Sette 4.

In den Krallen der Wohnungsnot.

Bilder vom Wohnungselend im Tepliker Industriebezirt.

so

( Schluß.)

14, 1926.

einen Besuch abstatten. Ein tschechischer Berg- der Schulgasse. In Eichwald betreiben un­mann wohnt in einer innen und außen ganz fere Genossen ein Bauprojekt für 12 Wohnum­hübsch hergerichteten Bretterbude. Im Vorjahre gen gegen die Sabotage der Bürgerlichen . Aehn­hat er sie erworben, zu Weihnachten ist alles ab- liches wäre aus den anderen Industriegemeinden gebrannt, seither wieder frisch aufgebaut wor- zu berichten. Aber alles, was da unter großen den. Das Ehepaar hält sich an dieser Einsiedelei Mühen und Opfern, im Kampf gegen finanzielle noch Kleinvieh und hat sich aus dent aufge- Schwierigkeiten, staatliche Einsichtslosigkeit und Teplik. darin eine verweinte Frau und eine ganze Scharschütteten Erdhausen sogar ein kleines Aecker- bürgerliche Gegnerschaft geschaffen wurde, ist Läßt man von der Königshöhe aus den Blick verhärmter Kinder hausen. Sechs Kinder, vom lein hergerichtet. So folgen die Menschen der wenig oder gar nichts gemessen an der Riesen­über das Stadtbild gleiten, jo gewinnt man den Monate alten rachitischen Säugling bis zur Parole: Zurück zur Natur!"- Schlimmer sind hastigkeit und unerträglichkeit der Wohnungs­9 schwer zurückgebliebnen Dreizehnjährigen. Eindruck, eine der schönsten Mittelstädte unseres tiefster Seele jammert die Frau: Ich habe leute daran. Mitten zwischen den Hügeln und Straft dem Uebel nicht Herr werden. Weil aber Aus die ziemlich weit entfernt wohnenden Nachbars - not. Gut, die Gemeinden können aus eigener Landes vor sich zu haben. Eine alte Kultur des das Leben schon satt." Vor lauter Schmutz Wasserlachen steht ihre armselige Hütte aus der bestehende Jammerzustand seine Opfer bis Feudaladels und des Bürgertums hat sich in der und Ungezieferwer weiß, wie lange die Höhle Lehm und Brettern. Ein junges Ehepaar hat aufs Blut peinigt, das Glüd zahlloser Familien alten durch reges induſtrielles und kommerzielles schon steht, hundert, zweihundert Jahre?- ist sie um 3000 Stronen erworben, weil es schon zerstört, die Gesundheit des jungen Nachwuchses Leben verjüngten Badestadt prächtige Denkmäler es nicht mehr hier zu erleiden. Die Familie hat vier Jahre bei den Eltern gewohnt hat und sich vernichtet, kann man jedoch füglich verlangen, gesetzt. Die schlanken Türme der Kirchen, die Aussicht, eine bessere Wohnung zu bekommen. dort nicht rühren konnte. Von der überfüllten daß die Gemeinden in dem Abhilfeftreben bis Kuppel des jüdischen Großtempels, der markante Welch ein Glüd! Was aber die bisherige Woh- elterlichen Stube und den Schikanen eines nicht an die äußerste Grenze ihrer Bei Turm des Gymnasiums, im Vordergrunde der Kolossalbau des neuen Stadttheaters, alles durch- nung die Jahre hindurch an der Gesundheit der gerade mieterfreundlichen Hausherrn, sind die stungsfähigte eit gehen.

wirkt von fünstlerisch gestalteten Park- und Kur­anlagen, dazu die Umrahmung einer selten schönen Erzgebirgslandschaft- das liefert ein packendes Gemälde, das immer wieder auf den Beschauer die stärkste Anziehungskraft ausübt. Darum sind die Teplitzer stolz auf ihre Stadt und auch die zahlreichen fremden Besucher zollen den Schönheiten des Kurortes ehrliche Bewunderung. Selten erfährt aber der flüchtig durchreisende Gast, was der Einheimische zwar weiß, jedoch in der Haft des Alltags längst nicht mehr beachtet: Daß im Herzen der Stadt hinter verkehrsdurch­fluteten Straßenzügen, wenige hundert Meter von wundervollen Parkanlagen und stolzen Baudent­mälern ein Stüd finsteres Mittelalter bis in unsere Tage erhalten blieb. Wir meinen das Judenviertel, die interessanteste Sehenswürdigkeit und zugleich die Schande von Teplitz .

Ein proletarisches Ghetto.

Genosse Dr. Mar Beck, der Arzt dieses Armeleuteviertels, stellte seine reiche Orts- und Personenkenntnis für den Rundgang zur Ver­fügung. Ein merkwürdiges Gefühl gewinnt bei der Wanderung durch die engen, winfeligen, von Schmutz und Gestank erfüllten Gassen die Ober­tand. Ta( war einmal das Ghetto der jüdischen Händler und Geschäftsleute, die in der Umgebung der Vollbürger nicht geduldet wurden und die, gedrückt von Ausnahmsvorschriften und finsteren

Vorurteilen, in die quälende Enge eines Straßen- Höhlenbewohner im Jahrhundert der Elektrizität.( Sandberg bei Teplitz ). viertels zusammenrüden mußten, das ihnen als

Kurgäste des Todes.

Wohnplay zugewiesen war. Der soziale Um- Kinder verbrochen hat, könnte kein fünftiger schichtungsprozeß der kapitalistischen Entwicklung Schloßaufenthalt gutmachen. hat die Ureinwohner des Judenviertels in Tichtere, breitete Straßenzüge hinausgeführt. Ihnen ist eine neue Schichte der Ausgestoßenen Wollte man die weiteren Wohnungsbesuche nachgerückt: das besitzlose, heimatlose Proletariat, das heute das Hauptkontingent der Einwohner- der Reihe nach aufzählen, berfiele der Bericht der schaft des Teplitzer Ghettos stellt. Die Wohnungs- Gefahr der Langweiligkeit. Finstere Gänge, ge not der Jahre vor und nach dem Kriege hat es bewirkt, daß die ungesündesten, vom baulichen wie vom sanitären Standpunkte gleich unzuläng­lichen Behausungen am stärksten überfüllt sind. Nach dem Vorhergesehenen in den anderen Orten, war man kaum noch auf Ueberraschungen gefaßt. Und doch wirkten die Bilder des proletarischen Wohnungselends im Teplitzer Judenviertel schon wegen der Lage und Umgebung aufreizender als

alle anderen.

So wohnen arbeitende Menschen.

Menschen in die Wildnis des verlassenen Tag baues geflohen, trot Kälte und Einsamkeit scheinen sie sich hier wohler zu fühlen als im Bereich der Zinsfasernen.

zweite

Der Verpflichtete ist der Staat. Denn es ist nicht so, wie eine dumme kapitalistische Legende be­hauptet, daß erst der Mieterschutz die Wohnungs­not erzeugt hat. Wahr ist, daß das Uebel seine Wurzeln in den argen Versäumnissen der Vor­triegszeit hat, in der Gütervernichtung des Krie ges, in dem Wirtschaftschaos der Nachkriegszeit. Der Staat hat aber seine flare Verpflichtung zur Wiedergutmachung der Kriegsschäden auf wohnungspolitischem Gebiet nur fäumig er­füllt. Was er an realer Hilfe durch die Bau­förderung bot, wurde in der nach nationalisti­schen Grundfäßen erfolgten Gewährung zur Quelle eines himmelschreienden Unrechts. Da­zu das jahrelange Versagen der staatlichen Bau­förderung allein ein Grund, die Schuldigen vor den Staatsgerichtshof zu stellen! und nun die Verhöhnung der Wohnungslosen mit dent neuen Baugesetz- Entwurf! Die für das Jahr 1934 verheißene Rückkehr zur Normalität" der Wohnungsproduktion und des Wohnungs marftes ist eine beispiellose Herausforderung für Hunderttausende arbeitender Menschen. Sie bedeutet nichts anderes als die Wiederausliefe rung des Besitzlofen an die Grundrentner, an die Grundstück- und Bauspekulanten, an die nackte Willfür Der Eigner der Zinsfasernen. Ein Blick in die Wohnungen, welche dem Arbeiter die vielgepriesene Wirtschaftsfreiheit der Vor­friegszeit beschert hat, weckt Schauder und Ents setzen.

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In jedem Industrieort stehen graue Zinsfaser­nen, ungesunde, licht- und frendlose Wohnlöcher als Zeugnis da, daß der Kapitalismus bei der Deckung des Wohnungsbedarfes der arbeitenden Menschen kläglich versagt hat und daß er morgen wieder verjagen muß, wenn er aufs neue vor die Aufgabe gestellt wird.

für die Ausroitung

Eine Sehenswürdigkeit für sich ist die im Es gibt kein ,, Zurück" in die Hölle der Zinska Bilde wiedergegebene Höhlenwohnung auf fernen, sondern nur ein Vorwärts" zu lichten dem Sandberg bei Teplit, wo eine Familie und menschlichen Behausungen. Kein Gebiet der brechliche Holzstiegen führen immer wieder zu unter primitivsten Verhältnissen schon seit drei Wirtschaft ist so überreif neuen Stätten proletarischer Wohnungsnot. Im­mer wieder die lichtlosen Räume, überfüllt mit Kindern, Erwachsenen, Alten, Kranken. Ja, die Krankheit ist in diesen Wohnterfern ein treuer und beständiger Gast; Kinderkrankheiten, Tuber­tulose, Bleichsucht, Rheumatismus gehen durch die schmalen Türen aus und ein. Nicht immer wird der Arzt gerufen. Doch wenn er kommt, wie tann er helfen? Die einzige Rettung in vielen Fällen wäre: Heraus aus dem Bazillenloch! Und zwar nicht für einige Wochen Kranken­hausbehandlung, sondern dauernd. Kann ein Arzt diese Medizin verordnen? Wenn er sie auch nennt, verursacht er den Leidenden nur ber­mehrte Seelenpein. Denn viel leichter ist es durch die zolldicken Eisengitter eines Staatsgefängnisses auszubrechen, als ein armer Teufel aus diesen Wohnlöchern entrinnen kann. So gibt es Fälle, wo der Arzt feststellen muß: So sicher als sich tagtäglich der Sonnenlauf wiederholt, müssen

In der Karlsgasse zeigt Genosse Dr. Bed zunächst die einfenstrige Sammer eines alten bau­fälligen Hauses. Die Tür ist durch ein Kinder­bett verstellt. Der Raum bietet kaum Platz für ein weiteres Bett und einen eiseren Ofen. Ein Ehepaar mit 2 Kindern wohnt drin. Die Frau schwanger; der Arzt muß ihr zureden, daß sie hier doch nicht entbinden kann. Ein Kind war frank im Spital, als es heimtam ist es im Bett durch diese franten Menschen bei solchen Wohnungs­das hereinströmende Regenwasser wieder durch- verhältnissen zugrunde gehen! Hier stößt die täßt und verkühlt worden. Einen Stock höher beste Kunst und die edelste Hilfsbereitschaft des überfüllte Mansardenwohnungen, feucht, regen Arztes auf unübersteigbare Schranken. Vielleicht durchnäßt. Der Hausherr lebt irgendwo in Wien , illustrieren die Teplißer Verhältnisse am besten läßt nichts mehr richten, schert sich überhaupt die wahnwitzigen Auswirkungen der Klassen­nicht um die Parteien, soweit er sie nicht mit unterschiede: Aus fernen Gegenden kommen Kur­Zinssteigerungen beglücken kann. gäste in die Stadt, an deren heilsamen Quellen In der Badegasse: Jm trostlos dunklen sie gar oft ihre verlorene Gesundheit wiederfin­Zimmer und einem ,, üche" genannten Vorraum den. In jeder Weise ist für sie vorgesorgt: Kur­10 Personen. Die einzigen Fenster auf den Hof häuser, Badeanlagen stehen bereit, bewährte hinaus, das heißt in ein lichtloses Gewinkel, das Aerzte sorgen für das gesundheitliche Wohl, Part­Schutthaufen und Schmutzlachen umschließt. Bei anlagen, idyllische Spaziergelände, Kurtonzerte der schlechten Kanalisation sind Ueberschwemmun- für Erholung und Zerstreuung. Alles ist bereit, gen mit Jauche an der Tagesordnung. Soll man ihnen zu helfen und zu dienen um des lieben Jahren vegetiert. Wozu die umfangreichen Aus-| Lapitolistischer Geschäftsmethoden Sa fleißiges Lüften empfehlen? Auf die Frage, Geldes willen. In engster Nachbarschaft mit den grabungen und wissenschaftlichen Expeditionen Durchsetzung gemeinwirtschaftlicher Formen der ob es auch hier hineinregnet: Beute gerade Kuranlagen, Bädern und Kurhäusern wohnen zur Erforschung der Ürzeit, wenn man bei einem Bedarfsbefriedigung. Man kann daran denken, nicht, aber in den letzten Tagen hätte die Kurgäste des Todes. Proletarier, fleinen Spaziergange in unmittelbarster Stadt- den Mieterschutz in eine Form zu gießen, wo et die mit ihrer Hände Fleiß den Reichtum der nähe moderne Höhlenbewohner antreffen tann? es uns bald fortgeschto e m m t." Badegasse 25: Causherr ist die Stadtge- Stadt und des Landes mehren, müssen als meinde. Die Hausflur gleich einem Zugang zu den Opfer der Wohnungsnot frant und siech bleiben Katakomben. Gegen den Hof eine richtige Dunkel- und früh dahinsterben, damit die Anderen gesund kammer. Kommt man durch die halbverstellte Tür werden können. Gegen das Krebsübel der Zeit

ohne Genickbruch hinein, tostet es schwere Mühe gibt es feine Kurfommission. um 5 Uhr nachmittags die Jnwohner zu zählen.

5 Personen hausen hier, die Mutter ist vor einigen Wochen von dem einen der zwei Betten wegge­

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Lasset uns Hütten bauen."

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Ein Haus in der Wildnis( Tagbau des Wenzelsschachtes).

und für die

mant

nicht mehr zur Ursache permanenten Streites zwischen Mietern und Vermietern wird, Kampf der Wohnungsschande! kann sich mit dem Gedanken befreunden, daß da Wie könnte man diesen Bericht anders ab- bei die Schädigung kleiner Existenzen womög schließen, als mit einem Appell zum Kampfe lichst vermieden werden soll, aber eines ist uner­gegen die Wohnungsschande unserer Zeit? Da träglich für das Proletariat, daß Mieterschutz und helfen nicht Worte, Tröstungen, Versprechungen. gemeinnützige Bauförderung als Ueberbleibsel Nur die Tat tann den Opfern des der Kriegswirtschaft" in die Rumpelfammer Wohnungselends Hilfe und Linde geworfen werden sollen. Im Interesse des arbei storben. Brave Arbeitsleute, Bauarbeiter, sind da Diese biblische Losung hat auch in der näch rung bringen. Blutwenig ist bisher in dieser tenden Volkes und der Gesellschaft muß das daheim, die sich aller Wohnungsqual zum Troß sten Umgebung der Stadt Teplitz ihre Voll- Richtung geschehen, noch weniger geschieht heute. Wohnungswesen ein Vorzugsobjekt der öffent mit bewunderungswürdiger Kraft aufrecht erhal streder gefunden. Auf den Gründen des alten Wohl haben unsere Genossen in den Gemeinde- lichen Fürsorge und der modernen Sozialpolitik tent. Ja sogar noch Muße zur Kanarienzüchterei Wenzelschachtes hinter dem Bahnhofe sind stuben redlich an der Abwehr der Wohnungsnot bleiben. Immer mehr müssen gemeinnützige finden. Nur ein blasses junges Mädchen, das gerade einige Holzbaraden der Obdachlosen im gearbeitet. In Turn sind über sozialdemokra- Hilfsmittel und Maßnahmen eingesetzt werden, für die Geschwister die Wirtschaft führt, flagt, daß Entstehen begriffen. Bis in die Tiefen und tische Initiative drei große Wohnhäuser mit um dem Volfe gesunde und preiswerte Wohnun fie fich jeden Tag elender fühlt, seitdem sie in die Löcher des verlassenen Tagbaues, links von der Staatsgarantie erbaut worden; ein über unser gen und damit auch Glück und Gesundheit zu ge fem Gefängnis steckt. Begreiflich! Weiskirchlißer Straße, haben sich die Opfer der Drängen gefaßter Beschluß auf Erbauung weite ben, bis das allgemeinee Wohnrecht 3wei Stod höher, d. h. über eine schon Wohnungsnot geflüchtet. Nach beschwerlicher Kelet- rer dreier Wohnhäuser harrt noch der Aus- aller im Interesse der Gesamtheit tätigen Men bei Tag lebensgefährliche hölzerne Hühnerstiege terpartie über die verlassenen Halden, vorbei an führung. Teplit hat dem Bestreben der sozial- fchen anerkannt und befriedigt ist. Dafür muß die Arbeiterschaft einen uner­hinaufgeklettert, bis zur Dachwohnung eines städt. Gruppen von freiwilligen" Kohlengräbern, die demokratischen Gemeindefraktion entsprechend 10 Kutschers. Kaum, daß die Tür geöffnet ist, bietet die Erde nochmals, nach dem teueren Brennstoff große und 5 fleine Wohnhäuser mit ca. 90 Woh- schrockenen und unermüdlichen Kampf führen. W. Jaksch. fich ein furchtbarer Anblick: ein fahler Raum, durchwühlen, können wir auch diesen Siedlern" mungen errichtet, außerdem einige Wohnungen in