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Sozialdemokrat

Jentralorgan d. Deutschen ſozialdemokratischen Arbeiterpartei i.d.Tſchechoslowakischen Republik

12. Jahrgang.

Sammlungsversuche der Mittelparteien.

Die Auflösung des Reichstages stellt insbe sondere die Mittelparteien, die bei den letzten Landtagswahlen nicht unbeträchtliche Verluste zu verzeichnen hatten, vor eine neue Situation. Wie

Erscheint mit Ausnahme des Montag täglich früb.

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Gonntag, 5. Juni 1932

Die Maske fällt:

Rechtsregierung verwirit Sozialpolitik

Der Staat keine Der Staat keine

Wohlfahrtsanstalt" "

in den Kreiſen der Mittelparteien versichert wird, sind ernsthafte Bestrebungen im Gange, um durch eine großzügige Sammlungsattion Gegen ,, Kulturbolschewismus " für christliche Weltanschauung

auf vollständig neuer Grundlage zu versuchen, den politischen Einfluß des Bürgertums einiger­maßen zu sichern. Die entscheidenden Verhand­lungen über diese Sammlung sollen bereits in der nächsten Woche aufgenommen werden. Von besonderem Interesse erscheint in diesem Zusam menhange, daß diesmal auch die Staats­partei, die sich bei den letzten Preußenwahlen von jeder Sammelaktion ferngehalten hat, sich nunmehr für eine solche ausgesprochen hat. Die Parteien werden schon zu Beginn der nächsten Woche zur neun Situation Stellung nehmen. Kurswechsel bei der Germania."

Berlin , 4. Juni. Die Reichsregierung läßt heute durch die Presse ihre Regierungs erklärung veröffentlichen. Die verächtliche Aeußerung über die Wohlfahrtsanstalt", zu der die Nachkriegsregierungen den Staat angeblich zu machen versucht hätten, die Wen­dung von dem ,, Kulturbolschewismus und von der Zersehung des öffentlichen Lebens durch atheistisch- marxistisches Denken" und die Phrase von der schweren Verantwortung vor Gott und der Nation lassen klar den Kurs erkennen, den die neue Regierung einzuschlagen beabsichtigt, wenn sie es auch im übrigen vorzieht ,,, keine Versprechungen zu machen", das heißt jeder Konkretisierung ihres Programmes bedachtsam aus dem Wege geht.

Nach ein paar einleitenden Phrasen über die seelischen Voraussetzungen der Zusammenfassung aller nationalen Kräfte wird die Schuld an der heutigen Lage dem Versailler Vertrag, den Aus­wirkungen der Weltwirtschaftskrise und der., Miß­wirtschaft der Parlamentsdemofra­tie" zugeschrieben.

Berlin , 4. Juni. Wie die Verlagsleitung der ,, Germania " mitteilt, tritt mit Rücksicht auf die politischen Vorgänge der letzten Tage Chefredat teur Emil Ritter von der redaktionellen Leitung Die Nachfriegsregierungen hätten geglaubt, des Zentralorgans der Zentrumspartei Germa- durch einen sich ständig steigernden Staats nia" zurück, dessen Aktienmehrheit bekanntlich im sozialismus die, materiellen Sorgen dem Besitz des neuen Reichskanzlers ist.

Satenkreuz- Theater in Linz . Riesige Gegenfundgebungen der Sozialdemokratic.

Linz , 4. Juni. ( Eigenbericht.) Für morgen haben die Hakenkreuzler in Linz einen Gausturmt tag angekündigt, zu dem große Vorbereitungen

Arbeitnehmer wie dem Arbeitgeber in weitem Maße abnehmen zit können.

Es müsse eine klare Entscheidung darüber fallen, welche Kräfte gewillt jeien, das neue Deutschland auf der Grundlage der unveränder­lichen Grundsäße der christlichen Weltanschauung

aufbauen zu helfen.

Die Regierung, die in dieser Stunde, erfüllt von ihrer schweren Verantwortung vor Gott und der Nation die Zeitung der Geschicke des Landes übernehme, jei tiefst durchbrungen von dem Bewußtsein der Pflichten, die auf ihr liegen usw.

Damit die Zahlungen der nächsten Tage und nächsten Wochen zur Aufrechterhaltung des staat­lichen Apparates geleistet werden können, sei die Regierung gezwungen, einen Teil der von der alten Regierung geplanten Rot­maßnahmen zu erlassen!

Das Kabinett der Monokel hat sich nicht erst der Volksvertretung gestellt, von der es ohnehin fofort gestürzt worden wäre. Dieser Reichstag war ihm zu sehr ein Pöbelparla­ment. Im kommenden werden, so rechnen die Machthaber von heute, noch mehr Vertreter der Nationalsozialistischen Deutschen ,, Arbei­ter"-Partei, also noch mehr Krautjunker und taiserliche Offiziere sitzen.

Das Kabinett des Herrn von Papen wird also die Wahl machen. Es wird wie es scheint alles versuchen, um das im wahrsten Sinne des Wortes zu tun. Der Kaufpreis, den Hitler forderte, nämlich die Wiederbewilligung der aufgelösten SA, wird gezahlt werden. Die Monofelregierung zahlt ihn gern, weil sie von dem Eingreifen der SA , die ihre Terrormetho­den in der geänderten politischen Situation erst recht entfalten wird, eine ihren Wünschen entsprechende Wahlbeeinflussung erwarten darf. Allerdings soll die SA in anderer Form wiedererstehen: man will sie unter die Aufsicht der Reichswehr stellen. Ertüchtigung der Wehrhaftigkeit" man das.

nennt

Sie hätten den Staat zu einer Art Wohl­fahrtsanstalt zu machen versucht und damit die moralischen Kräfte der Nation geschwächt. Es geht bei diesem Wahlkampf um mehr Sie hätten ihm Aufgaben zugeteilt, die er seinem Im übrigen mache die Regierung in dieser als um die Frage, wer in den nächsten Jah­Wesen nach niemals erfüllen Lönne. Gerade hierdurch sei die Arbeitslosigkeit noch gesteigert handeln und man solle sie nach ihren Taten beur- wird ausgefochten um den Bestand der Deut­Stunde teine Versprechungen. Sie werde ren Deutschland regieren soll. Dieser Kampf

worden.

teilen.

innerpolitischen Klarheit Die

getroffen wurden. Schon für heute abends waren schen 3ermür bung. des deutschen Bolles, verbers bolle Gleichberechtigung: politische Freiheit und tratie. Unter Nüßung der demokratischen Ein­Der hieraus zwangsläufig folgenden morali Auf außenpolitischem Gebiet wird dann weischen Republik , um die Erhaltung der Demo­givei große Hakenkreuzversammlungen einberufen. Als Antwort haben aber auch die Sozial- Klaffentampf" Als Antwort haben aber auch die Sozial- schärft durch den, unseligen gemeinschaftsfeindlichen wirtschaftliche Gesundung als Ziel hingestellt. Die richtungen haben sich vorläufig die historische demokraten eine Riesenversammlung einbe- Klassenkampf" und vergrößert durch den Kultur- Grundlage und Voraussetzung aber jeder wirk und die faschistische Reaktion zum Kampfe rufen. Die Hakenkreuzler hatten großsprecherisch die besten sittlichen Grundlagen der Nation zu ver- Interessen, über die es Meinungsverschiedenheiten wird, selbst wenn es den Wünschen der Mono­bols chemismus", der wie ein fressendes Gift samen außenpolitischen Vertretung der nationalen gegen sie berbündet. Aber das Wahlergebnis angekündigt, daß 20.000 Fremde kommen würden, und hatten auch von Hunderten von Automobilen nichten drohe, müsse in letzter Stunde Einhalt ge- unter Deutschen nicht gebe, sei die Herbeiführung felleute und ihres Hitler entsprechen sollte, gefaselt. In Wirklichkeit sind bis jetzt aus boten werden. Zu tief sei schon in alle tulturellen der Deutschland zweihundert Hakenkreuzler gekom- Gebiete des öffentlichen Lebens die ersehung Nation werde deshalb in den Neuwahlen vor die nicht jene Klarheit herbeiführen, die sich die men. Aus Passau allein waren zweihundert an atheistisch- margistischen Denkens" ein flare und eindeutige Entscheidung gestellt, mit wel Gefolgschaft der Nazis erhofft: es wird die gesagt, in Wirklichkeit ist ein tnappes Dutzend gedrungen, weil die christlichen Kräfte des chen Kräften sie den Weg der Zukunft zu gehen Plattform schaffen, auf der sich die Ausein Staates zu leicht zu Kompromissen bereit waren. I gewillt sei. andersetzung zwischen der historischen und der faschistischen Reaktion abspielen wieder herzustellen und der Monarchie wird, der Kampf zwischen den Prinzen und den Boden zu ebnen. Zum Schluß fgt Wels: Generalen auf der einen und den Hitlerleuten Das Adelskabinett verlangt innerpolitische Klar­

gefommen.

Um 8 Uhr begannen die beiden national­sozialistischen Versammlungen, in denen aus Deutschland Göring und General von Epp sprachen.

3u gleicher Zeit fand die sozialdemokratische Versammlung statt, die zu einer Riesen­fundgebung gegen den Fascismus wurde. Der riesige Versammlungssaal, der an dreizehn­tausend Menschen faßt, war gesteckt voll. Es sprachen Genossen aus Wien und der Linzer Ab­geordnete Dr. Korez. Die Behörden hatten an geordnet, daß die Hakenkreuzversammlungen schon zu Ende sein müßten, bevor die sozialdemokrati­schen Versammlungsteilnehmer auseinandergehen. Bis gegen 11 Uhr nachts war es noch zu keinem Zwischenfall gekommen. Uebrigens hatten die Behörden vor Beginn der Versammlungen alle Versammlungslokale genauest nach Waffen durch­fucht. Für morgen wurden ebenfalls umfassende Sicherheitsvorkehrungen getroffen.

Die unerfättlichen Gläubiger. Forderungen der Kreditanstalt- Gläubiger abgelehnt.

Wien , 4. Juni. Die Gläubiger der Kredit­anstalt wurden in einer gestern im Finanz­ministerium abgehaltenen Besprechung von der Ablehnung ihrer Vorschläge durch die öster­reichische Bundesregierung verständigt, da die feste Absicht besteht, das Kreditanstaltsproblem endgültig einer Lösung zuzuführen. Die nächste Sigung wurde für die Mitte der kommtenden Woche bereits angefeßt.

Doch eine Anleihe für Defterreich?

Wien , 4. Juni. Die gestrigen und heutigen Nachrichten der Wiener Blätter über die öfter­reichischen Kreditverhandlungen in Paris lauten bereits optimistischer. Einige Konferenzteilnehmer sind mit Deputierten, die in dem neuen Kabinette Herriots eine wichtige Rolle spielen, in Fühlung getreten und haben angeblich den Eindruck ge­wonnen, daß eine Anleihe. für Defter­reich wahrscheinlich nicht auf den Widerstand der Regi.rung Herriot stoßen werde.

Der Vorwärts" veröffentlicht morgen früh Erklärungen von Breitscheid , Loebel und Wels als Antwort auf die Proklamation der Regierung.

Otto Wels , der Vorsitzende der SPD. , sagt darin u. a.:

nennt

heit. Es soll sie haben. Das werftätige Volt auf der anderen Seite, die sich bis nun für nimmt den Kampf auf! flüger hielten als die Schleicher, von denen Nicht weniger scharf äußert sich das Oroan sie in Wirklichkeit vor den Karren der Jun­Diese Regierungserklärung ist zwar kein Pro- Stegerwalds Der Deutsch c". Es fer und der Prinzen, vor den Karren der gramm, sondern ein Sammelfurium von Staan m- diese Kundgebung der Regierung eine Ohrfeige monarchistischen Reaktion gespannt wurden. tisch Schlagworten, die selbst ein dritt für die Arbeitslosen und knüpft an die Be­Denn die Herren Generale, die die Kan­tlafsiger nationalsozialistischer Diskussionsredner hauptung des Manifestes, daß die Sozial- didatenlisten Hitlers zu zieren geruhen, die in einer Dorfversammkung nicht vorzubringen politit das Reich zermürbt habe, die Frage, Prinzen, die sich herbeilassen, für die Arbei­wagen würde. Es handle sich dorum, mit Hilfe ob das Reich etwa durch Not und Elend gestärkt terpartei des Fememörders Heines zu werben der Hitlerbeweging die Junterherrschaft worden wäre.

Zwangsarbeit für Arbeislose

Wie die neue Regierung die Wendung in ihrer Proklamation, daß der Staat feine Wohlfahrts anstalt sei, wahr zu machen gedenkt, geht aus der sicheren Meldung hervor, daß sie beabsichtigt, Arbeitslose zu Bataillonen zu formieren, diese zu kasernieren und gegen ein geringes Taschengeld Zwangsarbeit leiften zu lassen, die als freiwilliger Arbeitsdienst" ausg geben werden soll.

Die Presseknebelung beginnt

Die Regierung hat heute zugleich mit ihrer Proklamation den Zeitungen auch die Ver­ständigung zukommen lassen, daß alle weiteren Veröffentlichungen über die Washingtoner Af­färe des Herrn von Papen sowie jede Mitteilung von Gerüchten über die Pläne, den Ex­fronprinzen als Reichsver: sefer einzusehen, durch schärfste Maßnahmen verhindert werden würden.

Reichstagsauflösung erfolgt

Berlin , 4. Juni. Das Auflösungsdekret des Reichstages ist dem Reichs­tagspräsidenten Loebe um ein Uhr mittags zugestellt worden. Es hat folgen­den Wortlaut:

Auf Grund des Artikels 25 der Reichsverfassung löse ich mit sofortiger Wirkung den Reichstag auf, da nach den Ergebnissen der in den letzten Monaten stattgehabten Wahlen in die Landtage der deutschen Länder die gegenwärtige Zusammenschung des Reichstages dem politischen Willen des deutschen Volfes nicht mehr entspricht.

Der Reichspräsident: von Hindenburg,

Der Reichstag ist damit aufgelöst. Der Termin für die neuen Reichstags: wahlen ist, wie das Conti- Büro meldet, noch nicht festgestellt.

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sie tun das wahrhaftig nicht um der schö­nen Augen Hitlers und noch weniger um des deutschen Volkes willen. Jene Arbeiterpartei ist den Prinzen und Generalen ebenso Mittel zum Zweck, wie ihnen die Bedrückung und die Armut des Volkes Grundlage ihrer Herr lichkeit und ihres Wohlstandes gewesen ist. Dem deutschen Volk werden, wenn es die Prinzen des Herrn Hitler wählt, ob der Fol­gen die Augen übergehen und Herr Hitler , der so lange schon nach der Macht giert, wird vielleicht gar nicht dazu kommen, den Arm nach ihr auszustrecken. Seine SA- Landsknechte werden in den neuen Formationen des Herrn Schleicher den Willen derer tun, die sie be­zahlen und es ist nicht unwahrscheinlich, daß Herrn Hitler die Mittel fehlen werden, die er zum Aushalten seiner Privatarmee bis jetzt von den Industriellen bekam. Die Kreise um die Herren Schleicher und Papen garantieren doch viel besser die Durchsetzung der Unter­nehmerwünsche als die mit wenn auch fal­schen sozialen Programmforderungen be= lastete NSDAP . Es ist ja die Gefahr vor­handen, daß die Massen von einem zur Macht gekommenen Hitler das Erfüllen seiner Ber sprechungen fordern könnten und daß er ihnen Konzessionen machte, um sich an der Macht zu halten. Wie peinlich ist diese bloke Möglichkeit für die Herren Thyssen und Vögler

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