, schelten euch, knechten euch, verhöhnen und veratien euch. Reißl die Augen auf I Erwacht I Wo seid ihr hingekommen?! Auf Bruderleichen wandelt ihr. aus Mülterherzen trampelt ihr, unmenschlich, grausam, irrsinnig, und eure Kinder sitzen an den Bächen Bruderblut, die ihr vergofien. und gehen hin zu eurer Knecht- schaft, eurer Lieblofigkeit. eurem Elend. Hans Joachim redete. Zu einer unflchlbaren Menge vom Elend de« Menschen. daS das neue Werden, der Frühling so schrecklich spürbar macht Sein gesunder Arm zerschnitt die klare Luft in kräftigen Be- wegungen, ein innere« Leuchten brach ans seinen blauen Augen. Seine junge Brust dehnte sich, und er war willen«, hinzugehen, Liebe zu bezeugen, Menschlichkeit vor allen. Vor dem Fürsten   und dem gemeinsten Verbrecher, dem Arbeiter. dem Ackerer. den Frauen, den bebrillten Proiefforen, die die Not- wendigieit des Kriege» klipp und klar nachwieien. den liebeleeren Gelehrten, die behaupielen, solang« die Welt bestehe, bestehe auch der Krieg. Lüge war'» I Der Krieg ist nur solange, wie der Mensch fich seiner Seele berauben, fich knechten und kreuzigen, fich seine Liebe stehlen läßt! Er wollte, zornentflammi, vor die Millionäre treten, die da« Gold »nd Reichiümer häuften, die das Blut ihrer Mitmenschen und Brüder wußten denn diese gewinnsüchtigen, habgierigen Wesen die Seligkeit, die Bedeutung des Wortes: Bruder? in glänzenden Mammon Verwandellen. Er wollte allen die Maske abreißen, ihnen ihre Heuchelei, ihr B erbrechen an stch und den Mensche«, allen! Menschen, offenbar machen, daß fie in sich kehrten, nackt wurden einander sehen lernten! Mensch den Menich, Bruder den Bruder... Erkenntnis mußte, mußte aufflammen, alle, alle mußte daS Wunder spüren. daS uns gegeben: Liebe und Güte... Hau« Joachim schrak auf. Seine Ubr zeigte deei viertel zwei. Er lentis seine Schrille zur Stadt zurück. Eine seltsame Be- klemmung schnürte plötzlich seine Brust als er umkehrte. Sonne leuchtete, Vögel sangen. Er war traurig. Gleichgültigkeit stand bS« im Antlitz ihm Begegnender. Freude- lofigkeit sprach au« den Augen trauiiger Frauen. HanS Joachim fühlt« sich plötzlich einsam, verstoßen. Ich habe nicht den Mut, sagte er. lind er schämte sich. Da schob eine blaffe Frau, ganz in Schwarz, einen Kinder- wagen. Er ivollte zu ihr gehen und ihr von der Liebe der Menschen zueinander, die wieder kommen mußte, sprechen. Bielleichl verstand sie ihn. Bielleicht schenkte er ihr den Glauben an den Menschen wieder, an der Menschen Gntsein und Liebe. Er ging nicht hin. Er wollte den vornehmen Herrn ansprechen, der, im funkelnden Zylinder, eine teure Zigarre rauchend, verächtlich und von oben herab auf seine Mitwelt sah. Vielleicht weckte er ihn auf. Erschloß ihm eine neue Welt. Bielleicht wurde er ausgelacht, verspottet... Er ging nicht hin. Hans Joachim schämte fich seiner Schwäche und war namenlo» traurig. Die Stadt begann. Menschen tvimmelten. Fremdsein wuchs. Einsaniteit mitten unter den Brüdern und Schwestern schmerzte ihn. Er bestieg eine Elektrische und fuhr inS Geschäft. Im Wagen schloß er die Augen. Er mochte niemanden anblicken. Die steinernen Treppen stieg n, tn der Furcht, zu spät zu kommen, eilig hinauf. Der Frühling lag draußen. Fern, irgendwo über den Tannen wie eine glückhafte Offenbarung. Keinen Hauch sciueö Glückes trug HanS Joachim in das kalte Zimmer. Er lam zu spät. Kollegen blickten spöttisch. Er setzte sich an seinen Platz. Ihn fröstelte. Oder war eS Ekel? Schlug ein Buch auf. Zahlen glotzten. Er fing an zu addieren. Fast maschinenhaft. Er fühlte fich nicht mehr. Seine Züg» erstarrten. ES war. alS trüge er eine MaSke. Begeisterung erloi'ck. Freude starb. Die Liebe kroch traurig in einen Winkel seiner Seele. Eine Welt ging unter. HanS Gathmann.