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4. Jahrgang.
K a
50 ldemokrat
Zentralorgan der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der tschechoslowakischen Republit.
Seid demütig und bescheiden!
Donnerstag, 18. September 1924.
Ein Provisorium für zwei Monate. Zehn Prozent Lohnerhöhung.
Der Kardinal Fürstbischof Bertram von Breslau hat, wie in den flerifalen Blättern rühmend hervorgehoben wird, eine Kundgebung veröffentlicht, die sich mit der Arbeiter frage befaßt und von der die klerikalen publi- von 7100 auf 8500 Stronen pro Stunde sowie eine generelle Lohnerhöhung von zehn zistischen Herolde behaupten, daß sie auch in der Tschechoslowakei Würdigung verdient. Wir schließen uns dieser Meinung an, denn die fürstbischöfliche Kundgebung ist geeignet, über das Wesen der Kirche und ihrer Repräsentanten, über ihre Stellung zur sozialen Frage und über die Rolle, welche sie den Arbeiten zumuten, wertvolle Aufschlüsse zu verbreiten. Wie der Herr Fürstbischof jagt, sind an die diesjährige Fuldaer Bischofskonferenz zahlreiche Selagen aus Kreisen der Arbeiterbevölkerung über Mangel an Berücksichtigung gerechter Anforderungen der Arbeiter durch manche Gruppen von Arbeitgebern eingelangt. Die Bischofsfonferenz beschäftigte sich mit diesen Klagen der Arbeiter es kann sich natürlich nur um Herifale Arbeitergruppen handeln und das Ergebnis, das einzige Ergebnis dieser Beratungen ist die fürstbijschöfliche Sundgebung, die nichts ist als ein frommes Gefalbader an die Arbeitgeber und an die Arbeiter! Wenn aljo Heritale Arbeitnehmer sich vertrauensvoll an die obersten Hirten der fatholischen Christenheit wenden, sie mögen ihnen hel fen, das von ihren Arbeitgebern an ihnen verübte Unrecht abzustellen und die Unternehmer zu bewegen, nicht bloß dem goldenen Kalbe zu dienen, sondern auch ihrer, der Schaffer alles Mehrwerts, nicht zu vergessen, was tun daraufhin die Bischöfe? Sie beschwören, die Kapitalisten, an die christliche Nächstenliebe zu denken, aber zugleich vermahnen sie die klageführenden Arbeiter, die so töricht waren, von den vornehmen frommen Herren Silje in ihrer Not und Bedrängnis zu erwarten und denen nichts zuteil wird, als die Mahnung, gläubig, gottergeben, bescheiden und demütig zu sein.
Wien , 17. September. ( Eigenbericht.) Nach zwanzigstündigen Verhandlungen, die aut Dienstag vormittags begannen und heute um fünf ühr früh endeten, lam eine Bercin barung zwischen den beiden Unterhändlerfomitees zustande. Das Wesentliche dieser Vereinbarung ist folgendes: Für das Gebiet der Wiener Großindustrie, nicht aber für die Provinz und das Wiener Kleingewerbe, wurde eine Erhöhung der Minimallöhne um 20 Prozent
Prozent vereinbart. Diese Vereinbarung hat zwei Monate zu gelten, während welcher Zeit ein neuer endgültiger Stollektivvertrag vereinbart werden soll. Heute vormittag fam der Bierzigerausschuß der Metallarbeiter zusammen und beriet vier Stunden lang über das Angebot, das sodann mit allen gegen fünf Stimmen angenommen wurde. Nachmittag um drei Uhr begann die Obmännerkonferenz der Betriebsräte, die cava 1700 Teilnehmer zählte. Während der ganzen Beratung standen vor dem Ottakringer Arbeiterheim , wo die Sigung stattfand, mehrere tausend Metallarbeiter, die auf die Entscheidung warteten. Die Beratun gen der Versammlung waren sehr stürmisch. Nachdem die Referenten Wiedenhofer und Domes gesprochen hatten, ergriffen 24 Redner das Wort. Biele sprachen gegen die Annahme und es bedurfte aller Bemühungen der Referenten, und der Mitglieder des Unterhändlerfomitees, um fast die ganze Bersamminng zur Ueberzeugung zu bringen, daß alles herausgeholt worden ist, was derzeit möglich ist, und daß eine weitere Berschärfung des Streifes kaum ein besseres Ergebnis zur Folge haben würde. Schließlich wurde mit 1600 gegen 100 Stimmen beschlossen, die Arbeit wieder aufzunehmen. Morgen früh finden in allen Betrieben Versammlungen statt; mit der Arbeitsaufnahme ist daher morgen oder Freitag zu rechnen.
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Heute find in Wien infolge der gestern erfolgten Ausschaltung der Inneren Stadt aus der Strombelieferung die Neue Freie Presje", das Neue Wiener Tagblatt", die„ Bollszeitung", das„ Extrablatt" und die Morgenzeitung" nicht erschienen. Heute abends wurde bereits mit der Einschaltung des Stromes begonnen, so daß bereits der größere Teil der Inneren Stadt wieder mit Strom versorgt ist. Vollständig die Strombelicferung wiederherzu stellen ist aber aus technischen Gründen heute kaum mehr möglich, so daß die Störungen wohl erst morgen vollständig beseitigt sein werden.
Unser Standpunit
Unser Standpunkt zur Sozialver
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tigen, denn sonst hätte das Gesetz wahrhaftig anders ausfallen müssen.
Alle Sachverständigen auf dem Gebiete der Krankenversicherung und Sozialversicherung sind, darüber einig, daß um so mehr geleistet werden fann, je einheitlicher die Versicherung aufgebaut ist und nichts hat so sehr die Entwicklung der Seranfenversicherung durch Jahre unterbunden als die Zersplitterung, die wir in der Krantenversicherungsorganisation im alten Desterreich gehabt haben.
Im Jahre 1919 wurde ein Anlauf dazu genommen. Sofort hat der Kampf gegen die Weiterführung dieses Gedankens eingefeßt und es ist den Gegnern einer einheitlichen Organisation der So zialversicherung gelungen, entgegen dem Anfang zum Besseren auf dem Gebiete der Krankenver ficherung nunmehr wieder einen ganz gewaltigen Schritt zurückzutun. Einige Redner behaupteten trotzdem, daß schon diese Sozialversicherungsvorlage in der Vereinheitlichung der Krantenversicherung zu weit gehe. Zoblieder auf die Genossenschaftstrantenfassen wurden angestimmt. Ver ireter der agrarischen Parteien sprachen von einem zwingenden Bedürfnis nach landwirtschaftlichen Krankenkassen. Einer der Herren Vorred ner hat die Statistik als die Wissenschaft der Lüge bezeichnet und sich dabei gegen unsere Forderun gen gewendet. Bezieht sich denn der Hinweis auf das Wort des Franzosen , daß die Statistik die Wissenschaft der Lüge ist, dann nicht auch auf seine Ziffern? Durch die er beweisen wollte, daß durch die Sozialversicherung eine unerträgliche Belastung für die Landwirtschaft eintritt? Ein anderer Vorredner hat viel mit Zahlen gearbeitet, um zu beweisen, daß die genossenschaftlichen Krankenfassen ein anderes Schicksal verdient hätten, als jenes, das ihnen schon im Gesetz vont Jahre 1919 bereitet wurde und das ihnen insbesondere in diesem Gesetz wieder bereitet wird. Die Herren werden sich erinnern können, daß wir im sozialpolitischen Ausschuß mit ausreichendem Miaterial und genügenden Beweisgründen dagegen aufzutreten vermochten.
In der vorgestrigen Sihung des Abge-| werden soll. Im übrigen ist es bei den sozialDie Agrarier wieder stellen die Sache so ordnetenhauses hielt Genoise dhäfer eine politischen Gefeßen immer so gewesen, daß nicht dar, als ob die Landwirtschaftstrantenfassen eine Rede zur Vorlage über die Sozialversiche die Einsicht und nicht die Rücksicht auf die Bedürf Lebensnotwendigkeit für landwirtschaftliche Arrung, die wir auszugsweise bereits gestern nisse der Arbeiterklasse ausschlaggebend waren, beiter wären. Diese sind hingeg. gar nicht befragt wiedergegeben haben. Angesichts der Wich sondern varteipolitische Bedürfnisse eine äußerst tigkeit de: Darlegungen unseres General- große Rolle spielten. Als man in Oesterreich bar worden. Soweit sie zur Sozialversicherung und zur Krankenversicherung Stellung genommen redners, der den Standpunkt unserer Bertei an ging, ein Pensionsgefeß für die Angestellten zu haben, stimmen sie mit den Forderungen und zur Sozialversicherung ausführlich präzi- schaffen, da handelte es sich den politischen Par Auffassungen, die im allgemeinen von der Arbei fierte, geben wir die Rede in ihren wichtig teien des damaligen Abgeordnetenhauses darum, terklasse vertreten werden, überein. Die Einfüh sten Teilen wie folgt, wieder: ein wichtiges und auf die Angestellten Eindrad rung der landwirtschaftlichen Krankenkassen beIn den letzten Tagen ist wiederholt gesagt erweckendes Agitationsmittel zu den Neuwahlen deutet somit nichts anderes als eine neuerliche Natürlich fließt das Herz des Kardinal cherung ein Wert von außergewöhnlicher Trag- Arbeitertlaffe hat seither an Straft und Einfluß ſicherung. Da soll nicht etwa eine beffere Berück worden, daß mit der Einführung der Sozialver- nach dem gleichen Wahlrecht zu erlangen. Die Bersplitterung auf dem Gebiete der KrankenverFürstbischofs von Sorge über wegen der überweite geschaffen wurde. Das erkennen wir voll- gewonnen, aber darin hat sich nicht das Geringste sichtigung der franken landwirtschaftlichen Arbei großen Not", doch was empfiehlt er als Mittel kommen an. Aber geändert, daß sich bei jedem neuen sozialpolitischen ter erreicht werden, sondern man wilt, daß diese zur Abhilfe?" Es iſt Pflicht aller Stände, eine ungetrübte Freude sehen wir selbst aus der engherzigen parteipolitischen Gesichtspunkten leitern so wenig als möglich in Berührung kommt. Gesetz die bürgerlichen Parteien sich von ihren Gruppe der Arbeiter mit den industriellen Arbeijowohl die Arbeitskräfte zu tun= Seite des Hauses nicht, die die Sozialversiche- ten lassen. Von allem Anfang an ist man auch lichst großer Leistung anzuspan=
rungsvorlage zu verantworten hat.
bei uns an das große Wert der Sozialversiche Wo die landwirtschaftlichen Arbeiter ohne Druc nen, wie auch in Einfachheit und Ge- Auch wir haben uns das Wert der Sozialversicherung nicht mit der Absicht herangegangen, alle und vollständig frei über die Form der Sozialvernügsamkeit dem derzeitigen Notstande rung anders vorgestellt, als es jetzt verwirklicht Erfahrungen aus der Vergangenheit zu berüdsich sicherung und über die Organisation der KrankenRechnung zu tragen." An wen richtet sich die Mahnung? Den Reichen, den Wohlhabenden 900COSSO00 300000001 5900000000
kann der Fürstbischof lange predigen, sie wer- listischen Gesellschaftsordnung der Profit der etwas auf die Klagen der Arbeiter antworten| stand, dringend empfaht? Und schon in der den von ihrem Wohlbehagen, von ihren oberste Gott ist, werden hundert solcher fürst muß, warnt er sie eindringlich vor dem Enzyflika des Papstes Leo XIII. vom Jahre irdischen Freuden seinen Mahnungen auch nicht bischöflicher Kundgebungen den Arbeitern auch Treiben gewissenloser Seßer und 1878 wird als Hauptsorge der Kirche der das geringste aufopfern. Den Armen, den Ar- nicht eine Krone mehr Lohnschaf- Agenten umsturzlustiger Bar- Kampf gegen den Sozialismus beitenden dagegen braucht der fromme Herr fen. Die christlichsozial gesinnten Arbeiter, die teie n" und sich zurückzuhalten von Gesell- erflärt. In dieser Enzyklika heißt es:„ Nach nicht erst Einfachheit und Genügsamfeit lehren, sich als Gimpel in die kleritalen Organisationen schaften, die mit unerfüllbaren Ver der menschlichen Natur sind wohl alle Men fie leben sicher auch jetzt schon durchwegs ein einfangen ließen, fönnen, che sie durch das rechungen wirtschaftlicher Vor jchen sich gleich), feineswegs aber nach ihrem facher und genügsamer als er, obwohl er doch Mittel der Ueberredung, wie es hier dieser teile anlocken, um zugleich den Kampf Stande, zu dem sie berufen sind. Eine Gleichsozusagen schon durch seinen Beruf zu diesen Kirchenfürst anwendet, die geringste Verbesse- gegen Christus und seine Kirche heit fann es nach dem Willen des Herrn christlichen Tugenden verpflichtet wäre. Begreift rung ihres Loses, ihres Schicksals, ihrer Arzu betreiben". nicht einmal in der Kirche geben, der Herr Fürstbischof nicht, daß es die Arbeiter beitsverhältnisse erreichen, eher glatt ver Es soll hier nicht untersucht, wer den welche aus Prieſtern und Laien besteht, und als bitteren Sohn empfinden müssen, wenn er hungern. Die Kirche ist ohnmächtig, ihr Stampf gegen Christus" betreibt, ob jene, nicht einmal zwischen den Engeln in einer Zeit der bittersten Not, da der Hunger irdisches Jammerdasein erträglicher zu ge- welche die Ausbeutung schützen, indem sie den und den Heiligen, wie der heilige Glaube in den Proletarierfamilien täglicher Gast ist, stalten, sie bekennt sich unfähig, der Ausbentung Stampf der Elenden und Gedrückten um eine fehrt." Die Stirche leugnet damit den Men den Entbehrenden und Sorgengequälten Ein- des Menschen durch den Menschen ein Ende zu menschenwürdige Existenz dadurch zu schwächen schen das gleiche Lebensrecht und so handelt fachheit und Genügsamkeit predigt? Es wird jetzen, denn ihr ist die heutige Ausbeutungs- suchen, daß sie ihnen Demut vor der Peitsche der Breslauer Fürstbischof im Sinne dieser nicht einen Besitzenden geben, der nach ordnung eine„ gottgewollte", die eben so wie des Unternehmers predigen, oder jene, die die Enzytlita nur konsequent, wenn er auf die dieser Mahnung so zerknirscht sein wird, um sie ist, vernünftig und gerecht ist, und an der Arbeiterschaft aus Dumpfheit und Glen slagen der Arbeiter über Ausbeuterwilltür auch nur auf einen Gang bei seinen Mahlzu rütteln ihr als ein fluchwürdiges Verbrechen emporheben wollen zu Lebensglück und Lebens Dennut und Bescheidenheit empfiehlt. Die zeiten verzichten, sein Auto und seine Sommer erscheint. So bleibt dem Fürstbischof nichts freude. Jedenfalls weiß man, daß die Kirche Offenheit, mit der er den sozialen Banterott villa zu verkaufen, um in Einfachheit und übrig, als die Arbeiter zu Demut und Be- und ihre Diener noch niemals auf Seite der und die Unfähigkeit seiner Kirche erklärt, müßte Genügsamkeit den Erlös im Sinne der christ scheidenheit, zu tüchtiger Arbeits- Ausgebeuteten und Entrechteten, der Müh auch den rückständigsten Arbeiter sehend machen. lichen Nächstenliebe zur Ausgleichung der leistung und Vertragstreue" auf- seligen und Beladenen stand, wie es Christus Der Herr Fürstbischof mag prebigen und besozialen Gegenfäße zu verwenden. zufordern, sie zu beschwören, keine über- gelehrt haben soll, sondern an der Seite der schwören, er wird es nicht verhindern können,
Der Herr Fürstbischof hat auch sonst zur triebenen und unerfüllbaren For Mächtigen, der Nußnießer der kapitalistischen daß die Arbeiterschaft immer mehr zur Erfennt Beseitigung der sozialen Unrechtszustände in derungen" zu stellen, vielleicht werden Unrechtsordnung. Hat nicht erst in den legten nis fommt, die heute bestehende Selassenherrseinem frommen Traktätchen nichts übrig, als dann auch die Unternehmer, gerührt durch so- Tagen der Papst eine Rede gehalten, in der schaft sei nicht eine gottgewollte" und unaberbauliche Lehren für die Ar- viel Ergebenheit und Willigkeit, sich herbei- er, um den blutigen Mussolini zu retten, der änderliche, sondern daß deren Beseitigung erbeiter. Er warnt wohl die Arbeitgeber vor lassen, hie und da einen Broden von ihren italienischen Klerikalen Volkspartei die Los- folgen fann und muß, allerdings nur durch jeder ungerechten Ausnüßung der Notlage der Tischen den Arbeitern zuzuwerfen. Da aber lösung von der Opposition, in der die Volts einen schweren Klassenkampf, den die Arbeiter Arbeitnehmer", aber so lange in der fapita- der Herr Fürstbischof einsicht, daß er doch partei mit den Sozialisten gegen Mussolini klasse, auf sich selbst gestellt, führen muß!