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6. Jahrgang.

Sozialdemokrat

Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der tschechoslowakischen Republit.

Demokratische Diktatur?

Der 18. Brumaire des Josef Pilſudſki Bolen

hat alle Uebel, mit denen auch die anderen Nachkriegsstaaten Mitteleuropas ge­segnet sind, aber es hat jedes dieser Uebel in verstärkter Form. Es wurde als Erponent der französischen Politik gegen Deutschland ge­schaffen, aber da es altes deutsches Reichsgebiet annektierte, ist die Reibungsfläche zwischen Polen und seinem westlichen Nachbar viel größer, als etwa die zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei . Polen stand in Feind­schaft gegen Sowjetrußland wie alle ententisti­schen Tributärstaaten, aber für Polen wurde der Konflift zum Kriege. Es hat innerhalb seiner Grenzen eine Reihe nationaler Minder­heiten, aber in feinem Staate sind sie so stark wie in Polen . Der Staat wurde zum Spielball streitender Parteien, aber nirgends war so wie in Polen die Grundlage für eine wüste Cliquen­wirtschaft gegeben, nirgends fehlte so wie in Polen eine Bevölkerungsklasse, die geeignet wäre, das Rückgrat des Staates zu sein, der fich eben aus den Gebieten dreier Staaten ju­sammensetzte, von denen höchstens der eine,

Freitag, 14. Mai 1926.

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Nr. 113. Warschau

in den Händen Pilsudstis.

Die Regierung Witos im Schloß Belvedere belagert.

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- Die Provinz auf Seiten Witos? Berlin

, 13. Mai. Von der polnischen Grenze erfährt das Wolffsche Tele­ graphenbüro aus zuverlässiger Quelle: Gestern nachmittags ist es in Warschau zum A u s- bruch der Revolution und zu Straßenfämpfen gekommen. Es gab viele Tote und Verwundete. Pilsudski- Truppen haben das Schloß, das Ministerpräsidium und das Ministerium des Aeußeren besetzt und sind auf dem Marsche nach dem Belvedere. Das Kabinett ist zurüdgetreten. Gine Präsidententrise ist wahrscheinlich. Die Telephonverbindung mit Warschau ist unterbrochen.

Danzig, 13. Mai.( Wolff.) Nach hier vorliegenden Berichten aus Polen ist Pilsudski in Warschau selbst Herr der Situation. Dagegen haben sich die Provinzbehörden für Witos

erflärt.

Mähr. Ostrau, 13. Mai. Dem Vernehmen nach hat sich Pilsudski der Hauptteile der Stadt mit dem ehemaligen Königsschloß, den Ministerien und Hauptbehörden bemächtigt. Die Regierung hat sich in den Südteil der Städt auf das Schloß Belvedere zurücgezogen, das der Sitz des Präsidenten der Republik ist. Noch heute um 5 Uhr früh sei in dem aus­gedehnten Schloßpart gekämpft worden. Sejmmarschall Rataj versuchte zwischen den beiden Parteien zu vermitteln. **

Witos will nicht weichen.

Warschau, 13. Mai. Die Lage war um die ses Verhalten des Staatspräsidenten geht auch aus Desterreich, den Polen Gelegenheit zur Aus- Mittagstunde noch nicht gellärt; es ist noch einem Aufruf hervor, den heute ein aus dem bildung staatsmännischer Eigenschaften gegeben nicht sicher, auf welche Seite sich der Sieg neigen Belvedere- Part aufgeflogenes Flugzeug abgewor­hatte. Die Schicht der adeligen Grundbesißer wird. Gegenwärtig hat sich die Lage insoferne fen hat. In diesem Aufruf wird die Bevölke aber, die in Galizien regiert hatte, war wohl verschärft, als zwei Regimenter Infan- rung zur Ruhe und Ordnung ge­am allerwenigsten geeignet, die Politik eines terie aus Posen vor Warschau ermahnt und erklärt, daß Pilsudski durch seinen neuen, schwer zu lenkenden Staates zu über- ichienen sind. Zwischen Marschall Pilsudsti Staatsstreich den Boden des Gefeßes verlassen nehmen. Die Schlachzizen von 1918 waren be- und den Kommandanten der Posener Regimenter habe. Die Regierung hat alle Maßnahmen zur finden noch Verhandlungen statt. Ein erbit Unterdrückung des Aufstandes getroffen. Einen reit, ihren Urgroßvätern von 1797 zu folgen tertes Blutvergiegen wogie um die War ähnlichen Aufruf hat auch der Kriegsminister an und den neuen Staat zu verjubeln und zu verschauer Zitadelle, wo sich noch Regierungs- die Armee gerichtet, worin die Truppen aufgefor­prassen wie jene damals den alten. truppen befanden, die sich schließlich Pildert werden, dem Oberbefehlshaber und dem Mi­Auf allen Gebieten der Politik hat Polen suditi ergaben. Das Belvedere- Palais wird nister den schuldigen Gehorsam zu leisten. aus dem Vollen gewirtschaftet, bis die Reserven borläufig noch von Regierungstruppen gehalten. Der Korpskommandant von Lublin, Ge verbraucht waren. Wirtschaftspolitisch In diesem Palais befindet sich der Staatspräfi- neral Romer, hat sich für den Marschall hat es die reichen Bodenschäße, die agrarischen dent Wojciechowski und die Mitglieder des Nabi Pilsuditi ertlärt. Was die Lage in den übri­Produktionsmittel des Landes verfallen lassen netts. Die Truppen des Marschalls Pilsudski gen Städten Polens anbelangt, wird aus allen und nicht verstanden. seinen Export sicherzu haben neben allen wichtigen Regierungsgebäuden Teilen des Landes Ruhe gemeldet, ob= stellen. Finanzpolitisch hat es erst die auch die Hauptpoft und die Telegra wohl die Lösung der Situation in Warschau ſtellen. Finanzpolitisch hat es erst die phenzentrale befeßt. Gestern abend hat überall mit großer Spannung erivarter Währung heillos ruiniert, um sie dann auf die Regierung Witos den Ausnahms zu wird. Kosten der Wirtschaft zu sanieren. Die Grün- stand über ganz Polen verhängt. dung des Zloty war ein größenwahnsinniges Pilsudsti hat gestern in einem Schreiben an Paradestück, auf das der Kazenjammer neuer Währungsstürze unausweichlich folgen mußte. den Staatspräsidenten der Regierung ein bis acht Das Steuersystem des neuen Staates ist hr abend befristetes ultimatum gestellt, wo­rin die sofortige Gesamt demission

Strenge Telephonsperre.

Der Eisenbahnverkehr mit Polen funktioniert.

eine ausgesucht schlechte Zusammenfassung der bes kabinetts gefordert wird. Es heißt, daß Mähr.- Ost rau, 13. Mai, 18 Uhr. Ueber! schlechtesten Steuergeseße der drei Staaten, aus der Präsident der Republik dem Ministerpräsiden- die Ereignisse in Polen und über die Lage in denen Polen hervorging. Die Belastung der ten abgeraten habe, feine Demission zu überret- Warschau ist an der tschechisch- polnischen Grenze Bevölkerung durch die Umsatzsteuer ist unge- hen, und daß der Staatspräsident selbst im Teschener Gebiet heute fast nichts bekannt. In heuer. Außenpolitisch trieb Polen eine erklärt haben soll, den aufrührerischen Truppen den beiden Eisenbahngrenzstationen Teschen Großmachtpolitik gegen fast alle Nachbarn, an um teinen Preisweichen zu wollen. Die- und Petrowiß sind aber heute die Züge aus deren Ende notwendig die heute schon voll- 200050000NG00000043 UUDETU

Polen ganz normal eingelaufen. In den Grenz­stationen und überhaupt an der Grenze wurden feine besonderen Maßnahmen getroffen. Das pol. nische Konsulat in Mähr.- Ostrau und die polni­sche Grenzwache haben keinerlei Anregungen er halten, daß die Reisen nach Polen und die Ertei­lung von Paßvisen irgendwie eingeschränkt werden sollen. Die Telephonzentrale in Polnisch- Teschen erklärte auf den Versuch um die Ermöglichung cines Gespräches mit Krakau, daß gemäß den cr haltenen Instruktionen die interurbanen Tele phonlinien gegenwärtig ausschließlich dem Gene­ralstab zur Verfügung stehen.

Marschall Pilsudski.

Der Kommandant der gegen die Regierung Witos und den Staatspräsidenten Wojcie chowski anrückenden Truppen ist Polens volls­tümlichster Mann Marschall Josef Pilsudski. Der Marschall wurde 1867 geboren, ist also heute 59 Jahre alt. Obzwar einer litauischen Adelsfamilie entstammend, trat er schon als Universitätsstudent mit der polnischen Sozial­

demokratie in Berüh­rung, wurde 1888 in sinen Anschlag gegen den Zaren verwickelt und zu fünfjähriger Verbannung nach Sibi­ rien verurteilt. Von dort zurückgekehrt, sprang er sofort wieder in den Strom der pol­Arbeiterbewe nischen gung und wurde bald einer der führenden Manner der polnischen sozialistischen Bewegung Rußlands. 1901 erneut

verhaftet, gelang es ihm ins Ausland zu flie­

hen. Er ließ sich in Strakau nieder, wo er mit aller Straft und Leidenschaft den Befreiungs­fampf des polnischen Volkes vorzubereiten be­gann. Er wurde der Begründer der polni­schen Legionen, die in dem kommenden Kampfe gegen Rußland als der Kern einer

polnischen Nationalarmee gedacht waren.

Als der Weltkrieg ausbrach, schlossen sich diese Legionen, die stark unter dem Einfluß der sozialistischen Bewegung standen, der österreicht­schen Armee an. Ihr Kommandant wurde eben Josef Pilsudsti. Sein Bestreben aber ging da hin, aus diesem Hilfskorps der österreichischen

nur

zogene Einigung Rußlands und Deutschlands schloß den Locarnovertrag, er empfing Tichi-| Die Sozialdemokraten jagten der neuen Re- rettet werden? Mit anderen Worten; steht, der zwei Steine, zwischen denen der scherin in Warschau, er besuchte vor kurzem gierung den schärfsten Kampf an. Noch heftiger kann die militärische Revolte wirklich ſteht, der zwei Steine, zwischen denen der Weizen des polnischen Imperialismus leicht eine Reihe von Hauptstädten. Polen sollte end bekämpfte sie Pilsudski in seinem Blatt Kuryer Mittel zum Zweck bleiben oder muß sie nicht zermahlen werden könnte. In der inneren lich Freunde an seinen Grenzen bekommen. Poranni". Als bewaffnete Banden die Villa notwendig die Sache, der sie dienen wollte, Politik versuchte man gegen die Minderheiten Aber auch das Stabinett Skrzynski scheiterte an des Marschalls überfielen, kam der Stein ins selbst mit unter das Joch beugen?! und gegen die Arbeiter zu regieren. Durch der Währungs- und Budgetfrage. Der Finanz- Rollen. Die dem Marschall ergebene Armee, Polens Rettung liegt ja im Grunde_an­Terror schüchterte man die demokratischen Par- miniſter 3 dziechowiti wollte Polen mit die Schüßenbataillone und die Arbeiterschaft derswo und es wird über sie nicht in Warschau teien ein, auf dem Wege der versöhnlichen einer amerikanischen Anleihe sanieren. Um den stehen hinter der Revolte, die somit alle Aus- allein entschieden. Die Bildung der Nachfolge­Politik fortzuschreiten, die mit der Präsident- Kredit zu erhalten, versprach er, um jeden Preis sicht hat, ein Erfolg zu werden. Mit diesem staaten als Ergebnis friegerischer Auseinander­ schaft Narutowicz begonnen hatte. Gegen den Staatshaushalt im Gleichgewicht zu halten. Erfolg, der im Augenblick noch nicht sicher ist jetzungen hat diese Staaten alle zu unglücklichen Ruthenen, Weißrussen, Deutsche und Juden Damit er aber dieses Kunststück vollbringen beginnt aber erst das Problem der Mißgeburten werden lassen. Die einen sind zu wurde in gleicher Weise gewütet. Aber auch fönnte, wollte er die Beamtengehälter Diftatur Pilsudski. groß, die andern zu klein, allen fehlt vorläufig gegen Kommunisten und, je nach dem Kurs, abbauen. Sein Plan stieß auf den energischen Der Fall selbst, daß ein General sich an der gute Wille, im Innern und nach außen auch gegen weiter rechts stehende Sozialisten Widerstand der Sozialdemokraten. Die ständige die Seite der revolutionären Klasse stellt und friedlich und vernünftig Politik zu machen. Die wurden die schärfsten Mittel angewandt. Durch Serise löste Diktaturgelüfte aus. Der Fascis ihr die Armee zuführt, steht in der europäischen wirtschaftliche Ginigung Mittel­schnittlich hundert Todesopfer haben die mus gewann in den Reihen der National Geschichte ziemlich vereinzelt da. Er ist in europas, die politische Befriedung, Standgerichte jährlich zum Schweigen bemokraten und der Bauernpartei Polen nur durch die besonderen Verhältnisse die A brüstung und die Lösung der Min. gebracht. Das System war nur haltbar durch Piast", die von Witos geführt wird, zahl zu erklären. Daß auf diese Weise ein General derheitsfragen allein können Polen und einen Militarismus, der Unsummen reiche Anhänger. Witos selbst forderte ganz zur Macht gelangen kann, ist aber nichts weiter alle jene Staaten retten, denen Poles ein Geldes verschlang. Er hat ebenso wie in Frank- offen die Diktatur. Um der Gefahr einer fa- Besonderes. Die Frage ist nur die, was dieser warnendes Beiſpiel ſein ſollte. Daß eine Mili reich, schließlich den Staatshaushalt zerrüttet. scistischen Diktatur mit Aussicht auf Erfolg ent- General und Diktator im Namen der Demo- tärdiktatur, und sei es selbst eine demokratische, Das Kabinett Grabski hat das von der gegentreten zu können, wollten die Sozialdemokratie mit der Macht anfangen kann. Wird Pil- eine Etappe auf diesem Weg ist, muß wohl doch ersten Rechtsregierung Witos hinterlassene fraten den streng republikanischen Marschall sudski kraft der Macht seiner Bajonette regieren bezweifelt werden. Und das macht die Revoli. Chaos zu bändigen versucht. Es mußte sich ein Pilsudski, der seit Jahren außerhalb der oder wird er eine demokratische Regierung bil- Piljudski bedenklich. Troßdem wünschen all: halb dußendmal umbilden und überstand aktiven Armee steht, zum Chef der Armee den lassen? Und bildet er sie, kann die wichtigste Anhänger der Demokratie Pilsudski den Sieg schwere Krämpse. Als der mühsam auf den machen. Skrzynski wäre dazu bereit gewesen, Reform, die zur Sanierung Polens nötig ist, weil er auf jeden Fall von zwei Uebeln da Glanz einer Goldwährung polierte Zloty die Rechtsparteien verhinderten die Ernennung der Abbau des Militarismus unter dem Re- fleinere iſt. Jeder 18. Brumaire ist noch al feinem Namen neuerlich Unehre machte und des demokratischen Generals. An dieser Klippe giment eines Generals durchgeführt werden, der Erlösung empfunden worden und aus jedem das Gold sich als Chimäre enthüllte, trat zerschellten die allnationale Koalition und das seine Macht dem Militarismus dankt? Wird entsprang doch notwendig ein Regime, das sic Grabski resigniert vom Schauplatz ab. Der Stabinett Skrzynski. Pilsudski den sozialdemokratischen Finanzplan, gegen das Volf richtete. Dieses Doppelgesich

nächste Sisyphus war der Graf Strsynski, In den letzten Tagen versuchten Strsynsfi. die Vermögensabgabe, durchseßen wollen und zeigt auch die Warschauer Revolte; wenn anders ber eine all nationale Koalition bil- Grabski und Witos die Kabinettsbildung. fönnen? Und schließlich die Kardinalfrage über- fte der 18. Brumaire des Josef Pilsudski ist dete und wenigstens auf dem Gebiete der Witos gelang es schließlich, ein ausge- haupt: kann die Demokratie vor der und nicht vielleicht der Stoff zu einem Libretto, äußeren Politik gedeihliche Wege einschlug. Er sprochenes Rechts kabinett zu bilden. Diktatur durch eine Diktatur ae- was zur Stunde niemand zu sagen vermöchte.