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Dienstag, 12. Jänner 1832
Nr. 10
drohend standen über jedem Beschluß die Fragezeichen der amerikanischen   und der französischen   Wahlen. Diesen Wirrwarr will der Kanzler atlf höchst einfache Weise lösen. Er gibt es auf, den gordischen Knoten aufzuknüpfen, er schnei­det ihn mitten durch. Er spricht das auS, was alle wissen. Ob das klug war, wird die Zu­kunft zeigen; warum Brüning es tat, ist unschwer zu erraten. Die Reparationen waren Hit­ lers   stärkstes Argument. Er hat die Tribute für die kapitalistische Krise, für die Not Deutschlands  , für das Defizit des Reiches, kurzum für alles verantwortlich gemacht. Gegen die Erfüllungspolitik, die nur der poli­tisch denkende Wähler zu verstehen vermag, bat Hitler   die denkfaule Menge der bisherigen Nichtwähler organisiert. Solange die Repara­tionsfrage nicht gelöst ist, wird Hitler Agita- tionsstoff haben. Um Hitler   endlich ein Paroli zu bieten, sei es nur aus der Augenblicks­sorge um die Präsidentenwahl heraus, sei es auf längere Sicht, will Brüning Lausanne zu einer endgültigen Lösung zwingen. Bringt er den Deutschen   das Geschenk, das sie von Hitler  erhofften, bringt er es ohne den blutigen Auf­wand, den es Hitler   gekostet hätte, dann kann Dr. Brüning im Herbst den Reichstag auf­losen und sich mit Hitler   messen(vielleicht nur, um ihn hernach als zahm und lahm ge­wordenen Parlamentarier in die Regierung aufzunehmen). Ein zweiter sehr ernsthafter Grund mag Brüning bestimmt haben, das ge­fährliche Wort auszusprechen. Er glaubt viel­leicht, die Krise werde wohl abebben und einer leichten Konjunktur weichen. Das könnte im Falle eines Moratoriums gefährlich werden. Frankreich   wird von einem halttvegs gesunde­ten Deutschland   aufs neue unmäßige Zahlun­gen verlangen. Dr. Brüning will die Krise nützen, um Deutschland von dem erpresseri« scheu Druck der Sieger zu befreien, er will reinen Tisch machen, solange die Welt ihm glauben muß, daß Deutschland   nicht zahlen kann. Ob das glücken wird, ob Brüning mit der an ihm ungewohnten Schärfe Erfolg haben, oder sich eine Blamage holen wird, ist heute noch nicht zu entscheiden. Das Echo in England ist verständnisvoll, in Frankreich  anscheinend nicht ganz so abweisend und krie­gerisch, wie man fürchtete. Vielleicht gibt es (ein Artikel derDspeche de Toulouse" hat die Streichung der Reparationen schon vor Tagen vorgeschlagen) selbst in Frankreich  Leute, die solcher Klärung der Lage nicht unsympathisch gegenüberstehen. Aber es ist auch durchaus denkbar, daß Brüning wie vor Jahresfrist in Sachen der Zollunion eine Niederlage erleidet. Der internationale Sozialis­mus wünscht nichts dringender, als eine erckgültige Bereinigung der Reparationsfrage. Eine Fülle von wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten wäre mit einem Schlage besei­tigt, wenn es zu der angestvebten radikalen Losung käme. Die Sozial!stische In­ternationale hat 1922 und neuerlich im Juli vorigen Jahres Frankreich   das morali­sche Recht auf Ersatz der tatsächlichen
Schäden zugesprochen. Aber selbst nach französischen   Schätzungen hat Deutschland  diese Schadensumme bereits überzahlt(sie beträgt rund 16.5 Milliarden Mark, Deutsch­ land   hat nach französischer Schätzung etwa 20.4, nach anderen Schätzungen fast 40 oder nach eigener 55 Milliarden gezahlt). Darum sind wir Gegner weiterer Repa ­
rationen, darum hat die deutsche   Sozial­demokratie erklärt, daß Deutschland   nichts mehr zahlen werde. Wir wünschen Herrn Brü­ning bestes Gelingen seiner Aktion. Scheitert sie, so wird er sie selbst verantworten müssen, denn in der Methode stimmen wir, bei aller sachlichen Kongruenz, mit dem draufgängeri­schen Kanzler nicht ganz überein.
Blatte der politisch-parlamentarischen Taktik ge­schrieben. So töricht es wäre, alles auf die Karte der Koalitionspolitik zu setzen, so verhängnisvoll könnte es sein, die Wendung der politischen Kri­senentwicklung nur von einem Uebergang in die Oppositionsstellung zu erwarten. Opposition oder Koalition war die Alternative sozialdemo­kratischer Politik in der Stabilisterungsperiode nach dem Kriege. Damals konnte mit ziemlich gleichbleibenden Verhältnissen gerechnet werden und es war möglich, die Parteitaktik auf die weitere Sicht ganzer Wahlperioden einzurichten. Nu«, da fast jede Stunde neuen^encnwechsel aus der Bühne des Weltgeschehens bringt, kann die proletarische Initiative nicht in solch enge Schranken gebannt bleiben. Koalitionen kommen und gehen, über allen Erfordernissen der Tages­politik steht die säkulare Berufung der Sozral- demokratie, die Opfer des Kapitalismus zum Sturze der kapitalistischen   Gesellschaft zu sam­meln. Unabhängig von dem schwankenden Bild des Augenblicks muß es unser Arbeitsziel sein, die Willensströme, die die Weltwirtschaftskrise rBÖrrfffräimMml
in de» leidenden Massen entfesselt hat und die bisher von der kommunistisch-hmenkreuzlerischen Agitation in die Wüste der Selbstzerfleischung, in die Schluchten Putschistischer Narrenstucke ge­peitscht wurden diese Wrllensströme in das Gefäß der proletarischen Emanzipations­bewegung münden zu lassen und in die Bahn Planmäßigen sozialistischen Wollens zu lenken. Freilich wird Erfolg oder Mißerfolg dieses Bemühens stark von der Gestaltung der inter­nationalen Verhältnisse abhängen. Die künftigen Politisch-sozialen Lebensformen der Kleinstaat­völker werden in hohem Maße mitbestimmt von den weltpolitischen Entscheidungen, die zwischen Berlin   und Paris  , zwischen London   und New Jork in naher Frist fällig sind. Die Zukunft der europäischen   Arbeiterklasse und der ganzen inter­nationalen Arbeiterbewegung ist eng mit der Frage verbunden, ob in den großen Weltvölkern die Kräfte der Solidarität und des Friedens durchdrrngen und den verhängnisvollen Lauf der Dinge noch zum Guten wenden. In Smnde», da das europäische Schicksal auf des Messers Schneide steht, kann«er auch aas Verhältnis der Klasienkräfte in den kleineren Staaten von größter internationaler Bedeutung sein. Die Tschechoslowakei  , die wirtschaftlich und politisch eine Schlüsselstellung zum südosteuropäischeu Sektor inne hat, gehört zu jenen Ländern, die bei einer Verschärfung der Weltwirtschaftskrise zur Katastrophe am meisten verlieren und bei einer internationalen Zusammenarbeit der Völ­ker und Erdteile am meisten gewinnen würden. Darum muß auch auf ihrem Boden der Kampf zwischen den Mächten der Zerstörung und des Aufbaues, zwischen NationÄisMus und Inter  -
ozialdemottatische Sffeufive. Von Abg. W. Jaksch  .
Die folgenden Ausführungen sind dem ArtikelProbleme des Ueberganges" im letzten Heft derTribüne" entnommen. Das Arbeitsfeld der sudetendeutschen   So­zialdemokratie gehört zu den von der Weltwirt­schaftskrise am ärgsten heimgesuchten Zonen Europas  . Unsere auf ein weites Absatzgebiet eingerichtete Exportrndustrie wird von der Schrumpfung des Welthandels, von den Zah- lungs- und Währungskrisen der Nachbarländer, von der Zollpolitik Englands und Nordamerikas  unmittelbar betroffen. Durch die Welle kapita­listischer RationalisierungS- und Konzentrations­politik ist der schmale Lebensraum unseres zwi­schen Staatsgrenze und Sprachgrenze einge­zwängten Industrie- und Kleinbauernvolkes noch mehr geschmälert worden. Weitgehender Aus­schluß unseres jungen Nachwuchses von den öffentlichen Diensten läßt das in allen Industrie­ländern aktuelle Problem eines dauernden Menschenüberflusses, eines geradezu explosiven Druckes auf den Arbeitsmarkt noch schärfer her­vortreten. Nur die günstige wirtschaftliche Ge­samtstruktur des Staates, die reiche Vielheit feiner Existenzquellen und seine entwickelte finan­zielle Kraft haben den katastrophalen Notstand der deutschen   Grenz- und Sprachinselaebiete bis­her nicht voll in Erscheinung treten lassen. Dieser soziale Tatbestand begünstigt die Tendenz einer politischen Katastrophenentwick­lung, wie sie sich am ausgeprägtesten im benach­barten Deutschland   vollzieht: Faschisierung eines Teiles der arbeitenden Bevölkerung, bolschewi­stische Radikalisierung des arckeren, Zertrüm­merung der bürgerlichen Mittelparteien, kom- munistisch-nationalistischer Ansturm auf die So- zialdemokratie. Wenn auch unsere Gemeinde­wahlergebnisse die reichsdeutsche Entwicklung nur stark abgebremst in Erscheinung treten lassen, so erweisen sie doch dreierlei: 1. Die kommunistische Bewegung ist nach wie vor in einer Stärke vorharwen, die zwar keine Gefahr für die bürgerlichen Parteien bil­det, aber ern gewaltiges Hindernis für eine er­folgreiche Arbeiteiwolltik darstellt. 2. Die politische Umschichtung der bürger­lichen Wählerschichten ist m vollem Gange. Unaufhaltsamer Auflösungsprozeß der National­partei, Stagnation der christlichsozialen und der Gewerbepartei, Abbröckelung beim Bund der Landwirte sind die Symptom«. 3. Die Hakenkrruzbewegung bildet auch in der sudetendeutschen   Bevölkerung das reaktionäre Sammelbecken aller Feinde der Arbeiterklasse. Diesen Erscheinungen steht hierzulande die Sozialdemokratie in ungleich besserer Position gegenüber als in Deutschland  , wen einerseits die Radikalisierung deutscher   Volksteile auf den Gang der Staatspolitik nur geringen Einfluß ausubt, weil sie anderseits den Nachteil der Mit­verantwortung im Staate bisher mit dem Vor­teil sichtbarer Leistungen für die Arbeiterschaft aufwiegen konnte. Wie wir ihnen in Zukunft begegnen sollen, steht aber nicht allein auf dem
Nationalismus, zwischen Bolschewismus Und Sozialdemokratie, zwischen Bourgeoisie und Pro­letariat schonungslos durchgefochten werden. Ob es gut oder schlimm kommt di« Ar­beiterklasse muß in dieser gefahrvollen lleber- gangszeit alle Mittel der Selbstbehauptung, der Machtäußerung und Machtstärkuna anwenden. Die Sozialdemokratie muß ihre Kaders in höch­sten Bereitschaftszustand versetzen und für alle Eventualitäten gewappnet sein. * Die Zeit ist reif für den Sozialismus. Durch den Siegeslauf der Technik, durch die Moderni­sierung des Verkehrs und die monopolistische Konzentration des Geldwesens^ der Produktion und Güterverteilung in den Hande» einer groß­kapitalistischen Führerschicht wurden alle Vor­aussetzungen für eine planwirtschaflliche Be­darfsdeckung geschaffen. Aber das volkswirt­schaftliche Denken der Völker, ihre Eigentums­verhältnisse, ihre gesellschaftlichen Einrichtungen hinken den technischen Umwälzungen um Jahr­zehnte nach. Die breite Kluft zwischen dem mög­lichen und wirklichen Sozialzustand der Kultur­völker kann nur durch sozialntrscheS Denken und Wollen der arbeitenden Massen überbrückt wer­den. Die Verwirklichung des Sozialismus ist mehr denn je ei« Macht- und Willensproblem geworden. Ein Wissensproblem nicht nur des klassenbewußten Kerns der Arbeiterklasse, der in allen Industriestaaten noch immer eine mehr oder weniger einflußreiche Minderheit bildet, em Willensproblem aller arbeitenden und vom Ka­ pitalismus   bedrückten Schichten, ein Willens- problem der werktätigen Bölkermehrheiten. Das rst die geistig-politische Aufgabe der sozialistischen  Bewegung in der Uebergangszeit: die Ideologie der organisierten Arbeiterklasse zur herrschenden Ideologie der Kulturvölker zu machen. Es gilt in dem chaotischen Durcheinander der Ereignisse und der aufgewühlten Gedanken­strömungen die Einsatzpunkte des proletarischen Gestaltungswillens zu finden, die Frontabschnitte
Nest dse Trlbttne
abzustecken, wo die subjektive Kraftäußerung der Arbeiterklasse geschichtliche Entscheidungen vor­bereiten und vollziehen kann. Vier Komponen­ten bestimmen die jeweilige Machthöhe des So­zialismus in Staat und Gesellschaft: 1. Die Bedeutung der Arbeiterklasse im Produktidnsprozeß. 2. DaS passive Bekenntnis der Wähler­massen zur sozialistischen   Tagespolitik. 3. DaS aktive Bekenntnis der organisierten Arbeiterschaft, welche durch das Maß chrer ma­teriellen und persönlichen Opfer die Stärke und Schlagkraft der sozialistischen   Kampforgani­sationen bestimmt. Die Bedeutung der einzelnen Machtelemente ist dem Wechsel der Situationen unterworfen. Bon ihrer richtigen Einschätzung hängt der Er­folg sozialistischer Tagesarbeit ab. Voraussetzung einer neuen Offensive des demokratischen So­zialismus ist eine neue Selbstverständigüng der Arbeiterklasse über die augenblicklich zweckdien­lichsten Mittel, über die heute wirksamsten Waf­fen ihres Emanzipationskampfes, Soweit es um die Bewertung des ökonomi­schen Machtelements geht, ist cs nötig, einer schmerzlichen Wahrheit mutig ins Gesicht zu schauen. Krise und Rationalisierung haben die Geltung der Arbeiterklasse im Produktions­prozeß zurückgedrängt. Während die soziäldemo-
Jan Kus/ Der letzte Tag Ein tfesdilditlKherRoman v osharWöhrle (VerlagDer Bücherkreis", G. m. b. H., Vertin SD. 61.) Tod mäht ab und schafft ebenmäßige Fläche: Tod stillt jegliche Unruhe! Tod ordnet mit einem Schlag alle Ver­wirrung! Die ausgeschnittene Zunge redet und lästert nicht mehr! Die auSgerodete rind durch Feuer vernichtet« Wurzel trägt fürderhin nicht mehr giftige Frucht! Also Scheiterhaufen! Fressendes Feuer! Bereinigender Brand! Damit ist der Spruch über HuS zum voraus gefällt. Die eigentliche Urteilsfindung soll erst mor­gen vorgenommen werden, im Verlauf der auf de« frühen Vormittag anberaumten 15. General- Session. Doch dies« Urteilsfindung ist nur äußer­liche Form; nur dazu bestimmt, die Nichtein­geweihten zu täuschen. Die Laien sollen des Glauben--bleiben, das kanonische Recht werde auch einem Erzketzer, wie dem verstockten Böhmen  gegenüber, gewahrt. DaS Verfahren gegen ihn wird daher weiter seinen ordentlichen Prozessualen Verlauf nehmen; kein Makel darf den Schild der Platzhalter Christi beflecken! Mag morgen in der öffentlichen Sitzung Vorfällen, was will: Der Endspruch zur Aus­stoßung-es Ketzers auS dem Mutterschoß der Kirche, seine Ueberantwortung an den weltlichen Arm und sein darauffolgender Feuertod muß durchgehen und wird auch durchgehen! Der erdrückenden Mehrheit der Stimm«» sirid sich die Drahtzieher sicher. So sicher sogar, -atz sie bereits an den hochmögenden Herrn Johann von Schwarzach, Bürgermeister-er guten und getreuen Stadt Konstanz  , Anweisung
haben ergehen lassen, auf den morgigen Tag zur Verbrennung des Ketzers einen Äachrichter zu bestellen. Doch nicht den ersten besten, son­dern einen mit Erfahrung und in den Dingen des Brandpfahls wohlbewandert. Der Wahrheit die Ehre, Herr Jobann von Schwarzach. sonst ein folgsames uno unter­würfige? Kind der Kirche, ist nicht besonders erbaut von diesem Auftrag. Schon beim Anblick der vielen Bücklinge und Fuß-Scharwenzereien, mit denen der Bote in der Livree des Kardinals von Cambrah ins Ratszimmer tritt, schwant ihm nichts Gutes. Von feiten dieses Kirchenherrn ist, solange sich der Bürgermeister erinnern kann, der Stadt nur Uebles gekommen, Geplacke, Durcheinander, Lauferei, Verdruß und eine gehäufelte Handvoll Widerwärtigkeit. Mit Grausen denkt Herr Johann an di« endlosen Verhandlungen zurück, die er im Novembermond-es Vorjahrs mit d«m Sekre- tarius dieses habichtsnafigen geistlichen Herrn einer zusagenden Unterkunft wegen führte. Der hat damals die Lippen so dick oewölbelt wie ein Mohrenmann und sich aufgeblasen, als ob die Kardinals-Mähren fraßeshalber nur Silber und Gold gewöhnt wär«n, aber keinen grünen thur- gauischen Hafer. Nein, ab mit Schaden! Lieber einem durchgehenden Kriegshengst glattwegS unter die furmenstiebenden Hufe gerannt, als in den Streukreis dieser verdammten welschen Wortsprudlerl Herr Johann erbricht das bienenwachsene KonzuSsiegel, mit dem das zusammengefaltet« Pergament verhaftet ist. Seine düstere Vor­ahnung bestätigt sich vollauf, nachdem er kurz die Anrede überflogen und die vier Schnörkel- zeilen gelesen hat. Mmmel, Barsch und Wolkenbruch!" Mit diesem Kernfluch wirft der sonst so gemessene und zurückhaltende, peinlich auf di«
Wahrung äußerer Formen bedachte Bürger­meister sein AmtSrohr in die Ecke. ES ist Kraft in dem Wurf, ein« volle Ladung herauSgeblitzter Zorn. Darum knallt das Rohr vermaßen laut gegen die Vertäfelung, als ob eine vom Zundel ongebrannte Arkebuse los­donnere. Bon diesem unerwarteten Krach erschreckt, zieht der bischöfliche Läufer daS magere Genick ein, das aus dem Wappenwams heraussticht, macht auf der Stelle kehrt und verschwindet ohne Abschied und ohne Bücklinge ins Treppenhaus, währerw vom Nebensaal her eine Türe aufgeht und drei Mitglieder des Kleinen RatS ihre Ge­sichter hereinstrecken, voller Neugier, was es beim Bürgermeister an Streit und lauter Aus­einandersetzung geb«. Sie sind daher baß erstaunt, niemanden weiter im Zimmer zu sehen, als nur ihren Herrn Johann, der wie em Rasender im Fenster hin« und herrennt, dazwischen wieder stehen bleibt, mit den Füßen aufstampft und an seinem zotti­gen Bart zreht, als ob er das krause Gewächs, daS wie«in schwarzer Vorhang einen mächtigen Kropf verhängt, mit Gewalt vom Kinn und von den fleischigen Backen herunterreißen wolle. Hab ich's nicht immer gesqgt", schreit er aus seinem dampfenden Zorn heraus die drei Emtretenden an,.Jxtä heilige Konsilium bringt noch daS ganze Gemeinwesen zuschanden!" WaS gibt's denn?" WaS es gibt?" äfft der Bürgermeister die Fistelstimme des fragenden Ratsherrn nach.Da, beschau dir selber den Stiefel, mit dem uns daS Schreibervolk der Väter vor den Laienbauch tritt!" Der Angeredete, der ehrenfeste, fürsichtige und fromme Herr Heinrich Edinger, seines Zeichens Händler in Weinen, eichenen Dauben und sonstigem Faßholz, nimmt den pergamen­tenen Zettel, der zerknittert auf der Tischplatte liegt. Sorgfältig streicht er ihn glatt, lieft, laut­
los die schmalen Lippen bewegend, und gibt ihn, als er damit fertig ist» in«ine der beiden haari­gen Hände, di« sich ihm gleichzeitig entgegen­strecken. Dann wendet er sich zu Herrn Johann, der noch immer im Fenster hin und her läuft und solchermaßen seinen Zorn vertritt und sagt: Ich verstehe dein« Aufregung nicht, Bür« getmeister! Was bringt dich so in Harnisch bei dieser Geschichte? Du bist doch dem Böhmen  , dem morgen dis Schwarte gesengt werden soll, weder versippt, noch verwandt, noch verschwägert oder vervettert!", Nein, freilich, das bin ich nicht!" schnaubt der von Schwarzach, wiederum mit beiden Fäu­sten gewaltsam am schwarzen Bart zupfend und sich von neuem in Schreizorn steigernd.Aber ich bin von Amts wegen, wenigstens noch bis zum nächsten Dreikönigstag, unserem Stadtsäckel versippt, verwandt, verschwägert, vervettert." Was kostet denn dre Bestallung des Henkers?" Gradous zrv«i Gulden rheinisch." »Bürgermeister, den Aderlaß wird der Stadtsäckel noch verkraften können!" Wenn's nur di« zwei Gulden wären, Ehinarr, die gäb ich gern aus Eigenem, schon aus Frohheit darüber, mit dem Böhmen   nichts mehr zu tun zu haben. Denn sein Prozeß hat mächtig viel Staub aufgewirbelt und unserem guten Rufe geschadet, als seien wir hier oben am See ein Bad der Kümmerer uni) Ketzer. Aber mit zwei Gulden ist daS Dings nicht aus der Welt geschafft. Es kostet das Gemeinwesen viel, viel mehr. Wenn's gut geht, an die zwei­hundertmal zwei Gulden!" Bündrich, der Zunftmeister der Biersieder, der bisher zugehört hat, den Bullenkopf stößig schief zur Achsel gehalten, bläfzt die Lippen un­zeigt die obere Zahnlücke: Du redest in Rätseln, Bürgermeister!" (Fortsetzung folgt.)