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leisten kann, auch einhalten muß. Es ist klar, daß der Reichskanzler Brüning bei den Gläu­bigerländern nicht eine größere Geneigtheit finden wird, wenn er insgeheim mit Hitler verhandelt.

Heimwehr

und Habsburgerputsch?

Eine Warnung Léon Blums .

Der Pariser Populaire" bringt an leitender Stelle unter dem Titel Ein Alarm­ruf" einen Artikel von Léon Blum , in dem auf Grund verläßlicher Nachrichten aus derselben Quelle, aus der den Populaire" schon des

Brittwoch, 1. November 1931.

Schweres Unrecht gegen die deutsche Jugendfürsorge.

Beschlagnahmter Gebäude- und Grundbesig der deutschen Landes­tommiffion für Kinderschuß und Ingendfürsorge bis heute vorenthalten. 1 Million Friedenskronen weggenommen.

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Nr. 256.

13 Jahre nach dem Umsturz vor der Tatsache, daß ein Gebäude, welches eine Wohltäterin zur Verfügung stellte und das gerade in der gegen wärtigen Zeit der furchtbarsten Not dringend für Zwede der Fürsorge für unsere hilfeheischende Jugend benötigt würde, noch immer durch das Ministerium für nationale Verteidigung mit Beschlag belegt ist.

Die Landesjubventionen für die tschechische und deutsche Landeskommission für Kinderschuß und Jugendfürsorge sind für das Jahr 1932 gegenüber dem Vorjahre um 50 Prozent zu erhöhen.

In der gestrigen Sitzung der Landes- sion zwang, Prag zu verlassen und sich vertretung erzählte 22. Genosse Polzin Reichenberg anzusiedeln. Das große und dieses Ministerium ist nicht einmal bereit, den unter allgemeiner Aufmerksamkeit und leb- Haus, das im Jahre 1915 neu hergerichtet wurde, Schaden( bisher 1 Million K) zu erseßen und d. h. haften Protestrusen die nachstehenden Tat- hat einen Wert von 4 Millionen K. Als Entschädi- den bescheidenen Jahreszins von 120.000 K zu fachen, welche auf die Art, wie hierzulande gung für die Benützung wurde der Deutschen Lan - den bescheidenen Jahreszins von 120.000 K zu Organisationen für Jugendfürsorge behan- deskommission durch das Ministerium ein Betrag bezahlen. delt werden, ein bezeichnendes Licht werfen, von 19.200 K angetragen und nach langen erfolg Genosse Pölzl beantragte, den Landespräsi­Tatsachen, die ebenso aufreizend als be- losen Verhandlungen sette die Landesverwaltung den denten zu ersuchen, er möge für die baldigste Rüd­schämend sind: Betrag mit 21.000 K fest. Erst im Jahre 1923 gabe der beschlagnahmten Gebäude und Grundstüce Für das Jahr 1980 hat das Land der Deutschen gelang es, den Entschädigungsbetrag auf 44.000 K fowie für die Gutmachung des der Deutschen Landes­öfteren Meldungen über die Pläne der ungari Landeskommission für Kinderschuß und Jugendfür- und später, unter Anwendung des Mieterſchutz- kommission zugefügten Schadens forgen. schen Legitimisten zugekommen sind, vor einem forge das erstemal eine höhere Subvention von gefeges, auf 60.000 K zu steigern. Bei Annahme Weiters stellt Genosse Bölzl folgenden An­unmittelbar bevorstehenden Putsch in Un- 140.000 K zur Verfügung gestellt. Die Deutsche einer 4prozentigen Verzinsung des Wertes besteht trag: garn und Oesterreich gewarnt wird. Die Landeskommission bringt jährlich einen Be- noch heute eine Differenz von 60.000 K jährlich. Heimwehren planen angeblich für den 8. oder trag von rund 15 millionen K- 4 Mil­Alle Versuche, das Haus für den bestimmten 9. November eine Aftion, die sich diesmal auf lionen durch die Zentrale und 11 mil Zwed der Jugendfürsorge frei zu bekommen, Steiermark beschränken soll. Zugleich wollen die lionen durch die Zweigvereine für waren bisher vergeblich und wir stehen volle ungarischen Königsmacher Europa durch die die Jugendfürsorge auf, erhält durch Rüdkehr Ottos vor eine vollendete Tatsache ihre Zentrale acht selbständige für Achtung! Hilfe kommt! stellen. Léon Blum fragt, ob sich die Patrioten, sorgeanstalten für Knaben und Mäd= die anläßlich der deutsch - österreichischen Zoll- chen aller Lebensalter, die sonst aus öffent­unions- Idee in so große Aufregung geraten find, lichen Mitteln hätten geschaffen werden müssen. Die nicht auch über die Möglichkeit eines reaktio- Subvention von 140.000 K ist im Ver­nären Mitteleuropa , einer Front von Hitler über hältnis an der Gesamtaufwendung Mussolini bis Kemal Pascha aufregen werden. und den Aufgaben, die infolge der zu Wir nehmen an, daß die Möglichkeiten eines wirtschaftstrife gigantisch anwachsen, Habsburgerputsches in Ungarn von den französi- lächerlich gering. Dazu kommt noch folgendes: hen Genossen doch überschäßt werden. Dagegen erscheint ein neuer Heimwehrputsch durchaus im die Finanzlandesdirektion in Brag einen Betrag von In den Novembertagen des Jahres 1918 hat Bereich des Möglichen gelegen. Die öster reichische Regierung hat ja durch ihr 1 Million K, der für ein Ausspeisungs- und Be­Berhalten nach dem Pfrimer- Putsch die Heim- leidungswerk der Deutschen Landeskommission für wehren geradezu herausgefordert, ihr Kinderschutz und Jugendfürsorge angewiesen war, Glüd noch einmal zu versuchen. Da sich das eigenmächtig weggenommen und der tschechischen Regime Bureich- Schober als un- Landeskommision zugewiesen. Spätere Versuche, die fähig erwiesen hat, die reaktionäre Gefahr in fes Geld für die deutsche Landeskommission zurück­Defterreich zu bannen, haben die Nachbar zuerhalten, waren wirkungslos. länder ein dringendes Interesse daran, den Unruheherd Mitteleuropas im Auge zu behalten.

Paris , 3. November. Zu dem sich hartnädig rhaltenden Gerücht über einen Putsch in Dester­teich schreibt der Matin":

Ebenfalls nach dem politischen Umsturz im Jahre 1918 wurde

ein Haus in Prachatis, welches zur Errichtung eines Kinderfürsorgeheims für das Böhmerwald­gebiet bestimmt war, beschlagnahmt und bis

chende

Die KPČ. im ,, Sturmschritt".

Sie bringt den Arbeitslose

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einen Sturmplan".

Wenn die Not am größten ist, dann ist auch| Neu ist dieser Plan, wie man sieht, eigent Stalins Hilfe am nächsten. Hart an der Schwelle lich nicht. Er enthält das, was sich die Kommu die KPC und bringt den Krisenopfern, den Ar- gespalten haben, dreimal jährlich vornehmen, des drohenden Winters fommt im Sturmschritt nisten, seit sie die Organisationen der Arbeiter beitslosen und Kurzarbeitern, nicht vielleicht aber seit zehn Jahren nicht erreichen. Be­Bettelsuppen" und flägliche Unterstübungen-triebszellen, Fraktionen... das war darüber lacht ein richtig linierter Kommunist doch alles schon einige dugendmale da! Mas- nur sondern das einzig wirksame, das, was se nschulung, Werbung ja wir glaub­die Arbeitslosen seit Jahr und Tag ersehnen: ten, daß die KBC doch seit Beginn der Krise un­den neuen Sturm plan der KPC. geheure Werbeerfolge habe? Da war also alles Dienstag verkünden die Rubelblätter mit nicht wahr? vierspaltigem Titel:

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Es ist wahrhaftig ein starkes Stück, den Ar­Im Sturmschritt gegen die drohende beitern und Arbeitslosen in dieser ernsten Zeit Katastrophe. nichts als den Sturmplan" vorzusetzen, der doch Jm zugehörigen Leitartikel wird entgegen nistische Partei noch gar nicht gibt. Eine Bewe­nur bestätigt, daß es eine aktionsfähige kommu­früheren Siegesmeldungen nach den Wahlen fest- gung, die erst die Partei umbauen, Mitglieder gestellt, daß die Gesamtaktivität der Partei weit werben, Organisationen gründen, den Apparat hinter den objektiven Erforderniffen aufbauen will, soll jetzt die Rettung bringen? Es und Möglichkeiten wie auch hinter der ist der schlechteste With, den sich die Stalinisten mit dem Proletariat erlaubt haben. Und selbst, revolutionären Aktivität der Massen" zurüd­wenn man den Plan ernst nimmt, bedeutet er blieb.. wieder nur ein Programm der Spal­Es muß also nun eine breite Boltsbewe- tung und des Kampfes gegen die Sozialdemo fratie, gegen die Gewerkschaften. für den afcis mus. Fascismus.

tei nötig.

heute seinen Zweden entzogen. Wir möchten flipp und far wissen, ob die Das Saus wurde einer landwirtschaftlichen Fach­berantwortlichen Behörden der jungen österrei chischen Republik wirklich fest entschlossen sind, den schule zur Verfügung gestellt, für die sicher kein so Agitatoren den Weg zu verrammeln. Diese Frage großer Bedarf vorhanden war wie für das Kinder­entbehrt nicht der Attualität- sagt der Matin" sagt der Matin" heim, und bis heute hat sich die Landes­weil gesagt werden muß, daß Bundeskanzler erwaltung der Verpflichtung ent­Buresch seit dem mißlungenen Butsch am 13. Sep- chaffen ober auch nur eine entspre- gung" entfesselt werden und hiezu ist wiederum, einen geeigneten Ersaz tember auf das provokatorische Verhalten seiner hen be Miete zu bezahlen. Der Besis hat wie man aus den folgenden Ausführungen er Gegner auf der Rechten mit allzu großer, ja einen Wert von rund 500.000 K und das Bezirks- fährt, zunächst die Reinigung.der Par­fogar oft verdächtiger Nachgiebigkeit geantwortet hat. Alle Urheber des Putsches vom 13. Sepgericht in Prachatis hat den geforderten Mietzins von 16.000 K anerkannt. Das Kreisgericht in Pisek Damit aber unsere Leser nicht glauben, wir tember sind in Freiheit, keiner von ihnen wurde hob die Entscheidung auf und bestimmte einen Miet- hätten etwas zu verbergen und machten uns nur wegen des Verbrechens des Hochverrates aus Neid über den Sturmschritt Reimanns und Lich verfolgt. I'm Nationalrat war diese Ange- ins bon 10.000 K jährlich, den die gandes Gottwalds lustig, sei wortwörtlich abgedrudt, legenheit bloß Gegenstand einer fleinen, nichts- affe durch acht Jahre schuldig blieb. jagenden Interpellation. Andererseits konnten Der Schaden, den die deutsche Landeskommission da- was die KPC ihren die Verschwörer direkt vor den Augen der Bun- durch in den 13 Jahren erlitt, beziffert sich auf destruppen ihre Maschinengewehre und Gewehre mindestens 130.000 K. Sie können sich vorstellen, verbergen. Die Zusammenarbeit der Heimwehren wie auf die deutsche Landeskommission die Nachricht mit den deutschen nationalsozialistischen Kreifen wirken mußte, daß der Staat zum Ankauf der tsche wird von Tag zu Tag wirksamer. Hitler und seine chischen Schule in Winterberg der Narodni jednota Gruppe sollen den österreichischen Verschwörern pošumavsta" einen Betrag von 850.000 K beitrug. die erste Geldhilfe im Betrage von 150.000 Schilling gewährt haben. Inzwischen vergeht die Zeit, und die Gefahr wird nur beschworen wer­den können, wenn das Wiener Stabinett jehr wachsam sein und die drohende Gefahr mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen wird.

Der Traumlenker

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Roman von Hermynia Zur Mühlen .

Er hielt den Mann fest, mit der ganzen Kraft seines Willens, der Intensität seines Denkens; sein ganzes Gehirn war leer, nur an einer ein­zigen Stelle loderte eine schmerzende Flamme, tönte eine gestraffte Saite, die ewig gleiche Me­lodie: du mußt, Gabriel Klinker! Du mußt!

Peter fühlte fast törperlich zwischen den Fingern die Schmur, an der Gabriel Klinter tanzte. Nachts, wenn er endlich in einen un­ruhigen Schlaf fiel, träumte er von der Schnur. Sie wurde immer dider und dider, verwandelte sich in ein ungeheures Tau, das aus spißen Glasscherben bestand. Die Scherben zerschnitten Peters Finger, der Schmerz wurde unerträglich, wider seinen Willen lösten sich die zerschnittenen, blutenden Finger vom Strick.

Dann hörte der Schmerz auf, das Tau war von neuem ein gewöhnlicher Strid, aber aal­glatt. Peter vermochte es nicht festzuhalten, es rutschte und glitt, seine Finger fanden keinen Salt. Und in der Dunkelheit leuchteten zwei böse Augen auf, lauernd, und warteten, war teten auf den Augenblick, da das Tau Peters Händen entgleiten würde...

Seit Peters Unterredung mit Edmund Brohmer waren sechs Tage vergangen. Die Zeitung, in diesen Tagen gab es für Beter auf der ganzen Welt nur eine Zeitung: Das Vater­land", verfolgte beharrlich den neuen Weg, den fie eingeschlagen hatte. Sie begann mit ihren Ansichten durchzubringen. Andere Blätter, die unter ihrem Einfluß standen, schlossen sich ihr ant. Die öffentliche Meinung wurde stark be einflußt. Die Regierung empfand Beunruhi­gung.

Nur noch acht bis zehn Tage", sagte Judith zu Peter, als er sie eines Abends aufsuchte,

Besonders großen Schaden erleidet die Deutsche Landeskommission dadurch, daß man ihr im Jahre 1918 ihren wertvollsten Besitz, das Haus Nr. 249 in Brag- Kleinseite, welches Fräulein Johanna Lein für Ingendwohlfahrtszwede zur Verfügung stellte, für das Ministerium für nationale Berteidigung beschlag­nahmte und die Deutsche Landeskommis.

dann ist der Kampf im Industriegebiet zugunsten der Arbeitnehmer entschieden."

Ihre rehbraunen Augen glänzten freudig. Peter, find Sie nicht glücklich? Sie, mit Ihrer seltsamen Fähigkeit, werden dazu beige tragen haben."

Peter blickte sie müde an. Er hatte ihre Worte taum verstanden. Vor seinen Augen zit-, terten Kleine flirrende Sterne, in seinen Ohren rauschte es, wie das Meer, und durch das Rau­schen tönten Klar die Worte, die sein Gehirn un­ablässig formte: Du mußt, Gabriel Klinker! Du mußt!"

Sprechen Sie nicht, Judith", bat er. Ich darf mich nicht ablenken lassen. Möchte nur ein wenig bei Ihnen sizen, ganz still, Ihre beruhi gende Nähe fühlen."

Sie sah ihn besorgt an.

Peter, lieber Peter, Sie quälen sich zu sehr. Machen sich unnötige Sorgen, glauben Sie mir, Sie brauchen dem Manne nicht mehr Ihre ganze Kraft zu geben. Sie haben ja die seine entbunden. Die wird ihm genügen."

Und als Peter schwieg, fragte sie leise: ,, Sie glauben es nicht, Peter? Sie haben doch immer an die unbesiegliche Macht des Traumes geglaubt?"

Ich weiß es nicht, Judith. Vielleicht ist nur der Traum, den wir nie verraten und ber­leugnet haben, allmächtig... Oder vielleicht kann ihn nur einer zum Leben erwecken, der selbst an ihn glaubt... Wenn ich das könnte, wenn ich nur vollkommen, bedingungslos an etwas glauben könnte, dann... Ich kämpfte gegen Menschen, die an ihr Herrenrecht glauben, die keinen Zweifel fennen; muß ich da nicht unterliegen?"

Judiths schmale Hand griff sanft nach der feinen und hielt sie fest, mit tröstendem Drud.

Weshalb können Sie nicht glauben, Peter?" Weil ich die Menschen sehe, wie sie sind, gemein, selbstfüchtig, Kleinlich

Sturmplan"

nennt. So sieht er aus:

Die Kommunisten reden auch davon, daß die Tribüne der Gemeindevertretungen" eine entscheidende Rolle spielen werde. Gerade die Konstituierung der Gemeindevertretun gen aber zeigt nur zu deutlich, daß die kom­munisten eine Garde der Reaktion sind. In zahl­reichen Gemeinden könnten wir eine Arbeiter mehrheit haben, wenn nicht die Kommunisten ihre Hauptaufgabe in der Bekämpfung der So­1. Umbau der Partei auf Grundlage der zialdemokratie und in der Unterstüßung der Bür­Betriebszellen. 2. Organisierung der gerlichen sähen. Sie machen die Gemeinde zur Fraktionen in den Gewerkschaften Tribüne, aber sie liefern sie der Bourgeoisie aus. und anderen Massenorganisationen. 3. Verstärkung Gerade die Rolle der Kommunisten in den Ge­der Werbetätigkeit und Bekämpfung der meinden zeigt, daß von ihnen zuletzt Hilfe zu er Fluktation. 4. Verstärkung der Ausbildung und warten ist. Im übrigen muß man wohl sagen, Erweiterung der Funktionärtaders. 5. Ber- daß ein Proletarier, der den Sturmplan" der an terung der Parteipresse, insbesondere KPC liest. ohne sich über die Frivolität dieser in den Betrieben. 6. Organisierung der Massen- Arbeiter- Verführer zu empören, wirklich nur ver­schulung. 7. Aufbau des Parteiappa- dient, von Reimann und Gottwald ins Dritte rates in den Kreisen, Bezirken und Zellen. Reich geführt zu werden!

,, Und arm, Peter, unjäglich arm." Er lachte bitter.

,, Gut, Ihre Leute, Judith, für die Sie den Traum einer besseren Welt träumen. Aber die anderen, die Edmund Brohmers?"

,, Auch die, Peter, weil sie um ihren Traum zittern müssen. Angst macht arm, Peter."

,, Mein Gott ", flüsterte er erstickt. ,, Wie arm muß dann ich sein. Seit sechs Tagen bin ich nichts als Angst um Gabriel Klinker."

,, Um Gabriel Klinker als Ihre Puppe, oder um den Mann, der für die Gerechtigkeit fämpft?" fragte sie mit plöglicher Härte.

Er starrte sie erschrocken an. ,, Sprechen Sie es nicht aus, Judith. Ich weiß es nicht. Will es nicht wissen. Sonst... Weshalb quälen auch Sie mich?"

Judiths Augen füllten sich mit Tränen. Warum mußte sie den Menschen quälen, den sie liebte? Weshalb mußte sie ihr eigenes Glück vernichten? In diesem Augenblick würde er ihren Buckel nicht sehen, nur ihr schönes Gesicht. Wenn sie ihm jetzt den Trost gab, nach dem er verlangte, würde er ste in die Arme nehmen, sic füffen, sie würde glücklich sein, wie jede andere Frau, wenn auch nur für ein paar furze Stunden.

Aber Judith Bernstein, die nie ihren Traum verraten hatte, gehörte nicht sich selbst, sie ge­hörte dem Traum. Und das, was stärker war als die Selbstsucht, stärker als das Sehnen ihres Herzens, gab Peter Antwort:

"

Weil Sie sich einmal sehen müssen, wie Sie sind, Peter. Ebenso flein, ebenso egoistisch, eben­so erbärmlich wie alle anderen Menschen. Dann werden Sie ihnen helfen wollen, sie lieben ler hen, und dann, erst dann wird Ihre Macht Gutes stiften."

Er zog seine Hand aus der ihren.

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un

Sie find grausam, Judith, und flug. Was geht mich letzten Endes Gabriel Minter an? Was der Kampf im Industrie

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gebiet? Weshalb soll ich mich länger quälen? Ich lasse die Schnur los, die Marionette fällt auf die Nase, oder eine andere Hand greift nach der Schnur...

"

Er warf ihr einen zornigen, haßerfüllten Blick zu.

,, Sie sind stolz auf Ihren unerschütterlichen Glauben, Judith. Wir wollen es doch auch ein­mal bei einer kleinen Analyse versuchen: Ich weiß, daß Sie völlig selbstlos nur für andere leben. Aber ist nicht diese Selbstlosigkeit auch eine Flucht vor der Wirklichkeit? Würden. Sie die armen Kinder ebenso lieben, Judith, wenn Sie selbst Kinder hätten? Würden Sie von der Gerechtigkeit und nur von der Gerechtigkeit träumen, wenn Sie eine Frau wären, wie andere Frauen, wenn Sie keinen Budel hätten?"

Er verstummte, erschroden vor der Grau­jamkeit der eigenen Worte..

Judith saß stumm vor ihm, zusammen­gelauert, als fürchte sie einen Schlag. Das schöne Gesicht war im Schatten verschwunden, nur der häßliche, entstellende Buckel war zu sehen.

Peter schämte sich.

Judith, verzeihen Sie mir... ich bin der­maßen überreizt und nervös, daß ich gar nicht weiß, was ich sage... Judith

Sie hob den Kopf. Ueber ihr blasses Gesicht rannen Tränen, aber ihr schöner Mund lächelte, und dieses Lächeln war das traurigste, was Peter je gesehen hatte.

" Peter", sagte sie leise, Was mich, den Menschen, anbetrifft, mögen Sie recht haben. Ich will Sie nicht anlügen. Vor einer kleinen Weile war ich bereit, meinen Glauben und meinen Traum zu verleugnen, nur um einmal, ein einzigesmal hre Arme um mich geschlungen zu fühlen, für einen Kuß von Ihnen. So er­bärmlich, so jämmerlich bin ich. Lachen Sie mich aus, Peter, die Bucklige, die von einem Augen­blick der Liebe geträumt hat..." Fortjegung folgt.)