Dienstag, 24. Dezember 1929.

Der deutsche Christbaum.

Eine Geschichte aus dem verwelichten Deu chen Südtirol .

Von Hilary Airey.

Friedel fam lärmend die Stiegen von der oberen Wohnung heruntergesprungen, zivei Stiegen stets auf einmal nehmend, während ihm feine Schultasche bei jedem Sprunge um die Schultern baumelte. Er wollte diesen Morgen zeitlich in der Schule sein, um seinen Schulfame­raden, den Buben und Mädchen, die gute Bot schaft noch vor Beginn des Unterrichtes mitzu­teilen. Er sprach es unterwegs ein paar Mal vor sich hin: Ich werde dieses Jahr einen Christbaum haben." Wie wollte er den Jungen von dem Christbaume erzählen! Doch ein paar unter ihnen werden es faum verstehen, wie wich tig ein solcher Christbaumt ist. Ennio und Ri cardo werden es sicherlich nicht verstehen, denn sie sind Italiener , doch Friedel, obgleich er in Italien lebte, war ein Deutscher, und auch seine Eltern, waren Deutsche . Soweit seine Erinne rung zurückreichte, hatte er in einer norditalient­schen Stadt gelebt, doch sein Vater und seine Wutter erzählten ihm stets Geschichten von Deutschland , wo er geboren war, und ganz be sonders zur Weihnachtszeit wußten sie ihm so Schönes von den lieblichen Bäumen zu erzählen. die jede Familie in Deutschland hatte, Bäumen, die jeden Zweig mit Sterzen geschmückt hatten und deren Wipfel ein Stern zierte. Viele der deutschen Kinder in der Stadt hatten auch hier ihren Christbaum, und jedes Jahr hoffte Fric del, daß er auch einen bekommen werde. Doch sein Vater war bloß Hausbesorger in einer fremt den Villa, der in seiner freien Zeit Schuhe reparierte, und ein Bau und Sterzen fostere mehr, als er gewähren konnte, das pflegte er stets zu sagent.

Doch dieses Jahr hatte sich etivas ereignet. Friedel wußte nicht was, und seine Mutter hatte ihm für Weihnachten einen wirklichen Christ baum versprochen Es sollte fein ganz großer sein, aber doch groß genug, um Weihnachten nach der alten deutschen Sitte zu feiern.

Friedel hatte diesen Morgen Glück, denn als er um die Ede der Straße bog, traf er sene ganz spezielle Freundin Nadia, die gerade in das Schaufenster eines Spielzeugladens gudte, wo eine große Kugel wie Quecksilber gligerte.

Hallo, Nadia!" rief er auf sie, ganz auf­geregt, ich werde einen Christbaum befoninien, und oben an der Spitze wird sich eine Kugel wie diese da befinden!"

Oh, Friedel, wahrhaftig?" rief Nadia, in die Höhe springend, und ebenso aufgeregt wie er selber.

Sie war auch eine Deutsche, doch auch sie hatte wie Fricdel- uiemals einen Christbaum be­tommen, weil ihre Wutter nicht genug verdiente. um einen solchen anzuschaffen. Ihre Mutter verkaufte Zeitungen in einem kleinen Kiosk und fonnte feinen solchen Lugns gewähren.

,, Darf ich zu euch fommen und mir den Christbaum ansehen?" erkundigte sie sich bei Friedel.

,, Selbstverständlich kannst du das. Vater wird auch ein bißchen von dem dünnen Zeug, das wie Schnee aussieht, dazu kaufen und es auf den Baum geben!"

Es flingen wieder Zu Weihnachtszeit Die alten Lieder Weit und breit:

uns wird geboren Ein Kindlein flein, Das ist erforen, Ins zu befrei'n.

Aus Armut und Schande Hebt fich fein Stern, xat Bis alle Bande

Ihm huld'gen als Herrn.

Sinab wird stoßzen Des Menschen Sohn Die Starken und Großen Von ihrem Thron www

mengespart, um Friedel emen Baum anzuschaf fen, aber da tam ein Erlaß der Regierung, der alle Christbäume untersagte Es ist eine Ver ,, Was du für ein Glück hast! Und wird es wüstung des Waldbestandes" erklärte die Regie auch rote Sterzen wie diese da drauf geben?" rung. Italien benötigt seinen Waldbestand. Die ,, Selbstredend, und ein paar Sterne dazu!" Regierung fann es nicht zulassen, daß die Berg

läutete.

NA

Und Friede wird werden In seinem Reich, Wenn rings auf Erden Die Menschen gleich!"

Die einst die Frommen Ahnend gesehn, Die Zeit wird kommen, Das Reich ersteh'n

An allen Stätten, Wo Armut hoct Auf harten Wetten, Zelumpt und verstockt;

Wo Elend und Jammer Das Lager umstellt, Nommt in der Nemmer Der Heiland zur Welt.

T

www

Rennen Sie schon den

Kuckuck?

Beite 7.

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Weiterleben ft Verschulden.

ist

Von Robert Dehler.

Es war wunderschön draußen. Die Sterne standen gl Bernd über den Dächern. Der Mono blühte hellsilbern auf blauem Grund.

Ich verabschiede.e mich von Galinin, dessen eisgraues Spitzbärtchen noch immer vor Vers gnügen zitterte. Er konnte nicht aufhören, mir die Hände zu drüden. Neuchend, ächzend, unter gluckjenden Lachlanten stotterte er unaufhörlich: Was für ein Bild! Ein unvergleidlicher Ed ach zug, mein Lieber! Nein, diese Gesichter.

Ich war zuletzt genö.igt ihn stehen zu lassen. Seine Freude hätte ungemindert bis zum Mor gen dauern können. Ich grüßte höflich und ging.

Der harigefrorene Schnee knarrte unter den Sohlen. Es gab Stellen, die glatt waren wie Eisflächen. Ich konnte mich nicht en.schließen, ein Auto zu nehmen. Das Tempo des heutigen Sieges bebte auch in meinen Gliedern und trug mich vorwärts. Jch belä hefte zwar innerlich Galinins Präsidentenentzüden, mußte mir jedoch selbst zugestehen, daß wir tatsächlich ein Meister ftüd vollbracht hatten: nach jahrelangem Stampfe war es uns endlich doch gelungen, durch ein glückliches Börsenmanöver die Majorität der Ost­fibirischen Steinkohlen- Gewerkschaft in unsere Hände zu bekommen.

Ich spann meine Gedanken in die Zukunft. An einem Straßenübergang. während ich auf das Vorüberfahren der Wagen wartete, ertappte ich mich dabei, daß ich vor mich hingeträllert hätte. Ich überlegte lächelnd, ob es zum Nach­hausegehen nicht doch vielleicht zu zeitig wäre. In fünf Minuten könnte ich den Schub erreichen, mit meinen neuerrungenen Lorbeeren pranfen. ich schloß aber diese Erwägung mit einem Stopi schütteln; der Glückstag follte nicht durch meme üblichen Spielverluste ge.rübt werden.

Ich hatte nur noch wenige Schritte zu meiner Villa, als ein Auto, mich überholend vor mir hielt. Ich erkannte überrascht Galinin in dem Aussteigenden.

Er nahm mich gleich in Beschlag. ,, Verzeihen Sie mir," rief er, doch ich kann ,, Chriftbäume wurden gestattet!" nicht anders, ich muß mit Ihnen sprechen!" Die Regierung hatte allem Anscheine nach ihre Die Regierung hatte allem Anscheine nach ihre Ohne meine Antwort abzuwarten, dur Tief Verordnung widerrufen! Sich erweichen lassen: er das sich öffnende Tor meiner Villa und liet­Mutter. werde ich jetzt memen Christbaum terte mit schnellen Schritten die Stiegen hinan. Meine Frau hatte sich bereits zur Ruhe be­bekommen?" fragte Friedel. Doch Anna wollte Nie habe ich ihn so sicher und beweglich gesehen.

war.

Was aber werden wir jetzt anfangen? Ich

Sie standen, die Nasen an die Auslageschei- ehnen ausgerodet, werden. Die Deutschen miti es ihm nicht cher versprechen, ehe sie nicht die geben. Ich wies den Diener an, jie nicht zu ben gepreßt, verzückt da, bis die Schulglode en eben Weihnachten nach italienischer Art mit fünf Treppen zu ihrem Gatten heruntergeeilt stören. Ein Imbiß sollte rasch und ohne viele verzückt da, bis die Schulglocke dem Strippenspiel anstatt der Bäume feiern." Friedel weinte beinahe vor Herzleid, daß die Ich weiß nicht, wie ich die Sache fertig hristbäume durch die Regierung verboten wur- habe das erfparte Geld bereits für Badwerk aus unterbrochen. Seine Worte flangen ungewöhn friegen foll, meinte Anna, als ihr Gatte am den. Auch Nadia wemte, und Hans und Starl, negeben, und jetzt lönnen wir nicht noch einen lich beſtimmt. Die Stlarheit der Jones Abend mit den Schlüsseln hereinkam; doch ihre Freunde, waren nicht weniger traurig. An Baum dazu anschaffen!" diesem Tage war eine düstere Stimmung in der Friedel muß seinen Christbaum bekommen Schule, aber nicht allein in der Schule, sondern wenn wir es ihm einmal versprochen haben." in jeder deutschen Fomilie.

Aber er wünscht sich Sterzen und allerle: eine Meinung ühe man gestattet werden. Ich werde mir morgen no wachsen, die Ereignisse der letzten Stunden, weit

nen. Er überragte gleichsam plötzlich emporge­

Umstände im Roten Zinnier aufgetragen werden. Galinin nich.s. Dagegen redete er un Formulkerung einzelner Gedanken ließ mich staunen. Er be­,, Wir können es, wenn ich diesen Monat sprach mit mir nochmals eingehend die Neuiage nicht die Schuhe Laufe." unserer Gewerkschaft, legte feine Meinung zut Aber Fris, deine alten gehen nicht mehr ſammenfassend in Grundfäven dar, widerstand ,, Ein Baum fostet nicht so viel!" meinte Was fümmerte die Regierung. weit entfernt länger. Du mußt auf alle Fälle Schuhe haben." allen meinen vorsichtig wertenden Einwänder Friß, der sich rofigen Stimmung fühlte n Rom , die Glückseligkeit von ein paar deut- Und Fredes muß seinen Baum bekommen. und nötigte mich zuleßt zu Notizen, während ich weil ihm die amerikanische Dante aus dem gleichen Stindern im Trentino ? Das war es, was Die Regierungsverordnung fagt nämlich, daß noch kaum zu speisen begonnen hatte. Der kleine, ten Stode zehn Vire für das Tragen ihres Rosich jeder im stillen dachte, aber keiner sprach es Christbäume in diesem Jahre zum letzten Maletliche Mann war einfach nicht wiederzuerken­fers geschenkt hatte. aus denn nicht das Land, die Regierung einen Fleck auf meine Schuhe nähen, doch den Dinge darauf. Er wollte heute nicht früher suchen pflegt. Es gab wo eine Strippe in den Baum müssen wir für den Jungen auf alle Fälle einem Zuge die Dispositionen für das kommende tte gehen, bevor ich ihm nicht eine Silberfuge! Stirchen, mit einem Strobftalle das Christkind anschaffen!" Salbjahr, deren Ausarbeitung eigentlich mir ob­In der Spizze des Baumes versprochen hatte." trug ein blaues Kostüm. aber die Pappendeckel- Und alle drei gingen sie auf den Markt, wo lag, fehlerfrei im Aufbau und ohne jedes Stocken, Das tut nichts, Anna, wir können es uns figuren, die an Stelle des Christbaumes für die die Chriſtbäume, schön geschnitten, auf einem als hätte er ein Buch in Händen aus dem er dieses Jahr schon besser leisten, und das seine deutschen Kinder in den Geschäftsläden verkauft Haufen zusammen lagen. Als sie ihren Baum ablese. Ein Say jagte den andern, ganze hat in seinem ganzen Leben nie einen Christbaum wurden, waren nur ein armſeliger Ersatz für ausgewählt hatten, nahm ihn Friß unter den Schwärme von Pahlen ſchwirrten von seinen Baum liebten, als wir noch als stinder in Tres Friedel ging ſo fonftängerisch herum und her, dann traten sie beim Spielzeugwarenhänd- Diener wagte nicht mehr, wachsehen zu kommen. sah so elend aus, daß sich die Mutter entschloß, ler ein, wo Friedel nichts so sehr gefiel wie die Da ich zu den Aufzeichnungen nur ein Vormerk­ihm ein Weihnachtsgeschenk zu geben, fie fuchte große Silberlugel und die roten Sterzen. heft benütz'e, dessen Blätter sich allzuleicht lösten, Am Weihnachtsabende hatten sie eine Feier, war das Zimmer bald voll von herumliegenden alles( eld zufammen, das sie für Eier und Jo­hannisbeeren und Mehl hatte und bereitete Back bei der Nadia und ihre Mutter zu Gaste waren Bapierieben. Ganz nachgiebig geworden nahm merk vor, wie es im Saufe ihrer Mutter in fie tranken zuſammen simbeerwein, aßen Back- ich Galinins Feldzugsplan sorgsam und g werk, und Anna machte die Gastgeberin, sie noch wissenhaft auf als wäre ich ein No ar und er­Es war an einem Samstag- Abend, drei zum Effen auffordernd." So effet doch!" sprach hielte eine lezhvillige Verfügung angegeben. fie mie eine gute deutsche Hausfrau, bis der legte Endlich war Galinin fertig. In Schweiß Tage vor dem Weihnachtei ar ge- Biffen Gurelhupf verzehrt, war. rade damit beschäftigt, den braunen Strudel aus em Backofen hervorzuziehen, als Friedel mit ochrotem Kopfe zur Türe hereinstürmte.

gehabt. Dente nur dran, wie sehr wir so einen den Baum.

den lebten."

Sicherlich, und Bachwerk, hatten wir dazu. Strapfen und Gugelhupf und einen großen Stru del

Du machst ja jetzt überhaupt me mehr

einen Strudel, Anna!"

Die Johannisbeeren sind so teuer, und bas" Backwerk worden so viele Eier gebraucht Ich wünschte aber, ich könnte Friedel ein echtes del ein deutsches Weihnachtsfest bieten!"

"

,, und fönnten wir das nicht heuer tun?" Wenn wir einen Baum kaufen. tönnen w das andere nicht mehr aufchaffen. Was du für seltsame Einfälle haft, Frib"

Dresden alle Jahre gebacken worden war.

"

Mutter. Mutter." rief er. Wir fönnen och unseren Christbaum haben. Ich habe eben " ne Notiz oben beim Spielzeughändler gelefe.

gebadet, erdrückt von der Spannung seines In­telletts( die mir die Arbeit von Monaten er parte), bat ich, mich für eine Weile zu entschul­igen. und ging aus dent Rimmer.

Der Baunt stand in der Ede, geschmückt utit der großen Silberkugel. und Friedel und Nabin fonnten und wollten gar nicht daran denken, daß der schöne Baum in ein paar Wochen int Herde Als ich wiederkam, lag er, vom Sessel hin­verbrannt werden mußte. An einem falten Jän abgegli.ten, tot auf dem Teppich. In seiner ver­nertage wurde er. tatsächlich verbrannt, er ver- Trampften and fand man ein Blatt zusammen praffelte mit großem Senistern. und die Sender geknüllt. das in seiner Sandschrift folgende Zei­Aber wie fich später heranaffefte olliomm und lies!" Wie meinst du das?" fragte feine Mutter wärmten fich ihre Sände an den Kacheln des len enthielt: Anna doch für ihren Jungen das Balwerk Doch ihre Silbertusel behielten fie fich Von der Höhe ſeines Weges darf man fein machen, dafür aber tollte er feinen ristbaum Duch sie stellte das Tablett mit dem Badwer! Ofens. Doch ihre Silbertinel behielten fie fich bekommen; wie die Dinge lagen. Als Weihnach beifeite und ging nut ihm bis zu der Auslage zum Andenken an ihren ersten und letzten Christ Sinunter bulden. Nicht nur Qual ist Weiterleben, ten gerade noch eine Woche entfernt war, hatten cheibe. Und wahrhaftig, hier war ein großer baum imitationic Soutien Sihtirnl. Aus dem Englischen übers. von J. Reismann. die Eltern des Jungen wohl genug Geld zusam- Zettel angeklebt:

"

Weiterleben ist Verschulden.

Die Aerzte sagten: Strychnin.