Samstag, 7. Jänner 1298.

Böhmisch - sächsische Grenzwanderung.

Bilder vom Eriftenzkampf des armen Erzgebirgsvolkes.

Ein rauhes Berg- und Sumpfland, den größ-[ lichkeiten anbelangt, recht arm daran. Auf der werden, weil sie wegen der schlechten Verkehrs­ten Teil des Jahres von Nebel und Dunkelheit Grenzwanderung sind viele Spuren wirtschaft verhältnisse nicht rentabel war. Auch die Spiel bedeckt, mit reißenden Raubtieren bevölkert und lichen Niederganges, aber kein Anzeichen gesun- warenerzeugung geht in Kallich zurück, es sind nur von- wenigen Pfaden durchschnitten so sab den Aufblühens der Erwerbsstätten zu sehen nur mehr zirka 30 bis 40 Menschen damit be­vor einem Jahrtausend noch nach den Schilderun- Alte und neue Regierungssünden sind mit im schäftigt, gegen 100 in früheren Jahren. Die gen der Geschichtsschreiber das heutige Erzgebirge Spiel. Da ist z. B. in Brandau ein ver- ganze Gegend ist wirtschaftlich verödet, weil die ous. Erst im zwölften Jahrhundert brachte der laffener Schacht als traurige Illustration zu in den achtziger Jahren geplante Verbindungs Bergbau reges menschliches Leben und Schaffen diesem Kapitel anzutreffen. Reichsdeutsche Unter- bahn Görfau- Rübenau nicht gebaut auf die unwiv lichen Höhen. Auf die Kunde von nehmer förderten hier bis zum Jahre 1924 wert wurde. Die österreichischen Regierungen haben reichen Silbererzfunden ergoß sich ein Strom volle Anthrazitkohle. Infolge des Markverfalles mit Hilfe der Deutschbürgerlichen lieber das hauptsächlich deutscher Einwanderer in das rauhe kam die Firma 1923 in finanzielle Schwierig Steuergeld in die bosnischen und herzegowini­Grenzgebirge. Im harten Felsgestein begann feiten. Nach Jahresfrist waren die Steuerschul- schen Starſtfelsen hineingeschustert, anstatt den Er­emsiges Bohren und Hämmern. Schmelzöfen den an den tschechoslowakischen Staat bereits aufwerbssinn ihrer ärmsten Grenzbürger zu unter­and Kohlenmeiler durchbrachen mit ihrem Rauch die feuchte Nebeldecke, und fraßen mit ihrer Glut: tiefe Einschnitte in das Urwaldgestrüpp. Auf den Waldblößen entstanden alsbald volfreiche Sied­Jungen, neue Wege und Pfade eröffneten sich dem Verkehr. Freie Bergstädie blühten auf, Han­del und Wandel stellten die Verbindungen mit den Kulturzentren des damaligen Mitteleuropa her und trugen die reichen Früchte des Berg­fegens" in die fernsten Länder. Im fünfzehnten Jahrhundert erreichte der Erzbergbau den Höhe­punkt seiner Blüte, dann brausten die Stürme ber Religionsfämpfe und des Dreißigjährigen Krieges über ihn hinweg und ließen auch dieses werffleißige Grenzland veröden. Es hat später nicht an Versuchen gefehlt, den Bergjegen" wieder so reich wie früher in leere Staatsfädel und in die Taschen des Adels fließen zu lassen, aber die alte Blütezeit fam nimmer zurück. Im Laufe der letzten Jahrhunderte sind dann die Zechen vollends ausgestorben, die Schmelzöfen erloschen, die Eisenhämmer verfallen und nur noch der Name der Landschaft erinnert an die große Vergangenheit.

Bis auf spärliche Ueberreste ist der alte Erz­bergbau erstorben, der einstens die einzige Lebens quelle des schaffenden Erzgebirgsvolfes war Aber die Bergstädte, die vielen Dörfer mit ihren auf. weitem Plan zerstreuten Fachwerk- Hütten und ihre Bewohner leben noch. Sie stehen und leben weiter auf einem Boden, der viel zu arm ist, Menschen in größerer Zahl zu ernähren, und der nur durch einen geschichtlichen Zufall so eng und so dicht besiedelt worden ist. Und so ist es feit Jahrhunderten das Lebensproblem der Erz­gebirgler, sich durch Fleiß und Geschick und Kunst fertigkeit den Bewohnern des Flachlandes im mer wieder nützlich zu machen, damit diese ihnen zum Lohn dafür den dürftigsten Lebensbedarf stillen, den ihnen der farge Heimatboden verwei­gert. Hundertfältige Versuche hat das arme Erz­gebirgsbolt bereits internommen, sich neue Daseinsgrundlagen zu zimmern, seitdem die alte Eristenzbasis zerbrochen ist. Alle Arten von Seim arbeiten wurden bereits eingeführt und vielfach wieder aufgegeben, Industrialisierungsversuche mit wechselndem Erfolg begonnen, während die Bewohner ganzer Ortschaften ihr Glüd als Musikanten, Händler und Hausierer in der engeren Seimat und auch weit in der Welt draußen erprobten. Die unermüdliche Ausdauer, mit der die Nachfahren der alten Bergmanns geschlechter um ihr fümmerliches Dafein ringen, die Räbigkeit, mit der sie sich an den geizigen Ge­birgsboden flammern, ihr freundliches Wesen,

Eine alte Schmelzhütte- heute Zuflucht der Waldbäume.

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fremde Rechnung Puhhaken und bekommt für ein Stilo 60 Heller Bohn... Sind daran auch die Sozialdemokraten schuld?

Durch den Zwang eines übermächtigen Schicksals, durch das harte Gebot der wirtschaft­lichen Tatsachen werden viele treue Erzgebirgler gezwungen, ihrer grünen Seimat Ade zu sagen. Heinrichsdorf ist der Mittelpunkt dieses Entvöl meinde noch 1400 Einwohner, derzeit um 1000 ferungsgebietes. Vor dem Kriege zählte die Ge herumt. Die Männer und Burschen sind auf der enttäuschungsvollen Arbeitsuche fortgezogen in die herum. Die Männer und Burschen sind auf der verrußten Industriegebiete, die am Fuße des Erz­gebirges oder weit im industriellen Deutschland braußen liegen. Die Frauen und Mädchen fitzen im Winter daheim an den Tischen, machen Häfel knöpfe und verdienen, wenns gut geht, 50 Heller in der Stunde. Sommers mühen sie sich im Walde mit Futterholen oder Reifigsuchen ab oder leisten für einige Kronen schiere Waldarbeit für den Großgrundbesitz. Eine gute Luft haben wir im Erzgebirge "- dieses immer wiederkehrende Heimatlob ist ein schwacher Trost für die Fortziehenden wie für die Daheim bleibenden. Wenn man Luft verkaufen könnte!" meinte einer humoristisch. Ja, dann allerdings wären die Erzgebirgler mindestens so reich wie die Saazer Hopfenagrarier. So aber kann man Luft nicht exportieren und auch in der Hemat davon nicht leben. Und so trifft man auf den gesündesten Kammthöhen viele Kinder mit schma­len Gesichtern und manche Leute, die ihrem Aus sehen nach eine bessere Kost wohl vertragen wür ! den. Darüber hilft leider die Arbeit der Heimat­i forscher und die Kunst der Heimatdichter nicht hinweg, daß der Mensch zuerst etwas im Magen haben muß, bevor er sich zu Besserem erheben

Und der ganze bürgerliche Heimatsdusel hat das Magenproblem der Erzgebirgler noch nic zu lösen vermocht und wird das Eristenzproblent dieses Völkchens auch nie lösen fönnen. Das be greifen die Arbeitsleute dieser Gegend sehr gut und sie sind in ihrer Mehrheit gute Sozialdemo­fraten. Auf den Hängen und Stämmen dieses Erzgebirgsdistrifies stehen starfe und rührige Parteiorganisationen. Im den Komotauer Be zirfskonferenzen, ob sie nun bei schlechtestem Weta fer oder in trostlosester Spaltungszeit stattfanden, haben noch selten die Heinrichedorfer Delegterten gefehlt, die vier Wegstunden vom Gebirge herab­steigen und vier Stunden wieder bergwärts zu rüdmarschieren müssen, wenn ſie dieser Partei­pflicht genügen wollen. Diese schweren Opfer bringen die Genoffen des Erzgebirges in der Zu versicht, daß der Sozialismus berufen ist, mit

rund zwei Millionen Kronen aufgelaufen. Nur| stüßen. So haust heute die Verlassenheit in den ein entsprechender Steuernachlaß hätte den Be- Waldtälern, wo sich vor Jahrzehnten schon die trieb retten können. Der Fiskus war dafür nicht ersten Puisschläge industriellen Lebens regten. zu haben, und so tam es zur Katastrophe. Die Firma wollte feinen Lohnvertrag mehr ab Heinrichsdorf- Natschung. Dieser schließen und zahlte ausgesprochene Schundlöhne. freundliche Grenzort erleidet ebenfalls das trau Als im Juni 1924 zwei Arbeiter einmal gar nur rige Schidfal wirtschaftlichen Niederganges. Das je 10 Kronen ausbezahlt erhielten, trat die ganze alte Nagelschmiedegewerbe, einstmals der Haupt­Belegschaft in Streit. Sechs Monate dauerte der beruf der männlichen Ortsbevölkerung, rentiert Stampf, bis er als aussichtslos abgebrochen wer sich nicht mehr. Die Nagelschmiederei kam aus den mußte. Die zwei Mann, derentwillen 150 Sachsen herüber und bürgerte sich bei den Hem­Berglente aus Solidarität die Arbeit niedergelegt richsdorfern fest ein. Sie betrieben das Hand­hatten, haben als die ersten Streifbrecher gewerk in kleinen und größeren Werk macht. Keine Tragödie ohne Judas ! Die reichsstätten mit primitiven Feueressen deutschen Unternehmer haben schließlich den Be- und Blasbälgen und lieferten zent trieb aufgelassen, alle Arbeiter und Angestellten nerweise Schienennägel, Schiffs­bis auf den Direktor! auf die Straße ge- nägel, Mauerhaken, Hufeisennägel worfen. Der Staat hat eine Steuerquelle ein und so weiter in die Welt hinaus. gebüßt, der arme Gebirgsort eine Erwerbsmög In den ersten Nachkriegsjahren lichkeit für 150 bis 200 Menschen verloren. Die zählte die Gilde der Nagelschmiede ehemaligen Bergleute sind jetzt als Bauarbeiter, noch 250 Mann, seither ist sie in Zimmerleute, Holzdrechsler beschäftigt, einige find stelem Rückgang und umfaßt hente in einem sächsischen Stupferwerf an der Grenze noch 20 bis 25 Ausübende. An untergekommen. Dieser Betrieb, die sogenannte dem rapiden Aussterben ist der Schweinitzmühle, ist insoferne interessant, als ein technische Fortschritt schuld und Teil seiner Belegschaft auf fächsischem, der andere nicht zuletzt eine kleine chauvini bereits auf böhmischem Boden beschäftigt ist. Die stische" Quertreiberei. Eine Stomo­einen verdienen 4.50 bis 6 Mart, die anderen 22 tauer Eisenwarenfirma erzeugt bis höchstens( im Afford) 32.50 Kronen im Tag. maschinell in einem Tag so viel Ein sehr anschaulicher Beweis dafür, daß unsere Nägel, als vorher 40 Nagel­Löhne viel niedriger sind als die der Nachbarschmiede in einer Woche fertig­länder. Auch der Abstand in der sozialpolitischen brachten. Neben den Maschinenkon Gesetzgebung tritt fraß zutage. Die Brandauer furrenten hatten die Heinrichs­Genossen weisen darauf hin, daß durch die reichsdorfer auch die Konkurrenz einer deutsche Arbeitslosenversicherung der Arbeiter vor tschechischen Nagelschmiedezunft in Krisenfolgen viel besser geschützt ist als bei uns, der Přibramer Gegend zu bestehen. daß jenseits der Grenze die Arbeitslosemunter Aber statt, daß man die Staats­stützung manchmal höher ist als bei uns der regu bahnlieferungen auf beide Grup­färe Verdienst, und sie meinen mit Recht, daß wir pen gleich armer Teufel verteilt in der Tschechoslowakei ein solches Gesetz auch sehr hätte, wie es recht und billig wäre, notwendig brauchen würden. sind die Lieferungen gan; ins tschechische Gebiet dirigiert worden, Wanderung durch das Grenzial von Branden woran auch die Zivnostenska banka nach Gabrielihütte. Auf die Straße, die nicht unbeteiligt gewesen sein soll. dem Lauf des Grenzbaches folgt, münden alte Indem man solcherart einem alten Stollen und erinnern an versunfene Bergbau Erwerbszweig den Kragen um herrlichkeit. Obwohl die Winterlandschaft alle dreht, statt mitzuhelfen, ihn auf ihre Reize entfaltet, läßt die Umgebung feine neuzeitliche Grundlage zu stellen, freudigen Gefühle aufkommen. Denn auf feiner wird man die Grenzbevölkerung anderen Grenzstrede fann man so deutlich die den neuen Staat sicher nicht liebent schwere Vernachlässigung des böhmischen Erzge- lehren. Die letzten Nagelschmieden, birges gegenüber seinem sächsischen Teil erkennen. die wir noch in Betrieb fanden, Jenseits der Grenze eine fleine Fabrik nach der werden sonach bald willkommene andern, alle in voller Tätigkeit, belebte Straßen, Studienobjekte für unsere rührigen Omnibusverkehr und elektrische Leitungen bis in Seimatforscher sein. die sich ja für die entlegendste Ortschaft. Gerüben dagegen nur alles interessieren, was einmal ge­Wahrzeichen des Verfalles. In Gabrielihütte bewesen ist. In der Werkstatt des geguen wir zuerst den avmiseligen Mauerresten lane ährigen Lokalvertrauensman ,, Wir leben in einem verfluchten Winkel." einer Fabriksruine, wo vor zwei oder drei Jahr- nes, des Genossen Körner, er­zehnten eine hoffnungsvolle industrielle Grün- fuhren wir einiges zu der be ihr heiteres Lebensfünstlertum sind wohl einer bung ihr Grab fand. Ein Stück weiter steher die fannten Streitfrage, wer denn näheren Beschreibung wert. steinernen Ueberreste einer alten Schmelzhütte. eigentlich das Kleingewerbe zu­Seltsam berührt das Bits der grauen Mauern grunde richtet. Im Jahre 1897 arbeitete seiner Arbeit die Versäumnisse und Sünden der Wir leben in einem verfluchten mit den gotischen Fensterbögen, hinter denen er bereits als Meister mit sechs Gehil| Vergangenheit gutzumachen und in der Hoffnung, Winkel da hero ben," sagte uns ein alter heute einige verschüchterte Waldbäumchen Schutz fen. Nach dem Kriege mußte er wieder daß in der kommenden Gesellschaftsordnung neuer wegen der hohen Bergsegen einziehen wird in ihre Dörfer und Genosse in St. Katharinaberg und er hatte nich: vor des Menschen Verfolgungswut suchen. In allein anfangen, so unrecht damit. Tatsächlich ist der Grenzstrich Kallich starren die Ruinen des alten Emailwerfes Steuern war er bald gezwungen, den Gewerbe- Hütten. zwischen Katharinaberg und Sebastiansberg , so. A. Lange trübselig den Vorübergehenden an. fchein zurückzulegen. Heute, nach einem schweren, wohl was Verkehrsmittel als auch Arbeitsmög- Vor zirka 35 Jahren mußte die Fabrik geschlossen arbeitsreichen Leben, ist er Gehilfe, schmiedet auf

Einer der le ßten Nagelschmiede von Heinrichsdorf.

Wenzel Jakich. Zeichnungen von Lilli Réthi.