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35. Jahrgang. Nr. 14

Lied des Gefangenen.

Meine Wiege ftand am Fluffe und mein Heimatland war Rußland , Rußland war mein Vaterland. Ach, mein Dorf ist wohl zertreten, meine Lieben längst geflohen. Wohin foll ich wiederkehren?

Werde ich euch wiederfinden, Steine, die den der grenzten,

Bäume, die die Vögel schirmten? Katharina: deine Augen, haben andere fie gehänselt,

wie der Himmel meine Wünsche?

Wildes Waffer meines Fluffes,

das dem schwarzen Meer zueilte,

Sonntag

in das Meer des großen Rußland .... Meine Jugend glich dem Fluffe, wird sie eilen nach dem Meere oder brechen fich am Wehre?

Freiheit, fagt man, winft mir heute, Rußlands Freiheit soll ich schauen und mein Dorf und seine Gärten. Und den Fluß und seine Dämme.

Und das Meer und seine Perlen, die die Freiheit Rußlands weinte....? Julius 8erfaß.

Beilage zum Vorwärts" Berliner Volksblatt

Berlin, 7. April 1918

große Natürlichkeit, Urwüchsigkeit und sittliche Reinheit eines Daß das Religionsbetenntnis, die mehr oder Boltes schließen lasse. Daß die unehelichen Geburten an minder betonte Religiosität, auf geschlechtlichem Gebiete feinen und für sich feinen richtigen Maßstab der Volkssittlichkeit Einfluß hat, geht aus den statistischen Zahlen unwiderleglich oder Volksunfittlichkeit abgeben können, leuchtet ohne hervor. leuchtet ohne hervor. Volksbrauch und Volksveranlagung, wirtschaftliche weiteres ein. Hier sprechen zweifellos die Anschauungen Lage und soziale Schichtung sind eben stärkere Sträfte als und Bräuche eines Voltes wesentlich mit. Es trägt religiöse Einflüsse. überhaupt zur Verwirrung der Begriffe bei, daß herkömm- Einem jeden Beobachter dieser Frage leuchtet ganz von licherweise lediglich das geschlechtliche Verhalten eines selbst ein, daß das Los und das Gedeihen der unehelichen Menschen oder eines Voltes als Maßstab für die sittliche Be- Stinder ungleich mißlicher ist als das der ehelichen Kinder. urteilung seines sittlichen Verhaltens verwendet wird, während Die Kinder der Liebe, wie man sie zu nennen pflegt, sind auch doch bei der sittlichen Wertung auch noch andere Faktoren zugleich Kinder der Angst, der Sorge und der Schande. Das den Ausschlag geben. muß schon auf ihre Entwicklung vor der Geburt und nach Bei der Frage der unehelichen Geburten ist es ein ber- der Geburt höchst ungünstig einwirken. Sie werden nicht wie hängnisvoller Fehler, daß man die uneheliche Geburt und ihre glücklicheren Genossen mit Stolz und Freude erwartet, das uneheliche Stind an sich als etwas Schlechtes fie werden nicht wie jene sorgsam gehegt und gepflegt. hinstellt, von dem man nicht gern redet und das man unheilvolle feelische Einflüsse dringen auf sie höchstens aus Mitleid mit dem Mantel der Liebe bedeckt. Man ein, che fie geboren werden daher die zahlreichen Tot­müßte doch dabei berücksichtigen, welche innere Anlagen, geburten und wenn sie, nicht das Licht, sondern das welche Erziehungsmängel, welche äußeren Verhältnisse mit- Dunkel der Welt erblickt haben, stehen sie fast ausnahmslos sprechen. Es läßt sich doch nicht ohne weiteres behaupten, unter einem ungünstigen Stern. Dafür zeugen die daß ein Mädchen, das unehelich geboren hat, sittlich minder- statistischen Ziffern über die Sterblichkeit der un­wertiger ist, als ein anderes, das den erfolglosen unehelichen ehelichen Kinder im Verhältnis 84 den ehelichen. Geschlechtsverkehr in weit größerem Umfange ausgeübt hat. Die Sorge für die unehelichen Mütter und Kinder muß Uneheliche Geburten, die einem dauernden Liebesverhältnis wesentlich verbessert und ausgebaut werden, wobei Staat entspringen, sind sittlich anders zu werten, als jene, die einem und Gemeinden tatkräftig einzugreifen haben. Selbst­regellosen oder gar fäuflichen Geschlechtsverkehr ihre Ent- verständlich gehört es sich auch, daß die unehelichen stehung berdanken. Der in verschiedenen Ländern und Väter zur Pflichterfüllung energisch herangezogen werden. Gegenden übliche voreheliche Geschlechtsverkehr, dessen Sprossen Die Fürsorge für schwangere und entbundene uneheliche furz nach der Hochzeit zur Welt kommen oder, wenn sie früher Mütter, die planmäßige, dauernde Fürsorge für uneheliche da sind, später legitimiert werden, trägt nichts Unfittliches an Kinder bis zum Zeitpunkt, in dem sie sich selbst helfen können, sich und wird auch gesellschaftlich nicht als unsittlich angesehen. wozu eine sachgemäße Vormundschaft viel beizu­Es ist ein alter Erfahrungssag, daß gleich anderen so- tragen vermag, furz gesagt, die von kleinlichen Rücksichten zialen Erscheinungen auch die unehelichen Geburten abgesehen und sittlichen Vorurteilen freie Behandlung der unehelichen bon Veranlagung und gesellschaftlichem Einfluß im wesent- Geburten wird reiche Früchte tragen und manche wertvolle lichen auf wirtschaftliche Ursachen zurückzuführen Bestandteile unseres sozialen Körpers erhalten, die andernfalls sind. Die Erwerbs- und Lebensbedingungen der verschiedenen zugrunde gehen müßten. Bevölkerungsschichten sind mitbestimmend für die Höhe der Da eine Zunahme der Bevölkerung durch Vermehrung Die Frage der unehelichen Geburten, die von jeher im unehelichen Geburtenziffer. Da über den Beruf und die Ver- der Geburten für uns eine unabweisbare Notwendigkeit ist, Leben eines Boltes eine wichtige Rolle spielen, fann von mögenslage der unehelichen Väter keine ausreichende Statistik so wird sich im Laufe der Zeit ganz von selbst eine ver­fittlichen, wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten aus vorhanden ist, so kann sich die Ermittlung der wirtschaftlichen änderte Wertung der unehelichen Geburten durch­betrachtet und behandelt werden. Die Untersuchung dreht Lage nur auf die unehelichen Mütter erstrecken. Hier zeigt seßen. Schon heute beginnt die öffentliche Meinung damit, sich darum, festzustellen, wie die unehelichen Geburten vom sich nun, daß die weiblichen Personen aus den Unter dieser Frage gegenüber eine freiere, aufgeflärtere Stellung Standpuntte der Boltsstttlich teit zu werten schichten den überwiegenden Teil der unehelichen Mütter einzunehmen, und nur die verbohrten Sittlichkeitsfanatiker be­sind, welche wirtschaftlichen Ursachen ihnen zugrunde liegen stellen, und daß besonders jene Berufe in Betracht kommen, harren noch auf ihrem überlebten Standpunkt. Allerdings und welche Maßregeln zum Schuße der unehelichen Rinder in denen weibliche Personen neben männliche beschäftigt werden erscheint es wünschenswert, den unehelichen Geburten nach zu ergreifen sind. Auch ließe sich noch untersuchen, ob es oder in denen die Möglichkeit eines Geschlechtsverkehrs in er- Möglichkeit den Boden zu entziehen, ohne jedoch den reisen ivünschenswert erscheint und wie es ermöglicht werden kann, heblichem Maße besteht. Hier sind zu nennen die ländlichen weiblichen Personen die Möglichkeit zu nehmen, ihren Mutter­die Zahl der unehelichen Geburten zu vermindern. Diese und städtischen Dienstmädchen, die Fabritarbeiterinnen, Ver- beruf zu erfüllen. Es ist sicherlich besser, wenn Mütter und Frage verdient im Rahmen der nach Beendigung des Welt- fäuferinnen, Kellnerinnen usw., was sich vor allen Dingen Kinder im Kreise einer umfriedeten Familie ihr Dasein hin­frieges notwendigerweise neueinfegenden Bevölkerungspolitit aus der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Abhängigkeit, bringen, als wenn sie gezwungen sind außerhalb der ein weitgehendes Interesse. Um dies zu erreichen, müssen der größeren Möglichkeit einer Verführung und anderen Ehe ihr Leben zu fristen. Auf alle Fälle ist das Gebiet der unehelichen Frucht- sozialwirtschaftlichen Umständen erklärt. Auch schlechte Vorkehrungen getroffen werden, daß den geschlechtsreifen und barkeit eines der meistumstrittenen in der gegenwärtigen Zeit, Wohnverhältnisse, zumal das enge Zusammenleben Personen die Eheschließung Familien­weshalb sich seine Behandlung für jeden lohnt, der an dem von Personen männlichen und weiblichen Geschlechts, üben gründung erleichtert wird, damit sie Lust und Wohl und der Zukunft unseres Voltes Anteil nimmt. einen ungünstigen Einfluß aus. Daß hier von einer geringeren Liebe bekommen zu einer dauernden Verbindung. Gerade die Was zunächst die ftttlichen Seiten anbetrifft, fo Sittlichkeit gegenüber den Angehörigen der bessergestellten Zeit nach dem Kriege ist dazu angetan, in dieser Beziehung find sich die Fachleute nicht darüber einig, ob eine hohe Zahl Boltsschichten nicht gesprochen werden kann, braucht wohl nicht die Initiative zu ergreifen. unehelicher Geburten in einem Volte ein Zeichen von Un- erst hervorgehoben zu werden. Den unverheirateten Mädchen Wenn es auch niemals gelingen wird, die unehelichen Sittlichkeit ist oder nicht. Die Statistiker lesen aus der Zu- und den Witwen der Mittel- und Oberschichten stehen ganz andere Geburten gänzlich zu beseitigen, weil hierbei gefchlechtliche fammenstellung ihrer Zahlentabellen etwas ganz verschiedenes Mittel und Wege zu Gebote, um die Schande" einer un- Veranlagung, ein mehr oder minder start entwickeltes Ver­heraus. Während die einen der landläufigen Auffassung sind, ehelichen Geburt zu vermeiden, als den vom Schicksal minder- antwortlichkeitsgefühl, persönliche Neigung und andere wirt­Daß viele uneheliche Geburten einen Beweis bilden für einen begünstigten Geschlechtsgenossinnen, wobei besonders der schaftliche Verhältnisse mitsprechen, so werden doch bessere Liefstand der Boltssittlichkeit, behaupten andere geradezu, Druck der betreffenden Familien auf die Beteiligten, um den wirtschaftliche Lebensbedingungen viel dazu beitragen, das daß das Gegenteil der Fall sei, weil der außereheliche guten Ruf zu wahren, eine große Rolle spielt. Das alles hat Elend der unehelichen Mutter- und Kindschaft mit Stumpf Geschlechtsverkehr, der nicht ohne Folgen bleibe, auf eine natürlich mit der Sittlichkeit oder Unsittlichkeit nichts zu tun. und Stiel auszurotten.

Uneheliche Geburten.

Bon Franz auffötter.

Ahasver.

Eine Legende von Kurt Mored

T

Feuer; es schlang die Saaten, Wälder, Dörfer. Ahasver saß sich hörend, folgte er dem Heer der Männer, eingehüllt in die vor seiner Hütte und sah die Flucht der Bauern. Er sah Wolte ihres Staubes. Er wußte nicht, weshalb, er folgte Tierhorden brüllend vorüberwogen. Die Karren rollten auf ihnen, denn seine unendliche Wanderschaft war ohne Ziel. Bauern aus einem Dorf an der Grenze fanden ihn an der Landstraße in die Ferne. Tropig saß er auf dem Stein- Er wußte nicht, wie es tam, daß er bald in ihren Reihen einem Morgen schlafend in eine braune Erdfurche hin- fit seiner Feierstunden und wartete dem Kommenden ging, daß sie Worte an ihn richteten, daß er Antwort gab, geworfen. Der totige Bart zottelte ihm auf den Rock, der entgegen. Die Nacht dröhnte mit tausend Geschüßen sie Wasser und Brot mit ihm teilten und er nachts in fühler blutig und zerrissen ihn umschlotterte, als er aufstand. Eine aus allen Fernen, der Himmel glühte, daß die Sterne Ackererde zwischen ihnen schlief. Er folgte ihnen wie ein Wunde klaffte in seiner Stirn, um die Augen war Blut ge- schmolzen. In der zweiten Nacht flogen Feuerkugeln in das stumpfes, dumpfes Tier. Er lag mit ihnen in versumpften ronnen. Bevor er die Männer und Frauen sah, die um ihn Dorf und ein Wind warf die Flammen wie ein rotes Netz Gräben und ging mit ihnen in die Schlacht, er trug Blutende standen, starrte fein Blick auf den östlichen Himmel. Sein über alle Dächer. Da brannte auch Ahasvers Hütte in einer auf seinen breiten Schultern, auf seinen festen Armen, Toten grub das harte Bett der Erde Gejicht zuckte, feine harten Lippen bewegten sich knurrend. steilen Flamme gegen Himmel. Aufrecht in der Glut stand und Die Sonne lohte in Frühnebeln wie der Brand des Po- er, des Brandes heißen Atem über dem Gesicht, die Augen auf. In fein Geficht wuchs lächelnde Güte und aus groms, das ihn mit Blut übersprigt. Er zitterte vor dem ftarrend aufgebrochen von entsetztem Sehen. Dann, als die seinen Augen blühte ein Glanz, als sei eine mystische Not der Sonne, weil sie ihn an ein aus lebender Menschen- Mauern barsten und das Feuer zusammenfiel, drehte er sich Sonne in ihm aus den Klüften der Seele gestiegen. So ging brust gerissenes Herz erinnerte. Da warf ihn das Grauen langsam um und trat in den Staub der Landstraße, wandernd er über die Schlachtfelder. zu den Menschen. Er taumelte, finnlos von wieder ins Dunfle und Unbekannte, abermals vertrieben und unstet erwachtem Entfeßen, in auffaagende Arme. Aus seiner nach dem ewigen Fluche.

Hilf mir, Bruder...", weinte ein zerschmissener Mann aus einem Schmuhloch und hob matt die fotige Hand. Da stand Ahasver still und lauschte. Hilf mir. Bruder.

Stehle schrie es: Ich bin ber einzige, der entkam, Am anderen Lage tamen ihm graue Scharen von Männern denn ich bin der Ewige... Und aus seinem auf- entgegen, die singend und mit hellen Gesichtern gegen den Da kniete er hin bei dem Wunden. Sein Herz klopfte und gebrochenen Munde röchelte lange stumm der heiße Atem. Feind gingen. Ihr Schritt durch dröhnte ihn stärker, als sein er fühlte, wie der ewige Fluch von ihm genommen ward Sie führten ihn ins Dorf und meinten, Entsetzliches habe ihm eigenes erregtes Blut, hämmerte mit festen Schlägen sich in ihn durch diesen Anruf, wie er in die Brüderschaft der Mensch­den Sinn verwirrt. Er blieb, arbeitete und lebte in stiller hinein. Wieder stand er am Wege wie damals, als der Na- heit zurückgerufen ward mit diesem neuen Namen, der das Duldsamkeit, aber manchmal gingen feine Augen wie furcht- zarener das mächtige Kreuz an ihm vorüber zur Schädelstätte unselige Zeichen des alten auslöschte. Es war die Stunde bare Stometen über den Himmel. Die Menschen fühlten, wie trug und als für ihn die ewige Wanderung begann, die seiner Erfösung. dunkles Geheimnis sich in ihm verschloß. Nach einem Jahr maßlose Sühne dafür, daß in jenem Augenblick sein Herz Blutende und Sterbende, Leidende, die der Krieg aus baute er sich am Ende des Dorfes eine Hütte, vier Wände, leer war von Liebe und Mitleid, daß er den Hilferuf des den Scharen der Freunde und Feinde gerissen, haßlose Brüder barüber ein Dach. Ruhe war in seinem Blute und über verbrüderten Menschen aus den Qualaugen des Gemarterten aus der Gemeinde der Menschheit suchend, hat er irgendwo seinem Scheitel der Friede der Arbeit. Seine Hände waren nicht verstand. Tausend und wieder tausend Menschen zogen auf einem Schlachtfelde der Welt das Ende seines Weges ge­hart und knorrig geworden, denn er rang unermüdlich um jegt an ihm vorbei im bitteren Staub der heimatfernen funden. Mit leuchtendem Gesicht fahen ein paar Soldaten Segen mit der Erde. Still nach vollbrachten Tagen saß er Straße und der Schweiß der Mühsal hing wie eine Wolfe ihn stehen, aufschauend gegen den Himmel, an dem die Fahnen im Abend; das Mal an seiner Stirn glühte wie ein Zeichen. über ihnen. Unsichtbar trugen sie alle auf ihren zerbogenen des Abendrots wehten, während Blut aus seiner zerrissenen Aber eines Tages stand das unendliche Land hinter der Schultern das Kreuz zu einem fernen Golgatha. Ohne Atem Brust floß. Dann hob er die Arme einen Augenblick und Grenze auf und bewegte sich mit unermeßlichen Scharen von stand Ahasver , und das Weiß seiner Augen hing wie Monde in stand wie ein dunkles Kreuz über der Erde, um die seine Er Männern und Pferden gegen Sonnenuntergang. Die grauen feinem verdämmernden Gesicht. Und endlich zogen die letzten Füße das unendliche Netz ihrer Wanderung geschlungen. Heere schwollen zerstampfend über die gelbe Fruchtbarkeit an ihm vorüber. Er sah nicht, daß es wieder Nacht geworden sank zwischen die Toten, und als man ihn suchte, erkannte der Ebenen. Nachts lag der Horizont als ein flammender war und über den Himmel die grüne Blässe der Lichtlosigkeit man ihn nicht, denn sein Gesicht war dem ihren so gleich ge­Ring von Bränden. Mit den Heeren wanderte das fressende schauerte. Den rauschenden Schall tausendfacher Schritte vor worden, als seien alle Brüder.