Sette 4 Samstag, 17. Oktober 1S31 Nr. 242. T agesneuigkeiten Lire teile Selchichte ans lern Etlenbavnminjsterium. Das Eisenbahnmiuifterium hat, wie wir a«S verläßlicher Quelle er- fahre«, a« Sie ihm unterstellte« Staats- bahndirektionen eine» Erlaß her, a«Sgege-en, demzufolge eS diesen unter, sagt wstch, künftig Zündhölzer, di« de« die Heizung der Oese« in de« Amts­räumen beforgendcn Die««« bisher do« «nt-wegen«mSgefolgt wurden, in Rech­nung z« stellen. Dn Erlaß ordnet am, daß eS künftig Sache der die Ofen­feuerung besorgende« Personen ist, die er­forderlichen Zündholz« selbst beigu- stellen. Bedenkt man, daß die Diener der Staats« bahndirektionen täglich zehn und mehr Oefen zu versorgen haben, so ergeben die erforderlichen Zündhölzer pro Monat eine immerhin fühlbare Geldausgabe, die die betreffenden Diener noch daru aus chrem ohnehin geringen Taglohn zu bestreiten haben. Uno zwar für eine Sache, die des Staates ist. Was bedeutet das, daß sich der Staat von seinem Bediensteten etwas be­zahlen läßt, was zu bezahlen ihm selbst ob­liegt. Um den genug schlecht bezahlte« Die­nerinnen und Dienern diese neue, wenn auch kleine, aber grundsätzlich ungerechte Belastung zu erspyren, haben sich die Beamten einzelner Staatsbahndirektionen zur Selbsthilfe entschlossen und bringen durch Sammlungen unterein­ander daS erforderliche Zündholz^seld auf, damit der Staat als nobler Brotgeber dieser drücken­den Geldausgabe entgeht. Große und ost verflüssige Geldausgaben werden mit einem Federstrich genehmigt, bei fleinen aber spielt man oen Sparsamen und überwälzt sie einfach auf das schlecht bezahlte Personal. Keineswegs aber spricht dieser Eisen- oahnministerialerlaß zugunsten der Eisenbahn als einem Geschästsunternehmen, das nach kaufmän­nischen Grundsätzen geleitet werden soll. Denn dm diesen neuesten, wenig rühmlichen Erlaß zu -erfassen, mußten teuer bezahlte Beamte des Präsidialbüros des Eiscnbahnministeriums ihre kostbare Zeit daranwenden und ein Sektionschef gehörte dazu, ihm durch eigene Fertigung das nötige Ansehen zu geben. Wahrscheinlich hat die Verfassung dieses Erlasses dem Staate mehr gekostet als die Bezahlung der Zündholzgelder für eine ganze Wintersaison gekostet hätte. Man ist versucht an einen Scherz zu glauben. Aber der inkriminierte Erlaß ist leider kein erheiternder Scherz, sondern unplo üblicher, trauriger Ernst. SSumlge Polizei, belastete veudacmerie Der Fall Matuschka. Budapest  , 15. Oktober.  (JTJ.) In Ange­legenheit des Bia Torbagher Eisenbahnattentates war die heutige Tätigkeit der Budapester Polizei hauptsächlich darauf gerichtet, das Vorleben Matuschkas aufzuklären. Die von der Buda­ pest  « Stadthauptmannschaft mit den Erhebungen betrauten Organe Haven heute festgestellt; daß Matuschka sich am 30; Jänner in Budapest   auf­gehalten hatte, so daß er keinen Anteil an dem Anzbacher Attentat haben konnte, das er auf sich zu nehmen bereit ist, anscheinend deshalb, damit er nach dem österreichischen Gesetz «^geurteilt wird- Des weiteren hat die Obcr- stadthauptmonnschaft festgestellt, daß Matuschka im Iah« 1918 im Honved-Regiment Nr. 6 eine- Bewegung, die als Revolte anzusehen sei, in­szeniert hatte und nur unter den damaligen revo ­lutionären Verhältnissen den Konsequenzen ent­gehen konnte. Ferner wurde festgestellt, daß Ma­tuschka in den Jahren 1924 und 1925 a u f m y- steriöse Weise zu sehr ansehnlichen Beträgen gekommen war und einem Freunde gegenüber erklärt hatte, er sei gezwun­gen, aus Ungarn   zu flüchten, und daß er sein Vermögen im Auslande unterbringen werde. Wien  , 16. Oktober. Der Wiener  Tag" ver- öffentlicl»' mit scharfer Polemik gegen die Wiener  Polizei eine längere Darstellung, wornach Frau Forgo-Jung, Besitzerin eines niederösterrei- chifchen Steinbruches, den Matuschka von ihr pachtete, am 22. September an die Gendar­merie eine Anzeige erstattete,, daß M a- tuschke ihr wegen der.Ekrasitver- käufe dringen- verdächtig erschien, mit den Eisenbahnanschläaeu im Zusammenhang zu stehen. Die Polizei wäre diesen Verdachtsmonren- ten nicht sofort nachgegangen, sondern erst am 9. Oktober nach der Verhaftung Matuschkas auf ungarische Veranlassung darauf zurückgekommen. Frau Forgo-Jung hat bereits ihren Anspruch auf die Ergreiferprämien seitens der deutschen, der ungarischen und der österreichischen Bahn im Gesamtbeträge von 230.000 Schilling angemeldet. Polizeivizepräsident Dr. Brandl erklärt in derWiener Mittagszeitung", die Wien  « Polizei habe von der Anzeige d« Frau Forgo-Jung vom 22. September gegen Matuschka erst am 9. Okto­ber Kenntnis erhalten, als Matuschka bereits v«- haftet war und die Kriminalbeamten in den Steinbrüchen, wo die Sprengstoffe aufbewahrt waren, bereits Nachforschungen anstellten. Da­mit wird der Gendarmerieinspektor, der die Anzeige der Frau Forgo-Jung entgegen­nahm, schwer bela st et und es ist gegen ihn bereits die Untersuchung eingeleitet worden, um aufzudecken, warum er die Anzeige über zwei Wochen liegen gelassen hatte, statt sie weiterzuleiten. Mgttch zwei Morde. Alban«(Staat New Dorf), 16. Oktober. (Reut  «.) In den ersten achtMonaten des heurigen Jahres sielen im Staate New York   insgesamt 594 Personen Morden und an- dcren Gewalttaten zum Opfer. Reh»« der Mosteolottrn» M.000 K: 78.194. 70.000 K: 20.658. 50.000 K: 69.101. 10.000 K: 46.787, 71.167, 82.024. 5000 K: 7822, 14.157, 18.607, 23.966, 33.259, 39.616, 40.670, 44.375, 50513, 57.884, 60284, 67.735, 73518, 82.789, 93588, 97.857. 2000 K: 2710, 6763, 7382, 8679, 9418, 16.743, 20.357, 20.831, 22128, 24.175, 25.469, 25.848, 28.219, 30.360, 33.048, 24.387, 36.166, 37.983, 38.008, 38.235, 40.189, 41.522, 43.837, 46.813, 49.083, 52.758, 52.867, 53.044, 58.345, 59.082, 59.980, 63.719, 64.131,£7.829, 68.483, 70.082, 70.834, 73.986, 74.327, 75.802, 76.433, 78.301, 79.739, 81.726, 84.239, 84.482, 84.520, 84.734, 86.668, 91.663, 92.889, 95.452, 96.623. 1200 K: 372, 457, 1577, 1838, 2360, 2788, 4725, 6117, 6467, 6552, 6975, 7826, 8868, 9047, 11.326, 11.881, 13.569, 14.198, 14.266, 15.830, 16.044, 16.809, 18.012, 18.845, 20.807, 20.961, 22.243, 23.610, 23.836, 24,162, 24.599, 25.210, 27.027, 27.178, 27.943, 29.496, 31.120, 82.407, 33.031, 33.175, 33.322, 33.323, 33 618, 34.069, 34.606, 34.886, 35.649, 87.458, 38.454, 89.061, 40.785, 41.004, 41.098, 41.308, 41.607, 42.882, 43.624, 44.347, 45.514, 46.851, 48.488, 49.553, 51.254, 52.012, 52.482, 52.911, 53L53, 58.564, 55.895, 55.930, 56.867, 57.201, 57.604, 57.680, 59.440, 60.340, 60.715, 61.546, 61.952, 68.272, 62.570, 64.057, 64.194, 65107, 65.854, 66.949, 67.188, 67.813, 67.816, 70.306, 70.696, 72.191. 73.739, 74220, 75.451, 75.473, 76.150, 76.210, 76.622, 76.881, 77.169, 77.776, 78.829, 78.904, 79.535, 79.548, 80.508, 81.762, 82.471, 82.805, 83.101, 83.245, 83.574, 88.639, 84.102, 85.917, 85.980, 87.261, 87.775, 89.254, 90.289,»1.484, 93.205, 93.319, 93.967, 95.933, 96.103, 96.884, 97.490, 97.683, 97.684, 98.614, 99.109. TSdlicher Unfall in Ainnwald. Ein Unfall, der ein Todesopfer erforderte und die schwere Verletzung einet zweite« Person zur Folge hatte, trug sich gestern gegen dreiviertel zehn Uhr in Zinnwald   zu. Bei der sogenannten Ausspanne" wird gegenwärtig ein Hotel, das dem Herrn Stefan aus Zinnwald   gehört, gebaut. Das Gebäude ist so weit fertiggestellt, daß vor einigen Tagen mit den Dachoeckerarbeiten be­gonnen werden konnte. Als gestern früh die Dachdeckerarbeiten wieder ausgenommen wurden, verwendeten die Dachdecker, um sich gegen Absturz zu sichern, einen Strick, an dem sie sich feschielten. Um die bereits erwähnte Zeit riß aber Mötzlich der Strick, der wie die Untersuchung ergab, be­reits sehr schlecht war, und drei Personen und zwar der Dachdeckermeister Wilhelm He- drich aus Eichwald und die Arbeiter Heinrich Hehnert und Ferdinand Hanke aus Zinn­ wald   stürzten ab. Während durch einen glück­lichen Zufall Hanke noch das Seil des Blitzab­leiters erfassen und sich daran festhalten konnte, fielen Hedrich und Lehnert von dem etwa vier­zehn Meter hohen Gebäude zur Erde, wo sie beide in sehr schwer verletztem Zustande liegen blieben. Hedrich ist kurz darauf an den Folgen seiner. Verletzungen verschieden, während Lehnert nach erster Hilfeleistung durch Herrn Dr. Böhm aus Zinnwald   in daS, Teplitzer Krankenhaus ein­geliefert, werden mußte. Tödlicher Unfall eines Eisenbahnbeamten. Aus Eger wird gemeldet: In der Station Josefihütte«eignete sich Donnerstag nacht ein tödlicher Unfall. Als um 81 Uhr 52 Minuten der Schnellzug Prag  Eger Nr. 45 fällig tvar, überschritt der Verkehrsbeamte Karl santruöek, der in Josefihütte als Substitut den Dienst versah, das Geleise und übersah dabei in der Finsternis, daß von dem im Verschieben begriffenen Lastzug Nr. 1390 ein beladener Waggon ab rollte. Dem Beamten wurden beide Beine vom Leibe abgetrennt. Er st a r b infolge Blutverlustes kurze Zeit darauf. Dritte Südamerikafahrt des Zeppelin. Ter Start des LuftschiffesGraf Zeppelin" von Friedrichshafen   zu seiner dritten Südamerika  - Fahrt war für Samstag nachts 1 Uhr angesetzt. Das Luftschiff wird voraussichtlich die gleiche Route einhalten, wie bei seinen früh«en Fahr­ten nach Pernambuco  . Eine sensationelle Klage kommt jetzt vor dem Hamburger Amtsgericht zum AuStrag. Der Ozeanflieger Johans en hat gegen seinen Fluggefährten Rody einen Arrest über 5000 RM erwirkt, gegen den Rodh jetzt Einspruch erhoben hat. Die Auseinander­setzungen zwischen den Ozeanfliegern begannen sofort nach ihrer glücklichen Rettung auS schwer­ster Seenot nach sechstägigem Umhertreiben auf dem Ozean. Jrchansen verlangte von Rody die Zahlung seiner LöhnungalS Flug- k a p i t ä n in der Höhe von 5000 RM, waS RodH ablehnte. Einen Tag vor der Rückkehr nach Hamburg   beantragte Johansen radiotele- graphisch von Bord des Dampfers in Hamburg  einen Arrest in der Höhe von 5000 RM gegen Rpdy. Dem Arrestantrag wurde stattgegeben und Rody, der im Besitz von 1200 Dollar war, wurde gepfändet. Zu dem heuttgen Termin vor dem Hamburger Amtsgericht waren die Parteien nicht erschienen, sondern bloß durch ihre Anwälte ver­treten. Das Gericht vertagte die Verhandlung aus Montag. Raub auf offener Straße. Gestern gegen 15 Uhr wurde an der Ecke Elisabethstraße-Augusta- platz in S t e t t i n ein Kaffenbote' des Finanz­amts auf dem Wege zur Rcichsbank von drei Männern, die aus einem Auto heraussprangen, überfallen, niedergeschlagen und seiner Akten­tasche mit 23.635 RM Inhalt beraubt. Trotzdem Passanten sofort die Verfolgung aufnahmen und inzwischen auch das Ueberfallkommcmdo erschienen Vmi Rundfunk «u4 den Programmen Sonntag: P«-: 9.00 Geistliche Musik. 11.00 Orchester- Matinee. 12.05 Militäickonzert. 18.00 Deutsche  Sendung:.Bastien und Bastienne  ", Oper von Mryart. 19.00 Blasmusik. 2220 Unterhaltungskon­zert. Brünn: 17.30 Schallplatte«. 18.00 Deut- fche Sendung: Lortzing  -Feier. 20.55 Jahrrszei ten in der Musik. Preßbrng: 10.15 Schallplatte«. 16.00 Orchesterkonzerr. Berlin  : 11.00 Italienische Lieder. Breslau  : 20.45Der Verschwender  ". Hör­spiel nach Raimund. Hamburg  :.13.05 Berühmte Tenor«. Königsberg  : 11.15 Klassische Dialoge. 19.00 Sehr schöne Schallplatte«. Wien  : 15.00 Wiener   Komik. 18.25 italienische Kammermusik. 21.45 Tanzmusik  . Moskau  : 19.30 Konzert. war, konnten zwei Täter entkommen, während der dritte, ein 27 Jahre alter Landwirt namens Fritz Karsten, festgenommen wurde. Auch der geraubte Geldbetrag konnte vollzählig wieder her- oeigeschafft werden. Blutiger Kampf bei einer Plünderung in Berlin  . In ein Berliner   Bu ttergeschäft drangen gestern vormittag sechs Personen ein und entwendeten eine größere Menge von Lebens­mitteln. In dem Augenblick, als die Banditen auS dem Geschäft herauskamen, fuhr zufällig ein Dienstwagen mit einem Beamten des Raub­dezernats vorbei, der das Auto halten ließ und einen der Täter ergriff, um ihn in das Auto zu ziehen. Das war das Signal für etwa 30 b i s 40 junae Burschen, die auf der Straße stan­den, sich auf den Kriminalbeamten und den Chauffeur zu stürzen. Sie befreiten den Fest­genommenen und brachten dem Beamten meh­rere Messerstiche am Auge und im Gesicht bei. Dem Chauffeur des Autos wurde die Hand zerschnitten. Den Tätern gelang es dann, zu ent­kommen. Berteuer««g der österreichische« Zigarette«. Der Hauptausschusses des österreichischen Nationalrats hat die Erhöhung gewisser Tabakpreise genehmigt. Darnach werden die bisher von der Verteuerung aus­genommenen Zigarettensorten um 1 bis 2 Groschen pro Stück erhöht. Die Verteuerung tritt am 26. Oktober in Kraft. Di« Fran mit Benzin übergösse« und angezündet. In der kleinen Gemeinde Dzbel bei Konicc(Mähren  ) geriet Freitag der Landwirt» Liber Krecek mit seiner Frau Marie in einen Streit, weil Krecek von einem ihm anvertrauten Einlagebuch einen größeren Betrag behoben und das Geld durchtzebracht hatte, weshalb ihm seine Frau mit der Anzeige drohte. Im Laufe der Auseinandersetzung ergriff Krecek eine große Flasche mit Benzin, begoß damit die Kleider seiner Frau und zündet« sie an. Auf die Hilferufe der Fran eilten einige beherzte Männer herbei, die der Unglücklichen die brennenden Kleider vom Leibe rissen, ihr die erste Pflege angedeihen und sie sofort ins Krankenhaus nach Prostejov   überführen ließen, wo jedoch festgestellt wurde, daß jede Hilfe vergeblich ist. Die Frau kämpft mit dem Tode. Die Untersuchung des Vorfalls ist noch im Gange. AutobuS- Propogandafahrt der Raturfreunde »ach Dönschten. Der TouristenvereinDie Natur­freunde" veranstaltet am 28. Oktober bei genügen­der Beteiligung eine Propagandasahrt nach Dönsch­ten in Sachsen   zum Besuche des Naturfreunde­hauses. In nächster Nähe befindet sich die Dippolüis« walder Talsperre, di« sehr stark ausgesucht wird. Das Schutzhaus liegt in 600 m. S. gegenüber der hohen Tellkoppe und ist eines der bestauSgebautesien Naturfreundehäuser des Gaues Sachsen. Die Kosten für di« Hin- und Rückfahrt betragen 25 K. Pässe erforderlich, ansonsten ist Grenz-Uebertrittschein selbst zu lösen, Auslagen ca. 3 K. Bei der Anmel­dung sind di« Unkosten gleich zu erlegen. Anmeldung bis zum 25. Oktober in der Geschäftsstelle d«S TouristenvereinesDie Naturfreunde". Aussig  , Marktplatz 11. Vir tim«Mir sind alle Heidi. Seit dem Beginn der bürgerlichen Revolu­tionen in England, Amerika   und Frankreich   ist gÄmldiges Papi« hundertmal mit der Pro­klamation der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz bedruckt worden. Alle konstitutionellen Staaten, alle Republiken haben in ihren Ver­fassungen den Willen kundgegeben, die Gleichheit aller StoatSbürg« als einen d« vornehmsten Grundsätze gelten zu lassen. Aber seit der Grund­satz besteht und verherrlicht wird, besteht auch die Problematik, die Anatole France   in den Sar­kasmus gefaßt hat, daß es im demokratischen Staat eben jedem Staatsbürger, dem Fabri­kanten wie dem Arbeitslosen, verwehrt sei, unter einer Brück« zu schlafen. Aber nicht nur die soziale Ungleichheit an sich, auch ihre Auswir­kungen auf die Praxis von Behörden und Ge­richten strafen den scheinheiligen Grundsatz tag­täglich Lügen. Wer Geld hat, kann sichs mit den Obrigkeiten immer irgendwie richten, der arme Teufel aber hat ein doppelt Maß von Unter­tanenlast zu tragen; er ist nicht nur mindern Rechts, weil er sichs nicht richten kann; auf fein Haupt entlädt der von oben gedemütigte Macht­haber und Würdenträger vom Subalternformat auch allen Groll, gegen ihn tobt er feine Minder­wertigkeitskomplexe aus. In Nord und Süd wird das Ideal der Gleichheit täglich an zahl- reichen Klippen zuschanden. Zwei aktuelle Bei­spiele seien herauSgegriffen. '* In. Lübeck   wird gegenwärtig der Prozeß gegen die Aerzte abgeführt, die für den Tod von nahezu 100 Säuglingen verantwortlich find. Mit spitzfindigen Gutachten wird um Schuld oder Unschuld der angeklagten Aerzte gestritten. Wie Önin« aber der Fall liegen mag, ob die Aerzte ein Mittel eingesührt haben, das an sich nicht einwandfrei, nicht erprobt genug war, oder yb sie auS Fahrlässigkeit einen giftigen Tuberkel­stamm statt eines entgifteten verwendet, ob sie geimpft statt gefüttert, Eier statt Kartoffeln als Nährboden der Jmpfbazillen vernxmdet haben die Kinder starben jedenfalls zu Dutzenden dahin. Wesse» Kinder? Die Kinder armer Leute, die Kinder von Proleten, die von der Wissen­schaft mit Vorliebe als Versuchskarnickel miß­braucht werden. Wiederholt hat in Wort und Schrift der sozialdemokratische Reichstags­abgeordnete Genosse Dr. Moses gegen den Mißbrauch der Proletarierkinder für Forschungs­zwecke Stellung genommen7 so insbesondere, als ein Arzt gelegentlich ganz unumwunden erklärte, die Arbeitereltern seien froh, die Kinder für ein paar Monate aus dem Hause und kosten­los verpflegt zu haben, man brauche sich also nach Dersuchsmaterial nicht lang umschauen. Die Not, die soziale Ungleichheit bringt es doch immer wieder mit sich, daß eben nur die Armen zu Versuchsobjekten werden, daß die Armen die Irrtümer der Medizin wie die der Justtz, die Willkür der Obrigkeit wie die Härte, der Gesetze büßen müssen. Als man in Lübeck   von der töd­lichen Wirkung der Calmette-Kuren bereits Kenntnis hatte, da haben die Aerzte die weitere Berfütterung des Giftes nicht nn schnellsten Wege eingestellt, sie haben ruhig abgewartet, bis alle ausgegebenen Dosen verfüttert, das even- tuelle Corpus delicti vernichtet und der Weg zu billigen Ausreden freigegeben war. Dutzende Kinder wären vielleicht zu retten gewesen, aber das Interesse der Aerzte wog schwerer. waS kam es auf«in paar Dutzend Kinder an, da es doch nur Proletarierkinder waren?! Sterben sie nicht an den Calmettikuren, so hätten sie ja doch nur zum geringsten Teil ein sorgenfreies Leben gehabt. Früher oder später fallen sie an der Maschine, int Bergwerk, als die Opfer schlechter Wohnungen, der Arbeitslosigkeit oder auf dem Schlachtfelde, auf dem auch der Offizier zuerst kommt und der Gemeine an seinem Bauchschuß draufgehen kann, wenn der Arzt inzwischen einem Leutnant den Finger verbinden muß. Wären in Lübeck   nur drei oder vier Kinder von Besitzenden das Opfer der Calmette-Aerzte geworden: das Gesetz würde anders gehandhabt, der Leichtsinn der Aerzte würde anders gerügt, der Mord hätte ein. anderes Echo gefunden! * Den ungarischen Gerichten ist mit der Entdeckung des Eisenbahnattentäters ein schöner Traum zerstört worden. Einen Komm»« nisten, einen notigen Proleten, wollten sie fan­gen und znm grausigen Exempol an den Galgen knüpfen, zur Warnung, beileibe nicht für die Sprengstoff-Attentäter, sondern für alle, die mir dem gottgewollten Regime der magyarischen Grafen nicht einverstanden sind. Nun haben sie statt des Kommunisten einen Klerikalen «wischt, einen Mann, der Offizier war, der als Mitglied der HejaSbanden an den Orgien des weißen Terrors teilgenommen und sich an dem geraubten Gut der Opfer des magyarischen Patriotismus bereichert hat. Seit man weiß, wer Matuschka ist, wo er morden gelernt, wo er sein Vermögen erworben hat, ist der Ruf nach dem Schnellrichter verstummt. Die ungarische Justiz wird den Massenmörder von Biatorbagh aller Wahrscheinlichkeit nach hängen. Aber Spaß macht ihr das nun nicht mehr. Spaß hätte ihr das Hängen nur gemacht, wenn eS ein Sozialist oder Kommunist gewesen wäre! Und daß es w e st l i ch der R a a'b nicht Zanders zugeht, im Reiche Schobers die Gleich­heit vor de mGesetz nicht anders aussieht als im Reiche Karolhis, das beweist die Entschuldi­gung, mit der sich der österreichische Geiä>arm verantwortet, der den Matuschka vor Wochen entwischen ließ. Eine Frau hatte unter Hinweis auf sehr deutliche Berdachtsgründe gegen den Fabrikanten" Matuschka die Anzeige erstattet, Briefe des Mannes vorgelegt, den sie für den Attentäter hielt. Die Gendarmerie aber gab die Anzeige niiht tveiter(und hätte sie es getan, so wäre sie wohl bei der unfähigen Wiener   Polizei liegen geblieben, für die Matuschkas Klerikalit- mus ohne Zweifel ein ausreichendes Alibi be­deutet hätte). Der Gendarm entschuldigt sich damit, daß er einen Verweis, wenn nicht eine Strafe fürchtete, falls er die An­zeige gegen einenFabrikanten" weiterleite... Der Mann kennt die Ordnung, der er dient, er weiß wahrhaftig besser, als es der Bundespräsident wissen durfte, welchen Werk die Verfassung hat und was die Gleichheit vor dem Gesetze bedeutet. Er weiß, daß Gesetze nicht dazu da sind, die Verbrecher zu strafen, die eine allgemeingültige Norm verletzen, sondern daß die Fallstricke für diejenigen sein sollen, die mit einer Ordnung unzufrieden sind, in der die Gleichheit kaum das Papier wert-ist, das zu ihrer Verkündigung v«tan wird! Der Gendarm aus dem Wienerwald ist ein kluger Mann; er hat zweifellos auf dem Wiener  Burgtor einmal den Spruch gelesen:Justitia regnorum fundamentum" und sich ihn über­setzen lassen:Gerechtigkeit, die Grund­lage der Staaten", aber er hat wohl auch gehört, was die Untertanen des guten Kaisers Franz zur Zeit, als man»och auf den Basteien und über das Tor spazierte, zu dem schönen Wahlfpruch sagten: Unten führte man durch und oben geht man drüber weg... Fr.