12. Sahrgang. Sonntag, 31. ZSnner 1932 Rr. 27. China cnvW unegserkisrnng Loudon, 30. Jänner. Nach einer Reuter-Meldung aus Nanking hat di« chinesische Regierung beschlossen, Japan den Krieg zu erklären. Die Meldung scheint den Tatsachen vor- auszueilen. Auch aus Kreisen der chinesischen Delegation beim Völkerbund in Genf wurde diese Meldung am Nachmittag noch dementiert, doch langte« im Laufe des Abends in Lon don weitere Einzelheiten«in, aus denen sich schließen läßt, daß es sich tatsächlich um einen Beschluß des Zentralausschusses der Kuomintang handelt, der die Regierung zu einem entscheidenden Schritt auffordert. Nach einer weiteren Meldung aus Nanking wird der Beschluß zur Kriegserklärung nicht vor morgen in di« Tat umgesetzt werden. Chinesische Verstärkungen Nanking , 30. Jänner. (Reuter.) Mit regnläreu Soldaten voll beladen« Eisenbahnzüge rollen im Eiltempo nach Schanghai ab. Bor dem Bahnhose hat sich eine unübersehbare Menschenmenge eingesunden, die die zur Front abgehenden Truppen mit stürmischen Rusen begrüßen. Man sicht zahlreiche Standarten mit Inschriften, wie: „Wir werden Schanghai um jeden Preis halten." Aus zahlreiche» anderen chinesischen Städten treffen Militärzüge in Nanking ein. Dies« Truppen ersetzen die nach Schanghai abgehend«» Truppen. Di« Militärverwaltung hat die Durchführung der Befestigungsarbeiten rund um Nan king angeordnet. Aus der Provinz Honan ziehen««überseh» sehbar« Reihen chinesischer Soldaten gegen Nanking, um sich in die Bataillone einrechen zu lasten, welche sich den Japanern entgegenstellen wollen. Chlncslsffie Gegenangriffe. Der nach der Besetzung der Stadt durch die japanisch« Marine-Infanterie abgeschlossene kurze Waffenstillstand wurde durch den Ausbruch neuer Kämpfe unterbrochen. Um 8 Uhr 30 früh Ortszeit war die Schlacht zwischen den reguläre« chinesischen Truppen und der japanischen Marine-Infanterie wieder im vollen Gange. Die chinesischen Truppen unternahmen in einer Stärke von 20.000 Mann«nd, unterstützt durch «in Ärtilleriefeuer auch aus schweren Geschützen, einen heftigen Gegenangriff auf den Nordbahn Hof, der von den Japanern Freitag besetzt worden war. Der Kampf wütete in allen Straßen der chinesischen Stadt. Schließlich wurden 4000 japanisch« Marinesoldaten zum Rückzug gezwungen. Wie es heißt, sollen Nankinger Offizier« den Gegenangriff geleitet haben. Weitere 10.000 chinesisch« Soldaten werden aus Nanking erwartet. Das Kampfzentrum stellt« der Nordrand der internativrralen Kon-zession dar,>vo Soldaten der Vereinigen Staaten und anderer fremden Mächte Wache halten. Chinesische Granaten und Schrapnells explodierten in der die internationale Konzession. abgren<zenden Rundstraße, wodurch die Gefahr neuer Komplikationen gegeben war, da durch die Granateneinschläge das Loben und Eigentum der Ausländer bedroht war. Zwei Soldaten eines schottischen Regiments wurden im, schwerverletzten Zustand ins Krankenhaus einge- liesert. Durch die in di« internationale Konzession einschlagenden Granaten wurde ein japanischer Tempel beschädigt, desgleichen auch das Gebäude der japanischen Zeitung„Nischi-Rischi". Eine Granat« schlug in das Gebäude der Schanghaier Talophongasellschaft ein. In der internationalen Konzession wurde ein chinesischer Kuli getötet,, ein Japaner und Mei Chinesen wurden verletzt. Um 10 Uhr vormittags eröffneten di« chine sischen Truppen, unterstützt durch ei» heftiges Feuer aus GebirgSgeschützen und Mörsern, einen Angriff auf die Kaserne der japanischen Marine- Infanterie in der aüslandischen Konzession. Um 10 Uhr 30 vormittags gab der japanische Marinegeneralstab den Befehl zur Offensiv«. Unterstützt durch Panzerauto und ein heftiges Feuer aus Feldhaubitzen, haben die in der internationalen Konzession konzentrierten japanischen Märine-Jnfanterieab^rilunpen den Angriff ausgenommen. Tie Zahl der verletzten erhöht sich überaus rasch. General TfcharHkaischek sendet sein« besten Regimenter gleichfalls»ach Nanking , welches der Sitz des Generälstabes«nd des Oberkommandanten der chinesischen Armee sein soll. Kamplaafrnl Tsdiangkaisdieks. Nanking , 30. Jänner. General Tschang- kaischek richtete an all« chinesischen Militärkommandanten«in Telegramm, in dem er sagt: ,He mehr wir ertragen, desto augriffSlusti- ger werden die Japaner. China ist in Gefahr. Wer nur etwas patriotisches Fühlen besitzt, kann die Bedrückung durch di« Japaner nicht länger ertragen. Der Augenblick»st gekommen, da die Regierung und ihr« Armeen sich erheben müssen, um di« Ehre der Nation und das Dasein des chinesischen BolkeS zu verteidigen. Wir wollen uns lieber schlagen und Opfer bringen als uns vor den Japanern zu beugen, die das Recht verlöt und den Weltfrieden gebrochen haben." 600 Chinesen getötet. I« einet amtlichen Erklärung der chinesi schen Behörden wird mitgeteilt, daß bei den Kämpfen um Tschapei bis jetzt 600 Chinesen getötet und 400 verwundet wurden. Die meisten von ihnen seien Fliegerbomben zum Opfer gefallen. formeller Protest Amerikas und Englands. New Hork, 30. Jänner. Nach einer Meldung der Afloriadet Preß aus Washington haben Amerika und England bei Japan formalen Protest gegen die Besetzung Schanz- Hais eingelegt. In dem amerikanischen Protest wird daraus hingewiesen, daß die japanischen Behörden sich .verpflichtet hätten, die internationale Niederlassung nicht in ihr« militärischen Operationen «inzubeziehen. Trotzdem seien japanische Truppen in die Niederlastung gebracht worden und sie benützen die Niederlastung als Operationsbasis. Schließlich sei Japan ohne die versprochen« Warnung ins Chinesenviertel«inoedrupgen, hab« auf Zivilisten geschossen nud Bomben abgeworfen. Die japanische Regierung hat der Regierung der Vereinigten Staaten neuerlich versichert, daß Japan die Unantastbarkeit der internationalen Konzession in Shanghai strengstens respektieren werde. Amerikanische Kriegsschiffe zum Auslaufen hereff. Washington , 30. Jänner. (Reuter.) Das Flaggenschiff der Afienflott«, das Schlacht« schiff Houston ", das ins Trockendock in Manila genommen werden sollt«, hält sich mit Rücksicht auf die Ereignifle im Fernen Osten zum Auslaufen bereit. Acht amerikanisch« Torpedobootzerstörer haben gleichfalls den Befehl erhalten, sich zum Auslaufen nach Schanghai bereitzuhalten. Rußland lifit Truppentransporte auf der Ostthinahahn zu. Moskau , 30. Jänner. Am Freitag überreichte der japanische Botschafter, im Volkskommissariat für auswärtig, Angelegenheiten eine Rote, in der es heißt, daß in Anbetracht der„Rebellion" der chinesischen Truppen in Charbin , wo Zehntausend« japanische Bürger' leben, die japanische Regierung Truppen zum Schutze ihrer Untertanen dorthin entsenden mußte. Die japanische Regierung habe keinerlei Absicht, die Interessen der Ostchinesischen Eisenbahn zu verletzen, doch müsse die Ostchinesische Eisenbahn zum Truppentransporte ausgenützt werden. Für den Transport dieser japanischen Truppen werde die japanische Regierung an Sowjetrußland die entsprechenden Gebühren bezahlen. Voltskommissär Karachan verwies darauf, daß sich der Vertreter des japanischen Oberkommandos zwar an den Vüedirektor der Direktion der Ostchinesischen Eisenbahn, Kusnezow, mit der Bitte gewandt habe, japanische Truppen auf dieser Bahn zu befördern, daß aber dieses Ersuchen erst erfolgte, nachdem schon zwölf Stund en vorher die Japaner die Station Kuantschensh besetzt hatten und die Truppen eigenmächtig einwaggoniert und auf der Ostchinesischen Eisenbahn nordwärts abgerollt waren. Eine derartige Handlungsweise der japanischen Behörden könne gewiß nicht als richtig bezeichnet worden. Was den Transport von japanischen Truppen im Stadtrayon. von CHarbin anbetreffe, so hängt diese Angelegenheit nicht allein von Sowjetrußland ab, sondern in allererster Listie von den chinesischen Behörden. Wenn diese den Transport für möglich halten, so sei es begreiflich, daß auf der Seite der Sowjets in diesem Falle kein Grund vorliege, irgendwelche Hindernisse ist den Weg zu stellen, jedoch unter der unbedingten Versicherung Japans , daß die Interessen der Ostchinesischen Eisenbahn nicht verletzt werden würden. In diesem Sinnt wurden bereits am 22. Jänner Kusnezow dahingehende 'Direktiven erteilt. * Die Telegraphenagentur der Sowjetunion verbreitet eine Pressemeldung aus Peking , wor- nach auf Verfügung des chinesischen Südkommandos einige Linien der Südstrecke der ostchinesischen Eisenbahnzone sowie einige Brücken gesprengt worden sind, um auf diese Weise ein rasches Vordringen der Japaner zu verhindern. „Untersuchung" durch den Völkerhund. Genf , 30. Jänner. In der Heutigen Ratssitzung kam nach 12 Uhr der japanisch-chinesische Konflikt aufs Programm. Generalsekretär Drum- mono legte den Vorschlag vor, daß die im Rate vertretenen Regierungen, außer Japan und China , soweit sie diplomatische Vertreter in Schanghai haben, den Rat um Durchführung einer Untersuchung üb^r die letzten Ereignisse und deren Ursachen ersuchen und rasch Bericht erstatten. Der japanische Vertreter Saxo bestreitet, daß es sich im Full des chinesisch-japanischen Konfliktes um eine Verletzung des Art. lO.handelt. Ja pan war weit davon entfernt, irgendwe'ches neue Gebiet zu gewinnen. Es handelte einzig in N o t- wehr(!) und mußte sich selbst schützen. Der ja panische Delegierte. sprach auch Zweifel darüber aus, ob es notwendig sei, den Artikel 15 des Pakte- ohne vorhergehende detaillierte Erwägungen automatisch in Wirksamkeit zu setzen. U. a. sprach auch der südflawische Außenminister Marinkoviö, der hervorhob, daß das Vorgehen nach Art. 15 klar vorgezeichnet ser, daß der Generalsekretär sofort handeln müsse und daß der Rat gemeinsam mit den von den beteiligten Parteien erstatteten Bericht sich erst ein Urteil bilden könne, ob ein weiteres Vorgehen nach Art. 15 notwendig sei. Auch der Vorsitzende Paul Boneour erläuterte am Schluß, daß eS sich um die Durchführung des ersten Absatzes des betreffenden Artikels handle und daß bezüglich des weiteren Vorgehens erst später entschieden werden wird. Japan triff eher ans dem Völkerbund aus! Der Vertreter des japanischen Außenministeriums erklärte in Tokio Vertretern der Presse gegenüber, daß man heute sch»« sage» könne, Ja pan werd« aus dem Völkerbünde austreten, wenn dem Verlangen Chinas zufolge beschlossen werde» sollte,, dgß auf d«n japanischchinesischen Konflikt der Artikel 15 des Bölker- bundpaktes auzuwenden sei. Mau erwartet, daß Japan fordern werde, wenigstens für einig« Zeit Shanghai und den Unterlauf des Jangtse zu internationalisieren, wobei es haupt- siichlich mit der Unterstützung Englands rechne. Japans verdrecken Ohne Kriegserklärung, ohne auch nur die diplomatischen Beziehungen zu China abzubrechen, hat Japan in unerhörter Steigerung seiner bisherigen imperialistischen Aktion gegen die Mandschurei nunmehr auch die chinesischen Stadtteile von Schanghai angegriffen und sogar Fliegerbomben auf die Zivilbevölkerung abwetfen lassen. Als Kulturmensch steht man diesem Massaker unschuldiger und wehrloser Menschen fassungslos gegenüber. Der Staat, der dieses Verbrechen kaltblütig anordnet, ist Mitglied des Völkerbundes,. hat einen ständigen Sitz im Völkerbundsrat, hat den Kel- logg-Pakt unterzeichnet und ist in Genf bereits zur Abrüstungskonferenz mit der zahlenmäßig stärksten Delegation— 80 Mann hoch— erschienen. Dennoch führt er schon fast fünf Monate Krieg, zunächst in der Mandschurei , angeblich gegen„Banditen", jetzt im Herzen Chinas , in Schanghai , vor den Augen Zehntausender von Europäern und Amerikanern, die in ihren geschützten internationalen Konzessionen von den Dächern ihrer Häuser aus sehen können, wie das benachbarte Schapei, die eigentliche Chinesenstadt Schanghais, durch die japanischen Fliegerbomben in Brand gesteckt wird. Wenn je eine Schuldfrage nicht diskutierbar war, so in diesem Fall. Schon das militärische Vorgehen in der Mandschurei trug alle Merkmale eines imperialistischen Ueber- falls, stellte eine blutige Verhöhnung aller bestehenden internationalen Verpflichtungen dar. Der Massenmord an Mäntiern, Frauen und Kindern in Schanghai erfolgt nach einen: Ultimatum des kommandierenden japanischen Admirals an den chinesischen Bürgermeister, das zwar durchaus unberechtigt war, aber in letzter Stunde von der wehrlosen Stadtverwaltung dennoch angenommen wurde. Trotzdem ist das Borriicken der Truppen in das Chinesenviertel und sogar das Fliegerbombardement angeordnet worden! Man kann wohl ohne Uebertreibung sagen, !daß die Geschichte der Neuzeit einen ähnlichen ! Vorgang nicht kennt und der Ausbruch des Weltkrieges in: August 1914 sich unter zivilisierten Formen abspielte, verglichen mit der namenlo.se» Barbarei dieser neuesten japanischen Aktion. Als Borwand für die Besetzung der Mandschurei diente die ungesühnte Ermordung eines spionierenden japanischen Offiziers durch eine irreguläre Bandengruppe. Als Borwand für das japanische Ultimatum in Schanghai und für das darauffolgende Fliegerbombardement benutzte man einen obskuren Zwischenfall, nämlich die Mißhandlung von vier japanischen Mönchen im chinesischen Stadtviertel. Außer der Sühne für diese Mißhandlung, die normalerweise nicht durch das Ultimatum eines Admirals, sondern auf diplomatischem Wege hätte gefordert werden müssen, wurde ein Verbot des spontanen Boykotts verlangt, den die chinesische Bevölkerung von sich aus gegen die japanischen Waren als Antwort auf den Raubzug in der Mandschurei proklamiert hat. Diese letzte Forderung war völkerrechtlich überhaupt nicht zu rechtfertigen und selbst mit ihrer Annahme durch den Bürgermeister von Schanghai wäre dem japanischen Handel praktisch nicht gedient, da kein amtliches Bohkottverbot die Chinesen zwingen kann, japanische Waren zu kaufen oder Handel mit japanischen Kaufleuten wieder aufzunehmen. Die alleinige, aus sch liebliche Schuld der japanischen Regierung steht also fest. Aber eine moralisch«Mitschuld trägt die übrige Welt, die dieser Entwicklung seit fast fünf Monaten untätig zugesehen hat, trägt insbesondere der Völkerbund , der in drei verschiedenen Ratstagungen seine klare Pflicht, dem angegriffenen China tatkräftig zu helfen, gröblich verletzt hat. Zuge- Sdfapai ein Flammenmeer. Schanghai , 30. Jänner. (Reuter.) Schapei ist ein einziges Flammenmeer. Unter dem andauernden Getös« zusammenstützender Gebäude«treich«« die Flammen oft ein« Höh« von 20 bis 25 Metern. Tas ganze Stadtbild von Schanghai war in der Nacht durch diese schrecklich« Illuminierung hell erleuchtet. I« das Getös« mischte sich andauernd das hartnäckig« Hämmern der Maschinengewehr«.
Ausgabe
12 (31.1.1932) 27
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten