35. Jahrgang. Nr. 21
Sonntag
Die Grenzen des Kinos.
Von Heinrich Schulz.
Beilage zum„ Vorwärts" Berliner Volksblatt
Zwei Zatsachen stehen in schroffer Gegensäglichkeit einander gegenüber: die ungeheure Anziehungskraft des Kinos und der leidenschaftliche Protest des Kulturmenschen, den der Zufall in das erste beste Stino führt.
So kurz die Lebensgeschichte des Ninos ist, so erfolgreich war sie bisher und so glänzende Aussichten bieten sich ihr für die Zukunft. Das empfindlichste Barometer für den Erfolg in der heutigen Gesellschaftsordnung, der Kurszettel, steht für das Kino dauernd auf beständig und auf Schönwetter; riesige Sapitalien bieten sich dem Lichtspielgeschäft an. Wissenschaft und Kunst stellen eilfertig ihre Dienste zur Verfügung, oft unter Vernachlässigung ihrer sonstigen Pflichten. Große Organisationen werden gegründet, um für Städte, Schulen und Voltsbildungszwecke das Lichtspiel möglichst vorteilhaft auszunuzen. Und das Publikum strömt, strömt, strömt unübersehbar.
Und die Kehrseite? Du gehst als fünstlerisch empfindender Mensch wobei diese Empfindung ebenso sehr das Ergebnis ernster Schulung wie ursprünglichen Instinkts sein fann in ein Kino, du hast an diesem und jenem deine Freude, am ehesten noch an den beiläufigen Kleinigkeiten der großen Programme, und dann kommt wieder und wieder der Abscheu mit Herrschgewalt über dich, dein ganzes Empfinden bäumt sich auf ob der Zumutungen, die die flimmernden Vorgänge auf der Leinewand an dich stellen, ob der plumpen, geschmacklosen Stoffe in aufdringlich pomphaftem Gewande, ob der psychologischen Unmöglichkeiten und Roheiten, ob der unglaublich stümperhaften dramatischen Handlungen. Du fühlst dich herabgewürdigt, daß du solchem sinn- und geistIosen Getue deine kostbare Zeit schenkst, du begreifst die Menschen nicht, die allabendlich stundenlang solche Geschmacklosigkeiten über sich ergehen lassen können. Und du fragst verzweifelt: wann wird der Retter kommen diesem Lande! Ich habe die beiden Gegensäte absichtlich frag nebeneinander gestellt, weil dadurch die äußersten Möglichkeiten und Grenzen des Kinos am besten angedeutet werden können. Ich weiß natürlich, daß es zwischen den äußersten Bolen zahlreiche llebergänge gibt. Ich weiß vor allem, daß du auch oft genug in einer Lichtspielaufführung figen fannst, die dir mannigfache Anregung bietet und in der das große Grauen nicht über dich kommt. Dort hat sich bereits von selber eine Art Ausgleich gebildet, der das Kino zu einem wertvollen Hilfsmittel der öffentlichen Unterhaltung und der fulturellen Gemeinsamkeitsarbeit macht. Aber dieser Ausgleich ist heute in den meisten Fällen leider noch ein Spiel des Zufalls. Es muß angestrebt werden, daß er zur Selbst verständlichkeit und Regel wird.
Von Front zu Front.
2us großer Einsamkeit, vom Krieg gefeltet, geht meiner Seele Sehnsuchtszug wo sich die Stadt ins Blachfeld bettet. So oft man mich zu Boden schlug, so oft hab ich mich hochgehoben und wagte neuen Sturz und Flug. Ich bin dem Arbeitsvoll verwoben, das fremdem Wert fief unterian, die tote Fahne hochgehoben.
Bor unserm Willen bricht der Wahn, der sich vor unserm Ziel verdichtet. Wir zagen nicht. Wir stürmen an. O ihr, wie hat man euch gerichtet! Beracht't, verlästert und verdammt: Doch feine Macht hat euch vernichtet! Denn wer wie ihr vom Feuer flammf, das Räder freibt und Schiffe schmiedet, frißt sich durch alle Nacht und flammt. Demokratie hält uns umfriedet, und wenn man uns dreifach zerteilt und in der fiefsten Hölle fledet. Wir sind unsterblich und es heilt an unserm Ceib die schwerste Wunde, weil ferne Zukunft in uns weilt.
Wir sind das Land, auf dessen Grunde das Reich der Menschheit aufersteht, anfwächst und wölbt in stolzer Runde. O ihr! wie ener Afem weht, ich fühle ihn, vom Blut begraben, ich fühl, wie ener Herzschlag geht! Noch frächzen winterliche Raben, Doch leiser Wind streift unser Haac, Daß sich die müden Sinne laben. Der Weg! Der Weg! Das Ziel ist flar. Mar Barthel( im Felde).
Vorgänge! Schöne Frauen in wunderbaren Kleidern, elegante Männer, aber auch alte Heren und schuftige Banditen, gerade so wie es die Handlung verlangt. Und die Handlung immer spannend, immer voller leberraschungen, tollster Abs wechslungen und aufregendster Einzelheiten. Immer irgend wo ein Schurke, der ein edles Menschenglück zu zerstören trachtet, immer dazu irgendwelche der modernsten technischen Hilfsmittel, stets das Auto, im übrigen das Schiff, das Pferd, das Flugzeug, das Luftschiff. Und wenn sich schließlich das Laster erbricht, setzt sich die Tugend zu Tisch.
Gewiß werden auch in dieser Beziehung Fortschritte gemacht. Die wissenschaftliche und künstlerische Forschung hat sich der Kinos angenommen und untersucht, worin hauptsächlich die Wirkung des Kinos besteht, was deshalb für Kinodramen stofflich und wie es darstellerisch zu behandeln ist. Da es dem Filmkapital auf eine Handvoll Geld mehr oder weniger nicht ankommt, hat es hervorragende Schriftsteller, Dichter und Schauspieler gegen fabelhafte Honorare und Gagen in seinen Dienst gelockt, die versuchen sollen, das dem Filmstreifen Gemäße zu finden, zu bearbeiten und darzustellen. Am besten ist hierbei das Phantastische und das Humoristische geglückt, weil bei beiden die technische Besonderheit der Kinematographischen Darstellung in günstiger Weise ausgenügt werden tann. Dinge und Handlungen, die in Wirklichkeit unmöglich dargestellt werden können, weil dazu sowohl die bühnentechnischen wie die rein menschlichen Voraussetzungen fehlen, die aber mittels der Kinotechnik in bera blüffender Weise darstellbar gemacht werden können, sie tommen für das Lichtspiel in Betracht. Dagegen entzieht sich alles eigentlich Psychologische der finematographischen Darstellung, alle Seelenvorgänge, die nur durch Worte wiedergegeben werden können und bei denen der Schauspieler durch Gesichtsausdruck und Haltung allenfalls nachhelfen, nicht aber überhaupt an die Stelle des Wortes treten kann. Weil das Kinodrama die hier vorhandenen unzweideutigen Grenzen nicht respektiert und den Zuschauer über das fehlende Wort durch grobkörnige Uebertreibung des Schauspielers in Mimit und Gebärde und durch eingeschobene Säge oder Briefe hinwegzuhelfen versucht, darum strogt es von psychologischen Unmöglichkeiten, von plumpsten Attentaten auf das entwickelte. oder ursprünglich vorhandene Stilgefühl des Kulturmenschen.. Das Lichtspiel ist eine unübertreffliche, wunderbare Er findung im Interesse der Wissenschaft und ihrer Populari fierung. Auf keine andere Weise können uns Bewegungsborgänge so deutlich vor Augen geführt werden wie durch das Kino, selbst nicht durch die unmittelbare Anschauung. Denn die Kinotechnik vermag die rasend schnelle Bewegung in der Natur oder Technik so zu verlangsamen, daß wir ihr zu folgen vermögen, und sie vermag umgekehrt die unendlich langfame Bewegung so zu beschleunigen, daß wir eine Vorstellung von ihr gewinnen können. Das Kino verdient deshalb für belehrende Zwecke aller Art jedwede Unterstügung. Für Schulen, Hochschulen, Vorbildungsanstalten aller Art muß es in Zukunft ein selbstverständliches Hilfsmittel sein.
und den unglaublich günstigen Voraussetzungen, die ihm dazu das Geschäftskapital geschaffen hat, wie wildes Unkraut überall geil in die Höhe schießt und den notwendigsten und Da Geld in der fapitalistischen Zeit alle Dinge bewegt, wertvollsten Kulturpflanzen den Boden verdirbt und Luft und so ist auch an sich nichts dagegen einzuwenden, daß es in Licht raubt. Sinounternehmungen gesteckt wird und dort Geschäfte zu Allabendlich siten Winters wie Sommers Hunderttausende, machen sucht. Hat das Kino Wert für die Deffentlichkeit, ja Millionen von Menschen vor der Leinwand und lassen die Das Lichtspiel ist ferner in uneingeschränkter Weise zu für die in Gemeinde und Staat organisierte Gemeinsamkeit, drámatischen Vorgänge auf sich wirken. Nur ein Teil von unterstützen, soweit es durch seine technische Eigenart humoso ist auch nichts dagegen einzuwenden, daß öffentliche ihnen ist kritisch und besitzt genügend innere Hemmungen, um ristische Wirkungen zu erzielen vermag. Ich habe erst vor Gelder für die Hebung und nutzbringende Verwendung des die ästhetischen und ethischen Unmöglichkeiten, die auf sie ein- furzem ernste, kritische Männer Tränen lachen sehen- und Rinos bereitgestellt werden. Es sollte sogar ein Bestreben dringen, abzuwehren und abzuleiten. Die meisten siten und ich selber habe mitgelacht, als in einer Vorführung für den Deffentlichkeit sein, im Lichtspiel nicht erst rein schauen mit Gier und Ungeduld wie sie sonst saßen und einen bestimmten Zwed diese Seite des Kinos zur Dar privatkapitalistische Interessen überwuchern zu Tassen lasen den neuesten Räuberroman oder die aufregende stellung gelangte. Allein schon die Beschleunigung oder Verwie beim Theater, too jetzt mühsam der Um- Detektivgeschichte! Nur ist es im Stino viel bequemer. langsamung von ganz gewöhnlichen Straßenvorgängen oder bau vom Geschäftstheater zum Stulturtheater vollzogen werden Sie brauchen nicht zu lesen, nur von Zeit zu Zeit stört ein das Ablaufenlassen des Filmstreifens von rückwärts, so daß muß. Gerade darin besteht eine Hauptgefahr des Kinos, daß erläuternder Text oder der unvermeidliche Brief die Hand- eine Handlung mit ihrem Ende beginnt und mit ihrem Anes infolge seiner im Verhältnis zum Theater und zu ähn- lung, sie brauchen nur zu sehen: richtige Menschen und fange schließt, kann urfomisch wirken. Es gibt in dieser BeTichen Einrichtungen überaus anspruchslosen Lebensbedingungen richtige Vorgänge. Und was für Menschen und was für ziehung unbegrenzte Möglichkeiten.
Jn der Lawine.
Bon Dr. Gustav Renter.
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abwärts glitt, glühte dann auf wie eine ungezählte Schar| sausen und verlöschen. Im nächsten Augenblick ein Pfiff des schwirrender Leuchttäfer. Stumm und bange arbeitete die zweiten Postens; auch seine Fackel erlosch, ein Windstoß Mannschaft, alle Minuten in die Höhe sehend, lauschend. von furchtbarer Gewalt stob hernieder, im Nu verAber es war Nacht, nur im engsten Umkreise leuchteten die schwanden mir alle Lichter der Arbeitenden, und nun Fackeln und warfen riesengroße, tanzende Schatten auf das Was nun fam, währte mir eine Ewigkeit und kann doch Die Lawine war abgegangen! So dachten wir zumindest, wüste Schollenfeld der Lawine. Etwa 100 Meter oberhalb nur gewesen sein, vielleicht eine Minute. Der erste Windstoß als zu unserer Stellung die Nachricht fam, daß eine Viertel- der Unglücksstelle hatten wir einen Posten aufgestellt, höher hatte mich in den Schnee geworfen. Sofort richtete ich mich stunde weiter unten eine Tragtierfolonne, die von der Lawine, auf dem Berge einen zweiten. Sie hatten die Aufgabe, beim wieder auf und watete, wühlte, schwamm unter den Hieben deren dräuende Schneewächten wir schon seit langem beob- Nahen einer zweiten Lawine Warnungszeichen zu geben. des nahen Todes durch den hohen, weichen Schnee einem achtet hatten, überrascht worden sei. Zwei Leute hatten sich und von der Arbeitsstelle weg traten wir Steiglein zu Latschenstrauch zu, der gerade im Lichtkegel meiner Laterne den eisigen Armen entwinden können, zwei Tragtiere und ein sicherem Terrain aus. So vergingen Stunden langfam- stand. Es ging nicht; ich habe in diesem Wettlauf mit der Mann lagen noch unter dem Schnee. Ein Mensch unter dem endlos langsam, wie keine Stunde meines Lebens. Von heranbrausenden Lawine den Kürzeren gezogen. So packte ich Schnee! Es ist ja vorgekommen, daß man Leute noch nach einigen oben leuchteten die Fackeln der Posten, hier brandete die mit der Linken ein Westchen eines Krummholzstrauches, mit Stunden geborgen hat. Warum sollte das heute nicht ge- rote Glut der Lichter über den Arbeitenden, die eine tiefe, der Rechten hielt ich instinktiv den Bickel hoch, so hoch als lingen? Also Hub die Mannschaft an, die Lawine planmäßig weite Grube ausgehoben hatten, um den Vermißten zu möglich, damit man vielleicht an der herausstarrenden Bickelumzugraben. Es war schon spät abends, als man begann. finden. haue später merke, daß da drunten etwas stecke, das doch Das letzte Tageslicht lag bleiern unter trübem Himmel auf Warum fiel es mir plöglich ein, zum ersten Sicherungs- auch so gerne im goldenen Berglicht geatmet hat. den Bergen; nun begann es auch von neuem zu schneien und posten hinaufzugehen. Warum gerade um diese Zeit? Rafft Nun toste und heulte es um mich, der Schein meiner der Wind stieß in langen, heulenden Atemzügen durch die der Wille zum Leben alle Kräfte, alle Instinkte im ent- Lampe fiel in ein wirbelndes Chaos von Weiß, nur Weiß. Wände. Die Nacht tam, eine Nacht, wie ich sie unheimlicher und scheidenden Augenblick zusammen, um sie als Waffe gegen Mir war, als ob ich in einer riesigen Trommel säße, die sich beklemmender noch nie erlebt habe. Es war in uns allen das die Vernichtung zu führen. Erzeugt dieser Wille zum Leben in unerhört schneller Bewegung um mich, mit mir drehte. Gefühl, als ob wir unter einem Dache arbeiteten, dessen im gegebenen Falle eine Vorahnung? Oder waltet doch eine Und nun warf mir der Tod noch ein Seil umt die Brust und morsche Säulen in der nächsten Minute auf uns niederbrechen Macht über uns, die unsere Bewegung gleich Marionetten zog zu, fest, immer fester die Luft blieb aus! Das war würden. Ein dunkles, rätselhaftes Etwas umflammerte uns an Fäden leitet- ins Verderben, in den sicheren Hafen? das Furchtbarste, dieser Augenblick, da ich merkte, daß der von allen Seiten, schien mit eisengepanzerten Wänden immer Ich habe später soviel darüber nachgedacht, mir mein eigenes Atem versagte, daß mir die Brust wie von einem eisernen näher zusammenzurücken, um uns endlich einzupressen, zu Handeln, den Grund meines Entschlusses zu erklären, und Schraubstock, langsam, aber sicher zugepreßt wurde. Da merkte zermalmen. Zweimal war ich zur Hütte hinaufgelaufen und bin zu keinem Ergebnis gelangt. Ich weiß heute nur das ich es gar nicht, daß der Schneestrom um mich schwoll und hatte ins Tal an die Kommandostelle telephoniert, hatte ge- eine: Wäre ich dort geblieben, wo ich die Stunden hindurch wuchs, daß er die Hüften, die Brust erreichte, an mir zerrte beten, die Nachgrabungen einstellen zu dürfen, da eine zweite stand, so wäre ich heute nicht mehr am Leben. So schritt und rüttelte, aber eben durch seine eigene Masse mich immer Lawine drohe. Unten hatte man ja teine Kenntnis von der ich denn hinauf, durch den tiefen Schnee watend, meine fester und sicherer eingrub. Ich hatte keine Luft! Einen Augenwahren Lage. Aber„ Weitergraben!" hieß der Befehl. elektrische Taschenlampe an der Brust befestigt, so daß ein blick ließ ich mein Aestchen los und riß mir Jacke und Hemd Glutrot in kleinem Kreise, weiterhin verdämmernd, be- schmaler, zitternder Lichtkegel vor mir hinglitt. Plötzlich ein auf, biß, schnappte nach Luft mit versagenden Kräften das leuchteten die Fadeln diese Szene. Hie und da fuhr der Dröhnen und Poltern hoch oben in den nachtdunklen Wänden, Ende, das Ende! Wind in die knisternde Lohe und sprühte sie aufwerfend zur ein gellender Pfiff, der vom obersten Posten niederglitt; dann Und plötzlich war alles borbei. Wie die letzten Akkorde Höhe. Und der. Schnee, der in großen, blumigen Flocken jah ich seine Fackel in weitem Bogen durch die Finsternis dieses graufigen Spiels waren, weiß ich heute nicht mehr.
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