Ginzelpreis 70 Seller.

Redaktion und Verwaltung: Prag , U., Nefazanta, 18.

Telephone: Tagesredattion: 26795, 31469.

Nachtredaktion: 26797.

Postichedamt: 57544.

Jaferate werden laut Tarif billigt berechnet. Bei öfteren Einschaltungen Preisnachlaß.

8. Sahrgang.

Sozialdemokrat

Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowatischen Republit.

Donnerstag, 6. September 1928.

Barlament und Leuerung Kampf den Lebensmittelwucherern!

Heute um drei Uhr nachmittag tritt das Abgeordnetenhaus zum erstenmal nach den Sommerferien wieder zusammen. Ist es mög­lich, ist es denkbar, daß die Volksvertretung in diesen Stunden der höchsten Spannung, der ständig wachsenden Erbitterung der Massen sich darauf beschränkt, einen Antrag der Zünstler über das Deforateurgewerbe zu verhandeln und den Handelsvertrag mit man rate mit Berfien zu genehmigen? Kann das Haus das erwartete Exposé des Finanzministers über den Staatsvoranschlag debattelos hinnehmen und barauf verzichten, zu den so überaus brennen­den wirtschaftlichen und finanzpolitischen Problemen Stellung zu nehmen, die heute alle Welt in Atem halten? Den Dispositionen der Mehrheit, die, von den drängenden Ereignissen überrascht, nicht weiß, wo ihr der Kopf steht, würde ein solcher Vorgang entsprechen, nach parlamentarischen Begriffen wäre er einfach un faßbar.

Die deutsche Sozialdemokratie gegen die Aushungerung der Maffen.

Der Vollzugsausschuß der deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei hat gemein. sam mit dem Klubvorstand folgende Entschließung gefaßt:

Die Arbeiterklasse verfolgt mit wachsender Besorgnis das in den letzten Wochen immer schärfer fühlbare Ansteigen der Teuerung, die ihre ohnehin armselige Lebenshaltung noch tic­fer herabdrückt. Troß günstiger Ernte sind die Preise der Getreideprodukte unerträg lich hoch, troß sinkender Bichpreise ist Fleisch und Fett für den Arbeiterhaushalt uner­schwinglich. Diese Erscheinungen beweisen, daß die Zollpolitik der herrschenden Regierungs­mehrheit für die breiten Verbrauchermassen unheilvoll und verderblich ist, dabei aber den kleinen und mittleren Landwirten nichts nüßt, sondern nur schadet und lediglich einer schmalen Schicht von Großagrariern und den Zwischenhändlern Gewinn bringt. Der fonsequent fonsumentenfeind lichen Politik der Regierung, die nicht nur die Lebensmittelzölle, sondern auch durch die stetige Steigerung des Ertrages der Massenverbrauchssteuern und durch die Loderung des Mic= terschußes an der Teuerung einen wesentlichen Teil der Schuld trägt, muß endlich Einhalt geboten werden. Wir fordern daher:

die sofortige Revision des Zolltarifes in dem Sinne, daß die Zollfreiheit der Lebensmittel und der Futtermittel hergestellt wird,

die schleunigste Reform der indirekten Steuern, insbesondere die Beseitigung oder wenigstens radikale Herabseßung aller Verbrauchssteuern auf Lebensmittel und die Befrei ung der Lebensmittel von der Umjaßsteuer.

Besondere Maßnahmen müssen ergriffen werden, um dem Treiben des Zuckerkar. tells, das in hemmungsloser Ausnüßung seiner Monopolstellung seine ganze Politik auf der unmäßigen Ausbeutung der Konsumenten aufbaut, wirksam entgegenzutreten. Die Regie­rung hat diesem Treiben jahrelang untätig zugesehen und erntet nun in der provokativen Miß­achtung ihrer bescheidensten Wünsche die Früchte ihrer Politik. Um so dringender ist es, daß sich Regierung und Parlament wenigstens jeßt zu energischen Maßnahmen ausraffen. Wir fordern daher neben der Beseitigung des Zuckerzolles und der Zudersteuer, die in vollem Ausmaß den Konsumenten zugutekommen muß, die Umwandlung des Zuderkartelle in eine Zwangsorganisation unter Kontrolle des Staates, der Konsumenten und der Gewert­schaften, im Sinne des von der deutschen sozialdemokratischen Partei im Abgeordnetenhause über­reichten Antrages.

Die unaufschiebbar notwendigen Maßnah­men gegen die jüngste Provokation des Zucker­fartells vertragen feinen wochenlangen Scha­cher in der Osmička. Hier hat das Parlament Arbeit und es wird ihm Gelegenheit geboten werden, diese Arbeit sofort in Angriff zu neh men. Die beiden sozialdemokratischen Fraktio­nen haben bereits Schritte eingeleitet, um eine Regierungserklärung über die Tenerung im allgemeinen und die Zuckerteuerung im bejon­Vollzugsausschuß und Klubvorstand stellen schließlich fest, daß die Zugeständnisse der Rea dern herbei zuführen und so eine Stellungnahme gierungsmehrheit in der Frage der Sozialversicherung absolut unzureichend und für des Parlamenies zu ermöglichen. Sie haben die Arbeiterklasse unannehmbar sind. Die deutsche Sozialdemokratie hält an der Forderung der durch Ausarbeitung eines Antrages ouf Bejei- vollen Selbstverwaltung durch die Versicherten, an der Einheitlichkeit der Versicherung und der vollen Aufrechterhaltung der bestehenden Verbände und des von der Versicherung erfaßten Ver­jonenkreises unverrüdbar fest und verlangt die fühlbare Verbesserung der Versicherungsleistun gen und die Abschaffung der dreitägigen Karenz in der Krankenversicherung . Sie fordert die fofortige Einbeziehung der Ueberalierten in die Versicherung und protestiert gegen die Verschlep­pung der Pensionsversicherung der Angestellten. Wir rufen die Arbeiter aus, den Kampf für die Erfüllung die­ser Forderungen mit aller Entschiedenheit aufzunehmen und sich für den bevorstehenden Wahlkampf zu rüsten.

tigung des Zuckerzolles gleichzeitig die Grund­lage zu wirksamen praktischen Maßnahmen ge­geben. Es wird also nur von der Regierung und von der Mehrheit abhängen, ob den schwer bedrängten Konsumenten rasch und fühlbar ge­holfen wird oder nicht.

der Opposition.

Zucker 7 Kronen fosten!

Wir haben bereits berichtet, daß die Groß­

Die Deutsche Presse" hat in ihrem gestri­gen Artikel über die Zuckerteuerung die For­derung nach Rückkehr zur gebundenen Wirts schaft erhoben. Es ist dies eine radikale Ver- Die parlamentarischen Attionen zuderpreiserhöhung insbesondere Bericht erstat­ten sollen. Die Forderung der Oppositions­leugnung aller wirtschaftspolitischen Glaubens­parteien geht nach vorübergehender Aufhebung befenntniffe des Bürgerblocks und läßt daher allerhand Zweifel an der Aufrichtigkeit zu. Aber Die Vertreter der sozialistischen Klubs hatten des Zuckerzolles als einem Mittel, die Zuder wenn es die Christlichsozialen ernst meinen, gestern gemeinsame Beratungen über die wirt- industriellen zum Widerruf ihres Preisdiktats zu so kann ihnen leicht geholfen werden. Seit Juni ichaftliche Situation und insbesondere über die vingen. liegt dem Hause ein Antrag der deutschen So- Erhöhung der Zuckerpreise. An den Beratungen Im Kleinhandel soll ein Kilogramm nahmen teil die Abgeordneten Bechyně, Dr. zialdemokraten vor, der die Einführung der ge- nahmen teil die Abgeordneten Bechyně, Dr. bundenen Zuckerwirtschaft, aber nicht im Sinne Franke, Dr. Klouda, Dr. Meißner, Taub und Zeminova. Die sozialistischen Klubs unternehmen der alten Striegszentralen, sondern durch Schaf parallele Attionen im Parlament zum fung eines Zwangskartelles unter Kontrolle des Schuße der Konsumenten. Staates, der Genossenschaften, der Gewerkschaf­ten verlangt. Will die christlichsoziale Prtei Wie wir zu dieser Nachricht erfahren, wird gegen das Zuckerkartell nicht bloß demagogische an das Präsidium des Parlamentes eine Zuschrift Brandartikel schreiben, sondern ihm ernstlich an gerichtet werden, in welcher eine Regierungs den Leib rücken, so braucht sie nur unseren erklärung gefordert und verlangt wird, daß auf Antrag aufzugreifen, der die Umwandlung des die Tagesordnung eine Aussprache über die Zuderfartells aus einem Mittel der Mehrivert- Teuerung gesetzt werde. Ein besonderer Antrag erzeugung in eine Institution zur Versorgung nach§ 46 der Geschäftsordnung soll das Erschei- Tabei möchten wir feststellen, daß auf ein Stilo der Bevölkerung mit billigem Zuder zum Ziele nen des Stellvertreters des Ministerpräsidenten granum Zucker etwa 150 bis 180 Würfel ent­und der Wirtschaftsminister verlangen, welche fallen. Es beträgt also die Vertene hat. Die Arbeiter der Zuckerindustrie seien über die von der Regierung geplanten Maßrung im Kleinhandel pro Würfel bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam ge- nahmen gegen die Teuerung überhaupt und die fast einen halben Seller. Jeden Würfels macht, daß das christlichsoziale Organ, dem es eben nur auf die Demagogie und nicht auf die

Händler den Preis des Zuders auf 628 K er höhen werden. Das bedeutet, daß der Zucker nun mehr im Kleinhandel etwa 7 K fosten wird,

während bisher ein Kilogramm Zucker ettva 6.20 K bis 6.30 K gefoftet hat.

Die Verteuerung des Zuders im Kleinhandel beträgt also nicht 60 Heller, sondern 70 Heller pro Kilogramm.

Bezugs Bebingungen:

Bei Zustellung ins Haus oder bei Bezug durch die Post:

monatlich

vierteljährlich

halbjährig

ganzjährig...

Ke 16.­

48.­

96.­

192.­

Rüdftellung von Manu­flripten erfolgt nur bei Gin­fendung der Retourmarfen.

Gricheint mit Ausnahme des Montag täglich früb Nr. 212.

Zucker muß die Arbeiterfrau nunmehr mit einem halben Heller teurer bezahlen.

Die Schuld der Regierung.

Im Leitartikel der Lidove Noviny" wird mit Recht darauf hingewiesen, daß schuld an der Vertenerung des Zuders auch die Regierung sei, der die Verhältnisse in der Zuckerindustric seit Monaten befannt sind und die trotzdem nichts tut.

Auf der Anklagebank befindet sich neben den Zuckerfabriken und Rübenbauern auch die Regierungskoalition.

Die tschechische Sozialdemokratie gegen die Zuckerberteuerung.

Der Parteivorstand der tschechischen Sozial­demokratie hat unter dem Vorsiße des Genossen Sampel eine Sigung abgehalten, in der dic Genossen undr und Bechyně organisato­rische und politische Referate erstatteten. Ez wurde beschlossen, mit der größten Entschiedenheit den Kampf gegen die Zuckerberieuerung aufzu nehmen. Die Partei sieht das Vorgehen des Zur ferfartells als ein Zeichen der Schwäche der Regierung und verlangt die zeitweise Auf. hebung der Zuderzölle. Vorgestern fand auch eine Konferenz der Vertrauensmänner der tschechoslowakischen Sozialdemokratic aus Groß. Prag statt, in der gleichfalls mit Entschiedenheit gegen die Verteuerung des Zuckers Stellung genommen wurde und

außer der Aufhebung des Zuderzolles auch die Vorlage eines Gejeßentwurjes gegen die Kartelle verlangt

wurde.

Was die Chriftlichsozialen versprechen. Wähler, vergesset das nicht!

Den Christlichsozialen ist naturgemäß die Vertenerung des Zuckers sehr unangenehm. Wissen sie doch, daß sie innerhalb der Arbeiterv schaft das Vertrauen verloren haben und daß sie es sein werden, welche die schamlose Vertenering des Zuckers bei den Wahlen zu bezahlen haben

werden. In einem Artikel beschäftigt sich das Hauptblatt der deutschen Christlichsozialen, die Deutsche Presse", mit der für die Bevölkerung eminent wichtigen Frage und schreibt:

so

Es ist ausgeschlossen, daß sich die Bevölkerung dem Diktat der Zuckerindustrie beugt. Die Regie­rung hat versprochen, eine Zuderverteuerung nicht zuzulassen. Die Bevölkerung glaubt diesem Ver­sprechen. Der Achterausschuß der Koalitionspar teien hat sich mit dem Versprechen der Regierung selbstverständlich identifiziert. Und Tatsache ist, daß die Regierung Handhaben gegen die Aufrechterhal tung der Preiserhöhung hat. Wir sind für den inländischen Freihandel, aber nicht, wenn er miß­braucht wird gegen den Willen der Bevölkerung und der Regierung. Wir sind für freie Buder. bewirtschaftung, wenn die Folgen der Hypertrophic unserer Zuckerindustrie nicht einseitig auf dem Rüden der Bevölkerung weitgemacht werden sollen. Die Zuckerindustrie ist in gewissem Sinne eir

schwerkranker Störper in unserer Volkswirtschaft geworden, und das, was sie auf der einen Seite Günstiges für unsere Handels- und Zahlungsbilanz bringt, wird auf der anderen Seite aufgewogen dadurch, daß die Zuckerindustrie jeweils den Tanz

Interessen der Bevölkerung ankommt, feit ping nur geeignet, die internationale handels- dürfen? Die Eingänge an indirekten Steuern die Bevölkerung wird den Parteien, die sich einigen Tagen ununterbrochen von einer not- politische Lage der Tschechoslowakei noch zu ver- find in ſtändigem Steigen begriffen. Die Um- jetzt vor der Oeffentlichkeit als uneniwegie wendigen Operation faselt, die der Hypertro- schlechtern. Nicht der Erportzucker, sondern der fassteuer allein hat in den ersten fünf Monaten Kämpfer gegen die Teuerung aufspielen möch phie der Zuckerindustrie ein Ende machen soll, Bucker überhaupt, ja am besten alle Lebens des Jahres 1928 143 Millionen mehr einge- ten, genau auf die Finger sehen müssen. Vor mit anderen Worten, diese Partei, die Arbeiter mittel müssen von der Umsatzsteuer befreit wer- bracht als in der gleichen Periode des Vor einigen Tagen hat ein Koalitionsblatt gehöhnt. in ihre Reihen lockt, macht dafür Stimmung, den und die Finanzverwaltung muß auch end- jahrs, die Verbrauchsteuern lieferten einen daß die Opposition nur heßze, der Mehrheit daß eine unserer wertvollsten Industrien zu- lich daran gehen, den Abbau der unerträgli Mehrertrag von 87 Millionen, der Ueberschuß aber die Sorge um das Arbeitsprogramm des grunde gerichtet wird. Unser Antrag, der die chen Lasten der Verbrauchssteuern in die Wege der Tabakvegie hat sich in fünf Monaten Parlamentes überlaffe. Diefe Anrempelung. Reorganisation der Zuckerindustrie, freilich auf zu leiten. Davon will der Finanzminister al- um 23 Millionen erhöht. Aufs Jahr umge- die angesichts der hierzulande üblichen parla­Kosten der maßlosen Uebergewinne der Kar- lerdings nichts wissen, insbesondere gegen die rechnet heißt das, daß wir bei diesen Steuern mentarischen Methoden, der geradezu ununter tellherren anstrebt, zeigt den Weg, wie man Aufhebung oder auch nur Senfung der Zucker- allein ein um 600 Millionen erhöhtes Erträg- brochen fortgesetzten Brüskierungen der Min­ den Konsumenten helfen kann, ohne die In Steuer wehrt er sich mit größerer Energie, als nis zu erwarten haben, genau so viel, wie die derheit, eine wohl unüberbietbare Unverschämt dustrie und die in ihr beschäftigte Arbeiterschaft er den agrarischen Forderungen gegenüber auf ganze Zuckerſtener ausmacht. Die Milderung heit darstellt, wird am besten widerlegt durch zu schädigen. bringt. Aber sein Standpunkt ist unhaltbar, der Steuerlasten, die auf dem Massenkonsum die reichhaltigen Anregungen, durch die beide Schließlich findet das Parlament ja auch nicht nur, weil die Not der Massen dringende uuhen, ist also durchaus möglich, wobei freilich sozialdemokratischen Parteien der offiziellen eine Regierungsvorlage vor, die einen Ausweg Abhilfe fordert, sondern weil es auch gar nicht mit aller Schärfe darauf gesehen werden müßte, Tagesordnung, die einen parlamentarischen Be­aus der Zuckerfrise sucht, die aber freilich einer wahr ist, daß die Staatskaffe einen Einnahmen- daß jeder Steuernachlaß zur Gänze in einer trieb nur vortäuschen soll, ein wirkliche 3 gründlichen Umarbeitung bedarf. Die Refum- entgang nicht verträgt. Die Kassen der Selbst- Preisherabsetzung zum Ausdruck kommt. Auch Arbeitsprogramm entgegenstellen. Die dierung von Erportsteuern nach dem Ermessen verwaltungskörper hat Herr Dr. Guglis durch das fann am besten erzielt werden, wenn wir Mehrheit braucht nur zuzugreifen, wenn sie so­des Finanzministeriums, nebenbei bemerkt, aus nicht so fürforglich betreut und die Serab- die Kartelle unter die Kontrolle der breitesten fort müßliche Arbeit leisten will. Sie fann aber auch nach ihrer Gewohnheit über alle Forderun eine herrliche Gelegenheit zur Storruption und feßung der Besitzsteuern hat er trotz des finan- Deffentlichkeit stellen. Das Parlament hat also dringende, brengen der breiten Massen brutal hinweggehen. Protettion, ist, abgesehen von der finanziellen ziellen Entganges in den Kauf genommen; die Unzulänglichkeit, als ausgesprochenes Dunn- Zuckerſteuer aber sollte nicht angetastet werden nende, unaufschiebbare Aufgaben vor sich und Dann werden die Wähler das Urteil sprochen.