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Jentralorgan d. Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei i.d.Tschechoslowakischen Republik.

12 Jahrgang.

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Auftakt zur offenen Diktatur:

Dienstag, 13 September 1932

Reichstag   abermals aufgelöst.

Nr. 216.

Herrenrecht gegen Volksrechte!

Zur Auflösung des Reichstages.

Um die Ablehnung der Notverordnung zu verhindern. Trotzdem überwältigende Mehrheit gegen die Staatsstreich- Regierung.grammerklärung Papens anhören und zu ihr

Berlin  , 12. September. Während einer bewegten Sitzung des Reichstages,] in der ganz unerwartet die Anträge auf Aufhebung der Notverordnung und ein Mißtrauensantrag gegen das Kabinett zur Verhandlung und sofortigen Abstimmung tamen und mit einer noch nie dagewesenen Mehrheit von 513 gegen 32 Stimmen angenommen wurden, wurde der Reichstag durch ein Handschreiben des Reichspräsidenten mit der Begründung aufgelöst, weil die Gefahr bestehe, daß der Reichstag die Aufhebung der Notverordnung vom 4. September verlange".

Der Reichskanzler, der die historische rote Mappe mit dem Auflösungsdekret bei sich trug, hatte sich erst zu Wort gem fdet, als der Reichstagspräsident Göring  bereits zur entscheidenden Abstimmung übergegangen war. Göring   wollte daher dem Reichskanzler das Wort erst nach Schluß der Abstimmung erteilen. Daraufhin schob Papen   dem Reichstagspräsidenten das Auflösungsdekret einfach zu und verlich mit der Regierung den sigungssaal. Göring   brachte das Auf­lösungsdekret dann erst, nach Schluß der Abstimmung, die der Regierung cinc vernichtende Niederlage brachte, zur Verlesung.

Die Reichsregierung steht nun auf dem Standpunkte, daß die Auflösung des Reichstages mit dem Moment der Ueberreichung des Schreibens perfekt war, dic folgende Abstimmung daher bereits rechts ungültig und verfassungs­widrig sei. Der Reichsinnenminister hat dem Reichstagspräsidenten eine dahin­gehende Witteilung zufommen lassen. In einer Pressekonferenz hat die Regierung. das Vorgehen des Reichstages als einen leberrimpelungsversuch" bezeichnet, der vereitelt worden sei.

Für den von Göring   ursprünglich angekündigten Fall, daß er den Reichs­tag oder den Aeltestenausschuß trotzdem wieder einberufen werde, da er die Auflösung durch eine socben gestürzte Regierung für verfassungswidrig halte, erklärte die Regierung, daß fic hieraus die Konsequenzen zichen und entsprechende Beschlüsse fassen werde.

Gayl: Wenn Wahlen stattfinden...

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Der Konflikt zwischen dem Reichspräsidenten   und dem Parlamente kam völlig unerwartet und desorientierte im ersten Augenblick die politischen Kreise und die Presse vollkommen. Das Hauptinteresse fonzentriert sich jetzt auf die Frage, ob die Neuwahlen in den Reichstag   in der verfassungsmäßigen Frist ausgeschrieben werden, so daß sie binnen zwei Monaten durchgeführt werden, oder ob die Regierung Papen   weiter ohne Parlament zu regieren versuchen wird.

Die Regierung hat dem Reichspräsidenten  | Gayl: Natürlich können Wahlen nur durchge­bisher noch keinen neuen Wahltermin vorgeführt werden, wenn Ruhe und Ordnung schlagen. Während heute Papen im Rundfunk gesichert sind. seine verhinderte Parlamentsrede hielt, erschien Als ihm daraufhin die Frage vorgelegt Innenminister Baron Gayl in einer Presse wurde, auf welche Verfassungsbestimmungen sich fonferenz und erklärte dort:" die Regierung ftüßen wolle, wenn sie die Absicht " Wenn" Wahlen stattfinden, dann werden habe, die Wahlen eventuell zu verschieben, er fie nach den Bestimmungen der Verfassung flärte Gayl achselzuckend: Darüber haben durchgeführt werden. Auf Zwischenrufe der Journalisten, was wir uns noch nicht den Kopf zer­dieses Wenn" zu bedeuten habe, erklärte brochen!"

Die einzig wirksame Antwort:

Sozialdemokratie beantragt Volksbegehren.

Während die Nationalsozialisten in ihrem Widerstand" gegen das beispiel: lose Verhalten der Reichsregierung es lediglich bei den hochtrabenden Erflä­rungen des Herrn Göring bewenden ließen, der überdies selbst bald genug den Rüdzug antrat, haben die Sozialdemokraten den Kampf um die Aufhebung der Rotverordnung, tatsächlich in wirkungsvoller Weise eröffnet: Die sozialdemokra tische Partei hat bereits heute mittags beim Reichsinnenminister die Zulassung des folgenden Volksbegehrens beantragt:

Entwurf eines Gesches über Aufhebung einer Verordnung des Reichspräsidenten betreffend sozialpolitische Maßnahmen.

Der Reichstag hat auf Volksbegehren das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichs rates hiermit verfündet wird:

§ 1. Der zweite Teil sozialpolitische Maßnahmen" der Verordnung des Reichspräsidenten zur Belebung der Wirtschaft vom 4. September 1932 wird mit Wirkung vom 4. September 1932 außer Kraft gesetzt. § 2. Dieses Gesetz tritt mit der Verkündung in Kraft." ng Durch die Annahme dieses Volksb: gehrens sollen die Lohnsenkungen und der Einbruch in die Tarifpolitit unmöglich gemacht werden. Daß in das Volks: begehren die anderen Notverordnungen nicht mit aufgenommen worden sind, bedeutet nicht eine Zustimmung der sozialdemokratischen Partei zu den Ver­ordnungen. Die anderen Notverordnungen enthalten Bestimmungen, die den Reichshaushalt oder Finanzgesche berühren und die deshalb nach der Verfassung nicht auf dem Wege des Volféentscheine abgeändert werden können.

Eine Extra- Ausgabe des Borwärts" rung der sozialen Reaktion in den Sattel verhol­teilt zunächst den Text des beantragten Volls- fen hat, und mit der Waffe des Voltsentscheide begehrens mit. Dann wird die Parole ausgege- gegen die Regierung der sozialen Reaktion Stel­ben, mit dem Stimmzettel gegen die Peit des lung zu nehmen und ihre Attade auf die sozialen Rationalsozialismus zu kämpfen, der dieser Regie Rechte des Volkes abzuwehren.

Die Meldung, welche Sonntag durch die sozialdemokratischen Zeitungen ging und die Montag vormittag von der Reichsregierung noch mit einer verlogenen Kundgebung be­stritten wurde, hat sich also bewahrheitet: der Reichstag wurde aufgelöst, bevor er die Pro­Stellung nehmen konnte. Man ist bei der beispiellos zugespißten Situation in Deutsch­ land   an Ueberraschungen gewöhnt, doch eine solche Fülle sich überſtürzender Ereignisse hat noch kein Tag der parlamentarischen Geschichte gebracht. Eine Regierung, die aus Anhängern der Diktatur besteht, und ein Reichstag, in Präsident Göring   eröffnete um 15 Uhr die dem die Gegner der Demokratie und des Par­Sigung und gab die Wahl der Schriftführer lamentarismus die Mehrheit besitzen, treten sowie der Reichstagsausschüsse bekannt.

513 gegen 32!

Zu Beginn der Sigung waren die Tribünen und die Diplomatenloge bis auf den letzten Platz besetzt. Das gesamte Reichskabinett war er ſchienen.

Zur Geschäftsordnung beantragt Torgler   einander fämpfend gegenüber. Die Regierung ( Kommunist) eine Aenderung der Tagesordnung hat das Auflösungsdekret in der Tasche, aber in dem Sinne, daß der Antrag auf Aufhebung sie will vorher die parlamentarische Tribüne der Notverordnung und der Mißtrauensantrag zur Rechtfertigung ihrer diktatorischen Metho­gegen die Reichsregierung an erste Stelle gefeßt den benüßen. Der Reichstag wittert die Ge­werde. Sollte, wie zu erwarten, diesem Antrag fahr, nachhause geschickt zu werden, ohne zuvor widersprochen werden, so beantragten die Kom das bombensichere Mißtrauensvotum gegen munisten sofortige Anberaumung einer neuen die Papenheimer aussprechen zu können. In Sigung für heute.

Die Deutschnationalen lassen

Papen   im Stich.

Abg. Löbe  ( Sozialdemokrat), der ehemalige diese Wirrnis platzt ein kommunistischer An­Reichstagspräfident, beantragt als zweiten Punkt trag, die Tagesordnung abzuändern und der der Tagesordnung der heutigen Sigung den An- Regierung das Mißtrauen auszusprechen, che trag auf Aufhebung der Notverord- sie ihre Mißtrauenserklärung gegen den Reichs­nung zu seßen.. tag aussprechen konnte. In namentlicher Ab­timmung werden 515 Stimmen für die Auf­hebung der letzten Notverordnung und gegen das Kabinett Papen   abgegeben. Bei fünfzig Präsident Göring   richtet nun an das Haus Stimmenenthaltungen und nur 32 Neinstim die Frage, ob dem tommunistischen Antrag men ist dies eine überwältigende Mehrheit widersprochen werde. Als selbstverständlich wurde gegen die Papenheimer. Papen   will das Auf­erwartet, daß die deutschnationale Fraktion Ein- lösungsdekret verlesen, der nationalsozialistische spruch erheben und damit die sofortige Abstim Reichstagspräsident Göring verweigert ihm mung vereiteln werde. Doch lam von keiner das Wort. Papen   will das Defret überreichen, Seite Widerspruch, so daß der Weg zur ſofor- Göring   nimmt es anfänglich nicht und muß tigen Abstimmung nunmehr frei war. Das Verhalten der Deutschnationalen  , die es es eine Weile später doch zur Kenntnis wider Erwarten unterließen, gegen die sofortige bringen. Abstimmung Einspruch zu erheben, hat seinen Und nun beginnt das tragikomische Grund darin, daß sie sich rächen wollten, weil Zwischenspiel. Göring  , Hitlers   Adjutant, man sie in der letzten Zeit bei allen Koalitions Bevollmächtigter einer fascistischen Partei, die verhandlungen übergangen hat. den Parlamentarismus auszurotten unter­nahm, wirft sich plötzlich zum Anwalt der demokratischen Volksrechte auf. Er erklärt das gestürzten Ministern gegengezeichnete von Auflösungsdekret für nichtig und verspricht, streng nach der Verfassung weiterzuarbeiten und die Rechte der deutschen   Volksvertretung zu wahren." Der nationalsozialistische Reichs­tagspräsident trifft Anstalten, den Aeltestenrat Nachdem Göring   um 3 Uhr 46 die Sizung einzuberufen und den formell aufgelösten wieder aufgenommen hatte, erschien Reichskanzler Reichstag   weitertagen zu lassen. Die Sozial­von Papen   neuerdings und zeigte ostentativ eine demokratie macht aber diese Komödie nicht rote Aftenmappe, das Wahrzeichen der mit. Es ist klar, daß eine Machtprobe zwischen Reichstagsauflösung in früheren Jahren. Die der Präsidialregierung und einer Volksver Kommunisten machen entsprechende Zurufe. tretung, die in ihrer Mehrheit antidemo­Göring eröffnet die Sigung mit der Er- fratisch ist und von Fascisten repräsentiert flärung: Nachdem sich vorhin kein Widerspruch gegen den fommunistischen Antrag erhoben hat, wird, zu ungunsten des Parlaments ausfallen kommen wir jetzt zur gemeinsamen müßte. Man wird doch nicht glauben, daß die amentlichen Abstimmung über den im Haß gegen die Diätenschlucker" gedrillten Antrag Torgler   auf Aufhebung der Notverord Braunhemden zur Verteidigung des Parla­nung und über das Mißtrauensvotum gegen die mentarismus auf die Barrikaden steigen Regierung. würden! Noch weniger wahrscheinlich ist, daß Reichstanzler von Papen erhebt die Hand, die sozialdemokratischen Arbeiter ihr Herzblut um sich zum Wort zu melden. Reichstagspräsi- vergießen würden, um einen Reichstag, dessen dent Göring jagt mit einer abwehrenden Hand- Vorsitzender eine Hakenkreuzbinde trägt und betwegung: Wir sind bereits in der Abstimmung, in dessen Präsidium kein einziger Arbeiterver­während der Abstimmung kann ich das Wort

Diese überraschende Wendung wurde mit Bewegung und Seiterkeit aufgenommen. Mit den Stimmen der Nationalsozialisten und des Zen trums wurde zunächst zweds Stellungnahme der Parteien zu dieser neuen Situation eine halb stündige Unterbrechung der Sitzung beschlossen.

Erst Abstimmung, dann Auflösung.

nicht erteilen." Von den Nationalsozialisten und treter sitzt, gegen die Bajonette der Reichs­der Linken wird diese Erklärung mit großer wehr zu schützen. So ist denn auch Göring  Heiterkeit und mit Zustimmungstundgebungen mit seinem Standpunkte der Nichtanerkennung begrüßt. der Reichstagsauflösung allein geblieben. Die Reichskanzler von Papen geht darauf zum Funktion eines Verteidigers der Parlaments Präsidententisch und legt bort ein Schriftstüd interessen geht auf den Sozialdemokraten nieder, offenbar die Auflösungsordre Paul Lobe   über, der Vorsitzender des des Reichspräsidenten  . Reichstagspräsident Göring   schiebt dieses unauflösbaren Ausschusses zur Wahrung der Schriftstück zurück und erklärt: Wir führen jeßt Rechte der Volksvertretung ist und der dabei erst die Abstimmung durch. Wir waren bereits gewiß eine bessere Figur machen wird als in der Abstimmung, und bevor sie nicht durch Herr Göring  . geführt ist. fann ich nichts anderes machen." böhnischen Zurufen der Kommunisten den Saal.

Die Regierungsmitglieder verlassen unter

( Fortschung auf Seite 2)

Dem sensationellen Verlauf dieser letzten: Sißung des Reichstages liegt die entschei

dende politische Tatsache zugrunde, daß die Sozialdemokratie Neuwahlen herbei­