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4. Jahrgang.

So, demokrat 00

Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der tschechoslowakischen Republit.

Streit um Wilson.

Es hat in der neueren Geschichte wenig Menschen gegeben, auf die das Dichterwort vom Charakterbild, das von der Parteien Haß und Gunst verwirrt, in der Geschichte schwanke, eine so richtige Anwendung finden konnte, wie dies bei Woodrow Wilson der Fall ist. Neben diesem Haß und der Gunst läuft offenkundig das Bestreben der Extremen auf beiden Seiten, Wilsons Charakterbild politisch zufruftifizieren. Beide Teile betreiben Geschichtsklitterung ärgster Art und beider Treiben wirft in gleichem Maße widerlich. An jeinem offenen Grabe ist der schon früher um und gegen ihn eröffnete Streit aufs neue ent­brannt; die einen stellen ihn als den bewußten Betrüger hin, der seine berühmten 14 Punkte nur ersonnen habe, um damit das deutsche Volk zu entwaffnen, die andern feiern ihn mit einer Inbrunst, als wäre Wilson ein Stück von ihrem ureigensten Herzen, und als wäre mit Wilson ein Prager ihrer Ideale dahingegan­gen. Es sind die Nationalisten von beiden Sei­ten, die deutschen und die tschechischen, die ihn so grundverschieden beurteilen. Ihr Urteil über Wilson richtet sich je nach ihrer Einstellung zu den Friedensverträgen. Beide sehen ihn, aller geschichtlichen Wahrheit zum Troß, als den Echöpfer der Friedensverträge an. Darum ver­donnern ihn die deutschen Nationalisten und senden ihm Flüche ins Grab nach, und aus demselben Grunde streuen ihm die tschechischen Chauvinisten Rosen auf seinen letzten Weg.

Fre tag, 8. Feber 1924.

Die außenpolitische Aussprache

im auswärtigen Ausschaffe der Abgeordnetenkammer.

Am gestrigen Tage wurde im auswärtigen nicht sympathisch ist. Das heutige Regime Ausschusse des Abgeordnetenhaus s die Debatte Ungarns bietet teine Gewähr dafür, daß die über das Exposee Beness abgerollt. Den Stand- finanziellen Hilfsmittel tatsächlich zu Sanierungs punkt unserer Partei präs sierte Genosse Cer- weden verwendet werden. Stivin kritisiert die der die Entwicklung der tschechischen ungarischen Verhältnisse und weist auf die von Außenpolitik seit fünf Jahren in groben Um Horthy in Szene gefeßten Sozialistenver rissen stizzierte und darauf hinwies wie Europa folgungen hin. Ueber die Arbeiterregierung von den Gedanken Wilsons auf die Poincarés in England sagt er, daß die Art ihrer Regierungs gekommen ist. Redner stellte auch die Frage funst richtunggebend sein werde für die Geltend­Was hat der Außenminister unternommen, um machung der politischen Bestrebungen der Ar­die Geheimdiplomatie zu beseitigen?" und sage beiterschaft aller Staaten. Er erhofft schließlich auch gleich:" Es gehört Optimismus dazu in een Fall des nationalen Blocks in Frankreich und der Tschechoslowakei die Abschaffung der Ge- den Antritt einer Linksregierung. heimdiplomatie zu verlangen, wo doch im In­nern die Diplomatie der Pětka arbeitet."

Der tschechische Gewerbeparteiler Pasthřit ist für die Anknüpfung normaler Beziehungen zu Rußland .

Von den Ausführungen der Redner der Koalition waren die Stivins und Kra mars bemerkenswert. Der tschechisch- sozial Der Kommunist Stalak glaubt, daß es in der demokratische Sprecher wandte sich energisch Beit vor dem Kriege mit Ausnahme des Ver­gegen die Unterstützung der russischen monarchi- hältnisses Montenegros zu Rußland keinen Fall fischen Emigranten und Kramar ritt fein altes einer solchen Abhängigkeit eines Staates vom Stedenpferd:„ Die Sowjets, die im entscheiden andern gegeben habe, wie es das Verhältnis der den Momente die Nation verraten hätten, dür- Tschechoslowakei zu Frankreich iſt. fen nicht anerkannt werden!" Auch Hajn, der sveite Nationaldemokrat im Außenausschuß, meldete sich nach der Replik Beness in demon­strativer Weise zu einer ähnlichen Erklärung zum Worte. Das Exposce Beness wurde, wie nicht anders zu erwarten war, von der Mehr verlas zunächst folgende heit genehmigt. Nachstehend der Bericht über den Verlauf der Sigung:

Unser Standpunkt zum Bezirage. Der nächste Redner,

Genosse Germak

Erklärung:

Bezugs Bedingungen: Bei Zustellung ins Haus oder bel Bezug durch die Post: monatlich.. Ka 16.­

vierteljährlich

halbjährig

ganzjährig.

48.­

96.­

192.­

Radftellung von Manu­tripten erfolgt nur bei Ein Sendung der Retourmarten.

Erscheint mit Ausnahme des Montag läglich frith.

Nr. 33.

fratischen Abgeordneten entschiedenste er­wahrung cin.

Wenn wir trotzdem an der weiteren Verhand­lung des außenpolitischen Exposees teilnehmen, so vor allem aus dem Grunde, um di. Darlegun­gen des Herrn Außenministers nicht unwider­sprochen zu lassen und um zu verhindern, daß etwa durch den Ausfall der Stellungnahme unserer Partei ein falsches Bild von der Meinung der deutschen arbeitenden Klassen über die tsche­choslowakische Bündnispolitik entsteht.

Diese Erklärung habe ich namens unseres Klubs abzugeben.

Genosse Cermat bemerkt zum Exposec, daß. der etwas nervöse und agressive Ton aufgefallen ist, den wir bisher in den Reden unseres Außen. ministers nicht zu hören gewohnt waren. Es ist dies eine neue Erscheinung, die erst durch die gestrige Rede und durch den Begleittegt der offi­hiebei auf die Schreibweise der Prager Presse" ziösen Presse geschaffen wurde, Redner verweist

daß sich immer mehr in unserer Außenpolitik das System herausgebildet hat, daß jeder, der eine andere Meinung vorbringt, schon im vor­hinein niedergetrampelt und verdächtigt wird. Es ist überhaupt nicht möglich, hier Opposition zu treiben, es ist nicht möglich, eine andere Meinung zu vertreten, man wird sofort Staats­feind oder Ignorant gescholten.

Von Wilson zu Poincare .

Vergleicht man das Exposee mit den früheren Ausführungen der tschechischen Politiker und des Außenministers selbst, so zeigt sich, daß aile großen Ideen und Konzeptionen der Jahre 1918 und 1919 verschwunden sind. Nach 5 Jahren tschechoslowakischer Mußenpolitik stehen wir am Grabe der neuen politischen Ideen. Der Be­völkerung tommt flar im Bewußtsein, daß in der Form der Beziehungen der fapitalistischen Staaten faum irgendwelche Veränderungen vor sich gegangen sind.

Entgegen dem mit großer Mehrheit gefaßten Beschluß hat gestern der außenpolitische Ausschuß, welcher sich wenige Minuten vorher für die Ber­legung des Exposces des Herrn Außenministers in das Plenum des Abgeordnetenhauses ausge­sprochen hatte, das Exposee und seine Berhand­Im grauenbollen Weltkrieg verkündete ein lung im Ausschuß zugelassen, ja sogar über Ant­treg eines Mitglieds der Soalitionspartei direkt großer der Menschheitsgeschichte, der eben ver­herbeigeführt, und so seine eigenen Bestorbene Präsident der Vereinigten Staaten , schlüsse desavoniert. Gegen diesen der Wilson , in seinen historisch denkwürdigen parlamentarischen Würde widersprechenden Vor­gang legt der Klub der deutschen sozialdemo

hinier fr azosischen Bajonetten.

Der erste Redner war der tschechische Sozial­Es war der Geist dieses deutschen Natio- demokrat Stivin, der die Nachrichten, von einer nalismus, der zu der Taktlosigkeit führte, die geheimen Militärfonvention mit Frankreich als in den letzten Tagen in New York und in Zeitungsenten bezeichnete. Die tschechische ganz Amerika heftigen Unwillen hervorries. Sozialdemokratie lehnt Militär­Die deutsche Botschaft in New York ließ nach die tschechische Sozialdemokratie bildet heute die fonventionen grundsätzlich ab und Wilsons Tod auf ihrem Gebäude die Fahne stärkste Stüße der Regierung. Diese zwei Tat­nicht auf Halbmast hissen, wie es alle übrigen fachen genügen zum Beweise dessen, daß die Ne­Botschaften taten. Erst über Einspruch des gierung eine Militärfonvention nicht abschließen Washingtoner Kommandanten der amerikani- kann. Stivin gesteht weiter ein, daß die vierzehn Punkten eine neue Rechtsordnung für schen Legion Quinn und über Intervention in Sanierung Ungarns seiner Partei das Zusammenleben der Völler. Was ist aver aus all den deen des großen Mannes geworden? Berlin schloß sich die deutsche Botschaft den Bei den Friedensverhandlungen wurde der Trauerkundgebungen der übrigen diplomati­amerikanische Staatsmann und Philosoph von schen Vertretungen an. Die deutsche Reichs- als wäre der Tote von Washington einer von und des dauernden Friedens der Welt war. den gerissenen Diplomaten der alten Schule an regierung suchte diese Taftlosigkeit mit den An- ihnen, ein Teil ihres Wesens, ein Abglanz ihrer Aber er wollte doch auch die Beseitigung der die Wand gedrückt, seine Gedanken wurden ver griffen der deutschnationalen Presse zu recht selbst. Pathetisch, aber recht unvorsichtig, er- Geheimdiplomatie! Ist die Tschechoslowakei in zerrt und verhöhnt, als ein geschlagener ist er fertigen, denen sie wegen ihrer Beileidskund innert die tschechischnationale Presse an die diesen Bahnen gewandelt? Er wollte mit seinen nach Amerifa zurüdgekehrt. Sein politischer und gebung an Frankreich anläßlich des Zugrunde- heiße Liebe und Verehrung, die Wiljons Name 14 Punkten und mit dem militärischen Ein- persönlicher Zusammenbruch ist die Symbolik der ganges des Luftschiffes„ Dirmuiden" ausgesetzt in der ersten Zeit nach der Proklamierung des greifen Amerikas die Einschränkung der Rü gauzen Tragit unseres Europas , von den Fric war und deren Wiederholung sie durch die Un- tschechoslowakischen Staates bei jedem einzel- tungen und die Anwendung des Grundiaßes densverhandlungen angefangen bis zu hentigen terlassung einer Trauerfundgebung für Wilson nen Volksangehörigen fand und wie freudig der Gerechtigkeit für alle Völker und Natio- Tag. Das Europa von heute trägt keine Spur Europas von Wilson, Europa ist auf Poin verhindern wollte. Damit hat die deutsche Re- sein in allen Auslagen prangendes Bild be- nalitäten herbeiführen. Haben die Machthaber care gekommen. Mit dem Gedankenfing gierung ihr Vorgehen als nur noch ärger er- trachtet wurde. Das ist unvorsichtig, weil es in diesem Geiste gehandelt? Saben sie dem Wilsons sind Sie zu den Mehrheitsparteien ge= fennen lassen, da sie so offen ihre Abhängigkeit eine andere Erinnerung weckt, nämlich die, wie Recht, das allen Völkern unter gleichen Be- wendet) in den Kampf um die nationale Be von den Hakenkreuzlern und Völkischen , die rasch, auch äußerlich, diesem Aufflammen der dingungen Freiheit und Sicherheit ihrer une freiung ausgezogen, jetzt halten Sie beim Schutz allen Geboten internationaler Höflichkeit und Wilsonbegeisterung das Vergessen folgte. Je gehinderten Entwidlung im Sinne Wiljons Anständigkeit ins Gesicht schlägt, einbekannt weiter damals die Friedensverhandlungen in zusprach, Geltung verschafft? Nichts davon! hat. Selbstverständlich mußten auch unsere den Pariser Vororten fortschritten, und je einheimischen Deutsch nationalen flarer es wurde, daß Wilson seine 14 Buntie ihrem Haß gegen Wilson sofort Ausdruck geben. ernst nahm und sie, wenn auch mit unzureichen Als in der vorgestrigen Sitzung des äußeren den Mitteln, durchsetzen wollte, Punkte und Ausschusses des Abgeordnetenhauses der Vor- Grundfäße, die dem jäh erwachten Appetit der sitzende sich erhob, um Wilson einen Nachruj neuen Machthaber Einhalt zu gebieten drohten, zu halten, verließen unter Lodgmans Führung desto mehr erkaltete das warme Fühlen für den die Deutschbürgerlichen, darunter ein katholi: verstiegenen Idealisten", der die Demokratie scher Priester, das Beratungszimmer. Durch und nationale Gerechtigkeit nicht so verstehen solche Heldentaten, die doch nur Noheitsakte wollte, wie es den vom Siege berauschten Frie­des entarteten Nationalismus find, glaubt diese densviktatoren entsprach. Zugleich mit der Re­bornierte, haßerfüllte Gesellschaft dem deutschen duzierung der Liebe für England und Amerika Volfe zu dienen, während sie in Wirklichkeit erfolgte auch die Abmontierung der Vorliebe nur seinen Namen beschmußt und es bei an für Wilson, und dies um so mehr, als in den deren Nationen verhaßt macht. genannten Ländern die Erkenntnis um sich Eine umgekehrte Taktik beobachten bei griff, daß man sich bei den Friedensverträgen nicht aufkommen konnte. Was als Wilsons Wilsons Tode die Tschechisch nationaübernommen hatte, und daß sie einem Schnitt Schuld bezeichnet werden muß, das ist, daß er len. Wenn sie Wilson nur als einen der Väter ins eigene Fleisch gleichkamen. Seit Jahren die politischen Triebkräfte und Methoden der des tschechoslowakischen Staates feiern würden, war hierzulande der Name Wilson so gut wie fapitalistischen Gesellschaft nicht verstand und wäre das verständlich, denn Wilson fommt verschollen, nur hier und da zeugt ein Bahn- in menschlicher Schwäche der ihm in Ränken sicher das größte Verdienst an der Schaffung hof oder eine Straße, nach ihm benannt, von und Kniffen überlegenen Diplomatie der euro­ päischen Siegerstaaten unterlag. Darum ist der Selbständigkeit des tschechischen Volkes zu, entschwundener Pracht. Erst sein Tod hat Wilsons Namen den aber nicht schlecht, was er gewollt und sicher das er, wie alle anderen Völker und Volksteile aus nationaler Bevormudung erlöst sehen Tschechischnationalen wieder ins Gedächtnis ge- ehrlich erstrebte. Wiljons Ideen wird die ge­wollte. Doch im Eifer gehen die tschechischen bracht, und sie erinnern sich nicht nur daran. schichtliche Notwendigkeit wieder einmal in den Nationalisten weiter, fie reklamieren den gan- daß er an der Schaffung dieses Staates das Vordergrund stellen, weder zur Freude derer, zen Wilson für sich, dessen Ruhm als Bahn- Hauptverdienst trage, sondern, daß er auch der die ihn heute zu politischen Zäuschungszwecken brecher der nationalen Gerechtigkeit und demo- gerechte Schiedsrichter der Welt", der Kün überschwänglich verherrlichen, noch jener, die kratischen Freiheit sie mit Emphase tünden, der des Selbstbestimmungsrechtes der Völker" ihn aus denselben Gründen verunglimpfen!

Wenn sich diese Gattung von Nationalisten auf Wiljon beruft und ihm Stränze flicht, so ist dies feine mindere Schmähung seines Namens und seiner Ideen, als wenn ihre nationalen Gegen­füßler unter den Deutschen durch zynische De monstrationen an seinem Sarge sich wie miß­ratene Buben benehmen.

Der Streit um Wilson beweist nur, wel­ches Maß von Gerechtigkeit und Einsicht dem Nationalismus auf beiden Seiten innewohnt. Er verdient weder die Schmähungen der einen, noch die Lobhudeleien der andern, die es mit Freuden sahen, als er in Paris gegen die ge­rissenen, geriebenen und in allen Sätteln ge­rechten Verireter der imperialistischen Sieger

Wie steht es mit der Erfüllung jener Forde rung Wilsons, die es als wichtigste an die Spitze gestellt hat und die zu erreichen, auch Zehniqu jende tschechischer Legionäre ihr Leben auf der blutigen Walstatt ließen, daß nämlich die Diplo matie immer offen und vor aller Welt getrieben werden soll! Was hat der Herr Außenminister unternommen, um dahin zu wirken, daß die Geißel der Menschheit, die Geheim­diplomatic, beseitigt wird. Redner weiß, daß die Tschechoslowakei nicht allein neue Methoden in den Verfehr der Staaten einführen kann. Herr Dr. Beneš aber ist ein vielgereister Mann; er wäre aljo eigentlich verpflichet, der Be­völkerung dieses Staates darüber Rechenschaft ab­zulegen, welchen Ursachen es zuzuschreiben ist, taß von einem Abbau der Geheimdiplomatie feine Spur wahrzunehmen ist.

Freilich, in der Tschechoslowakei gehört ein großer Optimismus dazu, zu verlangen, daß die Wethoden der Geheimdiplomatie im auswärtigen Verkehr nicht zur Anwendung gelangen sollen, da wir doch auch in der inneren Politit, in diesem Par­lamente, an Oeffentlichkeit von Verhandlungen nicht gewöhnt sind. Die Demokratie erfährt hier ihre Starikatur in der Pětka". Die öffentlichen Verhandlungen in der Nationalversammlung find nur eine Kuliffe für die tatsächlichen Entscheidun gen der geheimen Konventifer.

den bereits erfolgten Abschluß des tschechoslowa­Wir protestieren auf das leidenschaftlichste gegen risch- französischen Vertrages unter Umgehung der flaren Bestimmung der Verfassungsurkunde.