Ginzelpreis 70 Heller.

Sosialdemokrat

Zentralorgan d. Deutschen ſozialdemokratischen Arbeiterpartei i.d.Ifchechoslowakischen Republik .

11. Jahrgang.

Erscheint mit Ausnahme des Montag täglich früh.

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Acht: sieben Stimmen gegen die Zollunion.

Gonntag, 6. Geptember 1931

Die Ansichten der Haager Juristen.

es leugnen, daß

Nr. 208.

geplante Zollunion eine Sonderbehand Wahlkampf und nationale Frage

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Noch jeder Wahlkampf, der seit 1919 in den böhmischen Ländern ausgetragen wurde,

lung" darstellt und daß sie für Deutschland gegenüber Desterreich Borteile" vorsicht. von denen dritte Mächte ausgeschlossen sind. Man würde umsonst geltend machen, daß das stand zum guten Teil im Zeichen der nationa Der Plan im Widerspruch zum Genfer Protokoll. jedoch nicht deutsch österreichische Protokoll voosieht, daß len Frage. Das gilt für die tschechische wie für zum Friedensvertrag von St. Germain. Verhandlungen mit jedem anderen Staat, die judetendeutsche Politit. 1923 und 1925 der den Wunsch aussprochen sollte, zum hat das Bürgertum den nationalen Der Haag, 5. September. Pünktlich unt namentlich mit dem Vertrage von St. 3wede einer entsprechenden Rege Verrat" der Sozialdemokratie, 10 Uhr wurde heute vormittag im großen Germain und mit dem Genfer Proto- lung aufgenommen werden soll. Es ist klar, diese niederträchtige, schmutzigste, Sigungsscal des Haager Friedenspalastes die toll vom 4. Oktober 1922 einer Prüfung unter- daß diese Eventualität die unmittelbare Wirkung 2ige, die je ein bezahlter Zeilenschmieree öffentliche Sigung des Ständigen Internationalen zogen. Gerichtshofes zur Bekanntgabe der gutachtlichen Nach den entsprechenden Ausführungen der der Zollunion, wie sie schon jetzt zwischen Deutsch - propagiert hat, als seinen Hauptwahlschlager Entscheidung des Gerichtshofes im Rechtsstreit Vertreter der interessierten Staaten und der im land und Desterreich geplant ist, voll bestehen spielen lassen. Weil wir eine Einheitsfront" um die geplante deutsch - österreichische Zollunion Völlerbundrate vertretenen Staaten( sender läßt. Wenn man schließlich von dem wirtschaft- spielen lassen. Weil wir eine Einheitsfront" vom Präsidenten Adatschi eröffnet. Obwohl son, Dr. Schober, Briand, Grandi, Dr. lichen Standpunkt aus, auf den sich das Genfer mit den Parteien ablehnten, deren Politik uns man allgemein dieser Sigung nicht mehr mit der Curtius, Dr. Beneš, Marinkovic und Protokoll von 1932 gestellt hat, die Gesamtheit eine faum geringere Gefahr für den sozialen großen Spannung entgegensah, mit der dies ohne Syman) nahm der Völkerbundsrat den Antrag des von dem deutsch - österreichischen Protokoll ge- und kulturellen Besitzstand des deutschen Vol­die bekannten Vorgänge in Genf sicherlich der Fall Hendersons an und ersuchte den Ständigen Inter planten Regimes betrachtet, so ist es schwer zu fes schien als die Politik der tschechischen gewesen wäre, hatte sich doch noch eine außer nationalen Gerichtshof im Haag um sein Gut- behaupten, daß dieses Regime nicht dazu angetan Bourgeoisie, weil wir in der Sprengung und gewöhnlich zahlreiche Zuhörerschaft eingefunden. a chten. Das Ansuchen hatte folgenden Wortlaut: sei, die nicht der Verewigung der nationalen Fronten Zunächst wurde vom Präsidenten die Be- Wäre das zwischen Deutschland und Oester­den Ausweg aus unserer Position als iso­wirtschaftliche Unabhängigkeit zu bedrohen. gründung zu dem damaligen Beschluß des Ge- reich auf Grund und in den Grenzen der im lierte, belagerte Minderheit erblickten, haben richtshofes, durch den der Antrag Osterreichs auf Protokolle vom 19. März 1931 festgefeßten Grund­sie uns, angefangen von den Agrariern und Zubilligung eines Richters ad hoc zurüd fäße, dessen Text diesem Ansuchen beigeschlossen Industriellen, die unter dem Tisch längst( Se­gewiesen wurde, verkündet. Sodann wurde zur ist, geschaffene Regime mit dem Art. 88 des Ver­schäfte mit den tschechischen Klassengenossen Verlesung des Textes des Ent- trages von St. Germain und mit den in Genj schoben, über die national wie sozial gesin­scheides übergegangen. am 4. Oktober 1922 unterfertigte Protokoll Nr. 1 nungslosen Klerifalen bis zu den National sozialisten" und den Liliputparteien mit dem Dreck beworfen, den ihnen der Schlager vont jozialdemokratischen Nationsverrat lieferte. Dann kam der Bürgerblock und es kamen die Wahlen von 1927, 1928 und 1929, in denen das verlogene Argument auf weiten Streden versagte, weil die Herren, die sich seiner be­dienten, inzwischen die ,, Totengräberarbeit" ait der deutschen Selbstverwaltung besorgt hatten.

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Der Völkerbund hatte in seiner 63. Tagung im Einklang?" im Mai ds. J. über Ersuchen der britischen Re- i Das heute veröffentlichte Gutachten des gierung die Frage der Vereinbarlichkeit des öfter- Saager Gerichtshofes über die Frage der deutsch­reichisch- deutschen Protokolls betreffend die Schaf österreichischen Zollunion kommt zu dem folgen­fung einer Zollunion vom 19. März 1931 mit den mit acht gegen sieben Stimmen festgestellten den internationalen Verpflichtungen Oesterreichs , Ergebnis: Ein auf der Grundlage und in den Grenzen der Grundsätze des Protokolls vom 19. März 1931 errichtetes Regime zwischen Deutschland und Desterreich würde mit dem am 4. Oktober 1922 in Genf unterzeichneten Protokoll Nr. 1 nicht vereinbar sein."

Nach Artikel 88 ist die Unabhängigkeit

Widersprechende Anschauungen. Von den acht Richtern, welche in diesem Desterreichs als Aufrechterhaltung seiner Eri­stenz in den gegenwärtigen Grenzen als beson­Sinne ihr Gutachten abgaben, haben sieben außer derer Staat, der allein Herr seiner Entschlüsse dem erklärt, daß nach ihrer Ansicht das vorge­schlagene Regime auch mit dem Art. 88 des Frie- ist, insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiet, auf densvertrages von St. Germain nicht ver- zufassen. Unter einbar ist. Einer derselben, Angilotti

Veräußerung der Unabhängigkeit

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Das Minderheitsvotum. Weber mit dem Friedensvertrag noch mit dem Genfer Protokol unvereinbar.

In der gemeinsamen Ansicht der Minderheit wird im großen und ganzen die Analyse der ent sprechenden Terte, wie sie im Entscheid des Stän­digen Internationalen Haager Gerichtshofes ent­halten find, angenommen. Wenn auch die Min­derheit zuläßt, wie in dem Gutachten erklärt wird, daß das durch das Wiener Protokoll beabsichtigte Regime teine Veräußerung der österrei chischen Unabhängigkeit bildet,

erflärt die Minderheit doch, daß sie in dem Gutachten die Erklärung nicht findet, in wel­1929 trat die Sozialdemokratie in die cher Weise das erwähnte Regime dieje Unab Regierung ein, unter anderen Voraussetzun hängigkeit in Gefahr bringen könnte. gen als seinerzeit die Deutschbürgerlichen; Die Winderheit ist folgender Ansicht: Da der nun glaubten sie, werde ihr Weizen wieder Völkerbundrat ein Gutachten über die Frage der blühen; nun würden sie, belastet zwar mit der rechtlichen Auslegung der Texte angefordert hat Sündenschuld ihrer ausbeuterischen Klassen­braucht sich der Ständige Internationale

( Italiener), gab eine vollkommene ſelbſtän- ist in dem gleichen Artikel jede freiwillige Hand- Gerichtshof im Haag nicht mit politisch en politik, dennoch wieder die Weise vom natio­Erwägungen zu beschäftigen, nocy nalen Verrat der Sozi pfeifen können. Die dige Begründung, während die übrigen sechs lung des österreichischen Staates zut verstehen, muß er auf die politischen Konsequenzen Rüdsicht Gemeindewahlen sind die erste Gelegenheit, Richter Guerero( Salvator), Rost wo die ihm seine Unabhängigkeit einbüßen läßt oder nehmen. Damit seine Schlußfolgerungen nicht bei der sie sich betätigen können. Schon er­rowski( Pole), Fromageot( Fran- seinen souveränen Willen demjenigen eines nur akademischen Wert besitzen, muß sich der klingt das alte Lied, schon sind sie sich wieder zoje), Altamira( Spanier), Urrutia anderen Staates untevordnet. Schließlich muß Ständige Internationale Gerichtshof im Haag darin einig, daß die Sozialdemokraten natio ( Columbien) und Negulescu( Ruder Zweck der Verpflichtung Desterreichs, sich darauf stüßen, was ihn zur Beurteilung vorgenale Verräter sind, oder zumindest nichts mäne) eine gemeinsame Erklärung unterfertig jeder Handlung, die dazu angetan ist, seine Un- legt wurde. Die Minderheit konstatiert deshalb, erreicht" haben. ten, nach welcher das vorgeschlagene Zollunion- abhängigkeit zu gefährden, zu enthalten, jo auf daß Art. 88 des Vertrages von St. Germain die regime die wirtschaftliche Unabhängefaßt

Wollen wir uns mit den Propagatoren

gigkeit Desterreich 3 bedrohen könnte und gefaßt werden, daß jebe Handlung ausgeschlossen Aufgabe hatte, die ununterbrochene Existenz gigkeit Oesterreich 3 bedrohen könnte und demnach eine Tat wäre, welche geeignet wäre, messen annehmen kann, daß sie diese Unab- tes zu sichern. In diesem Zusammenhang so müssen wir unterscheiden zwischen denen, demnach eine Tat wäre, welche geeignet wäre, sein soll, von der man nach vernünftigem Er- Oesterreichs als selbständigen Staa- dieser schoffen Demagogie auseinandersetzen, seine unabhängigkeit in Gefahr zu hängigkeit in Gefahr bringt. In zweiter erinnert sie daran, daß die Unabhängigkeit eines die durch ihre Politik im Bürgerblock ein für bringen. Linie hat Desterreich Staates durch die Beschränkung seiner Hand- allemal das Recht, zu kritisieren, überhaupt lungsfreiheit, durch Beschränkungen, welche er durch das Genfer Protokoll gewisse wirt­übernommen. schaftliche Verpflichtungen

Andererseits haben sieben weitere Mitglieder. des Gerichtshofes, Adatschi( Japaner), Kellog( Amerikaner), Rolin- Jaque­myns( Belgier ), Cecil Hurst ( Eng länder), Schüding( Deutscher ), ban Eysinger( Holländer) und Wang( Chi­nese), ein gemeinsames Sondervotum unter zeichnet, in welchem sie zu dem Ergebnisse ge langen, daß das vorgeschlagene Regime so woh mit dem Artikel 88 des Friedensber trages von St. Germain als auch mit dem Genfer Protokoll vereinbar ist. Das Urteil der Mehrheit. Reine Preisaabe der Unabhängig. teit, jedoch Berlegung des Genfer Protokolls.

auf sich nehmen fann, insoweit er nicht irgend verwirkt haben, und zwischen denen, die sich eines seiner Grundrechte aufgibt, nicht tan- als unentwegte Opposition und verläßliche Diese Verpflichtungen haben, obwohl sie sich giert ist. Hüter der nationalen Güter empfohlen halten. dem Rahmen des Artikels 88 einfügen, einen Was das Genfer Protokoll anbelangt, ist die Mit jenen Christlich sozialen und eigenen Wert und eine selbständige Rechts- Minderheit der Ansicht, daß Oesterreich barin Gewerbeparteilern, da der Land­verbindlichkeit. Es handelt sich insbesondere um infolge seiner besonderen Situation die bereits bund doch kaum die Kühnheit aufbringen die Verpflichtung, seine wirtschaftliche Unabhän im Artifel 88 des Friedensvertrages von St. wird, sich mit seiner ,, nationalen" Haltung bigkeit nicht dadurch zu beeinträchtigen, daß es Germain übernommenen Verpflichtungen er- uns zu reiben wird man nicht viel Feder­einem anderen Staat eine Sonderbehand neuert hat, wobei der Wortlaut etwas geändert lesens machen. Einem politischen Simandel lung oder ausschließlich Vorteile wurde, um ihn der gegebenen Lage beffer anzuwie dem Mayr- Harting, einem Heb­gewährt, die seine Unabhängigkeit zu bedrohen passen. Die Bestimmung des Protokolls, welche geeignet sind. Was schließlich das Wiener Pro- Oesterreich verbietet, irgend einem Staate ein Pfaffen wie dem Hilgenreiner wird tokoll betrifft, so erfüllt das darin vorgesehene Sonderregime oder besondere Vorteile zu gewäh- man mit allen nötigen Mitteln zeigen, daß Regime ohne weiteres die Voraussetzungen einer ren, wodurch es seine Unabhängigkeit gefährden eine Partei, die der Verwaltungsreformi ind Zollunion. könnte, bedeuten keine Erweiterung der im Art. 88 dem Gemeindefinanzgesetz, der Verlängerung des Vertrages von St. Germain enthaltenen Ver- der Militärdienstzeit und dem Rüstungsfonds, pflichtungen. die einem halben Dußend antisozialer und 10­Indem sie die Gründe für diese ihre Ansicht mit auch antinationaler Gesetze zugestimmt Die Begründung läßt sich folgendermaßen darlegt, gelangt die Minderheit zum Schluß, daß zusammenfassen: Desterreich ist ein empfindlicher jeder Akt, der eine Verletzung der Verpflichtungen hat, sich schleunigst zu salvieren und auf jeden Punkt der europäischen Ordnung, und seine wäre, die Desterreich aus dem Protokolle erwach Fall das Maul zu halten hat, wenn für die Eristen; ist ein wesentliches Glement der politi sen, gleichzeitig eine Verlegung des Art. 88 des Butter auf ihrem Kopfe Gefahr im Ver­schen Ordnung in Europa , wie sie seit dem Vertrages von St. Germain begründen würde zuge ist. Kriege besteht, Jm Lichte dieser Tatsache das beabsichtigte österreichisch - Da sind aber noch die Deutschnatio­müßten Artifel 88 des Vertrages von St. Ger - und wenn nicht mit Rücksicht auf die Gegen- und daß daher und Nationalsozialisten main und das Genfer Protokoll geprüft werden, jeitigkeit, die der geplante Vertrag rechtlich oder deutsche Zollunionsregime mit dem Genfer Proto- nalen und die Desterreich allerdings fein absolutes Verbot tatsächlich vorfieht, so kann man doch wenigstens foll nicht unvereinbar sein könne falls es mit Sie wollen den Wählern einreden, daß die der Veräußerung seiner Unabhängigkeit auf mit Rücksicht auf die Kündigungsmöglichkeit dem Art. 88 des Vertrages von St. Germain Sozialdemokraten genau so versagt" haben vereinbar jei.

Daß die Errichtung dieses Regimes an sich nicht einen Aft der Veräußerung der Unab hängigkeit Oesterreichs darstellt, kann kaum bestritten werden; denn Desterreich hört da­durch nicht auf, innerhalb seiner Grenzen ein besonderer Staat mit eigener Regierung und eigener Verwaltung zu sein,

erlegen, sondern ihm lediglich zur Pflicht machen, sagen, daß Desterreich juristisch die eventuelle in gewissen Fällen die Zustimmung des Ausübung seiner Unabhängigkeit behält. Man Rates einzuholen. Der Gerichtshof ist auf fann sogar behaupten, wenn man sich auf den gefordert worden, zu erklären, ob Desterreich Text des Artikels 88 des Friedensvertrages be­ohne Verlegung jeiner Verpflichtungen auf sieht, daß die

Grund der erwähnten Bestimmungen, nämlich Unabhängigkeit Desterreichs im Sinne des des Artikels 88 des Vertrages don

genannten Artikels nicht eigentlich gefährdet

St. Germain und des Protokolls bon ist und daß infolgedessen vom juristischen Stand Genf , diese Union mit Deutschland ohne Zu punkt kein Widerspruch zu diesem Artikel stimmung des Völferbundrats abschließen könnte. besteht.

Die Minderheit könne nicht der Ansicht sein, wie die Bürgerblockparteien. Sie stellen sich daß die Zollunion als solche eine Gefahr für die als die Fahnenträger der judetendeut Unabhängigkeit der daran teilnehmenden Staaten schen Selbstverwaltung" vor, die wir nich bedeuten würde und könne nicht zugeben, daß erringen könnten. Wir werden auch diesen die im Wiener Protokoll vorgesehene Zollunion Herren die Antwort nicht schuldig bleiben. mit den Verpflichtungen Desterreichs unverein­Die nationale Frage ist in diesem Staate bar wäre, wenn feine einzige Best im mung dieses Brotofolls mit diesen ungelöst. Wer hat die Schuld daran? Bürger­Verpflichtungen Widerspruch liche oder Sozialisten? Wir haben immer den Gedanken vertreten, daß der nationale

steht.

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