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8. Jahrgang.

Sozialdemokrat

Zentralergun der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republit.

Entführung eines österreichischen Eisenbahners durch Za cisten.

Junsbrud, 20. April.  ( Eigenbericht.) Am Mittwoch nachmittag fuhr der Bundesbahnheizer Anton Fasching aus Innsbrud auf den Bren ner. Dort wurde er von dem italienischen   Finan zer gesprächsweise gefragt, ob ein italienischer De­ferteur in Desterreich verhaftet würde oder ob er dort eventuell Arbeit bekommen fönne. Der Hei er fagte, er werde nicht verhaftet und er könne unter Umständen dort auch Arbeit bekommen. Eine Arbeitslosenunterstüßung allerdings würde er nicht bekommen. Der italienische   Finanzer fragte dann noch, ob der Heizer einen D.ferteur nach Desterreich mitnehmen fönne. Das wurde bon Fasching abgelehnt. Schließlich wurde Fasching von dem Finanzer eingeladen, mit ihm zusammen in der Bahnhofsrestauration ein Glas Wein zu trinken. Er tat das, I am aber nicht mehr zurüd. Später wurde der österreichische Stationsvorstand von dem Vorstand des italienis schen Polizeikommandos verständigt, daß a ching wegen Verleitung des italie nischen Finanzers zur Desertion berhaftet wurde. Fasching wurde dann nach Verona   in das Militärgefängnis eingeliefert. Bei der Untersuchung durch die Bundesdirektion in Innsbrud wurde festgestellt, daß Fasching den italienischen   Finanzer weder zur Desertion zu verleiten versuchte, noch ihm Silfe bei der Deser­tion versprach. Er ist offenlundig einem Lock­spipel zum Opfer gefallen. Die Bun­desbahndirektion hat sich noch gestern an die Lan­besdirektion gewendet, damit diese Schritte unter­nehme, und die Bundesregierung hat auch sofort zugefagt, die nötigen Schritte in Italien   zu unter­nehmen.

Japanische Truppenlandungen in China  .

Totio, 20. April. Die japanische   Regierung begründet in einer amtlichen Erklärung die Ents sendung der Truppen nach China  . Sie habe, als sie letztes Jahr ihre Kräfte aus Shantung  zurückzog, der chinesischen   Regierung mitgeteilt, daß fie, falls es nötig werden sollte, wieder Truppen entsenden werde. Die Erklärung betont, daß die gegenwärtige Expedition keine feindliche Maßnahme gegen China   noch eine Einmischung zugunsten einer oder der anderen Partei bedeute.

Die nationalistische Regierung hat bei dem japanischen Generallonsul in Shanghai   wegen Entsendung von japanischen Truppen Einspruch erhoben.

Tolio, 20. April.  ( Reuter.) Die für den Schuß der japanischen Staatsangehörigen in der Provinz Schantung   bestimmten Truppen können wegen der notwendigen Vorbereitungen nicht früher als am 23. April an ihren Bestimmungs­ort abgehen; dagegen wird die japanische Trup­penabteilung in Tientsin bereits Samstag in Tichinangfu eintreffen.

Stanbrecht in Zingtau. Schanghai  , 20. April.  ( Reuter.) Die Japaner haben 550 Marinesoldaten in Tsingtau   ausge schifft, wo das Standrecht proklamiert und allen Schiffen verboten wurde, nachts in den Hafen einzulaufen oder ihn zu verlassen. Alle Meldun­gen zeugen davon, daß die Armee Suntschuang­jangs demoralisiert ist und daß auch die Armee Tschangtschungschangs sich in Auflösung befindet.

5000 Reichstagskandidaten. Berlin  , 20. April. Obzwar bisher noch nicht alle Parteien ihre Kandidaturen bekanntgegeben haben, schätzt man doch die Gesamtzahl der Stan­didaten zum Reichstag auf etwa 5000. Bei den legten Wahlen gab es mehr als 4500 Kandidaten. Heuer werden ihrer mehr sein, da zu den bisa herigen Parteien noch die kandidaturen der Lintsfommunisten und einiger fleinerer Gruppen. die sich von den bisherigen Parteien abgespalten haben, hinzukommen. Die Zahl der in den Wahl­lampf eintretenden Parteien wird auf 25 ge­jchätzt.

Für den preußischen Landtag rechnet mit mehr als 3000 Standidaten. Da aber gleich­zeitig auch die Landtagswahlen in Bayern  , Württemberg   und einigen anderen fle: neren Ländern stattfinden, dürfte die Gesamtzahl der Kandidaturen, über die die Wählerschaft am 20. Mai zu entscheiben haben wird, die Ziffer 9000 überschreiten.

Samstag, 21. April 1928.

Arbeiter und Arbeiterinnen! Genossen und Genofsinnen!

Der 1. Mai 1928 findet das Proletariat der Tschechoslowakei   inmitten ver­schärfter Klassenfämpse. Politisch steht das Proletariat vor einer Regierung des Staates, die nichts anderes sein will, als der Organisator und Führer des Klassenkampfes des Bürgertums gegen die Interessen der Arbeiterklasse. Die Bourgeoisie hat ihre nationalen, fonfessionellen, politischen und ständischen Unterschiede beiseite geschoben und

einen reaktionären Kampfblod der tapitalistischen Internationale gegen alle arbeitenden Menschen der Republik   gebildet. In den Händen der heutigen Regierungsmehrheit wird der demokratische Staat zum Werkzeug des Klassenkampfes des Kapitals gegen die Lohnarbeiter.

Wirtschaftlich und sozial kämpft das Proletariat für die Regelung der Löhne und Gehälter und für erträgliche Preise der Lebensbedürfnisse. Heute handelt es sich nicht mehr um einzelne Arte der Gesetzgebung und Verwaltung, das Proletariat tämpft vielmehr um alle feine politischen und wirtschaft­lichen Pofitionen im Staate, in den Gemeinden, in den Betrieben und Unternehmungen, im öffentlichen Leben.

Es kämpft Es kämpft gegen den frechen Angriff des Klaffengegners an. für die Erhöhung seines Einflusses im Staate, in seiner Gesetzgebung und Ver­waltung und im Produktionsprozeß;.

Auf dem denfwürdigen Prager   Kongreß der sozialdemokratischen Parteien hat das Proletariat in feierlicher Weise den Entschluß verkündet, diesen Kampf gegen die international vereinigte Bourgeoisie zu führen

in gemeinsamer, internationaler, sozialistischer Front.

E8 naht der erste Mai, der Tag des Proletariats, an dem die gesamte flaffenbewußte Arbeiterschaft

sozialistischen ihren traditionelleu Schwur der Treue zu den

Grundsätzen erneuert und an dem fie fich ihre Ziele für die nächsten praktischen Kämpfe absteckt.

Es ist eine politische Notwendigkeit, daß der heurige 1. Mai sich an einer machtvollen Manifestation des gesamten nerbrüderten Proletariats in der Republit

gestalte.

Wir rufen Euch auf, Arbeiter und Arbeiterinnen aller Nationen, in Waffen an dieser Kundgebung teilzunehmen.

Wir rufen Euch auf, in brüderlicher Einheit Euren Protestruf zu erheben gegen ein Regime, das durch die Erhöhung der Zölle und indirekten Steuern und Verschlechterungg des Mieterschuhes Eure Lebens: haltung herabgedrückt, das durch Erhöhung des Einflusses der Büro­tratie die bürgerlichen und demokratischen autonomen Rechie beschnitten hat, das unter dem heuchlerischen Vorwand der Schulautonomic sich auschickt, Den Einfluß des Klerifalismus auf Verwaltung und Geist der Schule zu er höhen, das daran geht, das Gesetz über die Sozialversicherung zu verschlechtern.

Wir rusen Euch zum Kampfe

für die Sicherstellung der bedrohten achtstündigen Arbeitszeit, für ble Beseitigung des Mißverhältnisses zwischen den Löhnen und der Teuerung der Lebensmittel,

gegen die Verschlechterung und für die Berbesserung der

Sozialversicherung,

für die Sanierung und Sicherung der Selbständigkeit der Bruderladen,

für die Reform der Pensionsversicherung der Privatange­stellten, all dies im Sinne der Forderungen der gewerk. schaftlichen Organisationen,

gegen Krieg und Imperialismus,

für bie Abrüstung und Verständigung der Böller, für die demokratische Schule,

für die Befreiung der Arbeiterklaſſe.

Genossen und Genoffinnen! Die herrschende Koalition hat bisher mit brutaler Rücksichtslosigkeit alle Forderungen der Opposition im Parlament ab­gelehnt und mobilisiert gegen die Arbeiterschaft Bürofratic und Polizei. Trotz­Dem aber beginnt die Macht des Bürgerblockes zu wanken. In den breiten: Maffen des Volkes ist die Abrechnung mit den Parteien der Koalition bereits im Gange. Die Entwicklung geht nach links. Das gleiche Bild beginnt sich fast in allen Staaten Europas   zu zeigen. Der demokratische Sozialismus ist wieder auf dem Vormarsch. Es liegt au Euch, daß die sozialistische Arbeiterfront in der Tschechoslowakei   nicht zurückbleibt hinter dem kämpfenden Proletariat in den übrigen Staaten.

Setzt alles daran, daß der heurige 1. Mai ein Ruhmestag und ein großes Signal zur Abrechnung mit der bürgerlichen Neaktion werde, daß er der Beginn fei einer Entfaltung der vereinigten Kräfte des internationalen demokratischen Sozialismus!

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Nr. 96.

Bom Agrarismus,

der den Staat auf ewig pachten möchte.

Herr Minister Spina hat in seiner Rede auf dem landbündlerischen Kreisparteitag in Sarlsbad- deren hochfahrender Ton übrigens in argem Kontrast zu dem jämmer­lichen Zustand seiner Partei steht den Agrarismus als den festen Rern jeber Regierungsfoalition bezeich net. Der Bund der Landwirte will nach den Worten Spinas seinen aktivistischen Weg weiter­gehen und dauernd in der Regierung bleiben. Dabei hat der Herr Minister aller dings übersehen, daß für das Verbleiben oder Nichtverbleiben einer Partei in der Regierung nicht die frommen Wünsche ihrer Führer maß­gebend sind, sondern daß darüber die Wähler­schaft bei den nächsten Parlamentswahlen ent­scheiden wird.

Vor allem aber ist die Auffassung Spinas von der Vor.. achtstellung des Agrarismus in allen derzeit oder fünftighin denkbaren Regie­rungsfoalitionen dieses Staates einer näheren Betrachtung wert. Wenn der deutsch  - tschechische Agrarismus darauf Anspruch erhebt, für alle Zeit der Hauptpächter der Tschechoslowakischen Republik zu sein, so ist zunächst zu untersuchen, invieweit seine gegenwärtige überragende Machtstellung auf realen Voraussetzungen be­ruht und inwiefern sie vorübergehenden Glücksfällen zu verdanken ist.

Ein Blick auf die wirtschaftliche Struktur der Tschechoslowakei   läßt erkennen, daß hier die Landwirtschaft in absehbarer Zeit als ein starfer politischer Faktor in die Wagschale fallen wird. Die Bauernparteien auf tschechischer wie auf deutscher   Seite sind die Nußnießer des allgemeinen Wahlrechtes, das die Arbeiterschaft in opfervollen Kämpfen dent halbabsolutistischen Habsburgerstaat abgerungen hat. Erst als die Sozialdemokratie in siegreichen Wahlrechtskämpfen die politischen Privilegien des Feudaladels und der städtischen Großbour­geoisie in Stücke geschlagen hatte, war der Boden für das Entstehen bäuerlicher Massen­parteien gechnet. Die politische Mobilisierung bes Bauerniums vollzog sich dann allerdings unter einer fa pitalistisch großagra­rischen Führung mit ausgesprochen ar beiterfeindlichen und antisozialen Zielen.

Auf dem Boden der demokratischen Republ famen die agrarischen Parteien erst recht zu Macht und Einfluß. Der agrarischen Bewegung fam zu statten, daß die städtisch- industrielle Be­völkerung durch die Lebensmittelnot der Kriegs. und Nachkriegsperiode lange Jahre hindurch in schwerste Abhängigkeit von den landwirtchaft­lichen Produzenten geriet. Die tschechische Agrarpartei schöpfte aus der Durchführung der Bodenreformn unerhörten Machtgewinn. Ihre dominierende Stellung im Bodenamte machte sie zur Herrin über Millionenwerte des Volksvermögens, und wie man aus zahllosen Beispielen ersehen konnte, hat die Vartei Švehlas es verstanden, diese wirtschaftliche Ber fügungsgewalt in verstärkten politischen Ein­fluß umzumünzen. Deutschen   und schechischen Agrariern ist machtpolitisch gleichermaßen die politische Spaltung der Arbeiter­flasje zustatten gefommen. Nur auf den Trümmern der einstmals geschlossenen Arbeiter bewegung haben die Agrarier den führenden Platz in der Regierung erreicht.

Obwohl die Agrarparteien ausgesprochene Landwirtschaftliche   Unternehmer­politik machen, obwohl sie großagrarisch orientiert, undemokratisch und unsozial einge­stellt sind, stüßen sie ihre Macht auf die breiten Massen der Landbevölkerung. Darin liegt ihre Stärke, daß es ihnen bisher gelungen ist, mit ideeller Beeinflussung, aber auch mit schärfsten wirtschaftlichen und politischen Zwangsmitteln an die kleine Minderheit landwirtschaftlicher Großbesizer die große Mehrheit der dörfischen Arbeitsbevölkerung, des Gesindes, der Tag­löhner, der Häusler  , Kleinbauern und auch der Landlehrer zu fetten. Die tschechische Agrar­

Die Parteivorstände der tschechoslowakischen und deutschen sozialdemokratischen Arbeiterparteien in der Zschechoslowakischen Republik. partei ist ein Musterbild solch unnatürlicher