Einzelpreis 70 Seffer

Redaktion und Verwaltungs Prag , I., Nelajanta 18,

Telephone: Tagesredattion: 26795, 31469.

achtrebattion: 26797.

Postichedamt: 57544.

Inferate werden laut Tarif Billigft berechnet. Bei öfteren Einschaltungen Preisnachlaß.

6. Jahrgang.

Sozialdemokrat

Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der tschechoslowakischen Republit.

Agrarische Argumente.

Der Bollkampf hat auf der ganzen Linie begonnen. Nachdem in der ersten Sizung

Freitag, 23. April 1926.

Bezugs Bebingungen: Bei Zustellung ins Haus oder bel Bezug durch die Post:

monatlich.. 16.­

olerteljährlich

halbjährig

ganzjährig

48.­

96.­192.­

Radstellung von Manu­ftripten erfolgt nur bei Ein­fendung der Refourmarten

Erscheint mit Ausnahme Des Montag täglich( rib

Nr. 96.

Noch kein Bruch mit der Bergangenheit?

-

Der Bureautratismus als gefährliche Macht. die Fittion des Nationalstaates. Fascismus bedeutet Bürgerkrieg.

des Senats unter dem neuen Regime der tsche Genosse Nießner zur politischen Lage. chische Agvavier Donat seinen Auftrag auf Schaffung eines autonomen Bolltarifs be­gründet hat, zog gestern auch der deutsche Land­wirt Busch vom Leder und setzte sich mit wenig Geschid zwar, aber mit um so größerer Size, für die festen Zölle ein, für die seine Partei stimmen werde. Es handle sich- fügte er hinzu.- dabei nicht um eine politische, son­dern um eine wirtschaftliche Frage, was je nach der Auffassung, die einer von der Politik hat, ebenso richtig wie grundfalsch ist. Die Forde rung der Agrarier nach größerem Profit wird aber diesmal nicht nur einfach erhoben, sie wird auch begründet, und da lohnt es sich schon, die Argumente der Großagrarier einmal Revue passieren zu lassen.

--

Prag, 22. April Im Rahmen der großen politischen Debatte im Senat tam als erster Redner Genosse Nießner zu Wort, der in formvollendeter, mehr als einstündiger Rede sich mit der schweren Krise des bisherigen Regierungssystems befaßte. Waren bisher alle Warnun gen und Mahnungen zur Umkehr an dem starren Panzer der Koalition abgeprallt, so steht heute die Situation wesentlich anders: die Koalition ist zerfallen und wenn auch Kräfte genug am Werke sind, um sie wieder zu leistern. so kann jetzt doch ein gutes Wort zu guter Stunde eher Anklang finden als bisher. Darum wies Genosse Nießner mit vollem Recht von neuem darauf hin, daß unsere Partei erst kürzlich wieder die Frage der Anbahnung einer Völkerverstän digung durch den Antrag Czech auf Einse yung eines Nationalitätenausschusses aufgeworfen hat Die morgige Debatte, in der noch führende Koalitionspolitiker zu Worte tommen, wird erst zeigen, ob diese neuerliche Anregung diesmal ein günstigeres Feld vorgefunden hat.

In seiner Rede, die ungeteilteste Aufmerksamkeit im ganzen Hause fand, zeigte Genosse Nießner zunächst an Hand trasser Beispiele behördlicher Willkür aus den letzten Wochen, daß die Bureaukratie bereits zu einer äußerst gefährlichen und ernst zu nehmenden Macht herange wachsen sei, und beschäftigte sich dann mit den Hauptursachen der heutigen Krise, welche namentlich darin beruhen, daß die Fiktion des Nationalstaates bis heute mit allen Mitteln aufrecht erhalten wird. Alle Anstrengungen, die Errungenschaften der Demokratie nur für das Staatsvolk zu sichern und die andern Völker dieses Staates hievon auszuschließen, sind gescheitert und so kam es zu der heutigen Situation, der die bisherigen Machthaber ratios gegenüberstehen.

Mit der größten Schärfe sprach sich Genosse Nießner sodann gegen die fascistischen Experimente aus, die hie und da versucht werden, und ließ keinen Zweifel daran, daß der Fascismus bei uns den Bürgerkrieg bedeuten müßte, in dem sich die Arbeiterschaft aller Nationen ihrer Haut zu erwehren wissen würde.

Genosse Nießner führte u a. aus:

-

- Gegen

( wurde. Es muß abgewartet werden, ob die gegenwärtige Beamtenregierung die Praxis der leßten Monate fortzusetzen gedenkt. Die Verhält niffe waren schon geradezu unerträglich. Unsere Partei hat in den letzten Monaten mehrere Ber­fammlungsaktionen unternommen. Einen Frauen tag, wie dies alljährlich geschah, und Protestkund­gebungen gegen das Sprachengesetz, die Steuer­pläne und die beabsichtigten Agrarzölle.

Eine ganze Reihe dieser Versammlungen aus Anlaß des Frauentages wie der übrigen Pro­testversammlungen, wurden unter den nich tigsten, nichtssagenden Gründen berboten. Im Karlsbader Kreis t es einer Anzahl von Versammlungen ver boten worden, die Herren Bezirkshauptleute und sonstigen behördlichen Organe haben sich gar nicht den Kopf angestrengt, einen Grund zu suchen.

Da hat Herr Donat zuerst einmal ein sehr einfaches Argument: Deutschland, Ungarn, Italien , Amerika und eine ganze Reihe an­derer Länder haben Zölle, warum soll also die Tschechoslowakei keine Zölle haben?! Ein sehr einleuchtender Beweis, der Jm Gebiete der Bezirkshauptmannschaft Berg­nur den einen Mangel hat, daß sich eben auch reichenstein wurden uns sieben Versamm­in wirtschaftspolitischen Fragen eines nicht für lungen verboten, weil, wie es in der Begründung alles schickt. Zum Teil sind die Einkommensver­heißt, durch deren Abhaltung das öffentliche hältnisse jener Länder gänzlich anders beschaf­Wohl gefährdet werden könnte und weil der fen, als die der Tschechoslowakei , zum Teil tritt Es ist einer der ersten Grundsätze dre Straf-| Bevölkerung in einem zurückgebliebenen Stultur- Strafgeseßen der Zoll in diesen Ländern als reiner Schuß- rechtspflege, der auch in allen Rechtsstaaten beo- zustand, so daß keine geeigneten Geschworenen auf- läuft also dem Strafgesetz zuwider, wenn man 3wed dieser Versammlungen den zuwiderläuft." Es zoll auf, da der Bedarf aus der eigenen Wirt- bachtet wird, daß niemand seinem gesetzlichen Rich zutreiben find. Das sind bei den Haaren über das Steuersystem, über die Agrarzölle und schaft gedeckt wird. Die Tschechoslowakei führt, ter entzogen werde. Die Vorlage verletzt diefen herbeigezogene Gründe. Unter ungari- über das Sprachengesetz spricht! Der Bezirks­wie Herr Donat selbst angeführt hat, jährlich Grundsay. Es wird die Verlängerung der Dauer scher Herrschaft waren in Karpathorußland schon hauptmann von Klattau hat die Abhaltung Lebensmittel im Werte von fünf milliarder Gültigkeit des Gesetzes betreffend die Auf- feit 1897 Geschworenengerichte eingeführt. Was einer Versammlung verboten, weil das öffent den Kronen ein. In dieser Summe dürften hebung der Geschworenengerichte für gewisse De- unter ungarischer Feudalherrschaft möglich war, liche Wohl dabei gefährdet werden könnte". Wir wohl eine Reihe Genußmittel und Kolonialpro- lifte in Starpathorußland beantragt. Das bedeutet müßte wohl auch heute möglich sein. So darf man find der gegenteiligen Auffassung. Wir haben die dukte inbegriffen sein, immerhin aber fann man ein Unrecht an der karpathorussischen Bevölkerung, ein Gebiet, dem man Autonomie zugesichert hat, Versammlungen veranstaltet, um eine Gefährdung sich eine Borstellung machen, mit welchem Be- halb der Geltung der normalen Gesetze gestellt nahmsstellung versprochen wurde, am allerwenig das öffentliche Wohl zu fördern. Aber der Herr es bedeutet auch, daß die Bevölkerung dort außer dem feierlich eine ganz außerordentliche Aus dieses öffentlichen Wohles zu verhindern und um trage auch ein Boll von wenigen Prozenten ist. Karpathorußland ist durch den Friedensver- sten behandeln, das heißt, wie eine Kolonie. die Volkswirtschaft belasten müßte. Der Lebens- trag von St. Germain und auch durch die Ver­wohl am besten gefördert wird, wenn man über Bezirkshauptmann meint, daß das öffentliche standard der breiten Massen, der unter den fassung die Autonomie gewährleistet. in diesem entlegenen Lande noch immer bei fol- die Steuerpläne überhaupt nicht spricht, über das heutigen Verhältnissen kaum mehr gedrückt Bisher steht das nur auf dem Papier. Von dem Sprachengesetz kein Wort verliert und über die werden kann, müßte sich auf einen Grad senten, zugesicherten Landtag ist auch jetzt, nach nahezu 8 der einer Hungersnot wie ein Ei dem andern Jahren Bestandes des tschechoslowakischen Staa sonstigen Verhältnisse im Staate hier sich jeder gliche. Nun behaupten aber die Agrarier, daß tes, noch nichts zu sehen und was die Autonomie hat die politische Expositur in Bilin mit dem Hin­Meinung enthält. Eine Versammlung in Bilin die Existenz der Landwirtschaft ge- betrifft, so besteht sie nur darin, daß weis verboten, daß zur freien Meinungsäußerung fährdet sei und jedes andere Argument bezüglich der Sprachenverordnung bereits ge gegen dieses eine leicht wiege. Sie vergessen nügend Gelegenheit geboten wurde". dabei, daß nicht nur die Landwirtschaft, sondern ( Lebhafte Heiterkeit.) Die politische Expositur, also alle Stände der Bevölkerung weitaus geringere

die karpathorussische Bevölkerung nicht einmal jenes Recht genießt, auf die die Staatsbürger der übrigen Teile der Republik Anspruch haben.

Aber man darf sich nicht wundern, daß wir chen Ausnahmszuständen halten, denn wenn man die Verhältnisse auch westlich von Karpatho­

rußland

betrachtet, dann muß man sagen, daß das ganze Reginie, die Art und Weise, wie hier Gesetze ge­macht und vor allem Gesetze gehandhabt werden, fich vollständig in denselben Rahmen einfügt. Ich will nicht auf weiter zurückliegende Fälle greifen, es genügt, einiges davon anzuführen, was sich in den letzten Monaten an

0000000

irgend ein Polizeibeamter, bestimmt die Dosis dessen, was die Bevölkerung über eine Ber­ordnung von so tief einschneidender Wirkung wie die Sprachenverordnung reden darf und wann es genug zu sein hat. Das ganze nennt

Ginnahmen aufweisen, als vor dem Kriege. Die Ausschaltung der Geschworenengerichte Der Finanzminister hat vor kurzem erklärt, soll aus zwei Gründen notwendig sein; es sei fein Uebergriffen behördlicher Organe die Einkommen seien durchgängig nur auf geeignetes Gerichtsgebäude in Karpathorußland zugetragen hat und wie die politische Bewegungs­das Fünf- bis sech 3 fa che, die Preise vorhanden, auch befände sich die karpathorussische und Meinungsfreiheit der Staatsbürger geachtet aber auf das ehnfache der Vorkriegshöhe 0000000000 gestiegen. Bedenkt man nun, daß die Preise der landwirtschaftlichen Produkte paltung überhaupt anerkennen möchte, wollen deutschen Gebiete der Republik find| Steuerforderungen mit den Angriffen der immerhin sieben mal so hoch sind, als vor die Agrarkapitalisten im besonderen zugeben, zum großen Teil gebirgig, und im Erzgebirge , Agrarier kommt einer General offen­dem Kriege( bei einzelnen landwirtschaftlichen daß zwischen Landwirt und Landwirt ein im Böhmerwald und in den schlesischen Sudeten five gegen die Arbeiterklasse gleich Erzeugnissen, wie Milch und Eiern, ist auch unterschied besteht. Und doch könnte die dumme gibt es meilenweit feinen Wohlstand, ganze und bedeutet das wirtschaftliche Gegenstück zu das zu niedrig gegriffen), so will es uns Bauernfängerei, die nach der Hektargrenze zur Dörfer und Städte leiden buchstäblich Hunger, der politischen Forderung des Bürgertums nach scheinen, daß die Schere" zwischen den Preisen Definierung des Begriffs Klein- oder Groß- und die Verteuerung der Lebensmittel würde dem Fascismus.

"

-

der landwirtschaftlichen und der Industriepro- agrarier fragt, am besten in der Zollfrage dort für die Gesamtbevölkerung, für Bauern, Das letzte Argument der Bauernbündler dufte immer noch beträchtlich kleiner ist, als fapieren, wo diese Grenze liegt. Dort, wo das Arbeiter und Gewerbetreibende, die Verewi- ist stets, daß die Sozialdemokraten systematisch) zwischen den Einkommen der lohnarbeitenden Konsumenteninteresse des Bauern gung einer Hungersnot bedeuten, die seit 1914 den Ruin der Landwirtschaft betreiben und ein­Schichten und den Industrieprodukten. Diese sein Produzenteninteresse zu über- in diesen Notstandsgebieten wütet. seitige Industrieförderung zum Leitsatz ihrer " Schere", den Abstand zwischen Preisen und steigen beginnt, hört er auf, Großbauer zu Was immer die Agrarier zur Rechtferti- Politik machen. Auch das ist eine demagogische Einkommen, zu vermindern, ist sicher eine Auf- sein. Diese Scheidung trifft mindestens in der gung ihrer Zollforderung anführen mögen, Verdrehung der Tatsachen. Die Sozialdemo gabe der Volkswirtschaft und ihrer leitenden Bollfrage zu, wo sich zeigen muß, daß der hält einer fachlichen Kritik nicht kratie hat nie die Industriezölle verfochten und Faftoren. Die Schere aber für den größten kleinbauer stärker daran interessiert ist, Mehl st an d. Nicht nur das arbeitende Volk aller könnte über Aenderungen des Induſtriezoll­Teil der Bevölkerung noch zu vergrößern, da- und Futtermittel billig einkaufen, als Ge- Berufe, bis weit in die Reihen der Landwirte ſyſtems wohl diskutieren. Immer waren es die mit ein kleinerer Teil entlastet werde, ist ein treide das er meist gar nicht für den Markt hinein, muß sich gegen die Zölle wehren, auch beiden Gruppen der Bourgeoisie, die im edlen Vorhaben, pas nouvenin alt ben orbitterten produziert- teuer verfaufen zu können. Die die Volkswirtschaft als Ganzes könnte durch Wettstreit Industrie- und Agrarzölle gegenseitig Widerstand der betroffenen Teile der Bevölke- Agrarier wissen nun in Wirklichkeit sehr gut, eine Steigerung der Lebensmittelpreise und die hinauflizitierten. Die Sozialdemokra= rung stoßen muß. Und es sind tatsächlich nicht daß die Zollverordnung dem einseitigen In- damit verbundene Verelendung der heute schon tie hat ein Agrarprogramm, das einmal alle Landwirte, die von einer Hebung teresse der profitgierigen Agrarkapitalisten ent- notleidenden Massen nur geschädigt werden. mehr als einen Ausweg aus den schweren ber Getreidepreise Vorteile zu erhoffen haben. Springt und eben darum geraten sie in größte Vor allem aber fommt ein Moment hinzu, Krisen unserer Wirtschaft zeigt. Sie kann den Der Zoll bedeutet eine ausgesprochene Erregung, wenn die Sozialdemokraten sich der das die Bölle in der Tschechoslowakei ge- Weg zu einer wirklichen Sanierung weisen, die Begünstigung der Großagrarier, Kleinbauern annehmen und das demagogische radezu unmöglich macht und den Vorstoß weder den Industriellen noch den landwirt­deren Profit allerdings beträchtlich gesteigert Spiel der Bauernführer aufdecken. Doppelt ge- der internationalen Agvarkapitaliſten zu einem schaftlichen Arbeitern Schaden bringt. Und würde, wenn die Preise der landwirtschaftlichen fährlich ist die agrarische Politik für Gegenden. Verbrechen an dem weitaus größten Teil der wenn schon die Agrarier nicht einsehen, daß sich Produkte sich denen der Industrieprodukte an- die überhaupt keinen wirklichen Großbesiß Bevölkerung stempelt. Die Agrarier verlangen die ständige Gefährdung der Landwirtschaft gleichen. Anders ist es bei den Klein- fennen, wie es überhaupt bei der Frage, ob wir diese Zölle in einem Augenblick, da der Staat innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft über­bauern. Der deutsche Agrarier Lutsch geriet es mit Groß- oder Kleinbauern zu tun haben, die Steuerschraube aufs höchste an- haupt nicht gänzlich beseitigen läßt, so müßten gestern in helle Wut, als er eine Polemik mit sehr darauf ankommt, in welcher Gegend ein spannen, die Verbrauchssteuern neuerlich er- sie wenigstens das eine erkennen, daß ihre Ne­unseren Genossen versuchte und dabei immer Bauer seinen Besiß hat. Ein Bauerngut im höhen und dem arbeitenden Menschen das Leßte zepte im Augenblick unanwendbar sind, und wieder hören mußte, daß er die Interessen der fruchtbaren Flachland kann mit wenigen Hektar nehmen will, was sich von dem schmalen Ver- daß eine Sicherung der Landwirtschaft nur im Großagrarier vertrete. Ebensowenig, wie die mehr Ertrag liefern, als der größte Beiß in dienst des Arbeiters noch zugunsten des Fiskus Einklang mit der arbeitenden Bevölkerung er­bürgerliche Gesellschaft die Tatsache der Klassen- einer rauhen Gebirgslandschaft. Gerade die streichen läßt. Das Zusammentreffen der neuen reichbar ist.

12 20