Seite 2 Mittwoch, 2. Dezember 1931. Nr. 280. bisherige hessische nationalsozialistische Landtagsabgeordnete Dr. Schäfer der Behörde übergeben hat, weil er es mit seinenr Gewissen nicht länger vereinbaren konnte, an den Tollhausplänen der nationalsozialistischen Führer Anteil zu nehmen. Hat schon das bisherige Mordtreiben der SÄ.-Banden einen Begriff davon gegeben,»velche Welle von Brutalität und Bestialität Deutschland durchrasen würde, wenn der deutsche Fascismus zur Herrschaft käme, diese Dokumente, die wir bereits abgedruckt haben, geben jedenfalls den schlagendsten Beweis von der Schändlichkeit des wahren Programms des Hitlerschen Nationalsozialismus. Und dieses Programm ist auf die einfache Formel zu bringen: Mord! Mord, wenn erst das„Dritte Reich" gekommen sein wird, an allen, die irgendwie, sei es auch nur gegenüber einem Hitler- Landsknechtmann, nicht Folge leisten, Mord an jedem, der nicht binnen 24 Stunden jede Schußwaffe abliefert. Aus jeder Zeile dieser Dokumente riecht cs nach Blut, jeder einzelne Absatz schließt mit dem Satz: wird mit dem Tode bestraft". Erschießen, Todesstrafe und immer wieder Todesstrafe ohne Verfahren— das sind die Grundsätze, nach denen die früheren kaiserlichen Generäle, die hakenkreuzlerischen Feme- niörder, die abgesägten Fürsten, Prinzen und Offiziere, die in der Nazi-Partei tonangebend sind, das„Dritte Reich" aufrichten wollen. Aber nicht nur Mord und Totschlag jedes Mißliebigen und Unbequeinen sind die Mittel, die der deutsche FascismuS nach der Machtergreifung anwenden will, auch der Hunger soll in seinen Dienst gestellt werden. Wer nicht augenblicklich alle Lebensmittel abliefert, wird erschossen, wer Lebensmittel verkauft oder tauscht, erleidet die Todesstrafe. Und so geht es fort: wer streikt, wird ohne Verfahren nie- doraeknallt, wein ein Nationalsozialist Geld schuldet und es verlangt, wird vor ein Feldgericht gestellt, das nur eine Strafe, die Todesstrafe, kennt. Der Bauer, der seine Kartoffelbestände nicht bis zum letzten Pfund angibt, setzt sich der Gefahr des Erschießens ohne gerichtliches Verfahren aus— es ist die Entfesselung der Bestie im Menschen, welches sich dieses wahre nationalsozialistische Programm zum Ziele setzt. Wie zu erwarten war, hat die nationalsozialistische Parteileitung sofort nach Be- kanntwerdung der Dokumente die Dementierspritze in Bewegung gesetzt und die Echtheit zu bestreiten gesucht. Als sich dieser Versuch als unwirksam erwies und die Echtheit über allen Zweifel bewiesen wurde, verlegte man sich im Braunen Hause zu München aufs Verdächtigen und Verleumden der Person des Enthüllers, des Landtagsabgeordneten Doktor Schäfer, von dem„festgestellt" wurde, daß er geistig nicht normal, ein dunkler Charakter sei und daß er vor etwa Jahresfrist wegen Wechselfälschungen zu einer mehrmonatigen Gefängnisstraße verurteilt wurde. Auch wenn sich dies als wahr herausgestellt hätte, so hätte bo8 an der Einschätzung des wahnwitzigen Planes, dessen Verwirklichung Deutschland in einen unvorstellbar blutigen Bürgerkrieg stürzen würde, als eines aus Niedertracht und Mordgier geborenen Verbrechens nicht das mindeste geändert. Es wäre dann nur die Frage zu beantworten gewesen, wie es die Nazis mit ihrem zur Schau getragenen Edelmenschentum zu vereitwaren gedenken, daß sie einen solchen Menschen in ihren Reihen geduldet, ja ihn sogar für würdig befunden haben, eine hohe Würde und Funktion in ihren Reihen zu bekleiden. Aber die Frage erübrigt sich, da die Wechselfälschungsgeschichte sich sofort als plumper Schwindel und Ablenkungsmanöver herausgestellt hat. Im übrigen liegt Gewalt, Bestialität und Mord durchaus auf der Linie aller Putschisten, wie neuerdings die enthüllten Pläne der„Erwachenden" in Ungarn beweisen und kein Vernünftiger hat darum den Legalitätsschwindel Hitlers und seiner Mannen jemals ernst genommen. Die- Erinnerung an gmnrs. Am Spätnachmittag deS 31. Juli 1914 war Jean Jaurös erschosien worden, als er auf der Terrasse des Cafe du Croissant in der rue Montmartre zu Paris (Ecke rue du Croissant) saß. Wenige Tage später hielt der Krieg seinen Einzug, und. Jauras und seine Lehre schien zunächst vergessen.„Im Grunde," sagte einmal Jaurss,„wagen wcker die Klerikalen noch die Nationalisten zu behaupten, daß sie den Krieg wollen. Tenn dann Wuppe sich dos ganze Land gegen sie wenden. Aber im Grunde ihres Herzens sst der Krieg für sie, wie er es immer in der Geschichte der sich bedroht fühlenden Reaktionsparteien ist, der erhoffte Ausweg. Der Krieg braucht nur auszubvechen und. sofort erstrahlen dann die Lügenfabriken, denen wir di« Maske abgerissen haben, in neuem Lichte. Schon aus diesem Grunde wird der Krieg von uns verabscheut, zehnmal, tausendmal. Denn er ist die Barbarei, die Wildheit. Denn er ist vor allem die Reaktion." -> Raoul Bilain hatte auf Jaurss geschossen: er war ganz unter dem Einfluß der französischen Monarchistenliga„Action Franyaise", die im Juli 1914 eine wahre Mordhetze gegen Jean Jaurss entfaltet hatte. Dilain wurde einige Jahre später in der Clemenceau-Epoch« von den Gerichten freigesprochen. Als nach Kriegsende der Wunsch nach einem wirklichen Frieden stärker als je laut wurde, da kam auch wieder der Name deS Sozialisten- ührers Jean Jaurss in Ehren und Erinnerung. Aber erst das Auflommen der Herriot -Regierung im Juni 1924 ermöglichte einen offiziellen Dank des französischen Volkes an den großen FriedenS- ursten. Im Oktober 1924 beschloß der Miuister- rräsideni Herriot die feierliche Ueverführung der leiblichen Ueberreste von Jean Jaurds in das Pantheon...die., große Ruhmeshalle Frankreichs . An einem kalten Novembertage des Jahves 1924 marsicherten sämtliche liwksstehenden Verbände Frankreichs , voran die Sozialisten und di« kommunistische Partei, vor dem Pantheon an dem Sarg« von Jaurdz vorbei. Nie wieder seitdem zog marschierten sämtliche linksstehenden Verbände und Parteien durch die Straßen von Paris . Am gleichen Tage hatte di« Liga für Menschenrechte noch ein« kleine Erinnerungsfeier im Cafö du Croissant organisiert und eine Erinnerungstafel angebracht:„Hier wurde Jean Jauröz am 31. Juli 1914 erschossen." Die Royalisten der Action Franyais« hatten es für nötig gehalten, am gleichen Tage eine kleine Erinnerungsseier an dem Grabe von Marius Plateau zu veranstalten, einem Royali- ten, det 1923 von der jungen Anarchistin Germaine Verton aus Rache für die Ermordung von Jaurös erschossen wurde.„Als ich mich an dies« große menschliche Stimme von JaurdS erinnerte, Was aus den veröffentlichten Dokumenten als Vision des„Dritten Reichs" aufsteigt, das ist das Bild und das System einer vollkommenen Schreckensherrschaft» in der zahllose Menschenleben,' aber auch alles Recht, alle Sicherheit und alle Freiheit vernichtet werden sollen. Die Dokumente beweisen die ganze Barbar?! des deutschen Fascismus, aber auch seine Verantwortungslosigkeit und Gewissenlosigkeit. Und nun mögen unsere Nazis hingehen und weiterhin rmter dem Schlagwort „Brot und Freiheit" die Schützer von Nrbei- terleben, die Kampfer für Arbeiterrechte posieren! Das wahre Gesicht des Nationalsozialismus ist sichtbar geworden— es ist die Fratze der fascistischen Bestie! ' in welcher das ganze Leiden der Welt, aber auch der höhe Aufschrei der Armen und Schwachen gegen ihre Unterdrücker Wiederklang, da reifte in mir der Entschluß, den Royalistenführer Leon Daudet zu erschießen, und nur durch Zufall traf ich statt dessen MariuS Plateau," hatte Germaine Verton vor Gericht«Märt. Sie wurde zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Seit 1924 versäumen es nie Sozialisten, di« Paris besuchen, die Stell« im Keller deS Pantheon aufzusuchen, an welcher der Fremdenführer erklärt:„Hier ruht Jean Jaurös, erschossen am 31, Juli 1914," und seit 1924 wird auch stets die ErinnerunEafel am Cafä du Croissant von ausländischen Sozialisten aufgesucht, so erst noch vor einigen Tagen von dem Führer der Stuttgarter Gruppe des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, Gottlieb Kazmeier, mit einer Gruppe von 35 Stuttgartern. Leider macht daS Cafe du Croissant mit der traurigen Tatsache des 31. Juli 1914 in geschäftiger Weise etwas Reklame. Die Erinnerungstafel am Caf« du Croissant war verwittert, staubig und nur noch schwer lesbar? Jetzt hat die Ltza für Menschenrechte am 22. November di« T<ssel restauriert und neu geschmückt. Ein« Erinnerungsfeier sand am 22; November, also vor wenigen Tagen, statt, bei der noch einmal der Hergang des Attentats et» zählt wurde und bei der man die Erinnerung an Jean Jaurös feierte,„der ein Opfer der mensch- lichen Dumncheit wurde, jener Dummheit, die allein di« Kriege erlaubt". t Kurt Lenz. AMlutz der Indienkonlerenz. Gandhi : Ehrenvolles Kompromiß oder Kampf! London , 1. Dezember. In der Plenarsitzung der Jndienkonferenz am Runde» Tisch erklärte Gandhi , er wünschte, dem indische» Volke die Wiederaufnahme der Bewegung d e s b ü r- gerlichen Ungehorsams zu ersparen, Äer wenn sie sich als nötig erweise, werde er daran gehen. Er sei zu einem Kompromiß bereit, wenn eS ehrenvoll sei und Indien wahre Freiheit gebe. DaS Minderheitenproblem lasse sich nicht lösen, solange eine Fremdherrschaft vestehe. Die indischen Fürsten müssen konstitutionelle Monarchen wie König Georg werden. Der bekannte Hindu-Liberale Sastri forderte dann Gandhi auf, seine Mitarbeit nicht zu verweigern. Maedonald legte dann die Politik der Regierung dar und erklärte, er sei besonders ermächtigt worden, den Delegierten und Indien die Versicherung zu geben, daß die Politik der letzten Regierung auch die der gegenwärtigen Regierung bleibe. Er wiederholte dann die bemerkenswertesten Punkte dieser Politik hinsichtlich der Ueber- Austritt Bruuars aus-er Nationalpartei. Prag , 1. Dezember. Der gewesene Parteivorsitzende der Deutschen Nattonalpartet und früherer Senator Dr. Heinrich B r u n a r hat in einem offenen Brief an den gegenwärtigen Par- teivorsitzenden Altbürgermeister Dr. Schöppe (Aussig )-seinen Austritt aus der Deutschen Rationalpartei angezeigt. Dr. Brunar begründet seinen Austritt in längeren Ausführungen mit der Verfolgung und dem Ausschluß seiner engeren Freunde aus der Deutschen Rationalpartei m der letzten Sitzung der Reichsparteileitung. Diese Maßnahmen der Parteileitung sind nach Dr. Brunar hauptsächlich erfolgt,»m die Anhänger seiner politischen Richtung und damit ihn selbst zu treffen, die, so wie er, es als Parteivorsitzender der Deutschen Nationalpartei anstrebte, den engen Anschluß der Deutschen Nationalpartei in der Tschecho slowakei an die Hugenbergfche Linie nationaler Politik im Reiche und eine kompromißlose radikal-nationale Politik in der Deutschen Nationalpartei forderten. tragung der Verantwortung auf die Zentral- und Provinziallegislative mit gewissen Garantien hinsichtlich der finanziellen Verpflichtungen und der Minderheiten während der Uebergangszeit. Zum Schluß appellierte Macdonald nochmals insbesondere an Gandhi , den Weg der Vernunft, der Verständigung und der Zusammenarbeit zu beschreiten, um zu einer autonomen Regierung in Indien zu gelangen. Hierauf vertagte sich die Konferenz auf unbestimmte Zeit. Die schweizerische Atters« uni Himerlasfenenverstcherung. Sonntag, den 6. Dezember d. I., wird in der Schweiz die Volksabstimmung über daS Alters- und HinterlaffenenversicherungSgesetz vorgenommen werden, daS im Juni 1931 von beiden Räten der schweizerischen Bundesversammlung angenommen wurde. Nach dem Gesetz sollen 25 kantonale Ber- sicherungskassen errichtet werden, di« im ersten Betriebsjahr der vollen Auswirkung des Gesetzes zusammen 180 MUl. Franken auszuzahlen hätten. Die 25 kantonalen Bersicherungskasfen werden beim Inkrafttreten des Gesetzes insgesamt etwa 2,700.000 beitragspflichtige Versicherte aufweisen. äährlich würden an 600.000 alten Personen, itwen und Waisen Renten ausgezablt werden. Die Grundrente beträgt 200 Franken, der Sozialzuschuß höchstens 400 Franken, die Altersrente kann also bis auf 600 Franken gehen, für ein Ehepaar sogar bis auf 1200 Franken, da alle Frauen gleichzeitig in die Versicherung einbezogen sind. Die Beitragspflicht der Versicherten beginnt mit dem 19. und dauert bis zum 65. Lebensjahr. Zur Finanzierung der Versicherung müssen der Versicherte selbst und der Arbeitgeber beitragen. Bon den Beiträgen befreit sind Mütter von mehr als fünf Kindern. Zur Dek- kung der Ausgaben für die Versicherung stehen der Eidgenossenschaft die Erträgnisse aus den Tabakzöllen und der Tabaksteuer und der Reinertrag auS der fiskalischen Belastung der gebrannten Wasser in der Höhe von rund 50 Millionen jährlich zur Verfügung. Ein Gesetz über die fiskalische Belastung deS Tabaks, das insbesondere die Zigarettensteuer neu einführt, kommt gleichzeitig mit dem Bersicherungsgesetz zur Volksabstimmung. 15 Dr. Tolpe’s Rache. Raman von A. AKschui Franzi blieb die Antwort schuldig. Sollte er hier, in einem überfüllten Straßenbahnwagen davon sprechen, was ihn beschäftigte, quälte und zugleich beglückte. Er vermochte eS nicht. Er sagte«twaS Gleichgültiges. Erna zuckte die Achseln und sah zum Fenster hinaus. „Wir sind am Ziel," sagte sie nach einer Weile, als der Wagen hielt. Sie stiegen auS. Bor ihrem HauS verabschiedete.sich Franz! und bat um eine Zusammenkunft für den nächsten Tag. Erna dachte mach und nannte Ort und Stunde. Franzl war zufrieden, sie reichte ihm die Hand, öffnete die Gartentür, schloß sie wieder. Franzl wartete noch, bis sie in das HauS verschwunden war. Dann trat er den Heimweg an. VN. Erna legte Hut und Mantel ab. „Wen, glaubst du, habe ich heut« gettossen," begrüßte sie Jenny, die dem Mädchen gerade Messungen für das Abendessen gab. Jenny sah sie fragend an.„Wen du getroffen hast?" Sie dachte nach.„Ich weiß es nicht. Aber ich nehme an, du wirst es mir verraten," fuhr sie lächelnd fort. „Einen alten Bekannten. Eigentlich einen Bekannten von dir, denn ich sah ihn heute zum ersten Mal." Jenny erriet eS nicht. Kennst du noch einen gewissen Franzl Manzberg?" „Franzl Manzberg?" wiederholte die Mutter langsam.„Mein Bekannter? Rein, daS weiß ich nicht. Wer sst dar?" „Du weißt nicht mehr, wer das ist? Hast ihm doch selbst einmal ein Geschenk gemacht. Eine Uhr war es, die er, nebenbei gesagt, heute noch tragt. Ich glaube aber«her zum Andenken, als um zu wissen, wieviel es geschlagen hat. Die Uhr leidet bereits an Altersschwäche und scheint vor Gebrauch erst geschüttelt werden zu müssen." „Den Franzl hast du getroffen?" rief Jenny erstaunt.„Den kleinen Jungen von damals, als..." Sie stockte.. „Hatte ich also nicht recht, wenn ich von Deinem Bekannten sprach," lachte Erna.„Ich glaube aber, dü würdest den„kleinen Jungen" kaum wiedererkennen. Er dürste etwas gewachsen sein und sich auch sonst ein bißchen verändert hahen." „Wie habt ihr denn einander erkannt?" fragte Jenny, die, warum wußte sie selbst nicht, Franzl gegenüber«in gewisses Dankbarkeitsgefühl empfand.„Wie seid ihr zusammengekommen?" Erna erzählte von der Kahnfahrt mit Grell Berger, schilderte das Zusammentreffen mit Franll und Georg. Dann daS Erkennen. Durch Zufall „Ich hätte ihn gern wieder einmal gesehen. Warum hast du ihn nicht mitgebracht? WaS macht er jetzt eigentlich?" »Mesen Gefasten kann ich dir tun," gab Erna heiter zurück,„ich komme morgen mit ihm zusammen und werde ihm dann deine Einladung feierlichst überreichen. Und WaS er macht? Soviel ich hört«, soll er heuer maturieren." „Schon maturieren? Ja, natürlich, eS sind doch bereit- sieben, nein, eS sind beinahe schon acht Jahre seither vergangen." Jennv warf einen verstohlenen Blick in den Spiegel. Wie die Zeit rafte.„Wo seid ihr denn nachher hingegangen?" fragte ste.„So, in- Boccaccio? Zum Tee? Dar e, hübsch?" -„ES war sehr nett," antwortete Erna. Aber..." „Aber?" „... er scheint etwa- schüchtern zu sein." „Wie meinst du das?" Erna dachte nach.„Wie ich das meine?" begann ste langsam. ,Jch weiß es nicht recht in Worte zu kleiden, er machte einen so... einen so unfreie« Eindruck auf mich. Er wagt eS nicht, auS sich herauszugehen, als fürchte er sich vor dem eigenen Ich. ES fehlt ihm daS nötige Selbstgefühl, er setzt kein Vertraue» in seine Person und erscheint dadurch oft iäppssch und ungelenk. Seine Bewegungen find unsicher, zaghaft, seine Worte ängstlich gewählt. Seine Haltung sst Pose und nur manchmal, unbewußt sst er er selbst.— Ich sagte vorhin,«r wäre schüchtern. Rein, er ist eher verschüchtert. Durch äußere Umstände, Purch einen mir unbekannten Druck so geworden. Aber vielleicht irre ich mich auch." Jenny hatte aufmerksam zugehört.„Merk- würdug," sagte sie,„ich hätte ihn mir anders vorgestellt, ganz anders. Hat er dir etwas Wer sich erzählt? In welche Schule geht er eigentlich?" ,Fln die Handelsakademie." „Die soll nicht schlecht sein: Allerdings habe ich erst vor kurzer Zeit kein altzu großes Lob über deren Direktor gehört. Er soll ein Despot sei». Was meint er darüber?" „Wjr haben von andere» Dingen gesprochen. Er hat mir den Tag. an dem daS Unglück geschah, genau geschildert. Er wußte sogar noch das Datum und die Stunde. — Es scheint, daß jener Tag eine weiß Gott wie große Rolle in feinem Leben spielt und ich glaube, er ist auch der Anfang einer großen..." Sie stockte, nach einem Ausdruck suchend. „Liebe?" fragte Jenny. „... einer großen Enttäuschung," setzte Erna fort. „Inwiefern?" Erna schwieg. Jenny drang nicht in sie.„Also vielleicht ei» andermal," sagte sie lächelnd und ging Kurt Bacher entgegen, der gerade inS Zimmer trat. Die Glocke schrillte durch das alte HauS, den Beginn deS Unterrichtes verkündend. Franzl faß auf seinem Platz in der letzten Bank beim Fenster. Neben ihm Geyer, neben Geyer Horn. Die beiden berieten eifrig, wie Professor Noll empfangen werden sollte, und zwar, «ch nicht Knallerbsen einem vielstimmigen Thor vorzuziehcn wären. Schließlich einigten sie sich auf den Einzugsmarsch auS Tannhäuser und begannen sofort mit den nötigen Proben. Franzl beteiligte sich nicht daran. Schweigend saß er da und beobachtete di« anderen. Immer daS gleiche Bild. Borne die Streber, dann eine Zone von Stumpfheit und Gleichgül- tigkeit, rückwärts die schwarzen Schafe, die es wagten, eine eigene Meinung zu haben. Aber es waren ihrer nur wenige. Tolpe konnte zufrieden sein. Tolpe? Wer war denn dieser Tolpe, dessen Namensnennung allein schon ein Schaudern zur Fotze hatte und manche Hand sich zur Faust ballen ließ? Wer war dieser Unfehlbare, allmächtig Schreckliche, vor dem alle winselnd auf dem Boden krochen und erst zitternd aufzublicken wagten, wenn er sie rief? Wer war dieser Vampyr, der das Herzblut, den Lebensmut seiner Opfer wollüstig wie Champagner schlürfte und die Ausgesogenen dann gleichgültig liegen ließ? Er glich einem Tiger. Sein Blick, sein Wesen, sein Gang waren die eines furchtbaren Raubtieres. Seine Augen leuchteten, wenn er daS, Opfer vor Angst zitternd sah, er gab eS mit großmütiger Geste frei und wenn eS sich schon sicher fühlte, schlug er eS mit seiner Pranke wieder nieder. (Fortsetzung fotzt.)
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11 (2.12.1931) 280
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