Nr. 226

alt."

5)

IRMGARD KEUN  :

Gilgi

eine von uns

Samstag, 24. September 1982.

Essen und Trinken. Haben mich was lernen[ lassen. Der Mann da, der da die Zeitung liest und den ich eigentlich nichts angehe, schenkt mir jedes Jahr fünfzig Mart. Warum? Die dicke Frau da, die hat fünf Nächte lang geheult und nicht geschlafen. damals, als ich Scharlach   hatte. Warum? Jẞ, Gilgi  , trint, Gilgi  . Und ich? Wo mit hab ich bezahlt? Verdammt, ich hab Schulden ,, Noch ein Stück Napftuchen, Jilgi?" " Dante Mutter." Ob ich nächstens mal mit ihr zum Kränzchenkaffee gehe? Sinnlos ver­

Jilgi, du wirst heute einundzwanzig Jahr doch nicht so auf Kommando, gerade weil's er- fchwendete Zeit. Ob ich jetzt abends immer zu wartet wird, gehts nicht, da schiebt sich ein Riegel Hause fiven soll? Sinnlos verschwendete Zeit. Das weiß ich." vor, fester, immer fester..." Ich- also- Jedes Beisammensein mit" euch ist sinnlos ver­wunderschön, wirklich... also, ich bin so schwendete Zeit. War's, ist's, wird's immer sein. froh, Wutter wirklich." Ufff, Gilgi fintt auf SB, Gilgi  , trint, Gilgi  . Also, wenn ich jetzt auch den Stuhl. Wo andre Leute nur immer im rich nur eine halbe Träne heule, schlag' ich alles tigen Augenblick die richtigen Worte hernehmen faputt.

" Tja", sagt Frau Kron und wieder tja", dann schweigt sie. Ihre blassen, vollen Lippen bewegen sich, zittern.

Nu red schon, Mutter." Frau Kron schweigt. Gilgi   schiebt ungeduldig ihre langen, mögen? schmalen Füße unter der

Bettdecke vor sie konnte schon immer ihre Turn­übung machen.

" Jilgi!" Frau Krons Stimme flingt hoch und trocken, du bist nämlich nicht unser Kind."

da

-

Gilgi vergißt zu atmen. ,, Was hast du gefagt?"

-

,, Du bist nicht unser

Kind."

So!" Gilgi   begreift nicht ganz. Zehn Minuten später hat sie begriffen. " So", macht sie noch ein­mal.

Immer schön fest auf den Füßen stehen, ja nicht wadeln. Wenn weiter nichts ich. Ihr Gesicht ist gleichmütig, sie reagiert nach innen.

IB, Gilgi  , trink, Gilgi  !

In zwanzig Minuten bin ich am Kaffee­tisch, Mutter."

Frau Kron begreift, daß sie gehen soll. ,, Nimm's dir nicht weiter zu Herzen, Kind."

Nein", sagt Gilgi   und macht die erste Rumpfbeuge. Frau Kron geht.

Immer hübsch fest auf den Füßen stehn. Auf

Phot. Paramount  

J. Jilgi, trinf Jilgi." JB, Gilgi  , trink Gilgi  . Sie würgt ant apftuchen, hat feinen rechten Appetit. JB, Gilgi  , trint, Gilgi  ! Ver­flucht anständig von den Leuten. Haben mir ein undzwanzig Jahre hindurch Wohnung gegeben,

- nieder. Ihr soll's nur recht sein jo. Warum Wer ist schuld?

wohl mit dieser Eröffnung ausgerechnet bis zu

Gilgi   ist bei ihrem Freund Pit.

,, Pit, ich bin aus Versehen zur Welt ge femmen."

,, Das sind viele."

" Meinst du nicht, man müßte seinen Eltern dankbar sein?"

Wofür?"

Für Geld und Gefühle und alles Mögliche." " Gilgi  , du weißt, ich hab' keine Zeit zu albernen Gesprächen."

SB, Gilgi  , trint, Gilgi  . Sie hockt auf der ärmlichen Feldbettstelle, die Beine übereinander geschlagen, das Kinn auf die Hände gestützt.

ch friere, Pit."

-

Dann mußt du irgend wohin gehen, wo's wärmer iſt." Pit ist unfreundlich, das ist er meistens. Gilgi   nimmt's ihm nicht übel. Ein armes Luder der Pit. Geld hat er nie. Volks­wirtschaft studiert er und seinen Lebensunter­halt verdient er sich mit Stundengeben. Mit unter spielt er Klavier in fragwürdigen Kneipen. Manchmal hat er Hunger. Sie ist befreundet mit ihm seit Jahren. Sie hat ihn gern, man fann sich auf ihn verlassen.

Pit fist am Tisch, hat vor sich Bücher, Hefte und eine Kanne mit schwarzem Tee. Gilgi   weiß, er fann ihr nichts davon anbieten, weil er nur eine Tasse besitzt. Pit ist nicht eingerichtet auf Besuche.

Fortießung folgt.)

wurde? Es fällt ihr nicht ein, fich our foebe Marxismus oder Kapitalismus  ?

Sachen aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen. Soll sie erschüttert sein? Verlangt man heftige Gemütsbewegungen von ihr? Muß sie etwas Besonderes tun? Wie benimmt man sich in sol­chem Fall?

Eine tleine Näherin ist ihre Mutter. Vater unbekannt. Von Proletariern stammt sie ab. Das freut sie, denn sie hat nie Wert darauf ge­legt, zur bürgerlichen Gesellschaft zu gehören.

Gilgi   geht in das Plüschzimmer. Der Washington, das tuchene Rechted, der zeitung lejende Herr Kron-- alles ist ihr genau so fremd, wie es ihr immer war. Nicht mehr, nicht weni­ger. Auf dem Tisch steht der übliche Geburts­tagsnapffuchen mit den schönen, regelmäßigen Ondulationswellen. Ueber die Sofalehne gebrei­tet liegen Frau Krons Geschenke: dunkelblauer Seidenstoff für ein Kleid, lange weiße Glacé handschuhe( beides mit Gilgi   zusammen gekauft) und aus eigenem Antrieb eine Flasche Cau de Cologne und eine unverwendbare Tasche. In der Tasche steckt Herrn Strons jährliches Geburts­tagsgeschent: ein Fünfzigmarkschein..

Dante, Vater." Gilgi   gibt Herrn Kron die Hand. Er sicht von der Zeitung auf.

Laß dir jut jehn im neuen Jahr, Jilgi, bleib jesund und denk jaanich mehr an das, was dir Mutter eben jejaacht hat."

Tu ich schon jetzt nicht mehr, Bater." " Na, denn es man jut."

" Dante, Mutter." Gilgi   füßt Frau Stron auf die Schläfe.

Jefalln dir die Sachen, Kind? Der Stoff is defatiert. Was sagste zu der Tasche?" Wunderschön, Mutter." Gilgi   hält die Tasche in der Hand. Die Mutter gudt so ängst

Die Vereinigten Staaten sind das Land ohne[ Als im Staate Texas   der nach Profiten hun Marxismus. gernde Produktionswahnsinn der Del- Bohrgesell­schaften die staatlich festgesetzten Tageshöchstmen­gen der Produktion zehnfach überschritten hatte, mußten

Dort gibt es keine Soziallaften, dort hat weder der Unternehmer noch der Arbeiter Bei­träge zur Sozialversicherung zu zahlen, dort gibt es staatlichen Schuh weder für Stranke, noch für Arbeitslose, noch für Invalide.

Die Vereinigten Staaten  , das Land ohne Margismus, müßten also, wenn man den Unter­nehmern glaubt, ein Land ohne Elend, ein wahres Paradies sein.

die Bohrlöcher vorübergehend von Truppen umstellt werden, um der Erdölproduktion Einhalt zu gebieten.

Ist deshalb das Getreide auf den Feldern verbrannt, die Milch verschüttet, die Baumwolle In den Vereinigten Staaten   gibt es feinen vernichtet worden, weil das Volk in den Ver­Marrismus gibt es auch dort feine Wirt- inigten Staaten bereits ausreichend mit Kleidern und Nahrung versorgt war? schaftskrise?

In Oakland  ( Kalifornien  ) wurden etwa 450.000 Liter Milch ins Wasser gegossen.

Im Staate Neuyork mußten die Behörden gegen die Verunreinigung der Flüsse mit von da die Fische daran zugrunde gingen. den Produzenten weggegossener Milch einschreiten.

In Katchikan Bay( Alaska  ) wurden 400.000 Büchsen mit Lachs vernichtet. Auf den staatlichen Weizenfeldern Olla homas allein wurden im Herbst 1931 etwa

17.000 Doppelzentner Weizen verbrannt.

RADION

wäscht allein

und schneller und

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weisser..

RT 12/32

Tagesneuigkeiten Wieder ein Todesurteil in Brür.

Brür, 23. September. Gestern hatte sich vor dem Brüyer Schwurgericht der 47jährige aus Brür gebürtige Schlossergehilfe und Landstreicher Raubmordes, Diebstahles und Betruges zu ver­Franz Burl wegen des Verbrechens des antworten.

Am 10. Feber 1925 wurde die Händ­Terin Anna Horn, die in Meronitz im Duger Bezirk allein ein Häuschen bewohnte, mit einer weitklaffenden Wunde am Halse und anderen Verlegungen tot aufgefunden. Die Erhebungen ergaben, daß es sich um einen Raubmord handelte, doch blieben die Nachforschungen nach dem Täter durch Jahre hindurch erfolglos. Erst im Jahre 1931 fand die Fahndungsgendarmerie mit Hilfe eines Bergmannes, der einen begründeten Ber­dacht gegen einen Landstreicher meldete, eine Spur, die schließlich zur Eruierung des Täters Franz Burtt führte.

Die Geschworenen, denen je eine Hauptfrage auf Raubmord, Diebstahl und Betrug gestellt worden war, verlangten die Stellung einer Frage auf Totschlag, der Gerichtshof stellte aber die Frage auf räuberischen Totschlag, die mit zehn Stimmen, die übrigen Hauptfragen mit zwölf Stimmen bejaht wurden. Die Frage auf Raubmord wurde mit neun Stimmen verneint. Auf Grund dieses Wahrspruches wurde der An­getlagte zum Tode durch den Strang verurteilt. Der Angeklagte nahm das Urteil mit Kopf­schütteln lächelnd auf.

Burkt hatte sich auch Heiratsschwindeleien und damit zusammenhängende Betrügereien zu­schulden kommen lassen.

Berhaftung eines Spiritus- Direktors.

Užhorod, 23. September. Eine Kommission des Finanzministeriums, die von Beamten der Hauptfinanzdirektion in Užhorod   begleitet war, nahm gestern und vorgestern in der chemischen Fabrik für Holzdestillation der Firma Bantlin in Bercè in eine Revision der Zuteilung als auch der Verarbeitung des unversteuerten Spiritus vor, den die Fabrik zur Erzeugung einiger Pro­dufte verwendet. Nach der Revision beschlag­Bei einer Bevölkerung von rund 120 Milnahmte die Kommission die Expeditionsbücher, lionen in den Vereinigten Staaten   beläuft sich die die Korrespondenz und verschiedene andere Dofu Zahl der Arbeitslosen auf etwa 12 bis mente und nahm später den stellvertretenden 13 Millionen, die der Kurzarbeiter auf Direktor des Unternehmens, den Oberingenieur Karl Alföldi, in Präventivhaft, da er ver­dächtig erscheint, in betrügerischer Weise viele hundert Liter unversteuerten Spiritus verarbeitet zu haben. Die Untersuchung wird fortgesetzt.

11 Millionen.

In Groß- Chikago stehen bei einem Wohl fahrtsbedarf von 130 Millionen Dollar bisher ganze 15 Millionen Dollar zur Verfügung. In den schwerindustriellen Gegenden von Pensyl vanien, wo sich die Mammutiverte der Bethlehem­Stahlwerke befinden, gibt es

Familien, die 1.50 Dollar und weniger in der Woche zum Lebensunterhalt haben. Das find, an der Kauftraft gemessen, etwa 25.

In Westtanada ließen die Farmer teilweise die reife Weizenfrucht auf den Feldern verfaulen, da die Preise eine Ernte nicht lohnten. Bei einem durchschnittlichen Selbstverbrauch von jährlich 18.728 Ballen Rohbaumwolle lagen in den Verein Schreiben, worin es heißt: einigten Staaten unverkauft um die Jahres­wende 1931/32 etwa 25,820.000 Tonnen. Darauf­bin gab die Bundes- Farmbehörde den Baumwoll pflanzern den Rat, jede dritte Reihe Baumwoll­pflanzen nicht zu pflüden, um auf diese Weise gegen

Der Leiter der öffentlichen Wohlfahrt von Neuyork- City, Frank J. Taylor, richtete an den ehemaligen Bürgermeister von Neuyork, Walter,

4 Millionen Ballen Baumwolle zu vernichten. In Okanagan Valley in Britisch- Kolumbia ( Kanada  ), dem reichsten Obstbaudistrikt des Lan des, wurden die Aepfel teilweise nicht erst geerntet, teilweise wie Kartoffeln in die Waggons ge­schüttet, weil sich die übliche Verpackung nicht lohnt.

Da die Aepfel demzufolge verfaulten, mußten fie weggeworfen werden.

..Auch Tritte gegen den Unterleib bewähren sich gut"

Wie im Kriminal- Film. Verhaftung eines Berliner   Gentleman­Einbrechers.

Berlin  , 23. September. Der berüchtigte Gentleman- Einbrecher Erich Marggraf, der feit Monaten von der Polizei gesucht wurde, ist gestern abends in einem Lolal von Kriminal­beamten des Geldschrank Sonderdezernates fest­genommen worden. Die Beamten setzten ihm ,, Niemals haben so viele Familien das Ende fofort die Pistole auf die Brust. Marggraf aller ihrer Hilfsmittel erreicht, niemals find so ergab sich, ohne Widerstand zu leisten. Die Fest­viele aus ihren Wohnungen ausgewiesen worden, nahme geschah so überraschend, daß Marggraf niemals hat es so viele, durch Unterernährung zunächst überhaupt keine Worte finden konnte. verursachte Krankheiten gegeben, ja niemals hat Marggraf arbeitete als Dachspezialist eine solche Hungersnot geherrscht wie jetzt." und als Fassadenkletterer. In seinent Die Sozialisten haben in Amerita keinen Streisen war er dafür bekannt, daß er die stärksten Einfluß auf den Staat und die Stommunen, die Sicherheitsschloßkombinationen mit Dietrichen Vertreter des Unternehmertums tönnen dort öffnen konnte. Ende September vergangenen nach Belieben schalten. Das Ergebnis ist:

übervolle Scheuern und hungrige Mägen! Es ist also nicht der Marxismus  , der alles Elend verursacht hat, sondern dastapitalistische System, das in seinem Reichtum eritidt.

stand Schläge über den Kopf, so daß der Kriegs­beschädigte zusammenbrach. Nach ihrer feigen Tat flüchteten die Nazis. Der Ueberfallene wurde von

Straßenpassanten in seine Wohnung gebracht.

Strafunterbrechung

Aachen, 23. September.  ( Eig. Drahtb.) In dem nationalsozialistischen West­deutschen Grenzblatt" waren unter den sport­lichen Mitteilungen folgende Verteidigungs­für politische Gefangene. bewegungen" gegen die Eiserne Front empfohlen worden: Beintreten, Beinstellen, Faustschläge Ein Beschluß des preußischen Landtages. nach dem Magen, nach der Leber, Milz und nach den Augen, auch Tritte gegen den Unterleib Berlin  , 23. September.  ( VD3.) Im preu­bewähren sich gut". Die Folgen diefer Belehrung ßischen Landtag wurde der nationalsozialistische zeigten sich am gleichen Tage, als je ch& Razi Antrag auf Strafunterbrechung für politische lich und erwartungsvoll, man muß noch was über einen Kriegsbeschädigten, Vater Gefangene angenommen, der gleichlautende Zen­jagen, aber was, was, was? Wunderschön, von vier Kindern, herfielen, weil er ein trumsantrag var damit erledigt. Annahme fand Die erwartet nun was, hai Flugblatt der Nazis nicht angenommen hatte. Die auch ein kommunistischer Amnesticantrag, der die sich Sorgen gemacht, nun muß man was sagen, Nazis verseßten dem Ueberfallenen den berüch- Durchführung des Landtagsbeschlusses iraendetwas mit Liebe und Gefühl, aber das geht tigten Rehltopfschlag und mit einem harten Gegen- 16. Juni fordert.

Pit

Bhot. Baramount

vom

Jahres wurde er aus dem Untersuchungsgefäng nis aus Versehen entlassen. Irrtümlich dieser Zeit wurde eine große Anzahl von Ein­war die Haftfrist nicht verlängert worden. Seit britchen im Westen Berlins   ausgeführt. Die Arbeitsweise ließ sofort erkennen, daß hier Marg graf am Werke war. Er verfügte über zwei Privatwagen, die von der Polizei beschlag­nahmt werden konnten.

sich nach seiner Entlassung die Haare schwarz Marggraf, der früher dunkelblond war, hatte färben lassen. Dazu trug er eine schwarze Horn­

brille. Seit dem Juli, wo er beinahe wieder gefaßt wurde, färbte er das Haar hellblond und trug eine helle Hornbrille. Marggraf war stets elegant gekleidet und von so sicherem Auftreten, daß er nirgends Mißtrauen erregte.

Die Zentraldirektion der Tabakregie teilt im Hinblick auf die Betrügereien bei der Tabak­verkaufsstelle in Brünn   mit, daß die Ausgabe von Tabakwaren an die Magazineure stets forg fältig verfolgt und gesichert wurde, daß dic Bentraldirektion die Betrügereien selbst aufgedeckt hat und daß sie auf Grund der gewonnenen Erfahrungen sofort weitere neue Sicherheitsmaß­nahmen traj.