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6. Jahrgang.

Sozialdemokrat

Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der tschechoslowakischen Republit.

Was ist politischer Realismus?"

Donnerstag, 10. Juni 1926.

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Nr. 135.

Flammender Proteststurm gegen die Zölle!

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sie eindringenden Zwischenrufe ruhig, wenn auch sichtlich verlegen, ihre Hände unten lassen und so dagegen stimmen. Der Antrag wird mit 99 gegen 144 Stimmen abgelehnt. Sodann haben die tschechischen Nationalfozia­

liſten zehn Anträge eingebracht, welche Erklä­

fordern. Der Präsident will über sämtliche An­

trög: gleichzeitig abstimmen lassen; ein op positioneller Gegenantrag wird abgelehnt und die chn Anträge von derfelben Zollmehrheit unter großen Lärmszenen in Bausch und Bogen nie­

dergestimmt

Jm Abgeordnetenhause hat gestern die Berhandlung über den Zollantrag begonnen Die Eröffnung der Zolldebatte. Niederstimmung aller oppositioneller Anträge. Heitige, und soll nun in Tag- und Nachtsizungen bis langandauernde Lärmszenen, Pultdedel- und Pfeiftonzert der deutschen   Sozialdemokraten und zu ihrer Beendigung durchgeführt werden, die Kommuniſten. spätestens Sonntag früh erfolgen soll, denn für Der größte Deutschenhasser als Wortführer der Landbindler und Kleritalen. Montag nachmittag ist schon die Sigung des   Prag, 9. Juni. Der Kampf um die Zölle| Bodenamtes, als erster Redner für die Vorlage während die deutschen Agrarier und Chrift­Senates anberaumt, in der die Zollvorlage der hat heute mit einer Schärfe eingefeßt, die den im Namen der gesamten Zollloalition, also a u chlichsozialen, troß der von allen Seiten auf Ausschußberatung zuzuweisen beabsichtigt ist. Zollparteien und namentlich den   deutschen   Kle- für die deutschen   Zollwucherer, das Die Abstimmungsmaschine steht genau wie rifalen und Landbündlern wenig angenehm ge- Wort ergriff. Der brutale Vernichter in den Zeiten der seligen allnationalen Stoali- wesen sein mag. Die Tumultszenen, die sich heute Tausender deutscher   Existenzen als tion schon bereit, nur daß an ihren Hefeln zum waren nicht vorher abgefartet und nur dazu be- teien der Landbändler und Kleri­stundenlang im Abgeordnetnhause abspielten, Wortführer der deutschen   Par­Unterschied gegen früher nun auch Deutsch  - stimmt, zum Fenster hinaus zu wirken, sondern kalen, die vor den Wahlen mit der Ein bürgerliche stehen. Alle üblen Sitten und Me- waren der elementare Ausdrud der heitsliste die Zauberformel für die Errettung thoden, welche, solange sie nur von der rein tiefsten Empörung, die namentlich in den des Sudetendeutschtums gefunden zu haben vorzungen verschiedener Minister zur Zolffrage, tschechischen Parlamentsmehrheit praktiziert Kreisen der deutschen   Zollgegner, vor allem gaben und jetzt schnöder Habsucht willen dasselbe träge gleichzeitig abstimmen lassen; ein op­wurden, den deutschbürgerlichen Parteien An- bei unseren Genossen sowie auch bei ben Kommu- deutsche Volt an Herrn Biškovsky verraten, der laß zu Klagen und Beschwerden gegeben haben, nisten, herrscht. Die trawalle" waren nicht größte Deutschenfresser als Wort laſſen ſich jetzt die in der Zollfrage mit den mutwillig hervorgerufen, sondern die selbst führer stramm deutscher   Parteien, Tschechen, Slowaken und Magyaren auf Gedeih berständliche Reaktion auf die das ist wohl das bezeichnendste Bild, das wir und Verderb verbündeten deutschen   Agrarier, Provokation, die sich die Zollmehrheit in uns aus den heutigen Parlamentsverhandlungen Christlichsozialen   und Gewerbeparteiler schmun diefer Frage schon geleistet hat und sich heute unauslöschlich einprägen müssen! Hierauf will der Präsident Malypetr be zelnd gefallen, stets bereit, es in allem und wieder leistete. reits in die Verhandlung der Zollvorlage eingehen; jedem dem tschechischen Stoalitionsvorbilde Gerade die deutschen Landbündler der Referent, Dr. Zadina, cilt bereits zur Red­gleichzutun. und Klerikalen haben sich heute wieder Die für heute um halb 11 Uhr anberaumte nertribüne und will sein Referat beginnen, als Im tosenden Lärm, so daß kein Wort zu Bollparteien auf Leben und Tod verbunden, all vor 12 Uhr eröffnet, da das Präsidium sich in Lärm losocht. Die Kommunisten schreien auf ein starkes Stüd geleistet, als sic, den tschechischen Sitzung des Abgeordnetenhauses wurde erst knapp auf den Bänken der Opposition ein großer verstehen iſt, hält der Berichterstatter über die die brutale Niederstimmung der oppositionellen der Frage der Beschränkung der Redezeit den Gewerbeparteiler Najman ein, auch die Zollvorlage sein Referat, das gerade nur der Geschäftsordnungsanträge mitmachten, sogar lange nicht einigen konnte. Schon lange vorher tschechischen Sozialdemokraten und Nationalsozia­neben ihm am Bulte stehende Stenograph zu für die Beschränkung der Redezeit war das Haus dicht gefüllt und es bildeten sich liften geraten mit den Zollfreunden in erregte hören imſtande ist. Wie hätten sich die Deutsch  - bei dieser so wichtigen Vorlage stimmten und einzelne Gruppen, die lebhaft diskutierten. Als Auseinandersehungen. Die Kommunisten machen bürgerlichen früher über diese Art der Ver- schließlich auch die Behandlung der Sprachen Malypetr endlich den Präsidentensitz ein- den Präsidenten in scharfen zurufen, die von handlung" entrüstet! Nun, da es um den fetten berordnung, um die sie noch vor wenigen nimmt, tönen ihm Rufe entggeen: Lange genug Bollprofit und um die Kongrua geht, finden Monaten einen heftigen Kampf geführt hatten, habt ihr uns warten lassen!" Nach einigen Mit sie es in schönster Ordnung! Und wie die hintertrieben. teilungen des Präsidiums kommen zunächst einige Guillotine der neuen Mehrheit klappt! Einige Geschäftsordnungsanträge, von den oppositionellen sozialistischen   Parteien gie, die nunmehr ihre letten Schleier abwirft, die sich auf die Zolldebatte beziehen, zur Ab­eingebrachten Anträge, die vor Eintritt in die gründlich ab und hielt ihnen vor, was sie für ein siimmung. Berbrechen begehen, wenn sie allen fünftigen Zolldebatte zur Abstimmung gelangen, werden Regierungen ein Ermächtigungsgeseß schlimmster eingebracht, der Ministerpräsident möge sich in Der Kommunist Saten hat einen Antrag glatt niedergestimmt, denn sie könnten den Art in die Hände geben, wenn sie die brutale der Sigung einfinden und Moment der Abstimmung, den die Zöllner Handhabung der Geschäftsordnung, die bisher nicht rasch genug herbeisehnen können, um ein nur gegen Deutsche   gehandhabt wurde, nun auf paar Stunden hinausschieben. Aufklärung über einmal mitmachen und dadurch für alle Zei die voraussichtliche Wirkung der Lebensmittel- ten sanktionieren. Unsere Partei wird zölle auf die Ernährungsverhältnisse der ar- den Kampf gegen die Zölle mit der Abstimmung beitenden Volksschichten, auf die Wirtschaft und im Parlament nicht aufgeben, sondern vor dem andere Kleinigkeiten! Was soll das den Zoll- Forum der Wählerschaft die bürgerlichen Zoll- abgeben. Unter allgemeiner Unruhe werden auf wucherparteien! freunde zur Rechenschaft ziehen und nicht cher Antrag der Kommunisten die Stimmen ausge­ruhen, als bis der Sieg in dieser für die gesamte zählt. Für den Antrag ſtimmen nur die deut Arbeiterschaft lebenswichtigen Frage unser ist. fchen und tschechischen Sozialdemokraten, die tsche­Der Gipfel des Zynismus war erreicht, als chischen Nationalsozialisten, die Kommunisten so­Herr Bištobath, der allgewaltige Herr des wie die Deutschnationalen und Nationalsozialisten,

Genosse Poh Irechnete mit dieser Demago­

eine Erflärung über den Standpunkt der Regierung zur Durchführung der Sprachen­verordnung sowie über die Konzessionen, die den deutschen   Zollparteien in dieser Frage gemacht wurden,

schrillen Pfiffen begleitet sind, darauf aufmerksom, daß noch eine Reihe formaler An­träge zur Geschäftsordnung vorliegt und daher ein Eingehen in die Tagesordnung noch nicht zulässig sei. Ein Pultdedeltonzert der Kommunisten und unserer Genossen, das einen ohrenbetäubenden Lärm verursacht, unterstützt nertribüne auf Aufforderung des Vorsitzenden wirksam diesen Protest, so daß Za dina die Red­wieder verlassen muß. In den Lärm mischen sich laut die Rufe nach Neuwahlen, welche die Kommunisten und namentlich Frau 3eminova fordern. Sie gerät dabei in einen scharfen Konflikt mit dem Agrarier Mašata. Auch der tschechische Sozialdemokrat Prokeš gerät mit den tschechi= fchen Agrariern hart aneinander. Das Pultdedel­fonzert und der Lärm dauert fast zehn Minuten; der Präsident schwingt nur selten die Glocke und verhält sich im übrigen ziemlich passiv.

Ueber eine Wirkung der Zölle sind sie sich klar: daß die Reichen am Lande durch sie petr die weiteren Anträge zur Geschäftsordnung Endlich legt sich der Lärm soweit, daß Maly­noch reicher, die Armen im Staate noch ärmer zur Verlesung bringen kann. werden. Mehr brauchen sie nicht zu wissen und Ein Antrag rante fordert die Absetzung der Zollvor­darum schwebt ein Lächeln des Hohnes auf den Lippen der deutschen Christen, als ein oppo- bündlerische Abgeordnete Dr. Hanreich, der neuen Ermächtigungsparagraphen, der ihre Czech und Remeš, der außerdem die Rückver­lage von der Tagesordnung, ebenso Anträge Dr. fitioneller Antrag, der vom Ernährungsminister allen, die Anstößiges daran finden, daß Land- Vollmacht und Allmacht steigert, und den sie weisung an den Initiativausschuß verlangt, da Aufklärung verlangt, inwieweit die Zölle die bündler, Christlichsoziale und Gewerbeparteiler willkürlich für ihre tschechisch- nationalen Machi- die Vorlage nicht die Bedeckungsfrage erwähne. grassierende Tuberkulose zu steigern imstande über alle politische und nationale Bedenken nationen gegen die eigenen Staatsbürger und Malypetr weist diesen Antrag bereits mit Hinweis find, von ihnen niedergestimmt wird. So eifrig hinweg mit den Tschechischbürgerlichen eine gegen die Nachbarstaaten mißbrauchen kann. auf einen eben gefaßten Beschluß der gemein­sind die biederen Landbündler, Christlichsozia- Ertratour tanzen und der Regierung eifrig alle Was ist dabei? Man huldigt halt dem politi- schaftlichen Präsidialsißung zurück, wogegen die len und Gewerbeparteiler an der Arbeit, daß sie Steine aus dem Wege räumen, zurust: Was schen Realismus, der es schließlich, trotz aller schechischen Sozialdemokraten heftigen Pro­gar nicht mehr darauf achten, worüber abge- wollt ihr Naiven, die ihr von praktischer Politik üblen Düfte, die er ausstrahlt, doch bewirkt, test erheben. Besonders Remes weist schreiend stimmt wird; es genügt, daß sich auf den nichts versteht! In der Politik ist eben ein daß man in der Form von Zöllen und Kon- darauf hin, daß dies eine Verlegung der Geschäftsordnung und der Verfas­Bänken der tschechischen Schutzöllner die Hände gewisser Realismus" notwendig! grua dabei sein Geschäft macht. sung sei. Wieder werden alle diese Anträge erheben und automatisch heben auch schon die Wir, die Landbündler, und mit uns deutsche Ihr sagt, nach der Verabschiedung von unter großem Strawall gemeinsam abgestimmt und deutschen   Recken ihre Hände. Und es geschah, Christlichsoziale und Gewerbeparteiler, sind Zöllen und Kongrua komme der Fußtritt? von der Zollmehrheit abgelehnt, ebenso ein An­das; nicht einmal ein Antrag des Abgeordneten eben nicht in einen unfruchtbaren Idealismus Mag sein! Nun, dann wird man eben wieder trag auf Rückverweisung an den landwirtschaft Hafen, der den Ministerpräsidenten auffordert, verbohrt, der nichts trägt, wir sind poli- treudeutsch und kerndeutsch bis ins Mark wer- lichen Ausschuß. dem Hause über die Handhabung der tische Realisten, und, wie Zölle und den, bis, nun, bis sich dann wieder eine Ge- Immer wieder stimmen die deutschen Agrarier Sprachenverordnungen Bericht Kongrua zeigen, lohnt sich dieses Geschäft gut. legenheit bietet, die heimliche Liebe zu den und Christlichsozialen sämtliche oppositionellen An­zu erstatten, in ihren Augen Gnade fand. In der gestrigen Deutschen Landpost" geschieht tschechischen Standes- und Klassengenossen zu träge nieder. Einen neuen Entrüftungssturm ruft Wie die Sprachenverordnung gehandhabt wird, es, daß sich Herr Dr. Hanreich, der politische einer offenen zu machen, wie das jetzt das provozierende Berhalten der tschechischen Agrarier hervor, die über einen Antrag der Kom­das interessiert die Zolldeutschen ebensowenig. Realist, mit jenen Stimmen aus dem deutschen der Fall ist: wie die Regelung der Staatsangestelltenver- Bürgertum auseinandersetzt, die in der Eine kleine Unbehaglichkeit ist dabei frei. munistin Landa- Stychova, daß auch der hältnisse, die sie vorgestern der Zollvorlage Schüßenhilfe, welche die deutschen   Zollparteien lich nicht zu vermeiden: wer wird uns politische Gesundheitsminister sich in der Sißung einfinde, wegen zurückstellen halfen. der tschechischen Beamtenregierung leisten, und Realisten noch ernst nehmen, wenn wir nach Das Volt kann sterben, wenn ihr nur die Zölle höhnisch zu lachen beginnen. Man hörte Rufe: Kommt Zeit, kommt Rat! Wenn der Zoll in dem Eifer, mit dem sie als Wegbereiter der dem Fußtritt wieder in die Opposition ge- haben werdet! raubzug beendet jein wird, dann läßt sich viel fünftigen tschechischen Soalition sich betätigen, zwungen sein werden? Wer wird uns trauen Endlich gelingt es dem Vorsitzenden, als der leicht wieder über die Sprachenverordnungen io etwas wie nationalen Volksverat erblicken. dürfen, wenn wir wieder geloben müssen, in ununterbrochene Lärm etwas abflaut, dem Be­reden, dann kann man auch wieder Beamten- Nun weiß man, wie es zu machen ist und den Kampf um die Belange des deutschen   richterstatter Dr. Zadina das Wort zu erteilen. freundlichkeit hervorkehren und für die heilig wie das Ding heißt, das jede Niedertracht und Volkes zu ziehen? Aber wer wird an das Raum ist er auf der Rednertribüne, so sett ſten Güter der deutschen   Nation schwärmen. Gewalttat in rosigem Lichte verklärt erscheinen Morgen denken, da heute so lustig das Lämp- ein Höllenlärm ein, der alles bisher Dagewesene So lange aber Zölle und Pfaffengehalte nicht läßt! Politischer Realismus! Man chen glüht, da die Zölle so reichen Gewinn ver in den Schatten stellt. Während seiner ganzen unter Dach und Fach sind ausgeschlossen! hilft, die Volksmassen in Gemeinschaft mit den sprechen und die Aussicht auf die erhöhten etwa 20 Minuten dauernden Rede ist er gezwun­Die deutschen Mannen, die jetzt mit dem andersnationalen Volksausplünderern zu Songruagebühren die Augen aller Pfarrers- gen, ausschließlich den beiden Stenographen in die nationalen" Erbfeinde durch dick und dünn schröpfen und es tut nichts, wenn dabei gerade föchinnen freudig aufleuchten läßt! gehen, haben auch schon das Mäntelchen bereit, das deutsche   Volk in besonderem Maße zum Aber der Tage sind nicht alle! Das werden um die Schandtaten, die sie gegenwärtig be- Bluten verhalten sein wird. Das bringt eben die, so ihre Schandtaten mit dem politischen gehen, zuzudecken. Es heißt: politischer der politische Realismus! Man gibt der tsche- Realismus zu beschönigen suchen, noch recht­Realismus"! Sein Erfinder ist der land- chischen Regierung in der Zollvorlage einen zeitig zu erkennen Gelegenheit erhalten!

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Ohren zu schreien, die dicht neben ihm stehen. Sonst versteht kein Mensch im ganzen Saal auch nur ein Wort davon. Unsere Genossen sowie die Kommunisten schlagen im Takt auf die Bänke, rütteln mit den Schubladen, hauen mit Schriften

auf die Pulte, daß ein fürchterlicher Krawall ent­