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6. Jahrgang.

Sozialdemokrat

Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der tschechoslowakischen Republit.

Sonntag, 16. Mai 1926.

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Nr. 115.

Deutschtum und Hungerzölle Rücktritt des bolnischen Staatspräsidenten und der Regierung.

Bon Wilhelm Nießner.

In dem Geschrei der Agrarier nach festen Lebensmittelzöllen hat bisher eine Note gefehlt

die nationale. Da tschechische, deutsche, slowakische und magyarische ihr Bemühen ver­einigt haben und in geschlossener Front zu dem Attentat auf die Ernährung der Bevölkerung chreiten, wäre niemand auf die Vermutung verfallen, daß eine nationale Sache, nämlich die Sache des deutschen Volkes auf dem Spiele stehe, und daß das deutsche Volk in die Gefahr feines Unterganges gerate, wenn nicht schieu­nigst die sechsfachen Friedenszölle eingeführt werden. Auf einer agrarischen Tagung, die vor einigen Tagen in Brünn abgehalten wurde, hat man dieses Verjäumnis gutgemacht. Da wurde wieder einmal fräftig die nationale Pauke ge­schlagen und unter Hoch- und Heilrufen von Wolfstum, Deutschtum und nationalen Hoch­zielen gesprochen. Die Abgeordneten Lufsch und Dr. Hanreich versicherten den Anwesenden, das mache gar nichts, daß der Bund der Landwirte jezt ein bißchen mit den tschechischen und an­dersnationalen Brotverteuerern techtelmechtle und der tschechischen Regierung einige hunderte Millionen Steuern in die Scheune führe, dar­um blieben die Leute vom Bund der Landwirte alle zusammen doch die alten biederen Deut­ schen , die unverrückbar an den nationalen Zielen festhalten. Noch mehr: der Kampf um den Zoll jei ihnen ein Kampf um das wertvollste Gut des deutschen Volkes und es gehe um die Zu­funft des deutschen Volkes. Hoffentlich lesen die Tschechen nicht diese im Brünner Deutschen Hause gehaltenen Reden, denn sie fönnten dann auf die teuflische Idee verfallen, von der Ein­führung der festen Lebensmittelzölle Abstand zu nehmen und dann wäre es um das Sudeten­deutschtum aus und geschehen.

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Eine verfassungsmäßige Linisregierung mit Pilsuditi Einstellung der Kämpfe.

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Rataj stellvertretender Präsident. als Kriegsminister. Stratau. 15. Mai.( 16 Uhr.) Aus Warschau wird gemeldet: Der Generalstab des Marschalls Pilsuditi hat ein Kommunique veröffentlicht, in welchem es heißt:

Der Staatspräsident verzichtet auf die Regierung zu Gunsten des Mar­schalls Pilsuditi und das Kabinett Witos wurde entlassen. Pilsudsti arbeitet gemeinsam mit dem Marschall Rataj an der Bildung einer neuen Regierung aus chrlichen und vertrauenswürdigen Personen. Die Kämpfe sind be endet und die Militärabteilungen werden wiederum in ihre Garnisonen cutsendet.

Die letzten Ereignisse.

Wien, 15. Mai.( AN.) Die polnische Telegraphenagentur teilt mit:

Die Truppen des Marschalls Pilsudsti haben Freitag um 5 Uhr nachmittags ohne große Kämpfe das Belvedere , den Sitz des Präsidenten der Republik, besetzt, nach­dem es kurz vorher vom Präsidenten und den Mitgliedern der Regierung verlassen wor­den war. Pilsudski begab sich in Begleitung seines Generalstabes unverweilt ins Belvedere . Er wurde von großen Menschenmengen, die sich in den Straßen der Haupt­stadt ansammelten, stürmisch begrüßt. Die Bevölkerung veranstaltet zu Ehren Pilsudskis eine Kungebung.

In der Stadt herrscht Ruhe. Infolge der Bejeßung des Belvederes erscheint die militärische Aftion gänzlich abgeschlossen. Nach aus der Provinz eingetroffenen Mel­dungen herrscht dort überall vollständige Ruhe und Ordnung. Der Präsident der Re­publit, der sich mit der Mehrzahl der Regierungsmitglieder in der Umgebung Warschaus aufhält, hat an Pilsudski seinen Vertreter entsandt, um Verhandlungen mit diesem auf­zunehmen. Für die allernächste Zeit erwartet man eine Klärung der politischen Lage.

Der von den Sozialisten angekündigte Generalstreit wurde angesichts der Tatsache, daß Piljudski der unbestrittene Herr der Lage ist, rückgängig gemacht. Berlin , 15. Mai. Das Berliner Bureau der Polnischen Telegraphen- Agentur teilt mit: Sejmmarschall Rataj hat vom Präsidenten der Republik ein Schreiben erhalten, in dem der Präsident ihn davon in Kenntnis setzte, daß er d as Amt des Staats­präsidenten niederlegt und verfassungsgemäß die Rechte des Präsidenten auf den Sejmmarschall überträgt.

In einem zweiten Schreiben an den Sejmmarschall bittet die gesamte Regierung um die Annahme ihrer De mission. Sejmmarschall Rataj hat die Demission angenommen und erklärt, daß die neue Regierung in den nächsten Stunden gebildet werden wird. 5000000000000

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Der neue Ministerpräsident.

Abgeordneter Bartel vom Arbeitsklub Kratau, 15. Mai.( 16 Uhr.) Aus Warschau langen folgende Meldungen ein:

Der Sejmmarschall Rataj übernahm pro­visorisch das Ministerpräsidium und betraute nach einer Beratung mit den Vertretern der Parteien den Abgeordneten Bartel vom sogenannten Ars beitsklub mit der Bildung des neuen Kabinetts. Bartel nahm die Mission an und begann die ents sprechenden Verhandlungen. Warschau

, 15. Mai. Das neue Kabiner wurde um 10 Uhr abends gebildet. Zum Minister­präsidenten wurde Prof. Bartel( Arbeitsflub) ernannt, Leiter des Außenministeriums: 3a= lesti; Inneres Mlodziano iv fri; Minister für Heerwesen Marschall Pilsudsti; Finanz­minister zechowicz; öffentliche Arbeiten Broniewski ; soziale Fürsorge Dr. Jurie. wicz; Aderbau Raczensti; Handel Gli­wicz; Kultus und Unterricht Professor Po­morsti.

Ministerpräsident Bartel gab nach Bildung des Kabinettes den parlamentarischen Bericht erstattern eine kurze Erklärung ab und sagte unter anderem, daß die Regierung zur Liquidierung der legthin geschaffenen Sitiation berufen wurde. Sic wolle den Bürgern des Staates ihre Ruhe sichern und die Rückkehr zur normalen Arbeit ermög lichen. Meine Regierung wird auf ihrem Posten bis zur Neuwahl des Präsidenten der Republif durch die Nationalversammlung verbleiben. Die Regierung wird auf dem Boden der Verfassung stehen.

Der Arbeitsklub ist eine neue Partei, welche sich von der Wyzwolenie- Partei gespalten hat. Ihre Führer sind der ehemalige stellvertretende Minister­präsident Thugutt und der ehemalige Minister Prof. Bartel. Die Partei fämpft für die Rechte der kleinen Landwirte, fordert die vollständige Durch führung der Bodenreform, ist gegen den Kommunis­

Von allen mißbräuchlichen Berufungen auf das deutsche Volf, an denen die Politik des deutschen Bürgertums so überreich ist, muß wohl die Berufung auf die Zölle als einer Lebensnotwendigkeit des deutschen Volkes als die mißbräuchlichste und empörendste angesehen werden. Schon die immer wieder von den Lebensbedingungen seiner großen Mehrheit nach er überhaupt Arbeit hat! reicht faum aus. mus und tritt für die vollständige nationale Selbst­agrarischen Führern erhobene Behauptung, das auf das Gedeihen von Industrie, Handel und die primitivsten Lebenserfordernisse zu be- verwaltung der Minderheiten ein. In der auswärti­gesamte Landvolk jei an Lebensmittelzöllen Gewerbe angewiesen. Die überwältigend große streiten, für seine geistige Fortentwicklung, für gen Politik vertritt sie die Politik der internationa­interessiert, ist grundfalsch; wenn noch so oft Masse wohnt dichtgedrängt in den industriellen Erholung, für etwas Freude und Glück in len Pazifikation. das Gegenteil behauptet wird, so bleibt es doch Randgebieten, ihr Anteil an der Landwirtschaft seinem grauen, ewig gleichbleibenden, kummer­wahr, daß das Landvolk, die Großen und die ist weit geringer, als der anderer Nationen im erfüllten Dasein bleibt ihm nichts übrig. Baldige Einberufung des Sejm. Kleinen auf dem Lande, durchaus nicht eine Staate. Aus der durch Zölle sich ergebenden Kann es da noch eine Frage sein, wo Krakau , 15. Mai. Sonderausgaben der War­Familie" mit gleichartigen Interessen bilden, Teuerung würden relativ und absolut weit der Kampf um die Sicherung der schauer Blätter melden, daß der Sejmmarschall sondern daß auch auf dem Dorfe Klaffengegen mehr Angehörige der tschechischen, slowakischen Existenz und Zukunft des judeten- Rataj bei der Uebernahme der provisorischen jäße bestehen und Zölle der Mehrheit der Dorf- und magyarischen Nation Nußen ziehen, als deutschen Volkes einzuseßen Regierung von Witos erklärte, er werde in den bewohner, das sind jene, die weniger pro- Angehörige der deutschen Bevölkerung, die sich hätte? Soll er damit beginnen, einer ein- nächsten Tagen den Termin für die Einberujung duzieren, als für ihren eigenen Bedarf not- auf eine weitere Verelendung gefaßt zu machen zelnen Schichte, der großagrarischen, auf Kosten der Nationalversammlung sestießen, welche die wendig ist, eher schädlich als nüßlich sind. hätte. Eine nette Volfsrettung, die dem eigenen der Gesamtheit größere Wohlhabenheit zu Wahl des neuen Staatspräsidenten vornehmen Nur eine relativ kleine Schichte der Landwirte Volf gesteigerte Not, den anderen Nationen, schaffen? Wären die deutschen Besitzklassen über- soll. Pilsudski soll erklärt haben, daß er an der fann von Zöllen Vorteil erhoffen, daher fehlt werigstens in weit größerem Maße als der haupt fähig, den Sinn nationaler Arbeit zu Bildung der neuen Regierung fein persönliches den Agrariern jogar schon das Recht, sich als eigenen, cußen bringt! Die Zukunft des Su erkennen, wären sie nicht eingesponnen in das Interesse habe; es liege ihm nur daran, daß die die Anwälte des Landvolkes aufzuspielen. Aber detendeutschtums durch eine Sungerkur zu för- Neß ihres sozialen Egoismus, sie müßten eben neue Regierung aus ehrlichen und vertrauens. erst das deutsche Volk überhaupt! Städter, In- dern, das ist blanker Hohn auf die wirtschaft- aus ihrer nationalen Gesinnung heraus mit würdigen Personen beſtehe. duſtrie- und gewerbliche Arbeiter, Angestellte. liche und soziale Not des deutſchen Volfes, iſt uns den schärfſten Kampf gegen den Angriff Die Sozialdemokraten einmütig für Handwerker, Gewerbetreibende, Geschäftsleute schamloser Mißbrauch mit dem Begriffe der auf die Gesundheit des deutschen Arbeiter= Pilsuditi. und Pensionisten wie sollen diese glauben, nationalen Gesinnung. volkes, der mit den Zöllen unternommen wird,

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ihr Wohl hänge von den Agrarzöllen ab und Die große Masse des sudetendeutschen führen. Wahre nationale Politik heißt: Men- Rattowi, 15. Mai.( Wolff.) Gestern die Zukunft des judetendeutschen Volkes sei von Volfes hat Jahre der Entbehrungen und des fchenökonomie, heißt, Sorge für die fanden Besprechungen zwischen den deutschen und der Verteuerung aller Lebensmittel bedingt! bittersten Leidens hinter sich, die ärger noch als Gesundheit, Kampf für den sozia- den polnischen Sozialdemokraten statt, die Haupt­Wenn die bürgerlichen und agrarischen bei den anderen Nationen zur Schädigung der len Aufstieg, Sicherung menschen- sächlich die Stellungnahme beider Parteien zu Barteien von den Belangen" des deutschen Volksgesundheit beigetragen haben. Seit dem möglicher Grundlagen für die dem Staatsstreiche Pilsudstis zum Zwecke hatten. Boltes sprechen, so verstehen sie darunter stets Beginne des Krieges hat diese Masse noch Gristenz der breiten Volfs maj- Der Vorsitzende der deutschen Sozialisten, der nur ihre Klasse, und niemals noch war ihnen feinen Sonnenstrahl gesehen und fein Auf- fen. Wer diese Masse, die den wertvollsten Sejmabgeordnete Rowo II, erflärte im Einver­ständnisse mit der polnischen sozialdemokratischen das deutsche Volk die Gesamtheit seiner Ange- atmen war ihm gegönnt. Sie hat im Striege Teil jedes Volkes bildet, vücksichtslos aus- Partei, daß sich beide Parteien vorbehaltlos auf hörigen. Sie deklamierten von Volkstum und die größten Entbehrungen mitgemacht, und die mergeln hilft und ihm das tägliche Brot ver- die Seite Pilsudskis stellen. deutschen Belangen, als sie sich der Gewährung dem Striege bald folgende Wirtschaftskrise hat teuert, der mag noch so viel von Volkstum

von gleichen politischen Hechten an ihre besi- gerade sie mit schärffter Wucht getroffen. Es fafeln, er ist ein Totengräber des deutschen uns von der tschechisch- polnischen Grenze zugefomme­losen Volksgenossen leidenschaftlich widersetzten. sind die deutschen Gebiete, in denen Arbeits- Volkes. Das nationale Bürgertum aller Schat- nen Nachricht wurde gestern abends in Polen die und sie berufen sich auch jetzt wieder auf den losigkeit und verminderte Arbeitsgelegenheit tierungen überläßt den Kampf um die Erhal- Mobilisierung verkündet und heute bereits die Ein­notwendigen Schuß der heiligsten Güter der am ärgsten grassieren, wo daher auch die schlechtung der Lebenskraft seiner arbeitenden Selassen berufungskarten eingehändigt. In Tschechisch Teschen meldet sich bei der politi­Nation, da sie Schulter au Schulter mit Tsche- testen Löhne gezahlt werden. Krankheit, Elend, dem sozialistischen Proletariat. Seine Preſſe,

Donnerstag ging aus Polnisch- Teschen die Gar

chen, Slowaten und Magyaren der Mehrheit Siechtum sind die ständigen Begleiter auf dem soweit sie davon, Kenntnis nimmt verzeichnet schen Verwaltung eine große Reihe von Polen , ihrer eigenen Nation die wichtigsten Lebens- Lebenswege des deutschen Proletariats, das den liebevoll die Kundgebungen der agrarischen welche infolge der verworrenen Verhältnisse in Polen mittel der Mehrheit dieser Nation zu ver- Hauptbestandteil des judetendeutschen Volfes Brotverteuerer und spricht begeistert von schön für die Tschechoslowakei optieren wollen. teuern suchen. An feiner der Nationen im bildet, die Art seiner Nahrung reicht nicht aus, verlaufenen Bauerntagungen", wenn agrarische nison ab, welche vor ihren Abzug den Schwur er­Staate würde sich eine Steigerung der Teue- um die täglich verbrauchte Arbeitsenergie der Führer irgendwo im Namen des Deutschbums neuern mußte. Die Garnison befindet sich gegen­rung so verhängnisvoll auswirken, als gerade arbeitenden Menschen zu erseßen. Und wie ist für die künstliche Verschärfung der Teuerung wärtig in Bilsko. Auf dem dortigen Bahnhofe wur­an der deutschen . Das deutsche Volf in der es um die Hebung der deutschen Volkskultur eintreten. Deutschtum, wie es das Bürgertum den gestern abends einige Feldgeschüßbatterien auf­Tschechoslowatischen Republik ist in seinen bestellt! Was der Arbeiter verdient wenn versteht.

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gestellt.