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12 Jahrgang. Freitag, 27. Mai 1932 Nr. 125.

Nazisretten die Beamten. Vor und nach den Wahlen. Unerhörter Zynismus. In Mecklenburg-Strelitz haben vor einigen Wochen Nationalsozialisten und Deutsch, national« bei den Landtagswahlen die Mehrheit erlangt und haben einenationale" Regierung gebildet. Unter denen, die ihr« Hoffnungen auf die Nazis gesetzt haben, sparen vor allem di« Beamten auf di« hakenkreuzlerischen Wahl­versprechung«« vertrauend. Eine der ersten Taten der Nazis aber war folgender im Landtag eingebrachter Antrag: 1. Alle Stellenzulagen für bte Beamten des Staates und der Gemeinden falle« fort. 2. Alle Grundgehälter und Wohnungsgeldzuschiisse vou 5000 Mark aufwärts werden um 8 bis 10 Pro­zent gekürzt. Nur wer 4 und mehr minderjährige Linder hat, ist hiervon ausgenommen. 3, Allen Beamten, Wartegeld- und Ruhegehaltsempfängern werden alle Nebeneinnahmen äff ent»! licher und privater Natur auf ihre Dienstbezüge voll angerechn«t. So sieht di« Regierungskunst der Nazis aus! So erfüllen sie ihre Wahlversprechungen! Soretten" sie die Beamten! Beginn des Dritten Reichs: Kürzung der Bezüge der Beamten! Das ist aber nur ein kleines Kapitel aus dem Schand­buch nationalistischer Regierungstätigkeit in die­sem Lande, dessen anderen Kapitel lauten: gie­rigst« Postenjägerei, Bersch le u- d e r u n g des Staatsvermögens, so­ziale Reaktion, neue Steuern, Er­drosselung drrGemei-nden. DaS Schlimmste jedoch ist der Zynismus, mit dem dies« Taten von den Nazis verteidigt werden. So hat in der Boranschlagsdebatte im Strelitzer Landtag der Naziminister, Staats­rat v. Liug«lsheim, erklärt: Die Beihilfen an die römisch-katholischen Psarrgemeinden sind zu streichen. Wer uns be­kämpft, soll dafür auch die Kosten ausbnngen.... Man hat unsere Landwirtschaftsanträg« kritisiert und gesagt, wir hätten im Lande vor den Wahlen etwas anderes ver­sprochen. Man mutz aber in der Entwicklung einer politischen Bewegung zweierlei unterscheiden: Erstens, die Borberritong der Bollspsych« und zweitens, dir Anpassung an die realen Möglich­keiten..." Zynischer und frecher hat noch keiner der Dolksbetrüger sein schmutziges Handwerk so offen dargelegt, wie dieser Naziminister. Deutschland , erwache!... Das Sooverjahr seht zu Ende. Amerikanisch-französisch« Verhandlungen über die Wiederaufnahme des Zinsendienste-. London , 26. Mai. Der Pariser Korrespon­dent derTimes" weih zu melden, daß zwischen der französischer und der amerikanischen Regie­rung Verhandlungen wegen der Wiederaufnahme der Kriegsschul­denzahlungen und der Nachzahlung der durch das Hoover-Moratorium gestundeten An­nuitäten im Gange seien. Von sehr zuvtrlässiger Seit« verlautet, daß demnächst eine Vereinbarung abgeschlossen werden dürfte, die wahrscheinlich mit der bevorstehenden Vereinbarung zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten übereinstimmen werde..' Der Korrespondent glaubt feststellen zu kön­nen, daß Frankreich jetzt durchaus bereit sein würde, auch auf den letzten Pfennig auf Repa­rationen zu verzichten, falls die Gewißheit einer allgemeinen Annullierung der Kriegsschul­den bestünde. Es sei deshalb kaum zweifelhaft, daß die jetzt mit den Bereinigten Staaten im Gang befindlich?» Verhandlungen im wesent­lichen technischen Charakter hätten.

Rücktritt des Memelbirektoriums Memel, 26. Mai. Wie dasMemeler Dampfboot" meldet, hat Landespräsident Snmai- tis heute vormittags dem Gouverneur 1 des Me- Melgebietes das Rücktrittsgesuch des Memeldirek­toriums überreicht. Der Gouverneur hat den Rücktritt angenommen und das Ministerium SimaitiS beauftragt, die Geschäfte so lange weiterzuführen, bis er einen neuen Pmsidenten ernannt haben wird.

Kanzler und Reichspräsident Entscheidende Aussprache am Sonntag

Berlin , 26. Mai. In Börscnkrcisen nicht nur in Berlin , auch im Reich waren heut« Ge­rüchte über den Rücktritt Dr. Brünings ver­breitet; man nannte schon angebliche Nachfolger. Wie das Contibüro seststellt, sind diese Gerüchte vollkommen falsch. Tatsache ist, das Staatssekretär Meihner dem Reichspräsidenten in Neudeck einen ein­gehenden Vortrag über die vom Kabinett vor­bereitet« Notverordnung und die politische Situation überhaupt gehalten hat, wie sie sich in Berlin während Hindenburgs Abwesenheit ge­staltet hat. Diese Besprechung in Neudeck ist als Zwischenbericht und Vorbereitung der ent­scheidenden Aussprach« zu werten, di« der Reichskanzler voraussichtlich am Sonntag in Berlin mit dem Reichspräsidenten Haben wird und in der der ganze Fragenkomplex geklärt werden soll, der mit der Notverordnung und der Stellung des Kckbinetts Brüning zusammenhängt. In der-Unterredung mit dem Staatssekretär Meißner hat der Reichspräsident eine Reihe von Wünschen geäußert, die sich auf die Ge­staltung der Notverordnung beziehen. Die Reichs­regierung dürfte die nächsten Tage dazu benützen, um die Notverordnung den Wünschen des Reichs­präsidenten anzupassen. Sie beziehen sich vor allem darauf, daß keine weitere Kürzung dqr Kriegsrenten eintritt. Nach Meldungen der Rechtspresse soll der Reichspräsident auch gegen die S i e d l u n g s p l ä n e der RrichOregie- rung, soweit sie Enteignung von Grundbesitz be­treffen, gewisse Bedenken haben.,

Welch« Ergebnisse die Aussprache zwischen dem Reichskanzler und dem Reichspräsidenten habe» wird, läßt sich heute natürlich noch nicht Voraussagen, doch ist es selbstverständlich, daß die grundlegenden und personellen Fragen der Reichspolitik vor der Reparationskonferenz ge­klärt werden müssen, weil in Lausanne nur ein Kanzler und Außenminister auf Erfolg rechnen kann, der mit aller verfügbaren Autorität auftritt. Da auch innerpolitisch eine starke Reichsgewalt uuter allen Umständen erforderlich scheint, dürft« dieser Ge­sichtspunkt in der Aussprach« zwischen dem Kanzler und dem Reichspräsidenten eine nicht unwesentliche Rolle spielen, indem er dazu bei­trägt, ein« sachlich« Verständigung über di« schwebenden Fragen zu fördern. Der Reichs­präsident soll vor allem Wert darauf legen, daß das Innenministerium mit einer starken und autoritativen Persönlichkeit besetzt wird. Das ist eine Forderung, von der auch der Kanzler durchdrungen sein dürft«. * , Der demokratischeBörsencourier" verzeich­net die Meldung, daß Reichspräsident Hinden­ burg auf seinem Landsitz in Neudeck einem An­sturm von allen Seiten ausgesetzt sei; alle interessierten Kreise bemühen sich, sich im letzten Augenblicke Einfluß auf die weitere Ent­wicklung by Dinge zu sichern. Das Blatt fügt ifcdock binru_ es tnÄrr voreilig,-von einer K«se der Reichsregierung zu sprechen. Die Entschei­dung werde erst am Sonntag bei der Audienz Brünings bei Hindenburg fallen.

Doldistoß in den ROdtcn der Sowjetunion ! Der verrat der französischen Kommunisten.

Die steigende Kriegsgefahr int Fer­nen Osten, die alle Kräfte des Proletariats zum Schutze des Weltfriedens und vor allem der So­ wjetunion auf den Plan ruft, läßt auch der Regierungsbildung in Frankreich eine besondere Bedeutung zukommen. Wahr­scheinlich wird in Frankreich eine Koalition-der Radikalen mit den Parteien der Mitte gebildet iverden, also eine Regierung, in der neben Her- r i o t noch immer T a r d i e u ein entscheidendes Wort sprechen, vielleicht sogar Herriot an die Wand drücken wird. Schon seine letzten Er­klärungen beweisen ja, daß Herriot , nicht an Ab­rüstung und Verständigung denkt. Dieser Lauf der Dinge bedeutet eine schwere Gefahr für Rußland , an dessen europäischer Grenze die Vasallen Frankreichs schwergerüstet stehen. So wird vor allem unter einer französische« nationalistischen Regierung die geplante polnische Anleihe zustandekommen, die ein Linkskartell niemals gewährt hätte. Polen braucht für seine antideutschen und anti­russischen Rüstungen dringend Geld, das es nur in Frankreich , aber auch in Frankreich nur von .einer nationalistischen Regierung, be­kommt, das es niemals von einer Regierung er­halten kann, in der Sozialisten fitzen. Daß es aber in Frankreich zu einer natio­nalistischen und nicht zu einer Linksregierung komme, dazu haben die französischen Kommunisten nach Kräften geholfen. Haben sie doch die Sozialdemokratie in 13 Wahlkreisen um den Sieg gebracht, in zwölf Wahlkreisen einem ausgesprochenen Reaktionär,, in einem dem radikalen Kandidaten zum Siege über den Sozialisten verhalfen. Folgende Tabelle zeigt, wie in den 13 Wahl­kreisen. die Sonderkandidatur der, Kommunisten dem Kandidaten der Reaktion zum Siege ver­halfen hat:

Dem Sojialiften

fehlten zur*

Der Kommunist

Wahlkreis:

absoluten Mehrheit.

erhielt:

Stimmen

«Stimmen

Paris(4).

.. 114

1212

Paris (12)

.. 171

1208

Ales...

.. 790

2232

Senlis ..

.. 28

980

Dem Sozialisten

sehlten zur

Der Kommunist

Wahlkreis:

absoluten Mehrheit: erhielt:

Stimmen

Stimmen

Boulogne-Billan-

court.

... 121

2880 1

Bsthune

... 20

797

Straßbourg

(2). 384

494

Apt..

... 14

258

Douai .

... 336

451

Dünkirchen

.. 683

835

Lille (5)

95

1125

Lille (6)

... 533

1727

Cote d'or

... 132

146

Wie man

ieht, hätte es in

einigen Wahl-

kreisen genügt, ein paar kommunistische Wähler abzukommandiereih um den Kandidaten der Re­aktion zu schlagen. Aber die Kommunisten hiel­ten ihre jämmerlichen Zählkandidaturen auf­recht, um dem Reaktionär zu einem billigen Sieg zu verhelfen. Dabei haben die Kommuni­sten aus eigener Kraft ein einziges Mandat er­rungen, die übrigen neun nur mit Hilfe der Sozialdemokraten! Ohne di« Hilfe der Sozialdemo­kratie hätten die Kommunisten einen einzige» Man« in der Kammer, sie aber bringen 13 So­zialdemokraten zu Falle. Nehmen wir an, die Kominunisten hätten in den 13 Wahlkreisen.keinen Klassenverrat ge­übt. Dann wären nicht die Radikalen, sondern die Sozialisten die eigentlichen Sieger des 8. Mai geworden, dann hätten die Sozialdemo­kraten 42, die Radikalen nur 39 Sitze gewonnen(statt 29 und 40). Die Kabinettsbildung wäre anders ausgefallen, das Linkskabinett wäre nicht zu umgehen gewesen und wenn gar statt der 10 Kommunisten und der 11 unabhängigen Kommunisten 21 Sozia­listen mehr in der Kammer säßen, wären die Sozialisten mit 164 Mandaten die stärkste Partei! Das würde aber bedeuten, daß Polen keine Anleihe bekäme, daß Frankreich nicht mit Japan paktieren und den Gegnern Rußlands keine Waffen liefern'würde. Es würde die Sicherheit Rußlands bedeutend erhöhen. Daß es nicht dahin kommt, daß Herriot mit Tardieu re­gieren, Pilsudski die Anleihe gewähren, Japan , Polen und Rumänien Waffen liefern wird, das haben die Arbeiter und hat Rußland dem Dolch­stoß der französischen Kommunisten zu danken, der gegen die Sozialdemokratie geführt wurde und Rußland mit getroffen hat!

Vas satt die nattonale Heize? Zur Feststellung der Verantwortlichkeit. Jeder Bekenner der nationalen. Zusam menarbeit in diesem Staate muß mit. Besorg­nis feststellen, daß auf beiden Seiten Elemente am Werke sind, in der schwülen Atmosphäre des chronischen Krisenzustandes den Zünostoff für einen neuen Ausbruch der nationalen Leidenschaften zusammenzutragen. Extreme Minderheiten wird es immer und überall geben, aber es ist ein schlimmes Zeichen dec Zeit, wenn groß« und verantwortungsvolle Parteien mit fliegenden Fahnen in den Wett­kampf mit berufsmäßigen nationalen Hetzern ziehen. Was soll man dazu sagen, wenn die Partei des Ministerpräsidenten in ihrer Presse geradezu eine Kriegsberichterstattung aus denverdeutschten" Gebieten einrichtet und wenn derBenkov" ganz im Stile der Stribrnhpresse ohne den Schimmer eines Be­weises über die Lage der tschechischen Minder­heiten folgendes behauptet: Ausnahmslos beklagen sie sich darüber, daß die Hakenkreuzler, die Deutschnationalen und die deutschen Sozialdemokraten sich in unseren Mindecheitsgebieten ständig größerer autitschechischer und antistaatlicher Provokationen schuldig machen und sogar zu Gewaltakten greifen." Da hört, sich- schon die Gemütlichkeit auf, die deutschen Sozialdemokraten dafür verant­wortlich zu machen, wenn irgendwo in Nordböhmen Hakenkreuze aufgemalt lver- den oder wenn von Lausbuben eineFrei­heitslinde" der tschechischen Minderheit von Böhm.-Leipa beschädigt wird. Wir tragen keine Verantwortung für das Tun und Lassen der Hakenkreuzler, so wenig wir die Verant­wortung übernehmen für die Haupt- und Staatsaktion, die gegen sie von den Behörden augenblicklich durchgeführt, wird. Es gehört aber schon eine tüchtige Portion bösen Willens dazu, die große Verständigungs­partei des sudetendeutschen Volkes in einen Topf zu werfen mit unreifen Phantasten, die für das dritte Reich schwärmen. Was würde das tschechische Volk dazu sagen, wenn wir vor der deutschen Bevölkerung Masarhk und Stri- brüh, Professor Radl und Gajda auf eine Linie stellen würden? Es ist Brunnenvergif­tung schlimmster Sorte, die da derBenkov" betreibt und selbst die deutschagrarische Hand­post" hat ihm in den letzten Tagen bescheinigt, daß er über deutsche Angelegenheiten mit aus­gesprochener Böswilligkeit referiert. Ein zweiter Borwand, die nationalisti­schen Instinkte zu entfachen, sind gewissen Leuten die bevorstehenden Sokolfeier» l i ch k e i t e n in Prag . Man müßte in die Blindheit des deutschen Bürgertums verfallen, wollte man verkennen, welch große Rolle der Sokol im Leben des tschechischen Volkes spielt. Der scharfe Wettbewerb zwischen Sokolturnern und Arbeiterturnern hat Sport und Leibes­übungen im anderen nationalen Lager in wahrlich beneidenswertem Umfange gefördert. Wenn heute jedes tschechische Landstädtchen herrliche Spielplätze und schöne Turnhallen besitzt, so wäre das für die Deutschen in die­sem Staat« eher ein Grund zur Nachahmung als zur Gegnerschaft. Abegesehen von der scharfen klassenmäßigen Abgrenzung, welche jede bürgerlich-nationale Turnbewegung von der Arbeiterbewegung trennt, haben wir keinen Grund, die Sokolveranstaltungen mit nationaler Feindseligkeit zu betrachten. Mit um so größerer Berechtigung können wir uns aber gegen jene Bestrebungen verwahren, die aus den Sokolfeiern eine national« Kampf­kundgebung gegen die deutschen Bürger der Republik machen möchten. Es war kein guter Auftakt, daß durchfreiwillige" Beschlüsse der Prager Kinobesitzer die deutschen Tonfilme von den Augen der Sokolgäste verbannt wnr den. Begrüßenswerter wäre es gewesen, aus gesprochene Schundfilme ohne Unterschied der