irr. 82.
Sonntag, 5. April 1931.
Veite 3
und kapitalistische Produktionskostenberechnung unterscheiden sich also zunächst dadurch, daß jene die Kosten der Erhaltung der Arbeitskraft der arbeitslosen Arbeiter cinschlietzt, diese nicht. Das Ziel aller Rationalisierung ist die Sen­kung der Produktionskosten. Dem Unternehmer ist es aber immer nur um die Senkung seiner Produktionskosten, der Produktionskosten seiner Unternehmung zu tun, nicht um die Senkung der gesellschaftlichen Produktionskosten. Er kann seine Produktionskosten durch Maßnahmen senken, die die gesellschaftlichen Produk­tionskosten erhöhen. Eine solche Rationalisierung wollen wir hier eine Fehlrationalisie­rung nennen. Die Fehlrationalisierung vergrößert den Profit des einzelnen Unternehmers, aber sie ver­feinert den Reinertrag der gesellschaftlichen Ge- samtaicheit, Sie erhöht die Rentabilität der ein­zelnen Unternehmung, aber sie senkt die Produk­tivität der gesellschaftlichen Arbeit. Sie macht den einzelnen reicher und die Gesamtheit ärmer. Kapitalistische und sozialistische Rationalisierung. Das Ziel aller Rationalisierung ist die Stei­gerung der Produktivität der Arbeit. Ihre Stei­gerung ermöglicht es, gleiche Gütermengen mit einem immer geringeren Arbeitsaufwand zu er­zeugen. Aber durch die Steigerung der Produk­tivität der Arbeit würde der Güterreichtum der Gesellschaft nur dann vermehrt, wenn die Ar­beitskräfte, die infolge der Rationalisierung zur Erzeugung einer Gütermenge nicht mehr ge­braucht weiden, sofort zur Erzeugung anderer Gütermengen, sei es derselben, sei es einer an­deren Gütergattung, verwendet würden, In der kapitalistischen   Gesellschaft ist dies nicht immer der Fall. Bom Standpunkt kapitalistischer Ko­stenrechnung ist die Rationalisierung auch dann vorteilhaft, wenn die durch sie ersparten Arbeits­kräfte durch längere Zeit unverwendet bleiben. So sehen wir in der kapitalistischen   Gesellschaft dietechnologische Arbeitslosigkeit" der durch die Maschinefreigesetzten" Arbeiter; die Alters- arbcitslosigkeit der Arbeiter, deren Arbeitskiast durch die Intensivierung der Arbeit vorzeitig er­schöpft wich; die Saisonsarbeitslosigkeit der Ar­beiter, deren Arbeitskraft nur während eines TelleS des Jcchres verwendet wich. Der Güter­reichtum der Gesellschaft kann in der kapitalisti­ schen   Gesellschaft nicht in gleichem Maße steigen, wie die Produktivität der Arbeit wächst, weil die Steigerung der Produktivität der Arbeit der beschäftigten Arbeiter mit der gänzlichen Brach­legung vieler Arbeitskräfte verbunden ist. Stürzt die Rationalisierung einen Tell der Arbeiter- klasse in die Not der Arbeitslosigkeit, so kann sie die Lebenshaltung des andern, beschäftigten Tei­les der Arbeiterklasse nicht in gleichem Maße er­hoben, wie sie die Produktivität seiner Arbeit erhöht, well ein Teil des Arbeitsertrages der beschäftigten Arbeiter zur Erhaltung der brach­gelegten, unverwendeten Arbeitskräfte verwendet werden muß. Schließlich erreicht die Rationali­sierung einen Grad, bei dem der Zuwachs an Gütern, den die Gesellschaft der Steigerung der Produktivität der Arbeit der beschäftigten Arbs,- ter verdankt, zurückbleibt hinter dem Mehrauf­wand an Gütern, den die Erhaltung der durch die Rationalisierung brachgelegten Arbeitskräfte erheischt; sobald dies der Fall ist, wird der Rein­ertrag der gesellschaftlichen Arbeit durch die Ratio­nalisierung nicht mehr vergrößert, sondern ge­senkt. Wird durch die Steigerung der Arbeits­produktivität ein großer Tell der Arbeiterklasse in die Rot der Arebitslosigkeit gestürzt, so wird die Lebenshaltung des anderen, beschäftigten Teiles der Arbeiterklasse trotz der Steigerung der Pro­duktivität seiner Arbeit nicht erhöht, sondern ge- senkt, sobald der Mehrertrow seiner Arbeit über­wogen wird, durch den Mehraufwand für die Erhaltung der Arbeitslosen, der aus seinem Ar­beitsertrag bestritten werden muß. So gerät im Verlauf des Rationalisierungsprozesses die Ent­wicklung der Lebenshaltung der Bolksmassen in schreienden Widerspruch zu der Entwicklung der Produktivität ihrer Arbeit. Dieser Widerspruch ist das unvermeidliche, unabwendbare Resultat des kapitalistischen   Lohn­systems. Erst wenn an die Stelle der kapitali­ stischen   Organisation der Gesellschaft die soziali­stische und damit an die Stelle der kapitalistischen  Kostenrechnung die gesellschaftliche tritt, wird die Gesellschaft den Produktionsprozeß nicht mehr rationalisieren, um die dadurch ersparten Arbeits­kräfte für lange Zeit brachzulegen, sondern nur dazu, um die in einem Produktionsprozeß erspa- ten Arbeitskräfte in anderen Produktionsprozesten zu verwenden. Erst dann hört die Rationalisie­rung auf, eine Ursache dertechnologischen" Ar­beitslosigkeit, der Altersarbeitslosigkeit, der Sai­sonarbeitslosigkeit zu sein. Erst wenn die Steige­rung der Produktivität der Arbeit nicht mehr mit der Brachlegung von Arbeitskräften verknüpft ist, wird der Güterreichtum der Gesellschaft in glei­chem Maße steigen, wie die Produktivität der Arbeit wächst. Erst die sozialistische Gesellschafts­ordnung verwandet die methodische Verwertung der Wissenschaft in allen Zweigen menschlicher Arbeit aus einer feindlichen Macht, die über un­zählige Menschenschicksale vernichtend hertinhricht, zstm- friedlichen Mittel, den Wohlstand aller zu heben und die Arbeitsmühe aller zu erleichtern. Rationalisierung und Kapitalismus  . So verschwendet der Kapitalismus in zwei­facher Weise menschliche Arbeitskraft. Er ver­schwendet menschliche Arbeitskraft, indem er immer wieder Millionen Arbeitskräfte, die die Versorgung der Gesellschaft mit Gütern gewaltig verbeffern könnten, für Monate, für Jahre völlig
brachlegt. Er verschwendet menschliche Arbeits­kraft, indem er ständig Millionen Arbeitskräfte unproduktiv verschwendet: teils zum Bau von Produktionsmitteln verwendet, die, einmal herge­stellt, überhaupt nicht oder doch jahrelang nicht verwendet werden können, teils in rückständigen Betrieben, mit veralteter Produktionstechnik be­nützt, teils zu Verwendungen benützt, die den Güterreichtum der Gesellschaft nicht mehren, son­dern nur dem Konkurrenzkampf eines Waren­produzenten gegen den andern dienen. Tie gemeinsame Quelle aller dieser Vergeu­dung der Arbeitskraft ist die Anarchie, die Plan­losigkeit der kapitalistischen   Produktionsweise: die Tatsache, daß die Gesellschaft die Erneuerung, Er­weiterung und Vervollkommnung des Produk­tionsapparates nicht selbst nach gesellschaftlichem Plan regelt, sondern dem Profitstreben, der Spekulation, der Willkür der einzelnen Unterneh­mungen überantwortet. Diese Tatsache hat zur Folge, daß die Erneuerung, Erweiterung und Vervollkommnung des gesellschaftlichen Produk­tionsapparates immer wieder auf wenige Jahre konzentriert wird, um nachher für einige Jahre unterbrochen zu werden. Daraus gehen die Schwankungen des Geschäftsganges, der Wechsel von Rationalisierungskonjunktur und Rationali- sierungskrise, der industrielle Zyklus hervor, der die Quelle millionenfacher Vergeudung mensch­licher Arbeitskraft ist. Keine Verfeinerung der Konjunkturforschung, der Marktanalyse, der Planung innerhalb des ein­zelnen Werkes kann diese Quelle millionenfacher. Unwirtschaftlichkeit verstopfen, solange nicht die Gesellschaft selbst ihren Produktionsapparat be-
Für die bürgerliche' Geistigkeit von heute sind nicht so sehr die Ausfasiungen der bezahlten Lobredner der kapitalistischen   Gesellschaft charak­teristisch wie gerade die jener Intellektueller, die zwar den ihnen liebgewordenen Boden der bür­gerlichen Welt nicht verlosten können und die sich keine andere Kultur als die des Bürgertums, keine andere Lebensweise als die bürgerliche vor­stellen können, die aber doch wenigstens die Aus­wüchse des modernen JndustriekapitalismuS sehen. Sie möchten diese Auswüchse operieren, bemerken aber nicht, daß cs sich hier in Wahrheit nicht um die Geschwülste des kapitalistischen  Körpers, sondern um tödliche Erkrankungen sei­ner Hauptorgane handelt. Ihre soziale Einstel­lung, ihre bürgerliche Denkweise hindert sie, jene Therapie vorzuschlagen, die allein helfen kann und vor der sie dennoch zurückschrecken: den SozialiSnms. Ein treffendes Beispiel für diese Art von bürgerlichen Ideologen ist der Prager   Rudolf Keller, der ein Büchlein.über ein Problem geschrieben hat, das für die europäische Politik noch Jahrzehnte seine schicksalsschwere Bedeu­tung haben wird, nämlich das Verhältnis Deutschlands   zu Frankreich.  *) Das Buch das sei vorweg zugestonden ist geistvoll und amüsant geschrieben, sein Ber  - faffer fördert manche originelle, den unkritischen Leser vielleicht verblüffende Idee zutage. Er kommt sogar zur Einsicht und diese Auffas­sung wird sehr bestimmt und entschieden zum Ausdruck gebracht daß an der kapitalistischen  Wirtschaft vieles nicht in Ordnung ist. WaS aber seine Anschauungen am meisten mangelt, ist die Geschlossenheit der Auftastung, die durch­gängige Einheitlichkeit einer' sozialen Welt­anschauung. So spiegelt das Buch die Zer­rissenheit des bürgerlichen Den­kens wieder und enthält neben vielem Richtigen so viel Falsches, daß es Mühe kostet, aus diesem Salat von Anschauungen, Ansichten und Bemer­kungen die guten Brocken herauszufischen. Schon der Ausgangspunkt der Untersuchun­gen Kellers zeigt die Sonderbarkeit feines Tan­kens. In der Darstellung des Berhaltnistes der beiden großen europäischen   Kulturnationen, die seit tausend Jahren der Welt so große Kultur­werte gegeben und dabei drei Dutzend Kriege miteinander geführt haben, geht er bis auf Karl den Großen zurück, über den er die volle Schale seines Hohnes und Zornes ausschüttet, als ob es ein politischer Gegner von heute wäre! Kellers Geschichtsauffassung geht dahin, daß die freien sexuellen Vechältniffe am Hofe der Karolinger  , der Wunsch, den unehelichen Kindern der Könige Länder zuzuschanzen, an der Entstehung eines deutschen   und französischen   Teiles des Franken­reiches Schuld trügen, ja daß die Eigenart der inneren Sekretion der Karolinger   die eigentliche Ursache des deutsch  -französischen Gegensatzes sind, daß die Sprachgrenze am Rhein   nicht auf natür­lichem Wege, sondern durch Familienkämpfe der Herrschergeschlechter entstanden ist. Selbst wenn dies die halbe Wahrheit iväre was entschieden bestritten werden muß, warum hat sich dann die Teilung des Frankenreiches dauernd er­halten? SBaiitnt hat ein zweiter Karl der Große  nicht wieder die beiden Teile zusammengemgt? Weil eben, so muß Keller entgegengehalten wer­den, die damalige Wirtschaft und der Verkehr so beschaffen waren, daß nur kleinere Reiche dauernd bestehen konnten und weil die wirt­schaftlichen Verhältnisse die Menschen von da­mals nicht so eng verknüpften, daß aus West- und Mitteleuropa   ein einheitliches Staatswesen hätte entstehen können. Ebenso wenig Verständnnis wie dem Mit­telalter bringt der Berfaffer auch den treibenden Kräften der Entwicklung des 19. und 20. Jahr-
*) Rudolf Keller: Deutschland.  und Frank­ reich  . München  , R. Piper u. Comp. Verlag.
herrscht und seine Erneuerung, Erweiterung, Ver­vollkommnung selbst nach gesellschaftlichem Plane regelt, nach gesellschaftlichem Plane auf die einzel­nen Jähre gleichnräßig, auf die einzelnen Produk­tionszweige verhältnismäßig verteilt. Die Rationalisierung steigert die Produktivi- tät der Arbeit. Aber die Lebenshaltung der Volks­massen kann nicht in gleichem Maße verbessert j werden, wie die Produktivität ihrer Arbeit steigt, solange der Ertrag der Steigerung der Arbeits- ! Produktivität immer wieder aufgezehrt wird, einerseits durch die Brachlegung von Arbeits- ; kräften, die von der Gesellschaft erhalten werden müssen, statt sie zu erhalten, andererseits durch ! die unproduktive Verwendung von Arbeitskräften, | die in hastiger, angestrengter Arbeit ihre Muskeln und Nerven verzehren, ohne Gebrauchswerte, nutz­bare Güter zu erzeugen. Die Rationalisierung sucht die Arbeit durch die Wissenschaft zu befruchten, alle Quellen der Unwirtschäftlichkeit zu verschütten, die Produk­tivität der Arbeit zu heben. Aber in diesem Streben stößt sie auf die Schranken der kapitali­ stischen   Gesellschaftsordnung. Es genügt nicht, die Produktionstechnik, die Arbeitsverfahren, die Wirtschaftsführung der einzelnen Betriebe, der einzelnen Unternehmungen zu rationalisieren. Die höchstmögliche Steigerung der Wirtschaftlich­keit fordert die Befreiung des gesellschaftlichen Produktionsapparates von den Festcln, die die Gesellschaftsordnung selbst seiner Verwirtschaft- I lichung, der Verwissenschaftlichung seiner Verwen- I dung und seiner Entwicklung auferlegt. Sie for­dert die Rationalisierung der Gesellschaftsord­nung selbst.
Hunderts entgegen, wenn er die Idee,daß Staatsgrenzen und Bündnisse aus verwandten Deklinationen und Vokabeln entstehen müssen" als den Leitgedanken der Staatenbildung bezeich­net. Die europäische Staatenentwicklung im letzten Jahrhundert, die Bildung eines einheit­lichen Deutschland   und Italien  , die Entstehüng der Nationalstaaten nach dem Weltkriege ist die Folge des Erwachens der Nationen, der politi­schen Demokratie, die seinerseits ein« Begleit­erscheinung der Entwicklung des Kapitalismus ist. Das sollte ein Vierteljahrhundert nach dem Erscheinen von Renüers und Bauers Schriften doch Wohl bekannt sein und man darf sich die Erklärung des Geschichtsverlaufes doch nicht so leicht machen. Alan darf auch will man ernst griwm- men werden nicht so leichtfertig Beschuld.gun- gen aussprechen, wie es Keller tut. So behaup­tet er, daß ein Teil der sozialistischen   Führer Deutschlands   nach der Novemberrevolution nur .daran dachte,sich persönlich zu bereichern". Den Beweis schrickt sich Keller, großzügig wie er ist. Aber er gerät dadurch bedenklich in die Ge­sellschaft von Kommunisten und Hakenkreuzlern, deren Denken ebenso zerrissen und wenig ein­heitlich stt wie das seine. Einmütig sind sie all« nur im Gegensatz zur Sozialdemokratie. Das alles aber soll.nicht verhindern anzu­erkennen, daß Kellers Buch reich an guten Par­tien und richtigen Gedankenführungen ist. Kel­lers Hauptangriff richtet sich gegen die deutschen  Kartelle, die durch Ueberpreise aus dem deutschen   Volk einen Tribut von jährlich min­destens 1700 Millionen Mark(13.600 Millionen Ke!) tzerauspresten, also fast so viel,als di« Jahreszahlungen nach dem Houng-Plan(zwei Milliarden Mark) betragen. Deutschland  wird also von seinen Kartellmag­naten ebenso versklavt wie von den Poung-Gläubigern. Der größte Teil der Poungraten geht aber nicht in di« Kasten des Erbfeindes", sondern 1365 Millionen Mark werden an Amerika  , d. h. an die amerikanischen  Großkapitalisten entrichtet, die schon im Kriege an den Lieferungen dick verdient haben. Nicht Frankreich   und England, sondern die deutschen   Kartellmagnaten und die amerikanischen   Großkapi­talisten sind die wahren Feinde des deutschen   Volkes. Die deutschen   Ka­pitalisten haben das deutsche   Volk erst durch die Inflation ausgeplündert und jetzt schröpfen sie cs durch Kartellüberpreise eine Auswuche­rung, die den Vergleich mit dem Versailler Ver­trag ganz gut aushält. Eine gekaufte nationali­stische Presse sucht dielen Tatbestand zu verdecken und den Haß des deuticben Volkes auf das iran  - zösische abzulenken. Während die deutschen   Ka­pitalisten einen Teil ihres durch Kartellwucher ergaunerten Vermögens dazu benützen, um die nationalistischen Instinkte der Masten aufzupcit- schen, sind sie mit dem anderen Teil ihres Kapi­tals in Dollars und holländi'chen Gulden ge­flüchtet.In den deutschen   Sparkaffen legen nur unheilbar naive Dienstmädchen, Bürogehil­fen, Friseure und Bauern ihre Ersparnisse ein. Die Mistenden haben Schweizer   Aktien, norwe­gische Elektrizitätszcntralen, schwedische Zünd­holzaktien und Doung-Anleihe im Ausland depo­niert."(Keller, S. 85.) Diese Großverbrecher, gegen deren Vaterlandsverrat bie Tat des Judas  verblaßt, sind es nun, welch« den Haß des deut­ schen   Kleinbürgers auf das französische   Volk rich­ten. Aber nicht dieses ist der wahre Fein- Deutschlands, ebenso wie das deutsche   Volk nicht der Schädiger des französischen   ist.Nicht jenseits der Grenzen sitzen die wahren Feinde der Deutschen   und Franzosen, sie sitzen mitten unter ihnen, sie überschütten sic mit Rekordlawinen von falschen Nachrichten über die angeblichen Feinde, sie rauben ihnen die klare Besinnung,
Jugend, wir rufen dich! Die sozialistische Jugend wirbt! Sie kämpft für den Frieden und gegen de>t Krieg. Die haßt den Militarismus, der viele Zehntausende junge Bursche» um viele Monate
der schönsten Lebenszeit bringt. Die Arbeiter- jugend kämpft aber auch gegen den Militaris­mus, weil er die Voraussetzungen für neue, schreckliche Kriege in sich birgt. Wir fühlen uns mit allen arbeitenden Menschen/ mögen sie welcher Nation, Raffe und Religion angehören, wie immer,, brüderlich verbunden. Deshalb kämpfen wir auch gegen alle Einrichtungen, die das Glück der Menschen zevstören und unerhörtes Leid über die Erde bringen. Dieser Kampf mutz von allen arbeitenden Menschen geführt werden und deshalib rufen wir euch:, konnnet zu uns, in den Sozialistischen Jngendverband! Jugend, wir rufen dich! um sie ungestörter ausplündern zu können, in Frankreich   durch grotzangelegte Börsenschwinde­leien wie den Oustric-Krach, durch Lieferungen !an Heer, Marine und Luftfahrt, in Deutschland  durch maßlose Kartellpreise, durch eine, imponie- reirde Organisation gedruckter Lügen und durch die überteuerte Belieferung der riesigen Staats­betriebe. Sie Hoden den Chauvinismus zu einer Kirche erhoben und stoßen Bannflüche aus gegen die schlappen europäisch Gesinnten, gegen die Un­gläubigen und gegen die Feinde. Wer in das Schimpfkonzert nicht mit cinstimmt, ist ein Ver­räter an der Nation."(S. 111/112.) Eine solche Darlegung kommt hart.an die. Erkenntnis des Klastengegensatzes heran. Ja, iu einer Hinsicht kommt Keller zu einer nahezu hundertprozenti­gen sozialistischen   Anschauung, dort, wo er näm­lich die Grundlagen des'Nationalismus aufdeckt. Achtundneunzig Prozent aller Menschen sind Bettler oder leben von ihrer Arbeit, zwei Pro­zent leben von ihrem Besitz. Bei den Wahlen stieg die sozialistische Flut mehr und mehr. Da es zwecklos scheint, den Armen zu sagen: Be­geistert Euch für deck Besitz, den>Jhr nicht habt, so verfielen die Organisationen der Plutokraten auf den Gedanken, den Nationalismus zp zub- ventionieren, um den natürlichen Haßgefiihlen der geplagten Menschheit ein Ventil zu schaffen, durch das sie ihre Mißstimmung entladen kön­nen." Hier haben wir einmal von einem Manne, der seine bürgerliche Gesinnung stets offen be­tont hat, den Klassencharakter deS Na t i on a li smu s dargelegt, der ein Damm sein soll gegen die sozialistische Flut, d.!).. das Mittel, die bürgerliche Gesellschaft vor-em An­sturm des Proletariats zu retten. Zu dieser Erkenntnis tritt aber noch eine weitere die das Interesse vou Sozialisten noch mehr erregen wird, eine Erkenntnis, die Kel­ler mit den Nationalökonomen Sombart   und Bonn   gemeinsam hat, nämlich mit der Skepsis gegenüber dem Kapitalismus überhaupt. So wie S o m b a r t vom Spätkapitalismus spricht und darlegt, daß der Höhepunkt der kapitalistr- schen Wirtschaft überschritten ist, io wie Bonn  nachwcist, daß der kapitalistische Marktmechanis­mus versagt, so erfaßt auch Keller die Re­signation ob der jüngsten kapitalistischen   Ent­wicklung:Das, ivas man heute aber schon sicher weiß, ist, daß der deutsche   Hochkapita- lismus sich selb st aufgibt, indem er aus dem Unternehmcrrifiko deser­tiert und sein Heil darin sucht, bei schlechten Konjunkturen der Allgemeinheit neue Opfer auf­zuerlegen." Daß die einsichtsvoll st en bürgerlichen Ideologen am Kapi­ talismus   zu verzweifeln beginnen, ist eine der bedeutsam st en Tatsachen der geistigen Entwicklung unserer Zeit. Alle Ehre dem Mute eines bürgerlich eingestellten Menschen, der die Zweifel an der Bortrefflichkeit der kapitalistischen   Gesellschäft auf dem Markte verkündet. Aber alle Kritik der Furcht dieser bürgerlichen Ideologen vor dem Bekenntnis zum Sozialismus,. der die Wurzel der Auswüchse des Kapitalismus, nämlich das, Privateigentum, ausreißen will. Zwischen dem Zweifeln am Kapitalismus  und der Ang st vor dem Sozialismus chwankt die bürgerliche Wisfen- chaft hin und her. Die bürgerlichen Schriftsteller fahren auf leckem Schiff und sturm­gepeitschter Woge. Der Hafen des Sozialismus besteht ssir sie nicht. Deswegen sind sie dem Untergang geweiht. E. St.
Vic Anarchie des bürgerlichen Denkens.