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3. Jahrgang.

Sozialdemokrat

Zentralorgau der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der tschechoslowakischen Republit.

Barlamentsbeginn.

Nach einer Pause, die beinahe ein halbes Jahr gedauert hat, tritt heute das Parlament zusammen. Wenn die Verfassung es nicht vor­schriebe, daß im Oktober das Parlament zu seiner regelmäßigen Herbstfession zusammen. treten müsse, so hätte die Regierung das Parlament wohl in einem noch späteren Zeit.

punkt einberufen. Bis zu Weihnachten stehen dem Abgeordnetenhaus und dem Senat etwa fieben Wochen zur Verfügung und in diesem Beitraum soll nun geradezu eine Unmenge ge­sezgeberischer Arbeit geleistet werden. Monate­lang hielt man das Parlament von der Er­füllung seiner gesetzgeberischen Aufgaben zurück, um dann wichtige, in das Leben des Staates und der Bevölkerung tief eingreifende Gesez­entwürfe in wenigen Wochen durchzuberaten

wenn man die Durchpeitschung aller Vor­Tagen noch eine Beratung nennen fann.

Dienstag, 30. Oktober 1923.

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Nr. 253.

Sturz der fächsischen Arbeiterregierung.

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Gewalt vor Recht.

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Ein Bollsparteiler Regierungstommiffär. Große Erregung im ganzen Reich.- Der Ruf nach dem Generalftreit.­Wahrscheinlicher Rädtritt der sozialdemokratischen Reichsminister. Nach Sachsen Thüringen und Braunschweig .

Bis zu Weihnachten muß das Budget für das kommende Jahr von Abgeordnetenhaus und Senat genehmigt sein. Man erwäge nur, den mit welcher Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit die Beratung des Staatsvoran­schlages in England oder in anderen demokra­tischen Staaten durchgeführt wird. Hängen dech mit dem Budget alle Fragen der Staats­verwaltung, alle politischen und ökonomischen Probleme des Staates zusammen, so daß den gewählten Gesezgebern die Möglichkeit ge­geben werden muß, an der Hand des Budgets bis in alle Einzelheiten der Staatsverwaltung einzudringen, dazu kritisch Stellung zu nehmen und vorhandene Schäden aufzudecken und zu beseitigen. Wie kann das Budget im Plenum und insbesondere im Ausschuß sorgfältig und gewissenhaft durch beraten werden, wenn diese Beratungen in einer so furzen Frist beendigt sein müssen? An die Stelle der Gründlichkeit tritt Oberflächlichkeit, an die Stelle der Ge­wissenhaftigkeit Gleichgültigkeit. Berlin

, 29. Oktober .( Eigenbericht.) Die Erregung der Arbeiterschaft über das Borgehen der Reichsregierung gegen Sachsen ist auch in Berlin ungeheuer. Der Ruf nach dem Generalstreit als Abwehrmaßregel gegen die überhandnehmende Realtion beschränkt sich durchaus nicht mehr auf die kommunistischen Kreise. Auch in den Reihen der Sozialdemo Iratie verlangt man, daß gegen die Regierung Stresemann die schärften Maßnahmen angetvendet werden sollen, um ihn zur Umkehr von seiner Politik zu zwingen, und es erscheint felbstverständlich, daß die in diesen Tagen zusammentretende Reichstagsfraktion den Rüd­tritt der Sozialdemokraten aus dem Kabinette Stresemann beschließen wird. Nach der Stimmung in den Parteikreisen zu urteilen, kann man schon jcht sagen, daß die Bestre­bungen einer Reihe von Parteigenossen in leitenden Stellungen, die Herausforderung der Sozialdemokratischen Partei durch den Reichskanzler in ein Kompromiß endigen zu lassen, teinen Erfolg haben werden.

Es hat ohnehin schon vielfach Befremden in der Partei erregt, daß die Parteigenossen in verantwortlichen Stellen des Reiches nicht sofort die Konsequenten gezogen haben; insbeson­dere versteht man es nicht, daß der Reichspräsident Ebert dem Reichskanzler die Ermächtigung zur Absehung der fächsischen Regierung geben konnte. Unrichtig ist allerdings, daß die fozialdemokratischen Reichsminister dieser Maßnahme zugestimmt hätten; fie hatten zwar erklärt, daß sie das Ausscheiden der kommunistischen Minister in Sachsen für not. wendig hielten, nachdem deren Partei zur gewaltsamen Auflösung gegen die Verfassung aufge­forbert hatte, sie warnten aber eindringlich vor der beabsichtigten Gewaltmaß­regel, von der nur unheilvolle Folgen für Sachsen und das Reich zu er. warten wären.

Die zentralen Instanzen der sozialdemokratischen Partei werden zu den Vorgängen in Sach­fen sofort Stellung nehmen. Der Vorstand der Reichstagsfraktion ist auf morgen mittag, die Frat­tion selbst auf Mittwoch einberfen worden. Die leitenden Körperschaften der Gewerkschaften veröffentlichen eine Erklärung, worin sie sagen, das schroffe Vorgehen gegen die sächsische Regie. rung stehe in solchem Widerspruch zu dem nachgiebigen Berhalten gege Bah­ern, daß es Zweifel an dem Willen, die Deutsche Republik gegen die Reaktion zu schüßen, aufkommen lasse. Die Funktionäre der sozialdemokratischen Partei Großberlins nch­men morgen abends zu den Vorgängen in Sachsen Stellung.

Das Reichslabinett ist heute abends zusammengetreten, um sich mit der innen- und außen­politischen Lage zu befassen. Dem Reichskommissar für Sachsen , Dr. Heinze sind für sein Vers halten Richtlinien gegeben worden; es heißt darin, daß er in Sachsen wieder verfassungs­mäßige Zustände herstellen solle. Es sei nicht vereinbar, daß Mitglieder einer Regierung zu Gelvaltmaßnahmen gegen das Reich auffordern und es sei deshalb erforderlich, cine neue Re­gierung zu bilden, hinter der die Mehrheit des Volkes stehe und der die Kommunisten nicht mehr angehören. Der Reichskommissär ist angewiesen worden, alle Bestrebungen zu unter­stüßen, die auf die Herstellung einer solchen Regierung abzielen. Die Genossen Wels und Dittmann bom sozialdemokratischen Parteivorstande und der Abgeordnete Fischer von den Demokraten sind heute nach Dresden gereist, um in dieser Richtung auf eine Neubildung der Re­gierung hinzuwirken.

***

Echtheit der Flugblätter ergeben, wäre die sozial­demokratisch- kommunistische Koalition in Sachsen wohl erledigt gewesen. Die sächsische Regierung wird gegen ihre Abseßung bei der Reichsregierung protestieren und die sofortige Einberu­berufung des Re.chsrates verlangen; außerdem wird sie versuchen, eine Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder zustande zu brin­gen. Der Landesvorstand der sozialdemokratischen Partei warnt trop der unerhörten Provokation bor unbesonnenen Schritten und Ein­zelaktionen. Der Bezirksvorstand für Ostjachien faßte eine Entschließung, in der er seine schärfste Mißbilligung darüber ausspricht, daß der Reichs­präsident Ebert seine Zustimmung zu dem Vor geh engegen Sachs engegeben habe; es wird der Ausschluß Eberts aus der Partei und der Rücktritt der Sozialdemokraten aus dem Reichskabinett verlangt. Die Organisationsvors Stände in 3 widau haben beschlossen, die Dilla­tur über Sachfen mit einem eintägigen Proteststreit zu beantworten. Die Selbst­regierung Sachsens wurde nun zunächst durch mi­litärische Gewalt erstickt. die Erregung unter der Arbeiterschaft bis zur Siedehike gesteigert. Difen und unverhüllt zeigt sich den Zweiflern, daß real­tionäre Kräfte im Zuge sind, die gesamte derische Arbeiterbewegung zu zertrümmern. Genen Thüringen und Braunschweig merken die nächsten Schläge folgen. Jekt miiffen alle Bedenken fallen; die Lage in Sachien erfordert die Frereifur fo fortiger Maßnahmen zum einheitlichen Ruiam menschluß und Handeln der gesamten deutschen werktätigen Bevölkeruna. nm die beffitändig uns acreditfertigten Gewaltstreiche ahanmehren. Bes mofft oder uncewollt hon her Martei, nahen reias niffe bon un absehbaren Folgen für das deutsche Proletariat aber auch für Deutschland .

Der neue Herr. Dresden

, 29. Oktober .( Wolff.) Nach einer Mitteilung der Staatskanzlei lehnt die sächsische Regierung die Aufforderung des Reichskanzlers zum Rücktritt a b. indem sie erflärt: Nur der sächsische Landtag ist legitimiert, die Regierung Sachsens abzuberufen; solange dies nicht ge= schieht, wird die sächsische Regierung auf ihrem Posten bleiben. Sie wird aber alsbald im Land­tage eine Entscheidung hierüber herbei­führen. Berlin

, 29. Oktober .( Wolff.) Der Reichs­ tag hat den früheren Minister Dr. Heinze zum Reichskommissär für Sachſen ernannt.

Die Regierung weicht der Gewalt. Dresden , 29. Oktober. Der neue Reichskom­

stunden dem bisherigen Kabinett zu überreichen und die Minister zu sofortigem Rücktritt auf ufordern. Diesen Auftrag führte Olbrich mit­tags zwischen 12 und 1 Uhr aus. Die Minister haben sich gefügt.

Dazu kommt noch, daß sowohl in der äußeren als auch in der inneren Politik eine Menge von Ereignissen eingetreten sind, die im Parlament unbedingt besprochen werden müssen. Ueber die leßte Reise des Präsidenten sowie des Ministers des Aeußern nach Paris, Brüssel und London ist die Regierung dem Parlament Rechenschaft schuldig, sie muß be­kennen, welche Verpflichtungen die Tschechoslo­ wakei hiebei eingegangen ist, da die Folgen dieser Verpflichtungen über das Wohl und Wehe der Bevölkerung entscheiden. Ebenso muß die Regierung in den Fragen der inneren Dresden , 29. Oftober.( Eigenbericht.)| auch von den kommunistischen Ministern, heraus­Politik Rede und Antwort stehen und wird der Landtag, sämtliche Ministerien und andere gegeben worden waren, zum Widerstand gegen ihr Verhalten während des Bergarbeiterstreiks öffentliche Gebäude wurden militärisch bescht und General Müller aufgefordert wurde. Der Re­dem Parlament gegenüber zu verantworten die Reichswehr zicht kriegerisch durch die Stra- gierung selbst fonnte nichts Verfus­haben. Ben; fein Laut des Mißfallens oder des Beifalls ungswidriges nachgewiesen werden. In Werden also die politischen Debatten schon unter den erregten Vollsmassen ertönt. Das alles dem Flugblatt wird General Müller kritisiert und ein paar Tage in Anspruch nehmen, so wird geschieht, weil in Flugblättern und Plakaten, die zur Aufstellung neuer Hundertschaften und Al- missär Dr. Heinze hat den Hauptmann im Wehr­angeblich vom tommunistischen Landesvorstand lionsausschüsse in den Betrieben aufgefordert. freiskommando Olbrich beauftragt, sein Beglau­die Zeit, die der Beratung des Budgets ge- und der kommunistischen Landtagsfrattion, also hätte sich bei den späteren Verhandlungen die bigungsschreiben heute in den ersten Nachmittags­widmet werden soll, noch eingeengt dadurch, daß sich das Abgeordnetenhaus und der Senat zERY) 12522- RG91022 vor die Notwendigkeit gestellt sehen wird, eine session noch eine besondere Aufgabe zu erfüllen, Regierungsmajorität zu erfüllen nicht ge­Reihe von Gesezen, deren Gültigkeit mit auf die die Augen der Bevölkerung, insbe- willt ist. 31. Dezember 1923 abläuft. zu verlängern. sondere der arbeitenden Bevölkerung, gerichtet Das traurigste bei all dem ist, daß sich Für die Arbeiterschaft von Wichtigkeit sind find. Es ist dies die Geseßwerdung der Sodas Parlament selbst um das Ansehen bringt. Der Landtag darf nicht tagen. hier insbesondere das Gesetz über die staat zialversicherung. Die Beratung der das jedes Parlament braucht, um für die Be­liche Arbeitslosenunterstüßung Sozialversicherungsvorlage ist wie wir un- völkerung nußbringende Arbeit leisten zu kön- Dresden , 29. Oktober. Wie uns mitgeteilt sowie das über die Krankenversiche längst hier im einzelnen nachgewiesen haben nen. Soll die Demokratie nicht bloß in der wird, hat der Generalleutnant Müller in Aus­rung. Wo soll angesichts dessen Zeit und bewußt verschleppt worden, der Stand der Verfassung festgelegt, soll sie nicht nur auf dem übung der Vollzugsgewalt den Zusammentritt des Muße gefunden werden, all diese wichtigen Ge- Frage ist beim Zusammentritt des Abgeord- Papier stehen, sondern wirklich und wahrhaftig Landages bis zu seiner etwaigen Einberufung sebesvorlagen ordnungsgemäß zu verhandeln netenhauses derselbe wie zu der Zeit, als das lebendig gemacht werden, dann darf man das durch den Reichskommissär Dr. Heinze ver­und fachlich zu bearten? Die Majorität des Parlament in die Ferien gegangen ist. Der Werkzeug der Demokratie, das aus allgemeinen boten. Die nächste Sitzung des sächsischen Land­Parlamentes hat schon im vorigen Jahr mit Sozialversicherungsausschuß sollte permanent gleichen Wahlen hervorgegangene Parlament tages sollte nämlich morgen( Dienstag) statt­einem heuchlerischen Augenaufschlag betont, daß tagen, das Abgeordnetenhaus sollte ein fertiges, nicht so behandeln, wie es die heutigen Macht- finden. Durch das Verbot wird es der Regierung unmöglich gemacht, unter dem Schutz der Ji­solche Expreßberatungen, wie wir sie mitge- bis ins einzelne durch beratenes Elaborat vor haber tun. Ein besserer Schuß für das Parla- munität gegen die letzten Ereignisse zu protestieren. macht haben und die eines Parlamentes un- finden nichts von all dem ist geschehen. Es ment als das Schußgesep wäre es, wenn die würdig sind, künftighin verhindert werden ist kein Wunder, wenn die Bevölkerung trok Regierung es dem Parlament überhaupt er- Das neue System: es regnet Verbote. müssen. Statt daß es besser wird, aller Beteuerungen der Regierungsabgeord möglichen würde, ernste, sachliche, der Bedeu- Dresden, 29. Oktober. Nach Mitteilung des wird es immer schlechter. Die Reit, neten, daß die Sozialversicherung am 1. Jän- tung der zur Beratung gelangenden Gesetzes- Reichswehrkommandos sind politische Versamm die heuer der Beratung des Budgets, den ter- ner 1924 Gefeßestraft erlangen wird, an die vorlagen entsprechende Arbeit zu leisten. Wür- fungen jeder Art bis auf weiteres verboten. Das minierten Vorlagen und den Fragen der äuße Erfüllung dieser Zusage nicht glaubt und sich diger als durch bunte Fahnen und geräuschvolle Erscheinen der tommunistischen Presse wurde un­ren und inneren Politik gewidmet sein wird, die Ueberzeugung in den Massen immer mehr este feiert man die Demokratie durch eine terbunden, um die Ruhe und Ordnung aufrecht wird noch geringer sein als voriges Jahr. festigt, daß hier ein schnödes Spiel getrieben schöpferische Gesezgebung zum zu erhalten; die Drudereien wurden beseßt. Dabei hat das Parlament in der Herbst- wird, daß Hoffnungen erweckt werden, die die Wohle der werftätigen Bevölkerung. ginnen.

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