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9. Jahrgang.
Sozialdemokrat
Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republit.
Offiziere im polnischen Sejm. Demonstration für Pilsudsky.- Der Sejm vertagt sich.
Warschau , 31. Oftober.( Eigenbericht.) Die für heute nachmittags 4 Uhr anberaumte Wiedereröffnung des polnischen Sejm hat sich unter höchst jenfationellen Umständen verzögert. Einige Zeit vor der Eröffnungsstunde versam melten sich in der Borhalle des Parlamentsge bäudes demonstrativ etwa hundert Offis ziere, die der Aufforderung der Sejmbehörden, bas Parlament zu verlassen, nicht nachfamen. Marschall Piljudski kam bald darauf selbst ins Parlamentsgebäude, betrat aber den Sigungsfaal, in dem sich die über die militärische Be fegung höchst erregten Abgeordneten zusammengefunden hatten, bisher nicht. Die Parteiführer Ser Mehrheitsparteien wandten sich an den Sejmmarschall Daszynski mit der Bitte um Intervention. Da der Ministerpräsident seit einigen Tagen angeblich erkrankt ist und das Zimmer nicht verläßt, war Pilsudski selbst der höchste Repräsentant der Regierung. Der Sejmmarschall wandte sich aber nicht an ihn, sondern direkt an den Staatspräsidenten und ver suchte diesen zu veranlassen, den Abzug der Offi ziere anzuordnen. Der Sejmmarschall erklärie, borher die Sigung des Parlaments nicht zu er öffnen.
Die Offiziere gaben ihrer Demonstration ge sprächsweise eine möglichst harmlose Deutung, indem sie behaupteten, daß sie nur das öffentliche Postamt(!) im Hause benüßen wollten. Einige von ihnen wiesen auch auf ein vor mehreren Tagen im sozialistischen Robotnik", dem jühren. den Organ der Opposition, erschienenes Gedicht eines befannten polnischen Dichters hin, in dem fie eine Provokation der Armec erbliden. Die Tribünen waren überfüllt, alle Minister, zahlreiche Diplomaten und andere Männer des öffent lichen Lebens verfolgten die Vorgänge mit größ ter Spannung. In jedem Augenblid lonnte eine bedenkliche Wendung eintreten.
Um halb 6 Uhr begab sich Pilsudski in Begleitung mehrerer Minister zum Sejmmarschall und führte eine furze Berhandlung. Um 6 Uhr verbreitete sich im Sejmgebäude, das Pilsudsti mit seinen Ministern kurz vorher verlassen hatte, nachdem er den Sejmmarschall vergeblich zu veranlaffen versucht hatte, die Sigung doch zu er öffnen, das Gerücht, daß aus der Vorstadt Praga Arbeitertrupps im Anzuge seien, die vor dem Parlament demonstrieren wollten. Die Offiziere hielten die Vorhalle nach wie vor besekt und man befürchtete Zusammenstöße.
Der Staatspräsident bat schließlich den Scimmarschall, die Parlamentssitung vorläufig zu vertagen. Da die Offiziere nicht wichen, wurde die Situng tatsächlich abgefagt. Die Abgeordneten sollen auf drahtlichem Wege verständigt werden, wann der Seim wieder zufammentreten wird. Die Lage bleibt einstweis len vollkommen ungeklärt.
Auch Clementel gescheitert.
Paris , 31. Oktober. Als Senator Clémen tel um 20.10 Uhr das Elysée- Palais verließ, erflärte er den Journalisten gegenüber, er habe soeben dem Präsidenten der Republik mitgeteilt, daß er wegen der Schwierigkeiten, auf die er in der Frage der Zuteilung des Innenministeriums gestoßen sei, auf die Kabinettsbildung verzichtet habe.
Freitag, 1. November 1929.
Dank für die Wahlarbeit!
Die Partei hat einen ihrer herrlichsten Siege errungen. In kühnem Ansturm hat sic cinc Reihe gegnerischer Stellungen überrannt, ihre Position im deutschen Volte befestigt, die Stimmen von mehr als einer halben Million arbeitender Menschen auf ihre Kandidaten vereinigt.
Der politischen Reife der deutschen arbeitenden Bevölkerung, der zunehmen= den Klassenertenntnis des Proletariats verdankt die Partei ihren gewaltigen Wahlcrfolg. Aber sie verdankt ihn auch der hingebungsvollen Irene, der Arbeitsfreude und Kampfluft unserer Genossen und Genojjinnen, der wochenlangen zähen, mühevollen, cifrigen Wahlarbeit der Vertrauenslente.
Den vielen, die ohne Anspruch auf Lohn, einzig und allein aus Liebe zur Partei und aus Begeisterung für die sozialistischen Ideen diese gewaltige Arbeit geleistet haben, ihnen allen, die ihren schönsten Lohn im Erfolge ihrer Arbeit sehen, dankt die Parteivertretung recht herzlich im Namen der Gesamtpartei.
Sie dankt allen, die ihre Straft, ihre Zeit, ihre Erfahrung, ihr Können im Wahllampic der Partei zur Verfügung stellten!
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Sie dankt allen Genossen und Genofsinnen, die für die Partei und ihre Ziele warben, fie dankt den Tausenden, die in der Kleinarbeit so Großes leisteten,- sie dankt den Franen und der Ingen d, die sich so bereitwillig, so freudig im Wahlkampfe an die Seite der Partei stellten, sie dankt den Ordnern, die oft in schwierigen Situationen mit Umsicht und Gewandtheit ihre gleichermaßen Mut und Tatt erfordernden Funktionen ausübten,- jie dankt allen befreundeten Organisationen, die in der Stunde der Entscheidung solidarisch ihre Verbundenheit mit der Partei bekundeten!
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Diesem brüderlichen Dank schließt die Parteivertretung die Bitte an, nun unverzüglich an die Sicherung des Wahlerfolges zu schreiten. Fest igung, Ausbau unserer Organisationen das ist eine der wichtigsten Aufgaben, die uns der Wahlerfolg stellt. Aus den sozialdemokratischen Wälern müssen dauernde Mitarbeiter und Mitkämpfer werden. Die Gegner, heute verwirrt und erschreckt durch unseren Wahlfieg, werden sich wieder sammeln zu neuem Angriff. Wir werden ihm umso besser standhalten, je beffer wir den Wahlerfolg auch organisatorisch auszuwerten vermögen.
Die Parteibertretung der deutschen sozialdemokratiſchen Arbeiterpartei.
Wir wachsen!
Die Hir unsere Partei in den eingeinen Wahlkreisen abgegebenen Stimmen in den Jahren 1928 unb 1928:
In Prozenten
1928
1929
+
2.808
2.294
509
2.561
2.879
182
18.1 7.1
Pardubi
7.129
9.032
1.903
26.7
Königgräs
21.897
25.957
4.060
18.5
16.009
22.089
6.080
37.9
B.- Leipa
78.141
90.131
16.990
21.8
54.319
65.909
11.590
21.8
81.055
105.962
21.907
30.7
33.788
41.981
8.193
24.2
15.966
20.684
1.718
29.5
7.568
9.904
2.341
30.9
.
19.872
24.832
5.460
28.1
Olmüh
36.021
42.819
6.298
17.4
Ing.- Bradisch
Mähr.- Ostrou
1.047 30.624
823
224
21.4
36.988
6.361
20.7
Laun Karlsbad Pilsen
Die für unsere Partei in den einzeluen Wahlkreisen in den Jahren
1
1925 1929 abgebenen Stimmen:
Wahlfreis
1925
1929
+
Prog I A.
4.429
2.291
2.185
Prog I B
2.750
2.379
371
Bardubis
5.737
9.032
8.295
37.4
Stöniggröß
21.649
25.957
4.308
19.9
17.163
22.089
4.926
28.7
B. Leipa
74.404
90.131
15.727
21.1
Laun
55.125
65.909
10.784
19.5
Starlsbad
84.125
105.962
21.837
25.9
37486
41.981
4.495
11.9
14.657
20.684
6.027
41.1
7.182
9.904
2.772
88.8
Brünn
18.502
24.823
6.330
84.2
Olmüt
35.650
42.319
6.669
18.7
Ung. Gradisch
1.102
828
279
25.3
Mähr.- Ostrau
26.817
36.988
10.671
40.5
8.678
3.812
184
3.6
1.462
1.010
452
30.9
Die Heimwehren im Dienste des Großkapitals.
Besugs Bebingungen: Bei Zustellung ins Haus ade bel Bezug durch die Poft:
monatlich... Kö 16.
vierteljährli
halbjährig
ganzjährig.
48.
96.
192.
Radftellung von Manutripten erfolgt nur bei Einfendung der Retourmarken.
Griheint mit Ausnahme bes Montag täglich friih.
Nr. 255.
Das„ spezifische Gewicht" des Bolschewismus.
Der Artikel, mit dem die tommunistische Prejjeer wurde allen Blättern vom Korres spondenzbüro der Partei zugestellt, damit die richtige Linie nicht beschädigt werde beginnt mit folgender flassischen Feststellung:
Wenn wir nach den bisherigen unvollkom menen Nachrichten das Wahlergebnis einschäzen wollen, so müssen wir vor allem eines beritasichtigen: Das spezifische Gewicht der im Jahre 1929 für die KPC. abgegebenen Stimmen, ist ein völlig anderes als das der im Jabre 1925 abgegebenen.
Das spezifische Gewicht hat sich also geändert! Die kommunistische Stimme von 1929 ift schwerer als die von 1925. Damals hat man uns zwar die Million kommunistischer Wähler, von denen wir behaupteten, sie er gänze sich zum Großteil aus Unzufriedenen aller Schichten, aus Zufallswählern, aus fleinbürgerlichen Intelleftuellen, als revolutionäre Massenpartei vorgestellt, von der wir in fürzester Zeit die Befreiung vom fapitalistischen Joch erwarten fönnten. Dann zeigte es sich bei jeder Aktion, daß die kominumistische Bewegung feine tausend von ihren tausendmal tausend Wählern auf die Beine zu bringen vers mochte, daß niemand das Programm der Ko mintern , sondern daß jeder eben die dazumal einzig vorhandene tschechische Oppositionspartei gewählt hatte. Nach vier Jahren erfahren mir nun von höchst offizieller Stelle, daß die SPC. tatsächlich vor vier Jahren nur eine opportunistische Wählermasse war, deren Stim men fein spezifisch revolutionäres Gewicht zufam. Dafür haben die Wahlen jetzt zum erstenmal im Zeichen einer wirklichen revolu tionären Politik" gestanden, die fommuniftifchen Stimmen sind Stimmen für das Endziel. für den revolutionären, offen und bolichewi stisch geführten Klassenkampf". Wir werden ja jehen, wie sich die 750.000 geheimen Parteigänger der KPC beim offenen Kampf verhal fen werden! Der Stimmzettel, dieser demofratische, so oft lächerlich gemachte Stimmzet tel, ist eben für viele ein bequemes Mittel zu demonstrieren und auf die radikalste Karte zu jezzen. Im offenen Kampf bleiben die Selden dann aus. Das scheint übrigens diesmal bic fommunistische Parteileitung zu fapieren, denn nach der Feststellung des spezifischen Wahlsiegs. den die KPC durch den Verlust von 180.000 Stimmen errungen hat, fommt das Polbüro zu dem Ergebnis:
„ Beide Tatsachen, das Wachstum der Sozialfascisten und des Fascismus, bei gleichzeitigem Sinken der Stimmen der KPC. zeigen jedoch von neuem, daß die Parteiorganisationen noch mit Opportu nismus verpestet sind, daß die Partei ihre richtige Linie bisher noch nicht fonsequent in der täglichen Kleinarbeit ihrer Orga nisationen durchgesent hat. Die Wahlergeb nisse sind ein neuer Ansporn zur Entwicklung einer großen Selbstkritikkampagne in der Partei und zur Verschärfung des Kampfes gegen den Opportunismus. Es ist kein Zufall, daß wir die schwersten Verluste in Prag und im Kladnoer Gebiet aufzuweisen haben, wo dic opportunistische Gefahr am größten ist und wo die Parteilinie am wenigsten in der Praxis durchgesetzt wurde."
Die kommunistischen Wähler können fid) ja gratulieren, diesem„ verpesteten Opportu nismus" ihr Vertrauen geschenkt zu haben! ob der Haupwerband der Industrie auch in Zu- Sie glaubten nach der soundsovielten Reini funft der Heimwehr monatlich Subsidien bezahlen soll. In dieser Sigung haben die Scharf- Aung der Partei, nach der Absetzung der zehnScharf- ten macher gefiegt. Es wurde beschlossen, die regelten oder zwölften Führergarnitur endlich die mäßigen Unterstüßungen an die Fascisten wei- richtige Linie zu haben und nun erfahren sie nach der Wahl, daß die Parteilinie noch terzuzahlen!
Der Grund für das Scheitern Clémentels trägt programmatischen und persönlichen Charak ter zugleich. In den Nachmittagsstunden bot Clés mentel dem Deputierten Daladier das Innenministerium an, dem alle Stammerfraktionen und besonders die sozialistisch Radikalen überaus große Wichtigkeit beimessen. Daladier nahm das Anbot an. Diese Lösung zeigte sich aber später als unmöglich, da die republikanischen Linke ( Gruppe des ehemaligen Innenministers Tardien) damit nicht übereinstimmte, daß das Ministerium mit einem so start nach lants orientier ten Mann besetzt werde. Senator Clémentel Der österreichische Industriellenverband zahlt weiter. widerrief somit sein Anbot und schlug für Dala dier entweder das Striegs- oder das JustizminiDie Industriellen werden also auch weiter nicht in die Praxis umgesetzt ist! Und was Die schwere wirtschaftliche Beunruhigung ſterium vor, was diefer fategorisch a blehnte. Mit Rücksicht darauf, daß Daladier noch einige hat, wie die Arbeiterzeitung" schreibt, auch bei hin die Spaten bezahlen, mit denen Bürger empfiehlt am Tage nach der Wahl das Poi Brogrammbedingungen stellte, erachtete Clémen- vielen österreichischen Unternehmern Zweifel ge föhne und Bauernburschen die Arbeiter nieder- biro den Arbeitern zur Vehebung ihrer Not tel die Hindernisse als unüberwindlich und legte wedt, ob es richtig ist, daß die Unternehmer mit schlagen, auch weiterhin den Fascisten Gewehre, lage, zur Beseitigung des Stapitalismus? ihrem Gelde Bürgerkriegsrüstungen unterstügen, Maschinengewehre und Handgranaten zum Bür Neue Sinauswürfe aus der SRC. Die werden nicht ausbleiben, ob es aber feine Aufgabe nieder. die Desterreich in eine Satastrophe zu stürzen gerkrieg kaufen, auch weiterhin die Aufmärsche Paris , 31. Oftober. Der Präsident der und die österreichischen Unternehmungen zu bezahlen, die die wirtschaftlichen Panifen erzeu- beffer wird, ist nach den Erfahrungen der letz Republit berief um 21.35 den ehemaligen Innen- ruinieren drohen. Am Freitag hat am Schwar- gen! So fördert der Hauptverband die Volks ien Jahre wohl auch für einen richtig linierten minister Tardien, den er wahrscheinlich mit zenbergplay eine Sihung stattgefunden, in der wirtschaft, den Arbeitsfrieden, die Arbeitsfreud: Stalinisten strittig geworden. nun neuerlich darüber entschieden werden sollte, der Arbeiter! der Kabinettsbildung betrauen wird.
Offener als das Polbüro selbst gibt das