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12 Jahrgang.
Mittwoch, 11. Mai 1932
Nr. 112.
Dolisub betraut. Wien  , 10. Mai.  (Eigenbericht.) Der Bundes» Präsident betraute, nachdem Dr- B u r e s ch sich außerstande erklärt hatte, die Regierungsbildung neuerdings zu übernehriDi, den christlichsozialen Landwirtschaftsminister Dollfuß   mit der Bil­dung der neuen Regierung. Dieser nahm sofort die Verhandlungen zur Bildung einer großen bürgerlichen Regierung mit Einschluß der Groß­deutschen und des Heimatblockes auf. Den Versuchen der bürgerlichen Parteien, die Situation zu verkleistern, machten heute die .Sozialdemokraten ein Ende, indem sie int Natio­nalrat den Antrag stellten, dem Verfassyngsau^ schuh   zur Berichterstattung über die Auflösungs­anträge eine Frist bis Donnerstag zu setzen.- Dieser Antrag wurde auch mit den Stim­men der Sozialdemokraten, Großdeutschen und Heimwehren angenommen. In den Verhandlungen mit dem designierten Ministerpräsidenten stellten sich daraufhin di« Großdeutschen auf den Standpunkt, daß zunächst die Frage der Parlamentsauflosung geklärt weiden müsse. Da sie selbst auch«inen derartigen Antrag gestellt hätten, müßten sie morgen im Verfassungsausschuß für den sozigl- demokratischen Antrag stimmen. Erst wenn Doll­ fuß   sich ein« Mehrheit siegen den Auflösungs­antrag gesichert hätte, konnten sie über ihren Regierungseintritt verhandeln. Angesichts des Verlangens des Völkerbundes, daß in Oesterreich  die Bcamtcngehälter weiter herabgesetzt werden müssen, könnte die Partei kurz vor Neuwahlen nicht in eine Regierung eintveten,^ie dies durchführen soll. Erst müsse also die Regierung den.Heimatblock kaufen und erst dann, wenn mit dessen Hilfe der sozialdemokratische Auflösungs­antrag abgelehnt ist, wollen die Groß­deutschen in die Regierung eintreten. Der designierte Bundeskanzler hat den ganM Abend mit dem Heimatblock verhandelt. Um 9 Uhr zogen sich di« Heimwehrabgeordnllcn zu einer Beratung zurück; voraussichtlich erst gegen Mitternacht werden sie dem Bundeskanzler 'hre Beschlüsse mitteilen.
Sozialisten und Kommunisten in Frankreich  . Das nun vorliegende definitive Wahlresultat zeigt die kommunistische Partei Frankreichs   gegen die mit 129 Mandaten siegreichen Sozialisten in hoffnungsloser Minderheit. Die Kommunisten erhalten insgrsanit nur 9 Mandate(bisher 14 Mandate), verlieren also mehr als ein Drittel. Ihr Führer Cachin ist geschlagen. Bemerkenswert ist, daß daneben neun oder Hehn Unabhängige K o m m um i st e n gewählt worden sind, das heißt solche, die gegen die offizielle kommunistische Partei austraten;'sie dürften über stirz oder lang den Weg in die sozialistische Partei finden. Sozialistische Erfolge in Paris.  , In der Hauptstadt Paris  , die für die Sozialisten immer ein sehr schwerer Boden war, haben sie diesmal bemerkenswerte Erfolge erzielt. Von drei Mandaten sind sie auf die drei­fache Zahl neun gestiegen, sie hätten drei weitere Mandate gewonnen, wenn nicht auch hier die Kommunisten der Reaktion Schützenhilfe geleistet hätten. Immerhin haben nun die Sozialisten in Paris   allein ebenso yiele Mandate wie die Kommunisten in ganz Frankreich  .
So schaut Japans   Friedensliebe aus! Noch eine siebente Division in di« Mandschurei  . Tokio  , 10. Mai.  (Reuter.) Die vierzehnte fapanischr Division ist heute in Dairen einge- trossen, wo sie zu den sechs Divisionen stößt, die die militärische Macht Japans   in der Mandschu­ rei   darstellen. Der Kriegsmiuister erklärte zu diesen Verstärkungen, daß die Vermehrung der japanischen Truppen in der Mandschurei   wegen der Unzulänglichkeit der dortigen Sicherheitsorga ne zur Bekämpfung de« Treibens der Banditen»Banden durchaus not­wendig sei.
Lebrun   Präsident von Frankreich  . Tardieus Demission angenommen.
Versailles  , 10. Mai. Der National­kongreß hat heute nachmittag« den bisherigen Senatspräsidente« Albert Lebrun   zum Prä­sidenten der Republik gewählt. Das osfizielle Er­gebnis der Wahl wurde vom Vizepräsidenten des Senates wie folgt verkündet? Stimmberechtigt 902, Abstimmend« 828, weiße Zettel oder ungültig 49. Es erhielten Albert Lebrun   633, Paul F a u r e 114, Painleve 12, Cachin 8, verschiedene zehn Stimmen. Der neue Präsident wurde von Tardieu in den Sitzungssaal geleitet, wo ihm die Mitglieder der Nationalversammlung lebhaft« Ovationen bereitete«. Nach der Rückkehr aus Versailles  stattet« Lebrun   im Elysve-PalaiS einen PietiitS- besuch ab und verneigte sich vor dem Sarge seines Vorgängers. Beim Einzug in das Prä- sidrntenpalaiS wurde er mit Kanonenschüssen und einer Ehrensalve der Palastwache begrüßt. Um halb neun Uhr abends überreichte Ministerpräsident Tardieu dem neuen Präsi­denten die Demission des Gesamtkabinetts. Der Präsident nahm auf ausdrückliches Ersuchen Tar­dieus, der aus di« durch di« Wahlen geänderten
Mehrheitsverhältniss« hinwies,,di« Demission an, betraut« die Regierung jedoch mit der Weiter­führung der Geschäfte bis zur definitiven Bestä­tigung der neuen Deputierten, d. i. bis Anfang Juni. * Der uvue Präsident Atbevt Lebrun wurde am 29. August 1871 in Mercy l« Haut bei Metz ge­boren, wo sein Pater Landwirt war. Er wuckx Bergwerksingenieur und macht» sich durch eine'An- zahl von Veröffentlichungen über Bergwerks- und Eisenbahnwesen in Frankreich   und den angrenzen­den Ländern bekannt. In die Dcputiertenkaurmer trat er im Jahre 1900 ein, wo er 1913 Vizepräsident wurde. 1911 wurde er Kolomalminister, ebenso auch 1912 im Kabinett Paincarä und im Kabinett Doumergue  von 191314. Während des Krieges wurde ihm ein Ministerium Clemeneoau, im Iah« 1917 das Blockadeministerrum anvertraut und nach dem Kriege von 1918 bis 1919 das Ministerium der be­freiten Gebiete. Im Jänner 1920 wurde Lebrun   in den Senat gewählt. Als er am 11. Juli 1931 zum Präsidenten des Senats gewählt wurde, erhielt er . 147 Stimmen gegen seinen Gegenkandidaten Jean- neney, der 139 Stinrmen auf sich vereinigt«. Poli­tisch war Lobrun bisher in der republikanischen Union organisiert. Er wird als ein besonders inti­mer Freund Pomcarss bezeichnet.
»le Arbeitslosigkeit Wie das Ministerium für soziale Für­sorge berichtet, ist die Zahl der Arbeitslosen in der Tschechoslowakischen Republik von Ende März bis Ende April von 683.907 auf 547.507, das ist um 86.400 Personen oder um 13.6 Prozent zurückgegangen. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit im April 1932 war dem­nach relativ derselbe wie im April 1931, da die Zahl der Arbeitslosen vom Anfang bis z»lnr Ende des genannten Monats von 339.505 auf 296.756, das ist um 42.749 Personen oder um 12 Prozent gesunken ist. Allerdings darf man nicht vergessen, daß der Tiefpunkt der Arbeits­losigkeit im heurigen Winter viel tiefer lag als ein Jahr vorher und man hätte daher erwar­ten können, daß das Sinken der Arbeitslosisi- keit zu Beginn des heurigen Frühjahres stär­ker gewesen wäre als im Vorjahr. Daß dem nicht so ist liegt einerseits an der geringen Saisonbelebung. Im Frühjahr steigt regelmäßig die Anzahl der Beschäftigten, ob es sich nun um Zeiten der Konjunktur oder Krise handelt, vor allem in­folge der Baubewegung. Durch das anhaltend kühle Wetter wurde die mäßige Belebung der Bauindustrie erst im April verzeichnet. Dazu tritt der Mangel an Baumitteln und Hypo- thekarkrediten, welcher die Baubewegung dros­selt. Bon den Bauarbeiten geht stets die stär­kere Beschäftigung auf andere Jndustriegrup- Pen über, geringere Bautätigkeit hat auch ein geringeres Steigen der Beschäftigung in den anderen Industrien zur Folge. Noch bedeutsamer für eine Belebung der Wirtschaft wäre jedoch ein Steigender Ausfuhr. Daran ist aber vorläufig nicht zu denken, solange die Krise unsere Ausfuhr­gebiete in aller Welt kaufunfähig macht und solange die strengen Devisenvorschriften den internationalen Handel lähmen. Wir können nicht ausführen, weil die Bezieher unserer Waren im Auslande nicht bezahlen können und wir können nicht einführen, weil unsere Importeure keine Devisen bekommen. Welche Verheerungen im tschechoslowakischen Außen­handel angerichtet wurden, dafür liefert uns den Beweis unsere Außenhandelsstatistik. Jur ersten Vierteljahr des Jahres 1930 betrug unsere Ausfuhr 4304 Millionen, in derselben Zeit im Jahre 1931 3085 Millionen und in derselben Zeit des heurigen Jahres nur 1831 Millionen. Unsere Ausfuhr beträgt also nur noch 42 Prozent der Aus­fuhr von 1930! Fast ebenso verhält es sich mit der Einfuhr, die in den genannten Zeit­räumen 3942 Millionen, 2608 und 1927 Mil­lionen betragen hat. War unsere Handels­bilanz im ersten Vierteljahr des Jahres 1931 noch mit 477 Millionen aktiv, ist sie in: heu­rigen Jahr mit mehr als 96 Millionen Passiv gewesen. Bon diesem Rückgang der Ausfuhr sind gerade jene Industrien betroffen, die im deutschen   Gebiete liegen. So betrug die Aus­fuhr der Glasindustrie im ersten Viertel des Jahres 1932 bloß 140 Millionen gegenüber 220 Millionen im Vorjahre, die Glasraffine­rien arbeiten nur mit 20 Prozent ihrer Lei­stungsfähigkeit, der Gablonzer Export stockt, die Porzellanfabriken stoßen dauernd auf un­gewöhnliche Exportschwierigkeiten, die Mäschi- nenindustrie hat nichts zu tun, weil die Aus- fuhrinduftrie keine Maschinen bestellt und in den Textilfabriken laufen keine Bestellungen aus dem Auslande ein. Die Krise in den Ex­portindustrien wirkt naturgemäß auf den inneren Markt, lähmt die Kaufkraft der hei­mischen Bevölkerung und führt zu Beschäfti­gungslosigkeit auch in jenen Industrien, die vorwiegend für den inneren Markt arbeiten. Eine Besserung der wirtschaftlichen Ver­hältnisse der. Tschechoslowakei   ist also abhän­gig von der Ueberwindung der Wirtschafts­katastrophe, unter denen der größte Teil der Welt schwer leidet. Nur in dem Maße,'m welchem auf der ganzen Welt Krise und Ar­beitslosigkeit überwunden werden, kann unsere Ausfuhr gesteigert und dem größten Teil der
PutsdigerOdite ans Jugoslawien  .
Graz, 10. Mai.  (Eigenbericht.) In Graz und an der jugoslawischen Grenze sind seit einigen Tagen wilde Gerücht« von einem bevor­stehenden Militärputsch in Jugosla­ wien   im Umlauf, die durch die scharfe Zensur und verstärlte Grenzkon­trolle auf jugoslawischer Seite Nahrung finden. Gestern kam spät abends die Nachricht, daß in einigen Orten Jugoslawiens   die Militär­diktatur ausgerufen worden sei, und heute vormittag hieß es, daß gegen den König und den früheren Ministerpräsidenten General 2 i v k o- v i ö ein Rcvolveraüschlaa verübt worden, sei. Telephonische Anfragen bei einem Marburger  Blatt brachten nur die Antwort, daß man nicht in der Lage sei, irgendwelche Mitteilungen über Vorgänge in Jugoslawien   zu machen.
Heute hieß es in Graz, daß in Marburg  Ende der Vorwoche vier Offnere verhaftet und interniert worden seien, die einen Offiziersputsch vorbereitet hätten; das Komplott sei durch die Geliebte eines Offiziers verraten worden; einer der Offiziere sei aus der Haft nach Oesterreich  geflüchtet. In der Nacht auf Samstag seien weitere zwei der Offiziere geflohen, worauf dann die strenge Absperrung der Grenze erfolgt«. Ein Offizier soll bei der Verhaftung Selbstmord be­gangen haben. Tatsächlich berichtet das Agramer regierungsfreundlicheMorgenblatt", daß sich in Marburg   eine mysteriöse Bluttat abge­spielt habe, über die keine näheren Angaben gemacht werden könnten. 1 Ergänzt werden diese Berichte heut« durch ein« Meldung derFrankfurter Zeitung  ", daß in Kroatien   ernste Bauernunruhen aus­gebrochen seien, di« sich bis nach Dalmatien  erstrecken.
Eilenbahnbeamte im Dienste tonkurrierenber Autounternehmungen. Herr ßisenbahumiuifter, was sagen Sie dazu? Die Südböhmische Autoverkehrs- Gesell ­
schaft(jihoLeskü autodopravni spoleönost JAS) «st ohne Frage eine die Staatsbahnen scharf konkurrenzierende Unternehmung. Daß sie es ist, kann man ihr nicht Übelnehmen, denn sie muß trachten soviel als möglich Reisende und Güter an sich zu ziehen, weil ja sonst ihre Zweckbe­stimmung vollkommen verfehlt wäre. Naturge­mäß geht die Entwicklung der JAS, an welch letzterer auch der Staat finanziell beteiligt ist, auf Kosten der Staatsbahnen, die za aus Gründen der Selbsterhaltung alles daran setzen müssen,'um diese Konkurrenz zu unter­drücken. Unter solchen Umständen ist es aber ünbegreiflich, dass als Vizepräsi­dent der JAS der Vorstand der kom­merziellen Abteilung im Eisen­bahn m i n i st c r i u m ist, welcher die auf B Gewinne, abzielenden Interessen dieser lschaft mit gleicher Gewissenhaftigkeit, und mit gleichem Eifer vertreten soll, wie die Inter­essen der. um. ihre. Selbsterhaltung kämpftnden Eisenbahn! Bei dieser, geradezu schreienden Gegensätzlichkeit der Jnteressenwahrung muß die Eisenbahn den k urz e.rc« ziehen, denn sonst könnte es' nicht vorkommen, daß Agenten der JAS ihren Werbedienst immer
mehr und mehr erweitern und trachten, immer neue Kunden für die Autobeförderung zu ge­winnen, wodurch sie die Staatsbahnen konkur­renzieren und schädigen. Es befremdet, daß der neue Eisenbahnmini­ster Hula, eine solche doppelseitige, den Staatsbahnen als solchen abträgliche Betätigung hoher Funktionäre aus dem kommerziellen Dienst duldet, denen doch einzig und allein das Eisen­bahninteresse, nicht jedoch auch gleichzeitig das einer überwiegend privaten Autogesellschaft am Herzen liegen sollte. Es ist dann kein Wun­der, daß die Staatsbahnen sozusagen den Boden unter den Füßen verlieren, wenn Ministerial­räte Konkurrenzunternehmungen dirigieren. Die wohlgemeinten Reformvorschläge des Eisenbahn­ministers Hula müssen dann alle fehlschlagen. Daß der Staat an der JAS beteiligt ist, bildet noch lange keine»: Grund, daß er sich durch einen hohen Beamten gerade aus dem El s e n b a h n- ministeriu m vertreten läßt. Eine solche Dop? Pelstellung, die bei Bediensteten niedriger Schich­ten rücksichtslos, verfolgte und bestraft wird, kann bei einem hohen Beamten umso weniger gedul­det werden, selbst dann nicht, wenn derselbe zu den Agrariern zahlt.