Rr. 4». Sonntag, 21. Feber 1932. reit« 3 Von der Diktatur zur Demokratie. Der Leidensweg der ungarischen Arbeiterklasse. .;. wenn der ungeheuere Aderlatz sich vollzieht am Proletariat, dann muh nach dem Zusammenbruche, nach der Nie- -derlage jemand da sein, der die Knochen der Proletariats wieder zusammenklaubt zu einer sozialdemokratischen' Arbeiter­bewegung." Seli ger. Ws wir im Getümmel des Spaltuugs- lampscz standen und mit den Waffen der Ver­nunft bittcrschwer gegen den bolschewistischen Mas. senrausch zu ringen halten, da packte Wohl manchen Sozialdemokraten die Versuchung, ein Stück mit dem Strom zu schwimmen und durch Aufgeben der alten Grundsätze die Einheit der Arbeiterklasse zu retten. Welchem Verhängnis wir 8omor>1 Bela. damit entronnen sind, indem die Sozialdemo, kratiedseses Landes mit eiserner Konsequenz den weltrevolntionären Lockungen standhielt und das Proletariat vor dem furchtbaren Zusammen­prall seiner Illusionen mit den machtpolitischen Realitäten bewahrte, das beweist die Leidens- «schichte der ungarischen Arbeiterklasse nach dem Zusammenbruch der kurzlebigen Rätediktatur. Revolution und Gegenrevolution. Nach dem Niederbruch der-Fronten zerbrach auch die alte oligarchische Herrschaft des ungari­schen Magnatentums. Der Demokratie siel di« Macht in den Schatz, wie eine reife Frucht, Der bürgerliche Linkspolitikcr Karolyj wurde Mini­sterpräsident, die Sozialdemokratie stärkste Teil- haberin eines demokratischen KoalitivnSregimes. Arbeiter, Bauern und fortschrittliche Intelligenz hatten es in der Hand, sich gemeinsant ein« demo- kratisch-soziale Republik aufzubauen. Wahrend der ersten Konsolidierungsversuche des neuen Staatswesens trafen es die Gebietsforderunaen der Sieger wie Donnerschläge. Die bür»erlichen Minister wurden fahnenflüchtig und überließen die Verantwortung den Sozialdemokraten. Dies« hatten wieder eine stark« kommunistische Bewe­gung unter Führung Bela Kuns im Rücken, der vor allem die heimaekehrten Frontsoldaten.mil unerfüllbaren Versprechungen gewann. So schlit­terte die ungarische Arbeiterbewegung hinein in das Abenteuer der Rätediktatur. Mag sein, datz die Sozialdemokratie auch dann furchtbar dezi­miert worden wäre, wenn sie vor der Nation di« Verantwortung für die Zerstückelung des Landes und vor der Arbeiterschaft di« Schuld der Ver­hinderung eines heroische»' revolutionären Pe- sreiungsversuches übernommen hätte. Wie dem auch sei, diese Fragen möge einst die Geschichts­schreibung beantworten. Das Schicksal des unga­rischen Proletariats nach dem Zusammenbruch der vier monatigen Rätzediktatur, ist eine Lehre für die Arbeiterklasse weit über Hit«; garns Grenzen hinaus. Wie es sich unter der Diktatur der.Konterrevolution heroisch be­hauptet hat und mit zäher Unverdrossenheit wie­der den Weg zur verlorenen Demokratie freilegt, ist ein Kapitel in den Ruhmesblättern des Sozialismus. Blutzeugen. Ws die Rätediktatur ausgerufen wurde, jubelte, ihr auch die nationalistische Jugend zu und schwarzgelbe Militaristen boten sich. haufen­weise der roten Armee an, tveil sie hofften, daß sie durch einen revolutionären Befreiungskrieg ge­gen die Nachfolgestaaten die Niederlagen auf den Schlachtfeldern des Weltkrieges auswetzen werde. Nachdem aber dieses verwegene Beginnen miß­glückt war, sammelten sich unter dem Schutze der siegreichen rumänischen Bajotjette die Truppen des weißen Terrors» um an dem unterlegenen Proletariat furchtbare Vergeltung zu üben für alle terroristischen Begleiterscheinungen der Räte-' zeit.Erwachende Ungarn," mordlüsterne Offiziersbanden hosten ihre Opfer aus den Woh- uungen, oder von der Straße weg. Am Abend des 17. Feber übersielen die Schergen der Gegenrevo­lution in dem belebtesten Viertel der Hauptstadt zwei Redakteure des parteigenöffischen Zentral- vrgansNöpsava", Somogyi und Bacso, verschleppten sie im Auto, ermordeten sie in bestia­lischer Weise und versenkten ihre Leichen in die Donau . Gleiches widerfuhr dem Parteisekretär Genosien Cervenka, desien Leiche bis heute nicht gefunden werden konnte. Die Bilder dieser Leidensgenoffen Matteottis zieren heute jeden Versammlungsraum der ungarischen Arbeiter, und wenn auch die Reaktion bisher verhindert hat, daß ihnen ein Denkmal gesetzt werden konnte, so wird ihr Andenken dennoch lebendig erhalten durch die heilige Liebe der Arbeiter und durch di« Märtyrerfahne der ungarischen Parier. Seine reine Gesinnung mit dem Leben bezahlt hat auch Genoffe Levoy, Sekretär der öffentlichen Angestellten und während der Kommune politi­scher Vertrauensmann in der roten Armee. Zum Tode verurteilt, wurde er nach anderthalbjährigem Hoffen und Bangen eines frühmorgens aufge­henkt. Die Liste der Opfer des weißen Terrors ist damit noch lange nicht erschöpft. In dem Arlmts- zimmer eines Budapester Parteifunktionärs hat der Rachetaumel derErwachenden" ein bezeich­nendes Andenken zurückgelassen. Einer Bebel- Plakette wurden mit dem Bajonett beide Augen ausgestochen und em Zettel angeklebt mit den Worten:A u ch e i n I u d!" Was die Arbeiterklasse Deutschlands nach einem Sieg der Hitler-Banden zu erwarten hätte, kann pnan aus der Leidensgeschichte des Ungarn schen Proletariats herauslesen. Boxhelmer Praxis. In den Räumen des ungarischen Partsr- sekretariats hängen primitive Zeichnungen, Ba­racken hinter Drahtverhauen darstellend. Das sind die Konzentrationslager von Haj- maskar und Za l ac ge r sz eg, wo unter dem weißen Regime alle llitischVerdächtigen" zu- sammengepfercht wurden, gezeichnet von inter­nierten Genoffen. Genoffe Geza Malasics, Abgeordneter und ein fröhlicher alter Knabe dazu, erzählt in reinstem Altofener Deutsch seine Erleb­nisse im Konzentrationslager von Hajmaskar: Denn mir der Genoffe Farkas(der der- zeitige Zentralsekretar der ungarischen Partei) nicht am Tage nach der Verhaftung einen Laib Brot und ein Stück Speck hineingeschmuggelt hätte, läge ich schon im Massengrab." Man ließ die Gefangenen tagelang hungern, stundenlag. im eiskalten Jännerrege» vergattern, bis ihnen die Kleider an den Leib froren und riß noch fürsorglich einige Bretter aus den Baracken- wänden heraus, um der schneidenden Kälte Durch­zug zu den durchnäßttn und hungernden Häft­lingen zu gewähre». Alle Augenblicke wurde einer zum Schern wegtransportiert undauf der Flucht" hinterrücks erschaffen. Auch daS Eigentum der ungarischen Arbei­terbewegung war der Zerstörungswut der Gegenrevolution ausgeliefert. Das Haus der Nspszava" wurde ausgeplündert, Einrich­tungen, Schriften, Akten auf di« Straße her­untergeschleudert und zerstört. Die Tastaturen der Setzmaschinen in der Parteidruckerei hatten dieErwachenden" mit Hammern zerdroschen aber unerschrockene organisierte Metallarbeiter und Mechaniker setzten sie durch freiwillige Nachtarbeit wieder instand, so daß das Partei­blatt wieder nach acht Tagen erscheinen konnte. In das Büro der Buchdruckergewerkschaft, setzte das weiße Regime zwei Staatskommissäre, der großen Budapester Konsumgenoffenschaft wurden sechs bürgerliche Direktionsmitglieder außge- zwungen. Vorwiegend außenpolitische Rück­sichten hinderten die Konterrevolution daran, den geplanten Raub des Arbeiter-Eigentums zu Ende zu führen. Von in Betten. Bor dem Kriege hat Genoffe Birü, ein großes künstlerisches Talent der ungarischen Arbeiterklaffe, da8 mir vielen anderen Kampfern das bittere Brot der Emigration ißt, eiu pracht­volles Werbeplakat für dieNöpszava" gezeich ­net. Ein roter Riese, von Ketten cingeschnürt, von Bajonetten bedroht, schwingt trotzig den Hammer. Bis heute ist dies Bild eine getreue Darstellung des Heldenkampfes der ungarischen Arbeiterpreffe geblieben. TieNepszava " ganz zu unterdrücken, ist der Reaktion nie gelungen. Denn jedesmal antworteten die stramm organi­sierten Buchdrucker auf das Verbot mit einem allgemeinen Zeitungsstreik, so daß auch die bür­gerlichen Blätter nicht erscheinen konnten. Aber drei Jahre hat man ihr das Kolportagerecht entzogen und sie damit von jeder Wirkung auf die breitere Oeffentlichkcit auszuschließen ver­sucht. Noch immer will die Gegenrevolution die Stimm« des Proletariats mit ständiger Kerker- drcchung ersticken. Ständig laufen gegen die Näpszava" 140 bis 150 politische Pro-' z« s s e. Eine Reihe von jungen Genoffen, di« abwechselnd als verantwortliche Redakteure fun­gieren, lösen einander im Gefängnis ab. Gerade während meines Aufenthastes nahm einer aus sechs Monate von den Redaktionskollegen Ab­schied. Dabei können Politische Delikte nicht so wie in Vorkriegszeiten in einem fidelen Staats­gefängnis abgeseffen werden, wo die sozialdemo- kratischen Führer neben adeligen Duellanten oder den Slowakenführern H l i n k a und I u r i g a öfters mehrmonatliche Bildungsurlaube ver­brachten. Run wird der verurtellte Redakteur wie ein gemeiner Sttäsiing behandelt, darf nicht lösen, kann nur einmal monatlich schreiben und Besuche empfangen. Vom Jahre 1925 bis Ende 1931 hat dieNepszava " 668 Preß- prozeffe überstanden. Im Jahre 1931 wurden gegen ihre Redakteure 3 Jahre und 6 Monate Kerker und außerdem hohe Geldstrafen ver­hängt. In Verbindung mit der Parteibewegung hatten ungarische Parteifunktionäre weitere 22 Jahre Gefängnis obzubüßen. Trotzdem hat es noch nie Noi am Mann gegeben! roiu es Szabadsäg. Boden und Freiheit" heißt das Blatt des ungarischen Feldarbeiterverbandes. So gefährlich erschien es der Gegenrevolution, daß es am längsten bis Anfang 1931 unter­drückt wurde. Begreiflich, denn der Kampf deS ungarischen Agrarproletariats um Boden und Freiheit rüttelt an den Grundfesten des feudal­absolutistischen Herrschaftssystems. Darum ist die Geschichte des ungarischen Landarbeiterver- öandes eine endlose Kette von Leiden und Be­drückungen, aber auch eine Geschichte des pro­letarischen Heldentums. 1906 gegründet, brachte er es im ersten Anlauf auf 460 Ortsgruppen. Aber innerhalb Jahressrfft wurden 1581 Per­sonen wegen Betätigung für den Verband ver­urteilt um» 374 Ortsgruppen wieder aufgelöst. Während der kurzen Revolutionsperiode eine der stärksten und wichtigsten Gewerkschaften, vom Ansturnr der Konterrevolution zerstört, 1922 mit 139 Ortsgruppen neu aufgebaut, ist der Verband nach wie vor das Objekt ärgster Verfolgungen. 97 Ortsgruppen muffte« ihr« Tätigkeit infolge andauernder Perfekutionen wieder einstellen. Neu« Ortsgruppen werden dem Verbände einfach nicht bewilligt, höchstens in den Städten, wo sie keine größere Wirk­samkeit entfalten können. Keine Kollektivver­träge werden mit ihm abgeschloffen, kein« Per- traueWmänner werden anerkannt und trotzdem halten noch immer 53 Ortsgruppen init 2000 Mitgliedern treu, zur Sache, in der Hoffnung, daß der Verband in der Zukunft eine führende Polle bei der Befreiung des ungarischen Agrar ­proletariats spielen wird. Gerwffe Szeder, oer Führer der Landarbeiter/ ist einer der tapfersten und gehaßtesten Männer der unga­rischen Arbeiterbewegung. In seinem Heimats- komitat B«k 4 s sind alle Gemeinden bis auf eine von Parteiorganisationen erfaßt und trotz­dem mußte Szeder bei der letzten Wahl unter­liegen gegen die Tücke und Niedertracht der Feudalherrn. Lange wird sich der Aufmarsch des unga­rischen Landproletariats nicht mehr aufhalten Kissen. In beispiellos zähem Kleinkrieg mit Gen­darmen und Stuhlrichtern wurden im vorigen Jahre 126 ländliche Parteiorganisationen auf­gerichtet. Zum letzten ungarischen Parteitag kamen Landarbeiter-Del^iert« 150 Kllometer zu Fuß nach Budapest . Di« Vertrauensmänner einer neugegrürideten Dorforganisation fürch­teten, die mit Ungeduld erwarteten Mitglieds­bücher wären auf oer Post aufgefangen, und schtvängen sich kurz entschlossen auf die Fahr­räder, um sie aus dem 160 Kilometer entfernten Komitat Borsod selbst in Budapest abzuholen. Boden und Freiheit" unter dieser Parole formiert sich die vielhunderttausendköpfigc Masse der FeNarbeitcr zum Befreiungskämpfe! Oer Sozialismus marschiert! Wandbilder im Parteisekretariat zeigen die gewaltigen Massenaufmärsche der Budapester Arbeiter vor dem Kriege. Die Konterrevolution unterdrückte 10 Jahre lang die Demonstrations­freiheit, ja sogar Maiabzeichen mit roten Schlei­fen waren als hochverräterisch verpönt. Am 1. Mai 1931 demonstrierten 150.000 Budapester Arbeiter zum ersten Male wieder für den Sozialismus. Die neue Regsamkeit der Partei seir dem Sturz Bethlems will die Regierung mit dein sogenannten Statarium einer Art Mit­telding zwischen Ausnahmszustand und Stand­recht unterdrücken. In einer einzigen Jänner, Woche wurden in Budapest verboten: 130 Apbeitslosenversammlungcn, 17 Mieterschutzversammlungen, 5.Friedenskundgebungen. Dessenungeachtet findet die Partei Mittel und Wege, ihre Forderungen unter die Massen zu bringen. Das unter der Krise stöhnende Volk hungert nach Aufklärung. Genoffe K e r t e sder Führer der Angestellten, wollte in einer Pro­vinzstadt überWeltkrise und Sozialismus sprechen. Der Vortrag wurde untersagt. Ein zweiter Vortrag mit dem Thema:W«l r- krise und ungarische Krise" ebenfalls. In Szombathely (Steinamangcr) konnte di« Behörde einen Vortrag des Genossen Monus üb«r dieKrise des Kapitalismus", nicht verhindern, weil zuvor ein Klerikaler über das gleiche Thema referiert hatte. 1600 Per­sonen füllten den Saal, 16 Kilometer kamen ein­zelne Zuhörer zu Fuß, um die Stimme. des Sozialismus zu hören! Der Sozialismus ist wieder eine Hoffnung für das maßlos leidende ungarische Volk geworden! Oie Demokratie als Hoilnungsstern. Ich hatte Gelegenheit in einer Bertrauens- männerversamnÄung zu sprechen. Rach einer ungeschminkten Darstellung unserer eigenen Knsennot erzählte ich, wie das tschechoslowakisch« Proletariat den Bürgerblock zu Fall gebracht, wie es sich mit den Waffen der Demokratie seiner Haut wehrt. Ms ich von der Zusammen­arbeit deutscher und tschechischer Sozialdemo­kraten, von den fürsorgerischen Leistungen deS Genoffen C z e ch berichtete, brachen di« Zuhörer, die zum größten Teil deutsch verstanden,' in .Hoch"- undEljen"-Rufe aus. Obwohl selbst von lausend Sorgen bedrängt, sind wir Sozial­demokraten der Tschechoslowakei eine Hoffnung und ein Vorbild für die geknechtete ungarische Arbeiterklaffe, die den Wert der Demokratie besser erkennt, weil sie ihre klaffenkämpferische Bewegungsfreiheit verloren hat ustd Schritt für Schritt wieder Mrückerobern inuß. Beim Ab- schied gäben mir die Zuhörer vieleFreund- schafts"-Grüße auf an unsere Frauen, an unsere Jugend und Parteigenossen. D r eseBotsch aten weitergebend, sende ich mit diesen Zeilen einen ermunternden Freundschaftsgruß zurück dem schwergeprüften, dem heldenmü­tigen ungarischen Proletariat und fernen tapferen Vertrauensmän­nern in Stadt und Land. W. Jaksch.