Dienstag, 1. Mat 1978.

Jeber, der gequält ist,

Soll auf seine gequälten Brüder sehen,

Daß er ihnen helfe;

So wird einer treu sein vielen.

Jeber, der minder gequält ist,

Soll auf seine Brüder sehen, die mehr gequält sind, Daß er ihnen helfe

So wird einer dankbar sein vielen.

Jacoby.

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Kautsky und der Fascismus.

Unter diesem Titel veröffentlicht Artur v. Zabriola in der Liberia " vom 22. April einen Artikel über den Ottimismo periocoloso", dessen ich mich seiner Meinung nach schuldig mache.

Er sagt nicht, wo er die Aeußerungen ge­hunden hat, gegen die er polemisiert. Ich nehme an, daß er sich auf meine jüngste Arbeit über Die materialistische Geschichtsauffassung" bes zieht, und zwar auf das 14. Sapitel des 7. Ab­schnittes im vierten Buch, das betitelt ist: ,, Ge walt und Demokratie"( II.. 469-478).

Wer mit seinen Gedanken an die Deffent­lichkeit geht, muß sich Stritit gefallen lassen, und es wäre unfinnig, wollte er fedem Kritifer ant­worten, was um so weniger möglich ist, je wei­tere Beachtung das Buch findet.

Wenn ich trotzdem Labriolas Stritit beant morte, geschieht es nicht, weil mir seine Argu­mente fehr verfehrt erscheinen. Im Gegenteil, ich halte fie für sehr beachtenswert. Aber sie treffen mich nicht, denn er hat mich völlig miß­verstanden. Sie treffen Anschauungen, die nicht die meinen sind und für die ich vor meinen ita­lienischen Freunden nicht die Verantwortung fragen möchte. Deshalb erscheint es mir not wendig, Labriola zu entgegnen.

Labriola meint, ich überschätze die Vernunft und das demokratische Bewußtsein( coscienza democratica) der Bourgeoisie und vermeine, diese Faftoren genügten in den Staaten, in denen der ascismus noch nicht am Ruder ist, um diesent nicht auffommen zu lassen.

Das ist jedoch keineswegs meine Ansicht. Ich halte es ebenso wie Labriola für eine ge fährliche Illusion, von der Vernunft und dem demokratischen Bewußtsein der Bourgeoisie einen energischen Schutz der Demokratie zu erwarten. Und ich bin ebenso wie Labriola der Ansicht, daß die Kapitalisten der Demokratie um so feind licher gesinnt werden, je mehr diese die soziali­stische Bewegung begünstigt.

Jch spreche davon in meinem Buche aller­dings nicht sehr ausführlich, jedoch nur aus dem Grunde, weil ich diese Gedanken für selbstver­ständlich halte.

Flut zu erwehren.

Bette 7

Der Maibaum der Bürgerregierung. Sohverratsiufti im Krieg.

hemden.

FREE

UCKERSTEUER

HOCH!

PENSION

REAKTION

HOCHS

GENA

POLIZEI DEN ARBEITER

AGRAR

Unter den Streichen von Proletarierfäuften wird er fallen!

Mit dieser Gefahr hat die Sozialdemokratie Diese Auffassung halte ich für grundverkehrt überall zu rechnen und sie muß überall darauf und gefährlich. Gegen sie wende ich mich ent­bedacht sein, wo Anzeichen des Fascismus auf schieden. tauchen, Maßregeln und Einrichtungen zu tref- Jah behaupte, daß die Diktatur des italieni­fen, die sein Aufkommen unmöglich machen, schen Fascismus ebenso wie die des russischen

Ein Buch über den Kramář- Prozeß.

Die Ankündigung eines Buches über den Prozeß gegen die jungtschechischen Führer Kra mář und Rašin mußte selbstverständlich meine Neugierde erregen. Habe ich doch int Striege bei den meisten Hochverratsprozessen vor dem Wiener Divisionsgericht, auch bei diesem, viele Monate zugebracht; und es mußte mich reizen, ein Buch über den wichtigsteit dieser Schandprozesse, durch die Oesterreich noch im Sterben seinen Namen befleckt hat, zu lesen, besonders da es von einem der Mitangeklagten der beiden Jungtschechenführer stammte, von dem Redakteur der Narodni Listy" Vinzenz Cervinia).

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Cervinta hat den Titel für sein Buch ge wählt in Erinnerung an des italienischen Dich ters Silvio Pellico Buch Le mio prigioni" ( Meine Kerfer), worin dieser italienische Patriot feine Erlebnisse in den Kerkern des Spielbergs geschildert hat, und die Schilderung der Gefäng niffe, in denen Cervinka und seine Romplicen zugebracht hatten, namentlich des Garnisons­gefängnisses in Wien die sich natürlich mit bem Spielberg nicht vergleichen lassen, nimmt einen breiten Raum in dem Buche ein. Aber die Hauptsache ist doch seine ausführliche Darlegung des Prozesses selbst.

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Die ersten Hochverratsprozesse.

Der erste der friegsgerichtlichen Prozesse, an dem ich, allerdings nur zeitweise, teilnahm, war der gegen die altruthenischen Abgeordneten Martow und Kurilowitsch, den russischen Jour­nalisten Jantschewetzki und vier Mitangeklagte. Dieser Prozeß verschaffte mir schon im ersten Augenblick einen gewissen Einblick in die Mili­tärjustiz. Ein deutschradikaler Journalist, den auch seine Berufspflicht zu dem Prozeß geführt hatte ich bin dann im Kramarsch- Prozeß monatelang neben ihm gesessen und habe seinen schwarzgelben Fanatismus fennengelernt-, jagte mir, nachdem er die Anklageschrift gegen Marlow und seine Freunde, die sich bekanntlich nicht als Ruthenen oder Utrainer, sondern als Russen erklärten, gelesen hatte: Nach diesem System tönnte man auch uns Deutschradikale aufhängen!" Die Angeklagten wurden nach einem Prozeß, der vom 21. Juni bis zum 21. August 1915 dauerte, alle wegen Verbrechens des Hoch­verrats und des Verbrechens gegen die Wehr­macht schuldig gesprochen und zum Tode verur­teilt, allerdings dann begnadigt... Der nächste Prozeß, an dem ich teilnahm, war der gegen sieben Angeklagte aus Gaya in Mähren . Sie jollen den Hochverrat begangen haben durch Ver­breitung des Zarenmanifestes, das den Tschechen Keineswegs selbstverständlich erscheinen mir die Freiheit versprach und damals in Massen ver­jedoch die Konsequenzen, die aus dieser Ursache breitet war. An diesem Prozeß habe ich regel zu ziehen find. Darüber bestehen in unseren Reihen verschiedene Anschauungen, Manche unter mäßig teilgenommen, doch sind mir leider die Notizen, die ich darüber gemacht hatte, abhanden uns scheinen zu einem ungerechtfertigten Pessi­gekommen. Aber ich erinnere mich sehr wohl mismus zu neigen. Ich befämpfe ihn und das hat Labriola mißverstanden. Das Ablehnen eines Dagegen wäre es ganz verfehlt, dieses Auf-[ Bolschewismus nur das Ergebnis bestimmter Ses Eindrucks, den diese Prozeßführung auf mich gefährlichen Beffimismus erscheint ihm als das fommen für unvermeidlich zu halten, zu glauben, lofaler und zeitlicher Ausnahmszustände sind, machte. Stein einziger von den sieben Angeklag Bredigen eines gefährlichen Optimismus. die Demokratie fei auf die Dauer nicht zu retten die sich anderswo nicht so leicht wiederholen. Ich ten war auch nur im Polizeiſinn ein Hochver Stein Zweifel, je mehr in der Demokratie und die Entscheidung der Zukunft werde nur führe eine Reihe von Argumenten an, die mich räter. Einer hatte ein Exemplar des Manifeſtes und durch die Dentokratie das Proletariat an durch fascistische Methoden ausgefochten werden erwarten lassen, daß in den wichtigsten fapitali irgendwo gesehen, hatte es abgeschrieben, die Ab­schrift einem Freunde gezeigt, dieser wieder einem Macht gewinnt, desto angstvoller wird die Bour- durch den Kampf zwischen dem roten proleta stischen Ländern das Streben nach Erhaltung, Freund- alle mehr der Kuriosität halber, nicht geoisie nach außerdemokratischen Mitteln, wie rischen Fascismus oder Bolschewismus und dem Befestigung und Erweiterung der Demokratie um zu agitieren. Das geht schon aus der Tatsache dem Fascismus fuchen, um sich der wachsenden weißen, bürgerlichen Fascismus der Schwarz- leineswegs aussichtslos ist, trop der wachsenden hervor, daß einer von ihnen mit einer Wienerin Feindschaft vieler bürgerlicher Elemente gegen sie. verheiratet war und mit ihr zu Hause deutsch Aber es fällt mir nicht ein, zu erklären, die sprach. Aber alle wurden zum Tode verurteilt­Erhaltung der Demokratie fei ohneweiteres ge- freilich dann ebenfalls zu Kerfer begnadigt. sichert. Sie ist vielmehr überall gefährdet, wenn Und dann bekant ich auf einmal den Auf­nicht das Proletariat mit aller Macht für sie ein- trag, zu dem großen Sensationsprozeß zu gehen, trift. der vor dem Wiener Divisionsgericht gegen jung­Wir gehen dent merkwürdigen Zustande tschechische Hochverräter abgeführt werden sollte. Diese Erzählungen machten auf mich einen| In unserem Zimmer sah es traurig aus. entgegen, daß die wachsende Macht des Proleta- Herr Penizet, der mir seit vielen Jahren vont riats wohl zahlreiche bürgerliche Elemente der Barlament befannte Wiener Redakteur des Pra guten Eindruck; ich wurde immer mutiger, sehr Die Großmutter fonnte nicht auf den Füßen zum großen Aerger meiner Mutter. Ich ließ stehen und meine beiden Schwestern weinten und Idee der Demokratie entfremdet, daß aber das ger Jungtschechenorgans, hatte uns ersucht, mir und anderen fein Unrecht antun und wurde zitterten vor Angst und Schreden. Es brennt Wachsen derselben Macht auch wieder der Demo- wenn auch wahrscheinlich die Striegszenfur eine Berichterstattung in der Zeitung untersagen es versucht, so war Kampf und Streit, wie vi in den Stammern!" schrien die Leute im Hause; fratie neue Sträfte und Schutzmittel zuführt. schen Adelar und Boniver, bis der eine besiegt wir griffen nach den Schlüsseln, um unsere Hab- Ich sehe bei diesem Prozeß von Wechsel- werde, doch einen Berichterstatter hinzuschicken, am Boden lag. Freilich lag mandymal auch ich feligkeiten zu retten, aber feiner war zu finden; wirkungen den schließlichen Sieg der Demokratie schon um die Militärjustiz zu kontrollieren. Und blutend auf dem Stampfplate. der Blitz hatte sie fortgeschleudert. Die Rammer voraus, teils wegen der wachsenden Macht des da mußte ich nun sechs Monate lang, vom 6. De­So verging die Zeit. türen wurden von hilfsbereiten Nachbarslenten Proletariats, teils wegen der öfonomischen Schäzember 1915 bis zum 3. Juni 1916 durch 122 Als ich 15 Jahre zählte, stiegen eines aufgefprengt und der Brand rasch gelöscht. Als den, die jede Diftatur mit sich bringt und die Verhandlungstage täglich von 8 Uhr früh bis Abends, es war im Hochsommer, graue Wolfen alles bereits vorüber war, saßen die Stinder um früher oder später auch manche Teile der Bour- 2 Uhr nachmittags fißen und habe meinen Be­hinter den Wäldern und Bergen empor und gegen die Mutter und Großmutter herum und weinten geoisie wieder mit der Demokratie versöhnen fön- richt so niedergeschrieben, als ob er ins Blatt Mitternacht flammte und bliste es an allen Enden sich aus. Ich habe dabei mitgeholfen. nen freilich in der Regel erst, nachdem sie die kommen könnte. und Ecken und der Donner rollte und brüllte so Herr Dr. Preminger. Drei Jahre später traf uns ein größerer Schäden der Diftatur am eigenen Leibe erfahren rasch nacheinander, daß es zum Erschrecken war. Schlag: die gute Wutter starb uns. Sie hatte haben. Deshalb hat mich dieses Buch besonders int Die Großmutter, die Mutter und meine vier Ge- fich für uns zu viel abhungern müssen; es war, Die Bourgeoisie geht einem Zustande enta schwister knieten in der Mitte des Zimmers und wie der Arzt fagte, natürlich, daß fie sterben gegen, in dem sie die Demokratie fürchtet, die tereſſiert, weil ich mit Ausnahme der wenigen beteten, wie es sich zu jener Zeit bei einem Ge- mußte. Der Großonkel, bei dem wir feit jenent Dittatur aber auch. In diesem Stadium wird Tage, an denen die militärischen Sachverständi­witter gehörte. Ich saß int Bette, schaute zum Brande wohnten, fündigte uns schon am zweiten das Proletariat um so cher die Demokratie zu gen aussagten und strengste Vertraulichkeit ange­Fenster hinaus und nurmelte halblaut das Gebet Tage das Quartier, während die zeiche der Wut- erhalten oder zu gewinnen vermögen, je einheit ordnet war- jede Phase des Prozesses lenne. mit. Da plößlich erbebte alles um mich her, jo ter noch im Zimmer lag. Ich stellte ihm unsere licher, geschlossener und entschlossener es selbst Cervintas hauptsächlichstes Verdienst ist nun, daß er die Lächerlichkeit, die Bosheit und Dummheit daß ich glaubte, die Welt gehe unter, und als ich traurige Lage vor. Das Ende davon war, daß für die Demokratie eintritt. der Anklagebehörde drastisch schildert, wobei zum Bewußtsein kam, bemerkte ich beim Leucher mich hinauswerfen wollte, aber bei dieser Ge- Ich unterschätze nicht die Gefahr des Fascis manches kraftige, allzu kräftige ich wage nicht ten des Blizes, daß ich nicht im Bette, sondern legenheit selbst in seinen Glasschrank purzelte. mus. Der Kampf gegen ihn ist die schwerste zu entscheiden, ob unberechtigt kräftige Wort auf dem Fußboden lag. Unt mich war ein Dunst Die Mutter wurde begraben-- ich sehe den und wichtigste Aufgabe der sozialistischen Inter auf die Person des Militäranwaltes Dr. Pre­zum Ersticken, die Lampe war erloschen. Ich schleppte mich, an allen Gliedern zitternd, bis Sarg heute noch in die Grube fenken und wir nationale. Aber ich glaube, diesen Kampf nicht minger fällt. Verlogen und falsch war schon das ganze Berhalten Premingers in der Unterfu­zum Fenster, öffnete es und atmete gierig die fünf Kinder mußten uns trennen. Die beiden zu lähmen, wenn ich zeige, daß er nichts weniger chung, frech und unverschämt nennt Cervinka hereinströmende Luft. Alle waren halb betäubt. Sleinsten tamen in eine Anstalt und wir drei als aussichtslos ist. Ich überlasse es demnach meinen Lesern, zu sein Verhalten gegen die Untersuchungsgefange Plöslich gellte der Ruf:" Feuer!" durch die Größeren konnten uns selbst um uns fümmern. Gaffe. Ich haschte beim Aufleuchten des nächsten Ich ging mit 15 Streuzern in die Fremde; entscheiden, ob sie mit Labriola der Ansicht sind: nen, aber devot gegen die Vorgesetzten. Und Die Behauptung Stautstys ist von gefähr- wenn wir diese Schilderungen lesen, so sehen wir Blizes meine kleine Schwester; mein kleiner habe mir einige Jahre Länder und Menschen an­Herrn Dr. Preminger vor uns, wie er in der Bruder schlang die Arme um meinen Naden und gesehen und bin dann wieder in meine Heimat lichem Optimismus." Jedenfalls stimme ich mit vollem Herzen Verhandlung immer in das Auditorium schielt, so beladen, nur mit dem Hemde bekleidet, rannte gekommen, unt mein Leben fortzuführen. ich zur Türe hinaus, die Treppe hinunter und Seit meine Mutter tot ist, sind wir fünf Ge- dem Saße zu, den Labriola dem eben zitierten ja schaut, ob nicht irgendein alter General dort reichte beim nächsten Hause meine beiden kleinen schwister nicht mehr beisammen gewesen. Bivei folgen läßt und mit dem er seine Polemik gegen sitt, vor dem er dann mit seiner Schneidigkeit Geschwister zum geöffneten Fenster in die Stube Schwestern sind in Amerika , mein Bruder in mich abschließt: gegen die Angeklagten glänzen könnte. Wie es des Nachbars hinein. Dann rannte ich zurück. Tirol, ich lebe hier und die eine Schwester weit ,, Es ist besser, der Gefahr ins Auge zu ihm eine perverse Freude bereitet, erzählt uns Als ich ins Haus tam, war schon Licht in den weg von mir. sehen und sich bereit zu halten, sie mit den Mit­Stuben. Der Hauseigentümer schrie um Hilfe, Ein Sperlingsnest wurde zerstört und die teln zu beschwören, die von der Natur dieser*) Vincenc Čerbinta: Moje rakouskė sein Weib lag starr und steif im Zinumer. Der fünf jungen Sperlinge suchen sich ihr Fortkom- Gefahr unserent praktischen Sinn aufgezwungen zalaře. Vzpomínková kronika z let 1914-17. Blitz hatte sie gestreift und es dauerte lange, bis ment, wo sies even finden. ( Meine österreichischen Kerfer. Chronik der Er­R. Stautsty. innerungen aus den Jahren 1914 bis 1917.)

sie zum Bewußtsein fam.

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werden."