1. Jahrgang. Nr. 72.

Donnerstag, 24. November 1921.

Sozialdemokrat

Bentralorgan der deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der tschechoslowakischen Republik.

Rebaltion und Verwaltung: Prag II., Savličtovo nám. 32.| Einzelpreis 70 Heller. Bezugsbedingungen: Bei Zustellung ins Haus oder bei Bezug durch die Bost monatlich 16-, Telefon 6795, nachts 6797. Telegramm- Abreffe: Sozialdemokrat Prag. vierteljährlich 48-, halbjährig 96-, ganzjährig 192. Für Deutschösterreich monatlid, 120- OK, für Deutschland 16- Mk. Postsparkassakonto 57544. Erscheint mit Ausnahme des Montag täglich früh.

Unser Berhältnis zu Deutschland .

Ein geplantes Attentat in Preßburg .

Das Zuchthaus in Lichtenburg. Mehrere Verhaftungen.-Ein städtischer Beamter begeht Unterschlagungen und will vor Reichstages erstatteten die Vertreter der Un

Im Untersuchungsausschusse des Deutschen dem Selbstmord ein Attentat ausführen. abhängigen und Kommunisten einen Bericht Der Umfang der letzten Rede des Herrn Preßburg , 23. November. ( Tsch, P.) Die Wilhelm Kaiser zu übergeben. Die Polizei über die Vorfälle im Zuchthaus in Lichten Ministerpräsidenten war im Gegensatz zu hiesige Polizeidirektion verhaftete den Dekono- hat diesen Tatbestand festgestellt, indem sie. Das Zuchthaus in Lichtenburg ist eine große burg, dent wir folgendes entnehmen: ihrer Klarheit ein sehr bedeutender, so daß miebeamten Bela Jalie vom Gute Bela dem Chauffeur, der mit der An- Strafanstalt, die mit mehr als 700 Gefangenen fie schon eine stattliche Broschüre füllen bei Komorn, den städtischen Beamten in Preß- zeige erschien, ein unschädliches belegt ist. Dede und fahl von außen, öde und könnte. Die drängende Fülle der Tages­ereignisse machte es unmöglich zu bespre burg Wilhelm Kaiser und den Beamten Dynamitfalsifikat übergab. Bei fahl im Innern ist die Anstalt nur zu sehr chen, wie die politische Vorgänge durch die ber Stollwerke Ladislaus Fekete unter dem Verhöre wurden Raiser auch Unter- geeignet, den Besucher mit Schaudern zu er füllen. Auf den weiten Höfen des Zuchthauses vielfarbigen Gläser Dr. Beneschs aussehen, der Beschuldigung, ein Attentat vorbe- schlagungen bei der städtischen Elektrischen steht nicht ein einziger Baum! Moderne Re­so nüßlich es auch wäre, was er sagte und reitet zu haben, Gleichzeitig wurden Bahn in der Höhe von bisher 19.975 Kronen formideen scheinen noch nicht bis nach Lichten. noch mehr: was er nicht sagte, näher zu Kaisers Eltern in Haft genommen. Der nachgewiesen. Da Kaiser die Aufdeckung seiner burg gedrungen zu sein. betrachten. Auf eines der bisher nicht ge- Vater Kaisers ist Führer der Preßbur- Unterschlagungen befürchtete, wollte er nach In diesem Milieu mag die Verzweiflung nügend gewürdigten Kapitel aus seiner ger magharischen Christlichso seiner Angabe Selbstmord begehen und nur zu leicht die Unglücklichen ergreifen, die Rede muß doch zurückgegriffen werden; es zialen. Durch die Untersuchung wurde fest- vorher ein Attentat entweder auf den zeit untergebracht sind. Die politischen Ge dort auf Jahre, auf Jahrzehnte, auf Lebens­geht darin nicht um eine Betrachtungs- gestellt, daß Bela Jalic vom Chauffeur Ar- Preßburger Polizeipräsidenten Sla- fangenen, durchwegs Männer, die sich an der weise, sondern um Fortwirkendes, um ein Stüd Bukunft unser aller und des Staates, pas Stedry Kilogramm Dyna- vicer, den Minister Dr. Micura oder kommunistischen Märzattion in Mitteldeutsch­furz, um Klarheit und Offenheit wahrlich mit oder Ekrasit event. eine Höllen den Ministerpräsidenten Dr. Be land beteiligt haben, hatten bis vor furzem immer noch die Hoffnung auf eine Amnestie. nicht belastete Rede des Ministerpräsidenten maschine für die Gesellschaft, welche lange nesch ausführen. Als sie am Sonnabend, den 12. d. M. erfuh­wird an der Stelle, da sie von den Bezies Hände" hat, beschaffen wollte, um sic ren, daß der Rechtsausschuß des Reichstages hungen zu Deutschland spricht, von orakel­die Amnestic abgelehnt hatte, verzweifelten sie hafter Dunkelheit. Es heißt da: Es ist na= völlig. 130 Gefangene beschlossen, in den türlich, daß unser Verhältnis zu Deutsch­Sungerstreit zu treten und führten diesen land stets durch unsere engen Beziehungen Beschluß durch. Wir haben alle Verhafteten Wien , 23. November. ( Eigenbericht des vor Gericht gestellt und bestraft würden. Es sprechen können. Nicht ein einziger hatte eine zum Westen und zum Often, sowie durch Sozialdemokrat"). Aus Budapest wird ge- wurde nun die Verhandlung plötzlich abgefagt lage über Behandlung, Verpflegung oder das Verhältnis des Westens und des Oftens meldet: Das Gericht von Szala- Egerszeg hatte und das Verfahren gegen alle Angeklagten Unterbringung. Alle hatten" nur" die eine zu Deutschland ſelbſt beſtimmt werden wird. heute über die Progrombanden urteilen sollen, eingestellt. Der Staatsanwalt hatte den Beschwerde: Die Gerichte hätten sie zu schlecht Bisher drückten wir dies durch die Formel durch welche am 9. Dezember 1919 in der Ge- Antrag gestellt, die jüngste Amnestieverord- behandelt, hätten die Stlaſſenjuſtiz gar zu er aus, daß wir uns in korrekten und loyalen meinde Diszel neun Juden ermordet und nung Horthys auf die Angeklagten anzuwen- barmungslos gegen sie angewendet. Beziehungen befinden." Wenn man in das Frauen und Mädchen vergewaltigt wurden. den und das Gericht war diesem Antrag bei- Werole der Hungerstreikenden, die uns von wirre Gestrüpp dieser Worte sich einen Weg Borige Boche hat das ungarische Telegraphen getreten.

Straflosigkeit für Mord in Ungarn .

zu bahnen sucht, so kommt ungefähr folgen- torrespondenzbüro gemeldet, daß die Mörder

Generalstreit in Triest gegen die Faszisten.

vielen Gefangenen zugerufen wurde, war: Freiheit oder Tod!

130 Gefangene find in den Hungerstreit g treten. 31 waren bereits vor unserem Ein treffen in Richtenburg in das Haupt- und Silfsgefängnis Torgan gebracht worden. Von

des zutage: die Tschechoslowakei nimmt zu Deutschland jenes Verhälnits ein, wie es ihre Beziehungen zum Westen( Frankreich ) und Osten( Polen ) bestimmen und dieses Verhältnis ist abhängig davon, was der Graz, 23. November. ( Tsch. P. B.) Der ohne elektrische Kraft ist. Im Hafen ruht die den in Lichtenburg Zurückgebliebenen hatten Westen( Frankreich ) und der Osten( Polen ) Generalstreik in Triest greift immer weiter unt Arbeit vollkommen. Auch die Drudereien den Hungerstreit aufgegeben. Etwa 36 selber für ein Verhältnis zu Deutschland fich. Die ganze Arbeiterschaft der Schiff 8- arbeiten nicht, sodaß die Zeitungen nicht erhielten weiter aus. Ein stilles Helden­tum! Bewundernswert jene Männer, die einnehmen. Das ist in dem dunklen Drafel- bauwerften und aller größerer Industrie- scheinen können. Zwischen Fasziſten und trotz aller Bemühungen der Behörden, der spruch des Herrn Dr. Benesch ausgedrückt, unternehmungen befinden sich im Ausstand, Kommunisten ist es an einigen Stellen zu weistlichen und der Aerzte immer wieder die ein Geständnis, von dem wir mancherlei ebenso jene der Gas- und Elektrizitätswerke, scharfen Auseinanderseßungen gekommen. Hinsicht schon verstehen, daß er es in mög- sodaß die Stadt ohne Strom, ohne Licht und

lich unverständliche Formen kleidet, denn

Aufnahme des Essens verweigerten! Ein Bei spiel an Opfermut für die gesamte Arbeiter. schaft!

In Lebensgefahr war anscheinend niemand

Dr. Benesch, der hierzulande gerne als natio- Oberschlesien gewiß so fremd ist, wie uns[ verſtändigen" seines Amtes: Oberschlesiens von den Gefangenen. Das ärztliche Mitglied naler Friedensbringer gelten möchte, weiß, etwa die Hochebene Tibets. Aus Oberschle- Industriegebiete wurden an Polen ausge- des Untersuchungsausschusses, Abg. Grotsahn daß es diesen von seiner ergebenen Presse sien waren Sachverständige nach Genf geliefert. ( SPD .) hat dies festgestellt. Die Streifen­ihm verliehenen Nimbus bei der deutschen kommen, aber bis zu den vier Allgewaltigen Seit dieser Zeit ist zwischen Dr. Benesch den waren zum Teil allerdings start geschwächt. Bevölkerung gründlich zerstören hieße, wenn vorzubringen, vermöchten sie nicht. Da tam und Polen eine heftige Freundschaft aus Aber jeder, den wir sprachen, war in der Lage, er diese Politik ohne Schminke vorführen Herr Dr. Benesch des Weges gefahren und gebrochen, die sich zuerst schüchtern dadurch zusammenhängend und ohne Schwierigkeit würde. Nicht nur daß dieses ungeschminkte bot sich als Vermittler" an. Herr Be- andeutete, daß die beiderseitigen offiziösen feine Situation zu schildern und seine Sache

Bekenntnis sein Heldentum und seine Un- nesch ist einer jener weitschauenden Staats- Nachrichtenbüros, welche vorbem sorgsam zu vertreten. Schmucklos und einfach war ihre abhängigkeit in sehr eigentümlichem Lichte männer, die immer nur ba8 Nächste alles sammelten, was die Verhältnisse des Rede. Um so ergreifender wirkte, wie uns schien, selbst auf das am weitesten rechtsstehen< erstrahlen ließe, würde es auch das Ge- sehen. Die Zukunft, die für die Tiche- anderen Staates herabzusetzen geeignet de Mitglied des Untersuchungsausschusses das ständnis bedeuten, daß Dr. Beneschs Poli- choslowakei nur in einem guten erschien, plötzlich eine Umgruppierung vor- traurige Los der Gefangenen. tit zugunsten Frankreichs ( des Westens) hältnis zu Deutschland liegen nahmen und Nachrichten" darüber ausga- Wir sprachen Gefangene, die lediglich wegen und Bolens( des Ostens) gegen fann, verspielt er, aber dafür jagt er ben, die besagen sollten, daß die beiden ihrer Teilnahme am offenen Stampf, wegen Deutschland gerichtet ist. Stum- umso begehrlicher nach einem Augen- Staaten in heißer Liebe für einander er- Requirieren von Lebensmitteln und Geld für perhafte Diplomaten mag solche Offenheit blicksgewinn." So faßt Theodor glühen. Deutschland hatte eine neue schwere bie Rote Armec" auf Jahre ins Zuchthaus zieren, Dr. Benesch, der geschworene Feind Wolff sein Urteil über die Vermittlertätig- Wunde empfangen, in der gemeinsamen gesteckt worden sind. Die meisten Gefangenen der Geheimdiplomatie dagegen weiß das in feit des Herrn Benesch in der oberschle- Freude darüber tauschten Benesch und Stir waren unbestraft, bis sie das Zuchthausurteil traf. Unerhört, daß man gegen solche Männer Wolfen von Dunst und Worten zu hüllen, fischen Frage zusammen und in der Tat: es munt Bruderküße, der Streit um Teschen die allgemein als entehrend empfundene Strafe damit ihm ein übelangebrachtes Geständnis wurde ein Augenblidsgewinn, der den war vergessen und in innigem Verstehen des Buchthauses festgesetzt und sie damit auf nicht die reise seiner inneren Politik störe. Ruhmesglanz Beneschs in den Augen seiner wurde zur Befestigung der neuen Freund eine Stufe mit gemeinen Verbrechern gestellt Wie könnte er dann auch von der Politit gläubigen Sonnationalen auffrischte, aber schaft der tschechisch- polnische Vertrag gehat. der Gerechtigkeit" und des dauernden was diese Erfolghascherei gegen die Zukunft schlossen, der aufs neue den Glanz des glor Bezeichnend war, daß in den Klagen der Friedens" gegenüber Deutschland faseln! bes eigenen Staates verschuldete, vermögen reichen Leiters unserer Außenpolitik vermeh- meisten dieser Schwerverbrecher" vor allemt Die Gerechtigkeit! Dr. Benesch führt nur fene nicht zu ermessen, bie im solchen ren sollte. Und die zu allem bereiten Zeitun- die Sorge um Frau und Kind eine Rolle sie ebenso gerne im Munde, wie die on- Haffe gegen Deutschland befangen sind, daß gen, in denen das Lob der erlesenen Staats- spielte. Diese Sorge noch im Zuchthaus zeigt solidation" und die Stabilisation"." Aber er sie für die Wahrnehmung der Wirklichkeit funft Benesche gesungen wurde, merkten am besten den edlen Charakter dieser Männer. Nach den Berichten der Gefängnisbeamten wie die Gerechtigkeit aussah, die er in Genf blind macht. Also Herr Benesch wußte in nicht, richtiger: durften nicht merken, waren die politischen Gefangenen zunächst in gegenüber Deutschland betätigte, als es Paris Einfluß zu gewinnen und der Böller- daß diese Staatskunst ein bedeutendes Stück zwei großen durch eine offene Tür verbun um die Entscheidung des Bölter- bunbsrat, bieser leibhaftige Hohn auf die der Zukunft des Staates verspielt hatte. benen Sälen untergebracht. Die während bundrates wegen wegen Oberschle- Gerechtigkeit und Unparteilichkeit, überließ Nun muß Herr Dr. Benesch. da er sich- des Zusammenseins der Gefangenen in diesen sien ging, darüber gibt das, was Theo- es ausgerechnet ihm, ben führenden Sach- tet, die Dinge in unverhüllter Nadtheit zu Räumen unternommenen Versuche, sie vont dor Wolff im Berliner Tageblatt" er- verständigen zu ernennen, zu welchem zeigen, Worte machen, Dunst erzeugen, Sungerstreit abzubringen, waren vergeblich. zählte, beredten Aufschluß. Der Völker- Amte Dr. Benesch seinen Freund, den Schaum schlagen und in dunklen Rebe- Die Gefangenen blieben feft, wie die Verwal bundsrat hatte vier Diplomaten, einen Generalsekretär des Verbandes der tschechi- wendungen das Orakel zu Delphi immitie- tung annahm, infolge des Terrors einzelner. Belgier , einen Spanier, einen Brasilianer schen Industrie, Herrn Ho bac, erwählte. ren. Doch er wird die Lösung seiner Rätsel- fangenen von einander zu trennen, traf Vor und einen Chinesen, die eigentliche Ent- und Herr Hodac waltete in Gemeinschaft sprüche nicht hindern. scheidung übertragen, obwohl diesen Herren mit einem zweiten gleichwertigen Sach­

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Man trat daher dem Gedanken näher, die Ge

bereitungen für die Aufnahme eines Teiles der Gefangenen in Torgau und ging daran, die