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6. Jahrgang.

Sozialdemokrat

Zentralorgan der Deutschen   sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der tschechoslowakischen Republit.

Was tut Herr Schießl?

Herr Dr. Josef Schießl, früher Chef der Kabinettskanzlei des Präsidenten Masaryk  , ist seit der Bildung der Regierung Černy Minister für soziale Fürsorge und Leiter des Gesundheitsministeriums. Er trägt damit die Verantwortung für zwei Ressorts der staat­lichen Verwaltung, die besonders für die Ar­betterschaft von größter Bedeutung sind. In dieser Eigenschaft zeichnet er sich durch eine Zurückhaltung aus, die unmöglich als der Ausfluß persönlicher Bescheidenheit ange­sehen werden kann. Man sieht und hört nichts von ihm, so daß man sich fragen muß, ob denn er und die ihm anvertrauten Ministerien überhaupt noch existieren. Seit die Reaktion im Staate zur Herrschaft gekommen ist, wurde das Ministerium für soziale Für­forge als Aschenbrödel betrachtet, was schon in der besonders rigorosen Kürzung der Budget­posten für soziale Aufgaben zum Ausdruck kam, doch jetzt scheint dieser zurückgesetzte Zweig der Staatsverwaltung gänzlich verschollen zu sein.

Donnerstag, 15. April 1926.

Den Fürstenknechten wird bange.

Die Deutschnationalen für das Kompromiß der bürgerlichen Mitte.

Berlin  , 14. April.  ( Eigenbericht.) Die heutige amtliche Feststellung der endgültigen Ziffern des Voltsbegehrens weist 1 2,5 2 3.9 39 Stimmen auf, das sind noch um 11.000 mehr als die vorläufigen Endresultate aufwiesen. Der Einspruch der Deutschnationalen wurde dem Reichsinnenminister zugewiesen. Er kann an dem Ergebnis nichts ändern. Die Zahl der erreichten Stimmen beträgt 117.12 Prozent der bei den leßten Reichstagswahlen im Dezember 1924 für Sozialdemokraten, Kommunisten und Unabhängige abgegebenen Stimmen, und 31.8 Prozent der Wahlberechtigten bei der Präsidentenwahl.

Da die Enteignung der Fürsten   durch den Voltsentscheid als ziemlich sicher angesehen werden kann, versuchen die Rechtskreise, durch Betrug des Volles den früheren Fürsten doch noch einen Teil, ihrer Güter zu retten. Der deutschnationale, a g" rät, das Fürstentom­promiß der bürgerlichen Parteien schleunigst anzunehmen und sofort auszuführen. Würde der Voltsentscheid angenommen, so solle der Reichstag   es wieder aufheben. Dieser Vor­schlag ist natürlich nicht ernst zu nehmen, weil die bürgerliche Mehrheit eine derartige Bers fassungsverlegung nicht ohne weiteres durchführen, wohl aber die Sozialdemokratie die Auf­lösung des Reichstags erzwingen tönnte, um das Bolt zur Entscheidung anzurufen. Immerhin zeigt sich auch hier, daß die Rechtskreise vor keinem Betrug und feinem Geivaltakt zurüɗ­schrecken, um das Volt zu berauben.

Aenderung des Rapallo  - Vertrages.

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Nr. 89.

Koalitions- und Wirtschafts­

frise auch in Polen  .

Anläßlich des Besuches des polni­schen Ministerpräsidenten Skrzyn­sky in Prag   scheint es nicht uninter­essant, einen Blick auf die Zustände Polens   zu werfen. Der folgende Ar­tikel beweist, daß Polen   unter gang ähnlichen Krisenerscheinungen leidet wie die Tschechoslowakei  . Die Ur­sache der elenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist hier wie dort die gleiche: das Unvermögen der herrschenden Nation, die natio nale Frage zu lösen und die Min­derheiten zur Mitarbeit heranzuziehen. In beiden Staaten führt die a II­nationale Koalition das Land an den Rand des Abgrunds, vor dem es nicht die Diktatur, sondern nur die Herstellung einer wahren Demo­fratic retten fann. London  

, 14. April. In Londoner   diploma-[ sicherungsvertrag abgeschlossen werden sollte. Ob es mangelnde Energie oder der Widerstand tischen Kreisen wurde gestern die Meldung sehr Schon seit Beginn der Sicherheitsverhandlungen der anderen Mitglieder der Regierung ist, lebhaft ventiliert, daß die deutsche Regierung sind Besprechungen zwischen Deutschland   und welche dieses Verschollensein verschulden, das ist mit der Sowjetregierung behufs Abschlusses eines Rußland   im Gange über die Präzisierung des Als vor etwa fünf Monaten die all polnis schwer festzustellen, jedenfalls ist es von den neuen Vertrages verhandle, durch welchen die Verhältnisses zwischen den beiden Ländern in sche Koalition unter Skrzynskis Füh vielen längst fälligen Aufgaben des Fürsorge Jahre 1922 den neuen Verhältnissen angepaßt Dabei ist deutscherseits immer wieder betont wors in Polen   noch vielfach der Meinung, daß es dem vielen längst fälligen Aufgaben des Fürsorge- bisherigen Vereinbarungen von Rapallo   vom Sachen der Sicherheits- und der Locarnopolitik.rung zustande kam, war man im Ausland und ministeriums still geworden und die Regierung würde, wie sie durch den Pakt von Locarno   ge- den, daß Locarno   feine Veränderung der deutsch   überaus geschickten Strzynski gelingen werde. beeilt sich durchaus nicht, zu beweisen, daß sie schaffen wurden. Der Vertrag würde auch russischen Beziehungen gebracht habe. Die deutsche eine Aenderung innerhalb der polnischen Politik auch in sozialer Hinsicht von der Garantien mit Rücksicht auf den Völkerbund und Politik in Locarno  , besonders bezüglich des Ar- herbeizuführen. Skrzynski baute vor allem auf früheren Regierung Verpflich Polen enthalten. tikels 16 des Böllerbundstatutes, ist es immer ge- feine außenpolitischen Erfolge, die indessen in tungen übernommen hat. Die Times" melden in ihrer heutigen wesen, eine Umstellung dieser Politik zu vermei Polen   selbst keine Wirkung auslösten. Die erſte Das Ministerium Cerny ist ein sozusagen schafter in Berlin   die Londoner   Regierung und Darüber ist Rußland   ebenso unterrichtet wie die schläge der„ Bankers Trust  " übermittelt wurden, Nummer, daß in diesen Tagen der englische Bo!-ben und ein Option gegen den Osten abzulehnen. Niederlage erlitt die Regierung, als ihr die Vor­unpolitisches. Es steht auf teinen kräftigen gleichzeitig der deutsche Botschafter in Paris   die Westmächte über das Verhältnis Deutschlands   zu die für eine Anleihe einen überaus hohen Zins­Beinen und es kann nicht wagen, wenn es über- franzöfifche Regierung informiert haben, daß Rußland  . Ob und wann die Besprechungen mit fat verlangten und hierzu noch die Forderung haupt regieren will, an eine politische Frage Deutschland   eben im Begriffe fei, einen neuen Rußland konkret werden und zu einer schriftlichen stellten, daß das als Pfand gegebene Tabakmono­zu rithren, deren Aufwerfung den leidenschaft- Bertrag mit der Sowjetregierung abzuschließen, Firierung führen werden, steht noch dahin. pol einer vollständigen Reorganisation unterzogen lichen Widerstand eines größeren Teiles der welcher im Hinblick auf die vor kurzer Zeit ver­werde, wobei eine Reihe von Betrieben zusam­früheren Koalitionsparteien gegen ihn entfesseln einbarten Abkommen mit den Mächten West­mengelegt und ein anderer stillgelegt werden fönnte. Herr Černy, der leider nicht den Ehr- und Mitteleuropas   als gegenseitiger Siche­sollte und wiederum die Arbeitslosigkeit eine Stei­geiz zu beſizen ſcheint, jeine Regierungszeit zeitig wurde diesbezüglich auch Italien infor­rungsvertrag" bezeichnet werden kann. Gleich­gerung erfahren mußte. Eine Verständigung schei­als Vorbereitungsstufe für eine solche parla- miert. Ausdrücklich wurde hiebei die Versiche­mentarische Regierung anzusehen, welche der rung gegeben, daß dieser neue Vertrag in teiner Zusammenjeßung des Staates und der demo- Weise mit dem Geiste des Paktes von Locarno   in fratischen Gerechtigkeit entspricht, wird sich dar Widerspruch stehen werde. auf beschränken müssen, das Parlament mit wirtschaftlichen und sozialen Vorlagen zu be= Berlin  , 14. April. Zu der„ Times"-Mel­schäftigen. Das bedeutet natürlich nicht, daß dung über einen bevorstehenden Abschluß eines wirtschaftliche und soziale Fragen fein Politi Rüdversicherungsvertrages zwischen Deutschland  fum bilden, aber es wird von der Art und Be- und Rußland   wird in unterrichteten Kreisen be­schaffenheit dieser Vorlagen abhängen, ob für merkt: Es ist nie die Rede davon gewesen, daß sie im Parlamente eine Mehrheit aufzu- zwischen Deutschland   und Rußland   ein Rückver­bringen ist.

Die deutsche   Wirtschaftskrise.

Erwerbslosenziffern für die zweite Hälfte des terte Mitte März endgültig, wobei Bolen auch Berlin  , 14. April  .( Eigenbericht.) Die März weisen eine weitere geringe Besserung auf jede weitere Verbindung löste, so daß es heute Die Zahl der Unterstüßten sant von 2,017.000 nur auf ausländische Privatkredite durch Einzel­auf 1,942.000, also um 3.5 Prozent. Es ist aber firmen angewiesen ist. Inzwischen sinkt der zu berücksichtigen, daß im Frühjahr die Landwirt- 3loty. Der Versuch, das Militärbudget, welches schaft großen Bedarf an Arbeitskräften hat und gegenwärtig 36 Prozent der Gesamtausgaben daß auch der Baumarkt sich zu beleben beginnt, Bolens ausmacht, zu reduzieren, scheitert infolge so daß die geringe Besserung nicht befriedigend Widerstand der Rechtsparteien, die aus der ist. Einzelne Industriezweige, so vor allem der Wirtschaftskrise Unruhen im Inlande erwarten Bergbau und die Metallindustrie haben über und diese nur noch mit einer starken Armee zu eine fortlaufend rückschreitende Bewegung zu beheben hoffen. Alle Versuche, anderweitig ein lagen. Sparsystem durchzuführen, scheiterten wiederum xxxxxxxxxx an der Opposition innerhalb des Koalitionsfabi­netts, da alle Parteien in die Koalition gegangen So geht es jedenfalls nicht, wie es sich heute noch widerfährt, qutgemacht wird. Wo schen Arbeit und ein geeignetes Dach über dem sind, um ihre besonderen Vorrechte zu schüßen die Regierung nach allem, was man von ihr bleibt die Erfüllung? Die wieder schmerzlich stopfe zu sichern. Beides könnte die Regierung und nicht etwa, um dem Staate selbst einen Weg hört, vorstellt, die sich lediglich als das Ereku- fühlbare Wirtschaftskrise hat nicht nur viele tun, wenn sie das Bauförderungsgesetz, gegen aus dem Chaos zu weisen. tivorgan der bürgerlichen Stoalitionspar- Arbeiter aufs Pflaster gesetzt, sie hat auch die das wohl gewisse fleine Parteien opponieren, Es ist heute kein Geheimnis mehr, daß die teien betrachtet, weniger als eine Vertreterin noch beschäftigten Unternehmungen zu Betriebs- dos aber im Interesse der übergroßen Mehrheit Koalition nur deshalb zustande kam, weil Pil­des Teiles des Koalitionsprogramms, der einschränkungen gezwungen. Eine große Anzahl der Bevölkerung liegt, erneut dem Parlamente sudski sich gegen die Bestrebungen einiger Gene­soziale Aufgaben betrifft. Es wird nur von den von Arbeitern ist dadurch nur an einigen Tagen vorlegen würde. Zehntausende würden Arbeit vale unter Siforstis Führung zur Errichtung Getreidezöllen und von den vom Finanz- der Woche beschäftigt und erleidet an dems und Eiwerb finden, tausenden Familien fönnte einer Dittatur wandte. Gerade Sikorski war stets ein Vertrauter Pilsudskis gewesen und war minister geforderten neuen Steuerlasten ge- ohnehin färglichen Lohneinkommen eine Ein- jein wohnliches Heim geschaffen werden. auch Ministerpräsident und Vertrauter der Links­

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sprochen, alles andere erregt nicht das Regie- buße, welche in den betreffenden Familien die Das sind nur einige der Aufgaben, auf parteien nach der Ermordung des zweiten polni rungsintereſſe, und Herr Schießl, der doch nicht Not zum ärgsten Elend steigert. Begreifen die sich die Regierung und insbesondere Herr fchen Staatspräsidenten Naturowicz. Als Kriegs­nur ein Amt, sondern auch eine Pflicht Herr Schießt und die Regierung nicht, daß sie Minister Dr. Schießl besinnen müssen. Bisher minister im Stabinett Grabski machte er indessen hat, versteht es offenbar nicht, seinen Kollegen dem Elend dieser Kurzarbeiter nicht un- hat das Ministerium für soziale Fürsorge unter immer weitere Annäherungen an die Rechte, die begreiflich zu machen, daß er auch da ist, und tätig zusehen dürfen, und daß es eine Grau- der Aera Schießl nur den Beweis seiner Zweck- ihn als den kommenden Dittator bezeichnete. Als daß er Verpflichtungen, die ihm vom Parla- samkeit ist, diese Opfer der Krise ohne Hilfe losigkeit erbracht. Das kann so nicht weiter das Kabinett Grabski ganz unerwartet zurück­ment und von der Bevölkerung auferlegt wur- zu lassen? Als unaufschiebbar und sowohl in gehen! Der Ministerpräsident hat in seiner trat, war es Skrzynski, der vor einer unbedach­den, einzulösen hat. Alles kann nicht allein sozialem und gesundheitlichem, wie auch im Regierungserklärung verkündet, sein Kabinett ten Diftatur warnte und der erste Präsident Po­vom Gesichtspunkte der berühmten„ Konsoli- allgemeinen wirtschaftlichen Interesse gelegen, wolle die Hauptpunkte des Programms der lens, Pilsudski  , sprach bei seinem Nachfolger vor, dierung der Staatsfinanzen" aus behandelt müßte die Regierung endlich auch die Erneue- früheren Koalitionsregierung zu den seinen um ihn zu warnen, auf dei Wünsche der Rechten er- nach Ausrufung einer Diktatur einzugehen. werden, die Fürsorge für die Men- rung des mit 31. Dezember 1924 abgelaufenen machen. Die Durchführung der er Folge war die Bildung der Koalitionsregierung; schen muß in die erste Linie ge- Bauförderungsgeseßes erkennen und wähnten Aufgaben muß in die erſte man war der Ansicht, daß der von allen Parteien stellt werden und der fiskalische Egois- mit einer entsprechenden Vorlage vor das Par- Reihe dieser Hauptpunkte ge- für sich reklamierte Strzynski der Mann sein mus des Finanzministers darf die Lösung lament treten. Das Erlöschen des Gesetzes und stellt werden und dafür hat in werde, die Gegensäße zu überbrüden. Das Fiasko wichtiger Fragen nicht verhindern. Vom Par- seine Nichterneuerung hat in der Bautätigkeit erster Linie Herr Minister Dr. der Völkerbundstagung konnte auch in Bolen lamente hat die frühere Regierung die Ver- eine starte Stagnation zur Folge gehabt, durch Schießl zu sorgen, der sich nicht damit nicht ohne Rückwirkung sein und nun folgten pflichtung übernommen, ein Gefeß vorzulegen, die zehntausende Arbeiter der verschiedensten begnügen darf, daß das soziale Fürsorgemini- Verhandlungen, die in erster Linie darauf hin­das die Versorgung der über 65 Berufe und zahlreiche Gewerbetreibende in sterium ein bedeutungsloses Anhängsel und auszielen, ein starkes Rechtskabinett zu Jahre alten Personen, die nicht unter ihren Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten ge- einen bloßen Dekorationsgegenstand für die bilden, in welchem aber Strzynski wieder das die Bestimmungen des Sozialversicherungs  - schädigt werden. Die Belebung der Bautätigkeit Regierung bilde. Man sagt der Regierung kein Außenministerium leiten soll. Die Koalition wird gefeßes fallen, sichert. Wie lange noch will man wird durch die Schwierigkeit der Kreditbeschaf- allzulanges Leben voraus. Auch wenn es sich heute nur durch ultimative Forderungen der Par­teien aufrecht erhalten, bei welchen einmal diese, die Erfüllung dieser primitivsten sozialen fung behindert und dem nod; immer fatastro- nur um Monate handeln würde, die sie leben ein andermal jene Partei zu ihrem Rechte kommt. Pflicht hinausschieben! Das Parlament hat der phalen Wohnungselend kann daher nicht ge- bleibt, der für die soziale Fürsorge Verantwort- Daß dieser Zustand unhaltbar ist, sehen alle ein, Regierung auch den Auftrag gegeben, eine No- stenert werden, wenn nicht außerordentliche muß sich auch in dieser kurzen Zeit dessen aber man weiß eben nicht, was bei einem even­velle zum Gesetz betreffend die Kriegs be- liche Maßnahmen dabei mithelfen, die bewußt bleiben, daß ihm vor hunderttausenden tuellen Rücktritt des Kabinetts werden soll. Vor­fchädigten auszuarbeiten, durch welche das Bautätigkeit zu beleben. Die erste Aufgabe arbeitenden, armen Menschen schwere Verant- läufig scheinen die Pläne der Rechten noch nicht Unrecht, das vielen dieser armen Menschen jedes Kulturstaates müßte es sein, den Men- wortung auferlegt ist! gereift zu sein und das Chaos im Lande ist zu