Sonntag, 3. Juli 1927.

Nur

BERSON

fachmännisch montiert unerreicht haltbar!

Berson 750

A

Seite 25.

Die Unglücksbrücke über den Tay.

Die Kraft des Windes- Ein verhängnisvoller Rechenfehler. Vor 50 Jahren, am 25. Mai 1877, wurde| brauchbare Werte zur Errechnung des Winddrucks. die erste Brüde, die einen Meeresarm überquerte, Von der Kraft des Windes, vom Verlauf der feierlich dem Verkehr übergeben. Es war die 3250 Windströmungen und Wirbelbildungen hatte man Meter lange Brüde über den Firth of Tay zwi- nur ganz unklare Vorstellungen. schen Dundee und Newport. Nach unendlichen Und gerade der Faftor, der für den Wind­Schwierigkeiten war der Bau dieser Brüde finan- druck in Rechnung gesetzt worden war, hatte den

siert und vom englischen Parlament genehmigt| Bau der Brüde erst ermöglicht. Ihm aber ist das worden. Die Aktionäre der North British Railway furchtbare Ende, die Zerstörung der Brücke in der hatten sich zu diesem Werke, das dem Verkehr im Sturynacht des 28. Dezember 1879, zuzuschrei­allgemeinen und der aufblühenden Industriestadt, ben. Bouche, der Erbauer der Brüde, hatte einen Dundee im besonderen dienen sollte, nur schweren Winddruck von 40 Kilogramm pro Quadratmeter Herzens entschließen können. Für sie waren die angefeßt. Das war ein verhängnisvoller vechen­Stosten zu hoch, das Experiment zu gewagt, und ein Mißerfolg mußte ein Sinken der Kurse an der Londoner Börse mit mathematischer Sicherheit nach sich ziehen.

glüdsnacht mit den Zuge und etwa 200 Men- sich gelegt hatte, fuhren Fachleute mit einem ichen in die gurgelnde nasse Tiefe. Der jungen Dampfer nach der Stelle der nächtlichen Tragödie. Ingenieurwissenschaft war ein entsetzliches Opfer Der ganze mittlere Teil der Brüde war zusam gebracht worden. mengebrochen. Nur die steinernen Fundamente

Damals tobte ein wildes Unwetter über überragten das Wasser, das in Wirbeln um die Nordengland und Schottland . Dichte Finsternis in seiner Tiefe ruhenden Eisenteile, die spindel­hüllte das Land ein, als der um 7 Uhr 15 Minu- dürren gußeisernen Säulen, die Balken, die sie ten in Dundee erwartete Zug aus Edinburg ein- trugen, und der Eisenbahnzug rauschte. Taucher treffen sollte. Von Newport her war der Zug bestellten fest, daß der Zug vollständig zertrümmert reits gemeldet worden. Aber man hörte nur das worden war. Versuche, ihn zu heben, erwiesen Brausen des Sturmes. Der Pfiff der Lokomotive, sich als aussichtslos. Am Ufer fand man später das Rattern der Eisenbahnwagen blieb aus. Mi- einige Postsäde, Pelze, Schals, Muffs und ähnliche nute auf Minute verrann. Der Zug aus Edinburg Dinge, die aus dem Zuge stammten. Die Opfer fam nicht. Die Menge auf dem Bahnhof, die ihre hatte das Wasser meerwärts getragen. Mit Mühe Angehörigen erwartete, wurde von entseglicher wurden sie geborgen. Niemand war bei dieser Unruhe erfaßt. Ratastrophe mit dem Leben davongekommen.

Da verbreitete sich das Gerücht, daß man den In ganz England herrschte die größte Bestür­Zug auf der Brücke gesehen habe; dann aber habe zung. Die Kurse der Northern Railway sanken ein Feuerschein die Finsternis für einen Augen- um 8 Prozent. In der kapitalistischen Welt gab blic unterbrochen. Niemand konnte sich dieses es nur einen Maßstab für die Schwere der Gra Ereignis recht erklären. Der Stationsvorsteher eignisse: die Börsenkurse. Wer vom Unglück be­versuchte, mit dem gegenüberliegenden Ufer tele- troffen wird, gilt nicht viel. Die Börse urteilt mit graphische Verbindung zu erhalten, Bergeblich! brutaler Offenheit. Den Männern der Börse Die Drähte mußten gerissen sein. Die Drähte aber scheint das Spiel der Kurse wichtiger als die Trä waren an der Brüde entlang geführt gewesen. nen der vom Unglück betroffenen Familien. Das ließ das Schlimmste befürchten. Beherzte Das Leben aber geht seinen Gang rastlos Männer drangen gegen den Sturm auf der Brücke weiter. Die Brückenbauer lernten aus dem Un­vorwärts. Da sprudelte ihnen plötzlich aus einem glüd. Sie bauten größere und fühnere Brüden. jersey'en Rohr eine Quelle entgegen: das Wasser- Sie zeigten in den folgenden Jahren, daß der leitungsrohr, das zur Versorgung von Newport rechnende Ingenieur letzten Endes doch stärker ist

fehler. Heute rechnet man mit einem Winddruck von 250 Kilogramm bei Brücken von der Art, wie sie die Unglücksbrücke über den Tay war. Dazu fam, daß man die Brückenpfeiler aus Gußeisen Im englischen Parlament aber hatte man herstellte, das sich zum Brückenbau bei solchen darauf hingewiesen, daß noch zu geringe Erfah- Ausmaßen als völlig ungeeignet erwiesen hat. rungen für den Bau so gewaltiger Brücken vor- So war es fein Wunder, daß diese an sich lägen. Zweimal verweigerte das Parlament feine wundervolle Brücke, die überall als eins der her­Zustimmung. Eine Menge geistiger Arbeit war vorragendsten Werke der Jugenieurbaukunft ge­schon ein Menschenalter lang geleistet worden, ehe, priesen wurde, einer ungewöhnlichen Belastung allen Sindernissen zum Troß der Bau dennoch durch den zum Orkan gewordenen Wind gerade beschlossen wurde. Zahlreiche Bohrungen hatten in dem Augenblick nicht standhalten fonnte, als über die Brüde verlegt worden war. Tann noch als die Naturgewalten, wenn er ihre Kräfte rich­ergeben, daß an einer Stelle, zwei Meilen östlich ein Zug mit erheblicher Geschwindigkeit sich auf wenige Schritte weiter. Der Atem stodte. Vor tig einzuschätzen versteht. Sie zeigten, daß das von Dundee , der gesamte Untergrund aus trag der zu schwachen Brüde gegen Unwetter vor ihren Augen klaffte ein weiter Abgrund. Troß Wort Fontanes in seinem packenden Gedicht von fähigem Felsen bestehe. So beschloß man, die wärtskämpfte. Zu allem Unglück hatte sich noch der Dunkelheit erkannte man, daß die Mittelpfei der Brücke am Tay":" Tand, Tand ist das Ge­Brüde von Newport aus zunächst in gerader Rich- während des Baues herausgestellt, daß die Bohler mit den Brückenbalfen in die Tiefe gestürzt bilde von Menschenhand", immer weniger Berech tung dem jenseitigen Ufer zuzuführen und sie dann rungen zur Erforschung des Untergrundes ein irr waren. Kein Zweifel, der sehnlichst erwartete Bug tigung behält. Die Katastrophe der Taybrüde war in einem eleganten Bogen nach Osten auf Dundee tümliches Ergebnis gehabt hatten; eine Geröll- war mit hoffnungsvollen Menschen dort unten in im Grunde die Statastrophe einer Technik, die es noch nicht verstand, die Größe der Naturgewal­zulaufen zu lassen. Das Prinzip, nach dem die schicht in der Mitte der Meerenge, die nur eine der kalten Flut zu finden. Brüde gebaut werden sollte, war völlig neu. Man verhältnismäßig geringe Stärke hatte, war eben- Ergreifende Szenen spielten sich nach dem Be- ten richtig abzuschätzen. Der denkende Mensch bertraute zu sehr der Festigkeitslehre, die damals falls für tragfähiges Felsgestein gehalten worden. kanntwerden des Unglücs auf dem Bahnhof ab. aber strebt nach immer tieferer Einsicht in das noch nicht so gut begründet war wie heute. Vor Unter dieser Schicht aber lag loser Sand. Dieses Man fluchte dem Sturm und dem Erbauer der früher undurchdringlich geheimnisvolle Walten der allem fehlte es zu jener Zeit an Erfahrungen über gefährdete Mittelstück sant denn auch in der Un- Brücke. Am nächsten Tage, nachdem der Sturm

Natur.

W. M.