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6. Jahrgang.

Sozialdemokrat

Entscheidung."

Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der tschechoslowakischen Republit.

Die Entwicklung der politischen Verhält­nisse im Staate vollzieht sich nach der Richtung der Einigung der tschechischen und deutschen Besitzklasse in, wie alle Zeichen deuten, unauf­haltsamer Weise. Die Sprengung der allnatio­nalen Roalition, die als eine Folge des durch das Ergebnis der Wahlen eingetretenen Ueber­gewichtes des Einflusses der bürgerlichen Par­feien in der Roalition und im Parlamente ein­treten mußte, hat die Dinge, die jahrelang sta­gnierten, in Fluß gebracht, und zwar in einen rajcheren, als man vor wenigen Monaten noch ahnen konnte. Eine Reihe von brennenden Fragen trennt die ehemaligen Koalierten, es jcheint ganz ausgeschlossen, daß diese über deren Lösung ein Einverständnis erzielen könnten. Sicher ist bei einigen der Koalitionsparteien der Wunsch lebendig, sobald als möglich die alte Roalition vom Tode, der ihnen nur ein Scheintod zu sein dünft, wieder auferstehen zu laffen, aber auf dem Wege liegen drei Blöcke, die nur durch den gemeinsamen Willen aller hinweggeräumt werden könnten, das ist die mit der peinlichen Bedeckungsfrage verbundene Be­amtenvorlage, die Erhöhung der Kongrua und die Agrarzölle. Die Hoffnung, für diese For­derungen der Regierung, der Geistlichen und der Agrarier eine Mehrheit unter den früheren Koalitionsparteien zu finden, ist als aussichts­los längst aufgegeben, aber längst besteht kaum noch ein Zweifel: für alle drei ist bereits eine tschechisch- Deutsch - flowakische Mehrheit vorhan den. Nicht ganz sicher ist höchstens noch die

Mittwoch, 28. April 1926.

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Nr. 100.

kennen, daß diese Punkte zum Grabstein der Koa deutschen und tschechischen Besitzklassen, der bis- haben diese Entwicklung vorausgesehen und sie lition werden können und zur Blattform, auf der her nur ein Wunsch der bürgerlichen Politiker erschreckt uns nicht. Die Einigung des Bürger­ein neues Leben in diesem Staate beginnen fann gewesen, beginnt greifbare Formen anzu- tuns über allen nationalen Streit hinweg wird Wer hat da noch den Mut, nicht für das Lettere nehmen. Das gemeinsame Klasseninteresse und muß auch die Einigung der tschechischen zu sein?! ,, Aber", ich weiß das Aber". Aber was wertreibt die früher einander feindlich Gefinuten und deutschen Arbeiterschaft zur Folge haben. den die Beamten, die Geistlichen, die Landwirte zusammen; zum Kampf gegen die Arbeiterklasse In geschlossener internationaler Front werden dazu sagen? und für ihr gemeinsames Ziel: den Staat zum wir die Angriffe der geeinigten internationalen ungehemmten Instrument ihrer Ausbeutungs- tapitalistischen Reaktion fraftvoll abzuwehren und Unterdrückungsgelüfte zu machen. Wir wissen.

Was sie sagen würden? Was der tj che chi sche Beamte sagen würde, wäre: wir müssen ein sehen, daß die tschechische Koalition auf die Dauer regierungsunfähig ist, daß sie vor allem dort ver­sagen muß, wo wirtschaftliche Fragen zu lösen sind. Wir sehen ein, daß wir eine Regierung aller Völker dieses Staates fordern und ermöglichen müssen!

Der deutsche Beamte würde sagen: Die Tschechen wollten allein regieren und haben uns in Elend und Not hineinregiert! Nun muß eine andere Regierung fommen, eine Regierung, die uns geben kann, was wir zu verlangen ein Recht haben!

Und ebenso wie der deutsche Beamte würde und müßte der deutsche Geistliche und dent sche Bauer sprechen und sie könnten es leichten Herzens tun, denn nicht nur das nationale Be­lange wäre gerettet, sondern die wirtschaftlichen Wünsche ebenfalls! Ja, auch sie!- denn was wir Deutsche einer tschechischen Regierung ver­weigern müssen, das können und werden wir der Regierung geben, der wir selbst angehören!

Entscheidet euch! Vermag die tschechi sche Koalition die Fragen nicht allein zu erledigen, dann dürfen wir deutsche Stimmen nicht zu ihrer

Unsere Delegation in Wien.

Besichtigungen von Wohnbauten der Gemeinde Wien und zweier Siedlungen.

Wien, 27. April .( Eigenbericht.) Am heutigen Tag haben die Mitglieder der Delegation der deutschen Arbeiterschaft aus der Tschechoslowakei zunächst das Zentralgebäude der Konsum genossenschaften Wiens aufgesucht und hierauf den Fuchsfeldhof, eine der größten Ge­bäudeanlagen der Gemeinde Wien mit über 1100 Wohnungen, Kindergärten, Kinderspiel­pläßen usw., eingehend besichtigt. Zu diesem Fuchsfeldhof gehört auch der Reumannhof mit nahezu 500 Wohnungen, die bereits fertiggestellt, und 400 Wohnungen, die noch im Bau be griffen sind.

Nachmittags folgte dann der Besuch des Lehrlingsheimes des Wiener Bollsbildungs­schulrates, hierauf des Heimes für Jugendliche der Societas". Sodann wurden zwei Sieb. lungen der Wiener Siedlungsgenossenschaft mit etwa 600 Siedlungshäusern besichtigt, wobei Vizebürgermeister Emmerling einen Vortrag über die Wiener Licht, Kraft- und Verkehrs­fragen hielt.

Am Abend nahmen die deutschböhmischen Genossen an einer Arbeitervorstellung im Deutschen Volkstheater teil, in der das Spiel von Tod und Liebe, von Roumaine Rolland, mit Moiffi aufgeführt wurde.

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Rettung, zur Rettung der tschechischen Regierung Die Begrüßungsrede des Bürgermeisters Genoſſen Seiß und

gebrauchen lassen! Vermag es die tschechische Koa lition nicht, dann ist der Zeitpunkt gekommen, da wir Deutsche unsere Macht und Kraft und Arbeit

der Vortrag des Genossen Dr. Bauer.

Wenn Sie hier manches gut finden werden, so

jlowakische Volkspartei, die deutschen Agrarier hergeben können gegen das Mitbestimmungs - und beim Empfang unserer Genossen im Sigungssaal jagen wir Ihnen, wir konnten es nur schaffen,

und die deutschen Christlichsozialen dagegen haben bereits mit aller wünschenswerten Deut­lichkeit ausgesprochen, in allen drei Fällen an die Seite ihrer tschechischen Brüder zu treten und mit ihnen zu stimmen.

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Mitregierungsrecht!

Die tschechische Koalition jetzt auf Kosten der Anträge gänzlich zum Falle zu bringen, heißt nicht, auch die Anträge selbst vernichten, sondern nur, fie auf einige Wochen, einige Monate ver­schieben, um sie dann um so sicherer zum Gesetz erheben und erfüllen zu können!

das ist das

Nur einige Monate!, ganze Opfer, das der völkische Gedanke heute vom Volle veerlangt! Ist das zuviel gefordert! Ist dieser Preis zu hoch für das, was dadurch erreicht werden kann?!

Die Entscheidung liegt bei den Volksvertretern. Schwer ist die Frage, vor der sie stehen, bedeu­tungsvoll für eine lange Zukunft der Schritt, den sie tun. Wir werden ihre Entscheidung in jedem Falle achten, doch wir verlangen eines:

Die deutschen Stimmen sind nicht zur Rettung der Koalition zu haben, nicht für ein freundliches Lächeln und einen Händedruck,- sondern nur gegen die Teilnahme an der Macht in dem uns gebührenden Maße. Was eine tschechische Regierung Cerny nicht vermag, soll nur eine gemischtnationale Regierung voll­bringen.

Durch diesen flar befundeten Willen wer­den die Konturen einer neuen Soalition sicht bar, nur die Konturen, noch nicht die neue Koalition selbst, deren Grundstock Agrarier und Alerifale wären, denn vorläufig ist der Zu­sammenschluß nur ein zeitlicher und auf die ge­nannten drei Fälle beschränkter. Nach Durch­führung der Agrarzölle, der Kongrua und des Beamtengesetzes gedenken die einen in eine zu bildende neue allnationale Koalition, die an­deren in die mit Verlaub zu sagen " Opposition" zurückzukehren, als ob nichts ge­fchehen wäre. Die deutschen Agrarier machen sich darüber feine Strupel, ihnen werden ihre Wähler gerne das zeitweilige Zusammengehen in der schwarz- grünen Koalition mit den tsche­chischen Agrariern verzeihen, denn durch dieZölle sollen den Konsumenten Hunderte von Mil­lionen Kronen zugunsten der wohlhabenden Der Heiratsantrag ist nicht mißzuver­Agrarier abgenommen werden; ein solcher Internationalismus lohnt schon. Bei den stehen. Es fehlt nur noch, daß er auf der Es fehlt nur noch, daß er auf der Christlichsozialen dagegen gibt es, wie ein anderen Seite liebevolles Verständnis und An­Entscheidung" betitelter Artikel in der nahme findet. Grundsätzlich hat die christlich­Deutschen Presse" beweist, noch einige Zweifel, soziale Partei nichts gegen die Anträge einzu­ob die Tatsache der Erhöhung der Pfaffen- wenden, nichts gegen die Hungerzölle, nichts gehalte eine ausreichende Rechtfertigung für die gegen die Schröpfung des Volles für die Kon­Agrarzölle und die Steuerbelastungen wäre. grua und nichts gegen die von der Regierung Der Verfasser des Artikels, ein Dr. s., will zur Bedeckung der Beamtenvorlage geforderten seiner Partei durchaus nicht abraten, dem Steuern, im Gegenteil: sie verlangt wirtschaft­Hungerzoll und den Steuerplänen der Regie- lich wohl ebenso dringend den einen wie den rung ihre Zustimmung zu geben- Gott be- andern und den dritten Punkt". Das heißt, wahre! aber wenn schon der Regierung und die Agrarzölle sind den Christlichsozialen ebenso den tschechisch- bürgerlichen Parteien aus der wichtig, wie die Zuwendung von 60 Millionen Alemme geholfen werden soll, dann sollen die Kronen aus Staatsmitteln an die Pfaffen. Christlichsozialen, so rät er ihnen, neben dem Aber das Stimmen für die Regierung und die Vorteil, den ihnen die Erhöhung der Pfaffen- Forderungen der tschechisch- bürgerlichen Par gehalte bringen wird, auch politische Vorteile teien sollen sich die deutschen Christlichsozialen einzuheimsen suchen. Das Bündnis zwischen besser bezahlen lassen, nämlich durch die Teil­deutschen und tschechischen Agrariern und Kleri- nahme an der Macht. Dr. s. will nichts als falen soll nicht nur ein vorübergehendes Techtel- eine Verschiebung des Termins, für die tsche­mechtel, sondern eine legitime Ehe werden. Wie chischen Anträge zu stimmen. Wenn sie dies Serr Dr. f. das begründet, verdient im Wort- jetzt schon täten, könnte sich die allnationale laut gelesen werden:

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Was ist für uns besser?- mit uns bie drei Gefeße oder ohne uns der Fall des Sy­stems Das legtere!

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Sier setzt eben das ein, worauf wiederholt ver­wiesen wurde: die wirtschaftliche und die nationale Betrachtung. Wirtschaftlich verlangen wir wohl ebenso dringend den einen wie den andern und den britten Punkt. National aber müssen wir er­

Koalition vielleicht noch erholen, aber in eini­wenn deutsche gen Wochen oder Monaten, wenn Agrarier und Christlichsoziale in eine feste Re­gierungsmehrheit eingezogen sein werden, sollen die Anträge um so sicherer zum Geset erhoben und erfüllt werden". Nur einige Monate- das Opfer ist nicht groß, das der völkische Gedanke" fordert.

Der internationale Zusammenschluß der

Wir haben gestern bereits berichtet, daß des Wiener Gemeinderats

der Bürgermeister Genosse Seiß eine Ansprache an die Gäste hielt. Der Wortlaut dieser Rede, die wir hiermit nachtvagen, war fol­gender:

Ich habe den Auftrag, Sie im Namen des Par­teivorstandes und im Namen aller Wiener Genos­jen herzlich willkommen zu heißen. Die fopitalisti­schen imperialistischen Mächte fonnten wohl das deutsche Volf in Mitteleuropa zersplittern, aber es wird ihnen nic gelingen, das deutsche Pro letariat zu zerreißen, das eines Stammes ist im ethnologischen Sinne und eines Stammes, in­dem es der Erbe der Marg und Engels, der Bebel und Liebknecht ist.( Beifall.) Dieses Proletariat, das aufgewachsen ist unter dem Banner des So zialismus, wird sich immer als eine Einheit füh len. Freilich ist es einem Feinde gelungen, diese Einheit, die wir immer als eine Selbstverständlich feit betrachtet haben, zu stören, das ist der Feind der Uneinigkeit. Ihn zu überwinden, ihn nicht mit Gewalt, aber

mit dem täglichen und stündlichen Appell an das Herz und an die Vernunft jedes einzelnen Proletariers,

zu bekämpfen, ist unsere historische Aufgabe. Hier, auf österreichischem Boden, haben wir uns von diesem Feinde möglichst frei gehalten. Wie nun manche hinausgehen nach Sowjetrußland, um zu schauen, was die Kommunisten dort geleistet haben, so ist eine für uns viel zu kleineGruppe heergekom men, um zu sehen, was die Sozialdemokraten lei­sten, wenn sie an der Macht sind. Sie werden

nun in Wien ein Bild erhalten von der Organi sation Wien, von ihrem Anfban, und dann auch ein Bild von der Arbeit und dent Wirken der für die Verwaltung Wiens bestellten Vertrauensmän­ner Von dem, was Sie sehen werden, von vorn herein abzuleiten, daß dadurch im theoretischen Kampfe zwischen Bolschewismus und Sozialdemo fraten etwas entschieden werden könnte, wäre ganz falsch.

Entscheidend ist, ob das, was hier in der Ver­waltung geschieht, getragen ist von der Einsicht

des gesamten Proletariats oder mindestens des tlassenbewußten organisierten Proletariats, ob es getragen ist von seiner Energie und von seinem Willen.

Denn schließlich könnte man sich auch theoretisch denken, daß fünf oder sechs Prozent der Wiener organisierten Arbeiterschaft diese Stadt verwalten, gewissermaßen in einer Abart eines aufgeflärten Absolutismus, Und man fönnte sich auch denken, daß diese wenigen Leutee die Sache auch gut ma­chen. Wer aber Sozialismus will, das heißt Ver­gesellschaftung der Produktion, das heißt Ge­meinwirtschaft, der muß wollen, daß Wirtschaft und Berwaltung getragen soien von der Erkennt, nis und dent starken Willen der Arbeiterschaft.

indem wir das ganze flassenbewußte Proletariat in den Dienst der Sache gestellt haben und daß wir auf Sand gebaut hätten, wenn wir nur von einigen wenigen er­leuchteteen Geistern, und wären sie noch so er. leuchtet, die Dinge hätten schaffen lassen, die ge­worden sind. Das, was geschaffen wurde, konnte nur dadurch entstehen, daß die Masse des Prole­tariats und vor allent diejenigen, die aus ihren Reihen zur Verwaltung dieser Stadt berufen wur­den, erfüllt sind von der Erkenntnis, daß das kein Werk der Einzelneen ist, sondern der Gesamtheit.

Es ist uns gelungen, durch das allgemeine Wahlrecht das Wiener Rathaus zu erobern. Und ich gedenke der Zeiten, da hier zwei Sozial­demokraten gesessen sind, unsere verstorbenen Freunde Schuhmeier und Neumann, dann jencer andern, als wir unter einem schändlichen Suvienwahlrecht sieben Mann im Wiener Ge­meinderat hatten, jener Zeiten, da die Sozial­demokratie noch von den Häschern der Behörden verfolgt war. Aber wenn wir heute im Besiz aller politischen Rechte sind, so sage ich mir oft, eigent lich war die alte Zeit auch recht schön.

Es war schön, als es noch Mut bedurfte, Sozial. demokrat zu sein, als es noch ein schweres Opfer war, das einfachste politische Recht auszuüben. Ich möchte die Zeit nicht zurückwünschen, aber sic stählte doch den Willen des Arbeiters und sic brachte in sorgfältiger Auslese jene Männer an die wichtigsten Stellen der Partei, die sie so ungeheuer gefördert haben, während der Genuß aller Rechte auch ein wenig lähmend ist. Ich will Sie darum nicht gerade beneiden, daß Ihre Lage in mancher Hinsicht noch schlecht ist. aber ich will Sie nicht gerade bedauern. Denn ich weiß, daß die Zeit tommen wird, da auch bei Ihnen der Sozialismus seine Fahne entfalten wird, die Fahne des Sieges!"

Nach der mit stürmischem Beifall aufgenom menen Rede des Genossen Seitz hielt Genosse Dr. Otto Bauer einen Vortrag über die politischen Par teien Desterreichs. Er sagte.

Bor englischen oder französischen Genossen wäre es vielleicht schwerer, die österreichische Politik aus­einanderzusetzen, aber vor den deutschböhmischen Genossen fann ich mich darauf beschränken, hier zu jagen, was sich seit 1918 in Desterreich geändert hat.

Geändert hat sich vor allem eines, daß nicht mehr der nationale Kampf das öffent­liche Leben beherrscht, der das Proletariat zu seis ner ecigentlichen Aufgabe, zur reinen Klassen­tampfpolitit nicht kommen ließ. Heute ist Desterreich im großen und ganzen eint national einheitlicher Staat. Ferner