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9. Jahrgang.

ake

303.aldemokrat

Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republit.

Freitag, 27. September 1929.

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Nr. 227.

Wähler und Wählerinnen!

Arbeiter, Angestellte, Beamte, Kleinbauern und Kleingewerbetreibende!

Ganz unvermutet werdet Ihr aufgerufen au Parlamentswahlen. Politische Raffgier und ekler Machtstreit hat die tschechischen Agrarier und die tschechischen Klerifalen ent zweit und die Krise der Regierungskoalition afut gestaltet. Aber die Auflösung des Par­lamentes und die Ausschreibung von Neuwahlen hat die Ursache nicht nur in diesem Streit, sie liegt vielmehr in dem Bestreben der Klerifalen, eine günstigere P0­sition für die Durchführung des weiteren boltsfeindlichen Pro= gramms des Bürgerblods, vor allem für die vollständige Demo­lierung des Mieterschußes zu schaffen. Sie suchen der Wählerschaft vorzu­täuschen, als hätten sie zu Neuwahlen gedrängt, weil ihren Wünschen auf den Schutz der Mieter nicht entsprechend Rechnung getragen wurde, in Wahrheit werden sie bereit sein, den Mieterschutz aufzuheben und weitere Anschläge gegen die Freiheit der Schule und gegen das arbeitende Volk zu unterstüßen, wenn die Wähler den Parteien des Bürgerblocks durch ihre Wahlentscheidung ein Vertrauensvotum auf weitere sechs Jahre erteilen sollten. Der Bürgerblock soll nicht aufgelöst, sondern wieder aufgerichtet und gestärkt werden.

Es geht in diesen Wahlen also um mehr und um Größeres. als um die Verteilung der Ministerposten unter den bürgerlichen Parteien.

In diesen Wahlen hat die Gesamtheit der Bevölkerung die Möglichkeit, aber auch die Pflicht,

zu urteilen über die Politik des tschechisch­deutschen Bürgerblocs,

und es gilt, alles daran zu feßen, um die Wiederkehr eines so verderblichen, volksfeind­lichen Regimes, wie es das bisherige war, zu verhindern!

Wenn die wahlberechtigte Bevölkerung sorgsam prüft und dann urteilt, wenn sie Rüd schau hält auf die Taten der Bürgerregierung, wenn sie insbesondere die Verheißungen, mit denen im Jahre 1925 die heutigen deutschen Regierungsparteien in den Wahlkampf gezogen sind, vergleicht mit ihrer Politik als Angehörige der tschechisch- deutschen kapitali. stischen Mehrheit, die feit fast vier Jahren den Staat beherrscht und verwaltet, dann muß diese Prüfung zu einer

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vernichtenden Verurteilung diefer Politik führen. Denn diese vier Jahre Bürgerregierung das waren Jahre der Knechtung und Entrechtung der arbeitenden Menschen, Jahre der ununterbrochenen Verschlechterung ihrer Lebenshaltung die Politik der tschechisch- deutschen Bürgermehrheit bestand in nichts anderem als in einer

ununterbrochenen Kette von Anfchlägen gegen die Lebensintereſſen der ſverktätigen Bevölkerung!

Durch die Agrarzŏlle, die Erhöhung indirekter Steuern, durch die gewaltige Erhöhung der Zudersteuer und durch den Abbau des Mieter schutzes wurde die Lebenshaltung der arbeitenden Menschen, ohne Unterschied des Ve­rufes, bedeutend verschlechtert, wurden den werktätigen Männern und Frauen aller Be­völkerungsschichten neue Lasten aufgebürdet zugunsten einer kleinen Schichte von Groß­agrariern, Industriellen und wucherischen Zwischenhändlern und zugunsten des Staates, dem auf Kosten der Armen große Roll- und Steuereinnahmen verschafft wurden, wäh rend gleichzeitig die Klerikalen als Judaslohn für ihre Zustimmung zu den Lebensmittel­zöllen eine reichliche Erhöhung der Kongrua einstecken durften.

Durch die kapitalistische Steuerreform, welche die Besteuerung der großen Gewinne verminderte, aber gleichzeitig das bescheidene Einkommen der Arbeiter und An­gestellten schärfer erfaßte, wurden den Großkapitalisten Millionengeschenke aus den Ta­fchen der Armen gemacht. Entlastung der großen Unternehmungen und unerbittliche Be. steuerung des Arbeitslohnes bei unverminderter Fortdauer der alle Lebensmittel und Gebrauchsartikel verteuernden Verbrauchs- und Umsatzsteuern, das war und ist die Steuerpolitik der Bürgermehrheit!

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Durch das Gemeindefinanzgesetz wurde- wieder zum Zwecke der Steuer­entlastung der Besitzenden! das Einkommen der Gemeinden und Bezirke so sehr ge= droffelt, daß die schönen Ansäße zu umfassender sozialer Fürsorge, die besonders über An­regung und unter Führung der sozialdemokratischen Kommunalpolitiker vielerorts geschaf. fen waren, verstümmelt und erstickt wurden.

Durch die Verwaltungsreform wurden außerdem alle Selbstverwaltungsför per unter das Diktat der Bürokratie gestellt, wurde das demokratische Grundrecht der Bevölkerung, sich in ihren Wohnorten und Wohngebieten felber zu verwalten. zerstört und damit die gesamte Verwaltung der Willkür der jeweiligen Regierung unterworfen. Der Raub des Wahlrechtes der jungen Wählerschaft und die Ernen nung eines Dritteiles der Mitgliedschaften der Bezirks- und Bandesvertretungen, dieser ifrupellose Anschlag gegen die Demokratic, hat der Bürgermehrheit die Möglichkeit geçeben. die bei den Wahlen so unzweideutia. fo entschie ben lautpewordene politische Meinung der Bevölkerung zu ignorieren und den Regie­rungsparteien sichere Mehrheiten zu verschaffen.

Durch die Vermehrung der Konfiskationen, durch zahlreiche Zei tungseinstellungen, durch willkürliche Versammlungsverbote wur. den die verfassungsmäßig gewährleisteten politischen Rechte brutal fassiert, wurde die De­mokratie zu einem seltenen Ausnahmezustand, beschränkt auf das Recht. gelegentlich bei Wahlen die Stimme abzugeben. Hinter der demokratischen Fassade der Tschechoslowaki­schen Republik verbirgt sich die Polizeigewalt, die jeden Schritt des Staatsbürgers über­wacht und ihm vorschreibt, was er reden und was er lesen darf. Der Bürgerblock hat systematisch die Grundlagen der Demokratic zerstört, um eine fast schrankenlose groß­agrarisch- klerikal- kapitalistische Diktatur aufzurichten.

Diese Herrschaft der Besitzenden, diese durch keine Gewissenserwägungen, durch keine menschliche Rücksichtnahme, durch kein Mitgefühl gemilderte

Herrschaft des unverhüllten, gierigen tapitalistischen Egoismus

habt ihr werftätigen Menschen zu fühlen bekommen nicht nur durch die Zoll- und Steuerpolitik der Bürgermehrheit, nicht nur durch die Steuerreform und das Gemeinde­finanzgesetz und die Verwaltungsreform, sondern auf allen Lebensgebieten!

Aber

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Verschlechterung des Mieterschukes, ein Bauförderungsgeseh, das nur das spekulative Bauen begünstigt, aber keine Volkswohnungen schafft Verschlech terung der Sozialversicherung, Abspeisung der Alten mit einem Bettelbetrag, den ihnen die Bürokratie noch vorenthält, völlig unzureichende Regelung der Bezüge der Altpensionisten, Abbau der Gehalte der öffentlichen Angestellten weitere schroffe Mikachtung der wahrhaft berechtigten Forderungen der Kriegsinvaliden, der Versuch, die Bergarbeiterversicherung auf Kosten der Bergarbeiter zu fanieren, Fortsekung der mißbräuchlichen Bodenreform, keine oder eine lächerlich geringe Unterstützung der vielen von den Unwetterkatastrophen betroffenen Kleinlandwirte, also nichts, nichts für die Armen, nichts für die Arbeitenden, nichts für die Kricasopfer, nichts für die verzweifelt um ihre Eriſtenz ringenden Kleinbauern!

alles für den Militarismus! Berlängerung der militärischen Dienstzeit! Schaffung des Dreieinhalb- Milliarden- Rüstungsfonds! Fünfzig Millionen für die Manöver in einem Jahr! Eine neuerliche Vermehrung des Militärbudgets, um achtzig Millionen! Und dies in einer Zeit, da dank dem Eingreifen der englischen Arbeiterregierung Kräfte am Werke sind, eine ernste Lösung des Problems der Abrüstung anzubahnen!

Angesichts dieser Zaten der Bürgermehrheit erinnert Euch. Ihr Wähler und Wählerin­nen, an die Versprechungen der deutsch bürgerlichen Parteien wäh rend des letzten Wahlkampfes! Erinnert Euch daran, daß die Christlichsozia­len, die Landbündler und die Gewerbepartei sich überboten in nationalistischen Beteuerun­gen, daß sie für diesen Wahlkampf die Komödie von der nationalen Einheitsfront er­fanden, daß die erklärten, unerschütterlich zur Parole der Selbstverwaltung des deutschen Volkes zu stehen! Und ein paar Monate später waren sic

Verbündete der tschechischen Befißparteien,

hatten sich tschechische und deutsche Nationalisten gefunden zur gemeinsamen Beherrschung und Ausbeutung der werktätigen Bevölkerung aller Nationen. Wahrlich, noch nie haben politische Parteien so schamlos ihre Programme, ihre Schwüre, ihre hundertfältigen Ver­sprechungen verraten, wie die deutschen Regierungsparteien!

Als die Christlichiozialen, die andbündler und ihr Anhang, die Ge­werbeparte i. sich in die Gemeinschaft mit ihren tschechischen Klassengenossen begaben, erklärten fie feierlich, nur deshalb in die Regierung einzutreten, um den nationalen Aus­aleich anzubahnen, um dem deutschen Volke zu seinem Rechte zu verhelfen, um endlich an die Stelle des erfolglosen Protestierens die befreiende Tat zu setzen.

Aber ist auch nur eine dieser Verheißungen erfüllt worden? Ist auch nur ein Schritt petan worden auf dem Wege zur Völkerberständigung? Ist die Stellung der Minderheitsnationen in diesem Staate gebessert worden? von alledem ist geschehen!

Nichts

Die Tichechisierung hat weitere Fortschritte gemacht, die nationale Selbstverwaltung des Schulwesens ist wiederholt feierlich verheißen worden, ohne daß an ihre Verwirklichung auch nur gedacht worden wäre, der Abbau deutscher Staatsarbeiter und