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Br. 66. 16. Jahrgang. 2. Beilage des Vorwärts " Berliner Volksblatt. Sonnabend, 18. März 1899.

Bernstein's Streitschrift.

( Schluß.)

III. Demokratie und Klaffenkampf. Die Demokratie ist die unentbehrliche Voraussetzung des Sozia­lismus, darin wird wohl jeder von uns mit Bernstein überein­stimmen. Dagegen können wir dem folgenden, seiner Stuttgarter Erklärung entnommenen Satz feineswegs völlig beipflichten: Zur Eroberung der politischen Macht gehören politische Rechte, und die wichtigste Frage der Taftit, welche die deutsche Sozialdemokratie zur Zeit zu lösen hat, scheint mir die nach dem besten Wege der Erweiterung der politischen und gewerblichen Rechte der deutschen Arbeiter zu sein. Ohne daß auf diese Frage eine befriedigende Antwort gefunden wird, würde die Betonung der anderen schließlich nur Deklamation sein."

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Aussichten, die Demokratie ohne politische Katastrophe zu erringen, Oder legt Bernstein das Schwergewicht auf die Worte: in Deutschland äußerst gering, ja so gut wie nicht vorhanden seien, allgemein, gleichzeitig und gewaltthätig"? Ich fürchte, es wird den daß das deutsche Bürgerthum immer reaktionärer werde, dann er- Kapitalisten keinen Unterschied machen, ob sie gleichzeitig oder nach widert er uns: Das mag für den Moment vielleicht richtig einander expropriirt werden, und ob es durch Organisation und fein, obgleich manche Erscheinungen auch dagegen sprechen. Gesetz oder auf anderem Wege geschicht, wird sie auch wenig inter­Aber es fann nicht auf die Dauer so sein. Das, was man Bürger- effiren. thum nennt, ist eine schr eine schr zusammengesetzte Klasse, aus Was sollen wir aber da thun? Haben wir jemals erklärt, die allerhand Schichten mit sehr verschiedenartigen bezw. unterschiedenen Expropriation müsse eine allgemeine, gleichzeitige und gewaltthätige Interessen bestehend. Diese Schichten halten auf die Dauer nur sein? Unser Programm sagt gar nichts darüber und zwar aus dem zusammen, wenn sie sich entweder gleichmäßig bedrückt oder gleich- triftigen Grunde, weil sich nichts darüber sagen läßt. Wir können wohl mäßig bedroht sehen. Im vorliegenden Falle fann es sich natürlich die Richtung der Entwidelung einigermaßen erkennen, aber den Sozial­nur um das letztere handeln, d. h. daß das Bürgerthum eine einheit demokraten der Zukunft in bindender Weise vorschreiben, wie sie sich lich reaktionäre Masse bildete, weil sich alle seine Elemente von mit ihren Gegnern auseinanderzusehen haben, das können wir doch der Sozialdemokratie gleichmäßig bedroht fühlen, die Einen in ihren nicht. Es wird wenige unter uns geben, die nicht für Ablösung" materiellen, die Anderen in ihren ideologischen Interessen: in ihrer durch. Organisation und Gesetz sind. Aber ein Beschluß im Sinne Religion, ihrem Patriotismus, in ihrem Wunsche, dem Laude die der Ablösung wäre heute ebenso gegenstandslos wie einer im Sinne Den einleitenden Satz kann man auch umdrehen und sagen: Zur Schrecken einer gewaltthätigen Revolution zu ersparen. des Gegentheils. Eroberung der politischen Rechte gehört politische Macht; dann Das ist nun nicht nöthig. Denn die Sozialdemokratie bedroht Bernstein meint, man erzieht schlechte Bundesgenossen, wenn aber ist der beste Weg der Erweiterung der Rechte der Arbeiterschaft sie nicht alle gleichmäßig und niemand als Person, und sie selbst man ihnen erklärt, wir wollen Euch helfen, den Feind fressen, aber der der Erweiterung dieser Macht. Das hat das deutsche Proletariat schwärmt in keiner Weise für eine gewaltthätige Revolution gegen gleich hinterdrein fressen wir Euch.". Aber zu welchem andern längst erkannt und ohne jegliche Deklamationen hat es danach die gesammte nichtproletarische Welt. Je deutlicher dies gejagt und Zwecke wollen wir denn die Demokratie erobern, als zu dem, der gehandelt; unermüdlich ist es bemüht, durch Propaganda, Organi- begründet wird, um so eher wird jene einheitliche Furcht weichen, kapitalistischen Ausbeutung ein Ende zu machen? Bernstein selbst fation, Ausnußung der bestehenden Rechte seine Macht zu erweitern. Denn viele Elemente des Bürgerthums fühlen sich von anderer Seite erklärt, die Demokratie führt heute zum Sozialismus. Das wissen Keine Möglichkeit, eine Position in Reichstag , Landtag, Gemeinde, in her bedrückt, und würden lieber gegen diese, deren Druck auch auf der die weitersehenden Bourgeois auch und darum verhalten sie sich Krankenkassen und Gewerbegerichten zu erobern, läßt es ungenügt; Arbeiterklasse lastet, als gegen die Arbeiter Front machen, lieber gegen die Demokratie ablehnend. Will man sie zu Demokraten jeden Aft der Gesetzgebung sucht es zu seinen Gunsten zu beein- der Lezzteren als der Ersteren Bundesgenofien sein. flussen. In diesem Sinne war die deutsche Sozialdemokratie seit unsichere Stantonisten sein. Aber man erzieht schlechte Bundesgenossen, der Nothwendigkeit der Aufhebung des tapitalistischen Eigenthums Sie mögen machen, muß man sie auch gleichzeitig zu Sozialisten machen, sie von jeher eine Reformpartei. Was Bernstein in seiner Broschüre über wenn man ihnen erklärt, wir wollen Euch helfen, den Feind fressen, an den Produktionsmitteln überzeugen. die Aussichten und Aufgaben auf diesen Gebieten sagt, ist oft sehr aber gleich hinterher fressen wir Euch. Da es sich nun unter feinen treffend, stets anregend, aber grundsätzlich Neues bringt er Umständen um eine allgemeine, gleichzeitige und gewaltthätige da nicht. Meinte Bernstein blos diesen Weg zur Erweiterung Expropriation , sondern um die allmälige Ablösung durch Organi­der Macht und der Rechte des Proletariats, so könnte man ihm in fation und Gesetz handelt, so würde es der demokratischen Ent­tattischer Beziehung im Wesentlichen wohl zustimmen, bei allen Ab- widelung sicher feinen Abbruch thun, der thatsächlich veralteten Freß weichungen in der Theorie. Aber dann war's höchst überflüssig, von legende auch in der Phrase den Abschied zu geben." einer offenen Frage der Taktik zu sprechen, die die deutsche Arbeiterschaft Wenn also die Bourgeoisie in Deutschland reaktionär ist, wenn zu lösen hat und ohne die alles Andere schließlich" Deklamation" wir ohne Statastrophe nicht zur Demokratie tommen können, dann ist bleibt. So konnte Bernstein nur sprechen, wenn er meinte, einen die Sozialdemokratie daran schuld; sie ändere ihre Haltung gegen neuen, besonderen, besseren Erfolg versprechenden Weg zur Gewinnung über der Bourgeoisie und die Reaktion schwindet, wir kommen auf neuer Rechte gefunden zu haben. Ehe wir uns aber diesen friedlichem Wege zur Demokratie. neuen Weg des Fortschreitens auf der Bahn zur Demokratie näher ansehen, müssen wir noch einen Blick auf Bernstein's Definition der Demokratie werfen.

Wer aber find jene Elemente des Bürgerthums", die von der Freßlegende getroffen werden könnten? Handelt sich's dabei um Aerzte, Lehrer, Ingenieure oder Kleinbürger? Nein, es handelt sich um Kapitalisten. Will Bernstein die kapitalistischen Elemente des Bürgerthums durch die Opferung der Freßlegende aus unsicheren in sichere Bundesgenossen des kämpfenden Proletariats verwandeln? Er hätte die bürgerlichen Elemente, auf die er rechnet, doch näher bezeichnen sollen. Aber nehmen wir an, es gelänge, die Besorgnisse der Bourgeoisie wegen der Expropriation zu zerstreuen, ja, es gelänge jogar, ihr unseren Sozialismus als Vollendung des Liberalismus Dem entsprechend sagt Bernstein an anderer Stelle: mundgerecht zu machen. Ich fürchte, auch dann würde der Gegensatz " Eine solche( sprunghafte) Entwickelung liegt weder im Interesse zwischen Bourgeoisie und Proletariat bestehen bleiben. Bloße Worte der Arbeiterklasse, noch kann sie jenen Gegnern der Sozialdemokratie schaffen nicht soziale und politische Gegensätze. Was die Bourgeoisie Die Uebersetzung des Wortes Demokratie mit Voltsherrschaft als wünschenswerth erscheinen, die zu der Erkenntniß gelangt gegen uns erbittert, sind nicht unsere Worte, sondern unsere scheint ihm eine zu äußerliche, formale Definition zu geben. Er find, daß die gegenwärtige Gesellschaftsordnung nicht für alle haten. Nicht die gelegentlichen Hinweise des einen oder anderen möchte Demokratie mit Abwesenheit der Klassenherr- Ewigkeiten geschaffen ist, sondern dem Gesetz der Veränderung Agitators auf die Dinge, die da kommen werden, machen uns die fchaft übersetzen, als Bezeichnung eines Gesellschaftszustandes, wo unterliegt, und daß eine tatastrophenmäßige Entwickelung mit all Bourgeoisie zu Feinden, sondern gerade jene praktische Thätigkeit, teiner Klasse ein politisches Privilegium gegenüber der Gesammtheit ihren Schrecken und Verheerungen nur dadurch vermieden werden die uns Bernstein als Reform- Thätigkeit so sehr ans Herz legt. zusteht". kann, daß den Veränderungen in den Produktions- und Verkehrs- Was heißen denn soziale und politische Reformen heute anderes, Bernstein identifizirt also Abwesenheit von politischen Privilegien verhältnissen und der Klaffenentwickelung auch im politischen Recht als Vergrößerung der Kraft oder des Machtbereichs der Arbeiter mit Abwesenheit von Selassenherrschaft. Haben wir jetzt in demo- Rechnung getragen wird. Ind die Zahl derer, die das einsehen, fchaft, Schwächung oder Einengung der Macht der Bourgeoisie? Bei fratischen Staaten nicht ebenso eine Klassenherrschaft, wie in nicht ist im steten wachsen. Ihr Einfluß würde ein viel größerer jedem Kampf, den wir kämpfen, man weit weniger von einer Klassenherrschaft der Bourgeoisie reden sich von einer Phraseologie zu emanzipiren, die thatsächlich überlebt Nicht immer die gesammte Bourgeoisie oder dieselbe Fraktion der den wir die Bourgeoisie. els etwa in Belgien . Was Bernstein mit Abwesenheit von Klassen ist, und das scheinen zu wollen, was sie heute in Wirklichkeit ist: Bourgeoisie; bei manchem Kampf mögen wir die eine Fraktion gegen die herrschaft sagen wollte, war offenbar nichts anderes, als Gleich eine demokratisch sozialistische Reformpartei." berechtigung aller Volksgenossen. andere ausspielen. Aber die Gesammtheit unserer praktischen Und zwei Seiten weiter sagt er: Stämpfe richtet sich gegen die Masse der Bourgeoisie.

demokratischen, ja mitunter eine noch größere? In Rußland kann sein als er heute ist, wenn die Sozialdemokratie den Muth fände, ökonomischer, ist der Gegner, auf lei es ein politischer oder ein

Aber das ist blos die eine Seite der Demokratie. Gleich­berechtigung ist auch ohne Demokratie möglich unter dem Des­potismus. Zur Gleichberechtigung muß die Unterwerfung der Regierung unter den Boltswillen kommen, sollen wir von Demokratie reden können. Diese Seite der Demokratie hat Bernstein ganz außer Acht gelassen, und doch wird sie praktisch für uns immer wichtiger.

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Bernstein weist darauf hin, wie vor 15 und 20 Jahren die Libe­ralen Deutschlands über Gewerkschaftskämpfe und Arbeiterschutz­Geseze sprachen und schrieben und wie sie heute darüber sich äußern. Natürlich meint er damit nicht die Nationalliberalen, sondern die Fortschrittler. Gewiß haben manche unter diesen etwas gelernt und stehen nicht mehr ganz auf dem verbohrten Standpunkt von ehedem. Aber viel schneller, als die Arbeiterfreundlichkeit in der bürgerlichen Demokratie wächst, schwindet sie in den konservativen Parteien, um dort durch krasseste Arbeiterfeindlichkeit verdrängt zu werden, und nimmt die Fahnenflucht der Bourgeoisie aus den Reihen der liberalen Parteien zu.

Int Uebrigen wiederhole ich, je mehr die Sozialdemokratie sich entschließt, das scheinen zu wollen, was sie ist, umsomehr werden auch ihre Aussichten wachsen, politische Reformen durchzusetzen. Die Furcht ist gewiß ein großer Faktor in der Politik, aber man täuscht sich, wenn man glaubt, daß Erregung von Furcht alles vermag. Nicht als die Chartistenbewegung sich am revolutionärsten geberdete, erlangten die englischen Arbeiter das Stimmrecht, sondern als die revolutionären So weit von einem Fortschritt der Demokratie in den letzten Schlagworte verhallt waren und sie sich mit dem radikalen Bürger­givanzig Jahren gesprochen werden kann, geht er nur in der Richtung thum für die Erkämpfung von Reformen verbündeten. Und wer der Gleichberechtigung, namentlich der Ausdehnung des Wahlrechts auf mir entgegenhält, daß Aehnliches in Deutschland unmöglich sei, den die Arbeiterklasse. Auch dieser Fortschritt ist ein sehr geringer, ersuche ich nachzulesen, wie noch vor 15 und 20 Jahren die liberale schwankender, und was auf dem einen Gebiete gewonnen wird, wird Presse über Gewerkschaftskämpfe und Arbeitergesetzgebung schrieb, Aber England! Nicht durch den Chartismus erlangten die eng­nur zu leicht auf einem anderen verloren vide Sachsen und die Vertreter dieser Parteien im Reichstag sprachen und lischen Arbeiter das Stimmrecht, sondern erst dann, als die revo­Aber immerhin, einige Fortschritte sind in der Richtung stimmten, wo darauf bezügliche Fragen zu entscheiden waren. Er lutionären Schlagworte verhallt waren und die Proletarier sich mit der Gleichberechtigung zu konstatiren. Dagegen haben wir ent- wird dann vielleicht zugeben, daß die politische Reaktion durchaus dem radikalen Bürgerthum zur Erkämpfung von Reformen verbindeten. fchiedene und rasche Rückschritte zu verzeichnen in der Abhängigkeit nicht die bezeichnendste Erscheinung im bürgerlichen Deutschland ist." Daß die Chartisten nichts erreicht haben, wird Bernstein sicher der Regierungen von den Parlamenten und dem Volkswillen. Gerade Das also ist der Weg, den uns Bernstein führen will. nicht behaupten wollen. Das Zehnstundengesetz ist zum großen Theil dort, wo das Wahlrecht in der lezten Zeit erweitert worden, tritt Das Proletariat soll sich mit der Bourgeoisie verbünden zur ihr Wert. Wenn dann in der Mitte der sechziger Jahre die Liberalen das am stärksten zu Tage, in Oesterreich , Italien , selbst im ton- Erkämpfung der Demokratie. Daß es die Bourgeoisie dort zu unter die Arbeiter- Aristokratie gegen die Konservativen auszuspielen suchten stitutionellen Belgien , wo der König immer mehr persönliche stüßen hat, wo sie revolutionär auftritt, darauf wies schon das kom- und die Initiative dazu ergriffen, daß sie das Stimmrecht erhielt, Politik macht. munistische Manifest hin. Das Zusammenwirken mit liberalen so hat Bismarck um dieselbe Zeit der deutschen Arbeiterschaft ein Barteien zu bestimmten Zweden hat seitdem oft in den sozialdemo- noch weit ausgedehnteres Stimmrecht gegeben, um durch sie die tratischen Parteien der verschiedenen Länder stattgefunden, ohne An- liberale Bourgeoisie in Schach zu halten. Dergleichen Scherze durften stoß zu erregen. sich damals die herrschenden Klassen noch erlauben. Sie bezeugen mur, hier die Schwäche, dort die Unselbständigkeit des Proletariats. Man vergesse nicht, daß die englische Wahlreform von 1867 wie die spätere von 1885 nicht einem Bündniß des politisch selbst­ständigen Proletariats mit dem liberalen Bürgerthum entsprang, sondern seiner Unterwerfung unter des letzteren Führung. Das Bündniß" bestand darin, daß die Arbeiter voll und ganz", Liberale wurden.

Es ist mir völlig unbegreiflich, wie Bernstein schreiben konnte, das allgemeine Wahlrecht zwang Bismarck , ihm als Werkzeug zu dienen". Es ist leider weit entfernt davon, auch nur einen Hohenlohe dazu zu zwingen. Was hat der Reichstag je einem Reichskanzler abzuzwingen vermocht? Nicht einmal Diäten für sich selbst.

Die steigende Macht der Regierungen gegenüber dem Volks­willen, das ist die große Gefahr, die der Entwickelung Europa's droht. Diese Erscheinung läßt sich auf dem ganzen Kontinent Europa's bis nach Rußland verfolgen, mit Ausnahme einiger kleinen Zwitter­länder, wie die Schweiz , Holland , Norwegen alles Länder ohne ein starkes stehendes Heer.

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Aber das ist's offenbar nicht allein, was Bernstein meint. Ich fasse seine Ansicht dahin auf, wir sollen unsere Tattit so einrichten, daß wir die Bourgeoisie nicht erschrecken, wir sollen im Gegen­theil trachten, einzelne ihrer Schichten zu gewinnen. Das können wir, wenn wir aufhören, uns der revolutionären Phraseologie zu bedienen, durch die sich alle Elemente des Bürgerthums gleichmäßig bedroht fühlen".

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Welche Schichten des Bürgerthums zu gewinnen sind, sagt uns Es waren aber ganz eigenartige Verhältnisse, welche dieses Die Vermehrung der stehenden Heere ist eine der Wurzeln der Bernstein leider nicht. Aber er muß doch annehmen, daß es breite, Bündniß ermöglichten. Dadurch, daß Marg in den sechziger Jahren steigenden Macht der Regierungen; es wachsen dadurch nicht nur traftvolle, entschieden demokratische Schichten sind, sonst könnte er in England den Typus der kapitalistischen Produktionsweise sah, ihre physischen Machtmittel, sondern auch ihre ökonomischen und ihren Sympathien nicht so gewaltigen Einfluß auf die demokratische darf man sich nicht zu dem Glauben verleiten lassen, auch die be­einstweilen noch ihr moralischer Einfluß, wenn man das Wort Entwidelung zuschreiben. Ich habe mich vergebens bemüht, diese fondere politische Entwickelung Englands müsse in allen Stücken das moralisch hier gebrauchen darf. Schichten zu entdecken. Vorbild des politischen Entwickelungsganges im übrigen Europa Die andere Wurzel des Anwachsens der Regierungsgewalt ist Aber nehmen wir an, sie existiren und nur ein Mißverständniß werden. Seit den Tagen der Stuarts ist die Entwickelung Englands der Zusammenbruch der bürgerlichen Demokratie. Kleinbürgerthum ist es, das sie der Sozialdemokratie entfremdet. Unsere stets ihre eigenen Wege gegangen, und es wäre die und Bourgeoisie haben diese im Stiche gelassen. revolutionären Phrasen erschrecken sie, die doch zu unserer Praxis schlimmste Schablonenhaftigkeit, wollte man das Verhältniß gar nicht stimmen. Was für Phrasen sind das? Bernstein weist zwischen Bourgeoisie und Proletariat es in England darauf hin, daß sich manche der zu Gewinnenden unnöthig in ihrer sich gebildet hat, einfach nach Deutschland übertragen, wo wir eine Religion, ihrem Patriotismus bedroht fühlen. ganz andere Bourgeoisie haben, aber auch ein ganz anderes Prole­tariat, ganz andere politische Traditionen und Machtverhältnisse. Es ist unmöglich, dies hier näher zu begründen, ich habe den mir zugemessenen Raum ohnehin schon überschritten.

Die einzige Partei, die dem Regierungs- Absolutismus kraftvoll widerstrebt, ist die proletarische Demokratie. Zwischen diesen beiden Mächten wird sich der große Entscheidungskampf der Demokratie abspielen. Selbst wenn es allgemein möglich wäre, die volle Gleich­berechtigung auf allen Gebieten Schritt für Schritt in all­mäligem Bordringen zu erreichen, so wird uns dadurch der große, entscheidende Kampf zur Unteriverfung der Regierungsgewalt unter den Volkswillen nicht erspart.

Das heißt aber keineswegs auf Katastrophen spekuliren, unsere Tattit auf Katastrophen zuspizen. Das bildet vielmehr den stärksten Antrieb zu gefeßlicher Thätigkeit und zu Reformarbeit, das heißt zu jener Wirksamkeit, durch die wir unsere Macht erweitern und be­festigen, also zur Ausnutzung jeder gefeßlichen Möglichkeit, unsere Organisation zu entwickeln, neue Bofitionen zu gewinnen, Erfahrungen zu sammeln und die Volksmasse für unsere Idee zu begeistern. Unsere Aufgabe ist es nicht, Katastrophen heraufzubeschwören, sondern vielmehr jeden Vorwand zu solchen zu vermeiden, und danach zu wirken, daß wir die Mehrheit der politisch thätigen Volksmasse für uns gewinnen, bis schließlich die regierenden Klassen den Glauben an sich selbst verlieren und ihr Zusammenbruch unvermeidlich ge­worden ist.

Aber trotzdem Umstände, die nirgendwo wiederkehren, in England eine Zeit lang das Bündniß zwischen dem bürgerlichen Radikalismus und dem Proletariat begünstigten und das Aufkommen einer selbständigen Arbeiterpartei erschwerten, trotzdem hat dieses Bündniß auch dort auf die Dauer keine glänzenden Ergebnisse für die Partei gezeitigt, die es unternahm.

Aber treibt denn die Sozialdemokratie antireligiöse Propaganda, erklärt sie nicht immer und immer wieder die Religion für eine Privatsache? Was sollen wir noch mehr thun? Und Patriotismus! Ja, was heißt Patriotismus? Wenn er Begeisterung für unsere Zu­stände bedeutet oder Chauvinismus, dann können wir nicht mit­thun. Wenn er aber das Streben bedeutet, die eigene Nation glüdlich und blühend zu machen, dann giebt es keine besseren Patrioten als u118. In der Verspottung der Religion und der Geißlung der heimischen Zustände hat die bürgerliche Demokratie ehedem ganz Anderes ge- Das machtvolle englische Proletariat im Vereine mit dem macht­leistet, als die Sozialdemokratie. Wir sind die wahren Waisentnaben vollen englischen Liberalismus: mußte das nicht eine Partei geben gegen jene. Wenn uns einmal ein recht kräftiges Wörtlein in der von einer Reformfreudigkeit und einer Kraft, der nichts widerstehen Beziehung entfährt, dann ist es sicher ein Zitat aus der Literatur fomite? Aber zu einer solchen Position gelangte die liberale Partei der bürgerlichen Demokratie vor 1848. Warum flüchtete die Bourgeoisie kaum vorübergehend, und heute liegt sie am Boden, ohnmächtig, damals nicht vor deren Bedrohungen der Religion und des Patrio- hilflos, zerfahren und zerfallen. Das ist das Endresultat des Bünd­tismus unter die Fittige der Reaktion? nisses zwischen radikalem Bürgerthum und Proletariat.

Die Sache liegt eben ganz anders, als sie Bernstein erscheint. Die liberale Partei konnte auf die Stimmen der Arbeiter nicht Nicht, weil wir Religion und Patriotismus bedrohen, wird der spekuliren, ohne diesen etwas zu bieten: viele Versprechungen und Ganz anders sieht Bernstein die Entwickelung zur Demokratie. Bourgeois reaktionär, sondern umgekehrt, weil er reaktionär wird, geringe Thaten. Aber dies wenige reichte bereits hin, immer weitere Er nennt das allgemeine Wahlrecht ein Stück Demokratie, das zetert er über unsere Bedrohung der Religion und des Patriotismus. Schichten der Bourgeoisie gegen den Liberalismus zu erbittern und auf die Dauer die andern nach sich ziehen muß, wie der Magnet Wie steht's aber mit der Freßlegende"? Treibt die nicht die ihm abwendig zu machen. Wenn die konservative Partei heute eine die zerstreuten Eisentheile an sich zieht. Das geht wohl langsamer vor Bourgeois in die Reihen der Reaktion, und ist sie nicht so stolze Macht in England ist, verdankt sie dies vor allem dem fich, als Mancher es wünscht, aber trozdem ist es im Wert." völlig veraltet? Das kommt darauf an, was man darunter Abfall der Bourgeoisie vom Liberalismus. Die liberale Partei Allerdings sehr langsam; seit einem Vierteljahrhundert hat das all- versteht. Bei Bernstein wird das nicht ganz flar. Er kann ein Bündniß mit dem Proletariat schließen, nicht aber die gemeine Wahlrecht in Deutschland fein weiteres Stückchen Demo- meint, sie sei veraltet, weil es sich unter keinen Umständen Bourgeoisie.

fratie angezogen, das der Rede werth wäre, wohl aber ist seitdem um eine allgemeine, gleichzeitige und gewaltthätige Expro- Innerhalb der Partei selbst aber wachsen die Gegensäße, die in Deutschland gar manches Stück Demokratie flöten gegangen! priation, sondern um die allmälige Ablösung durch Organisation jede geschlagene Armee desorganisirenden persönlichen Gegensäge Selbst der zahmste Demokrat in Deutschland gesteht, daß wir mitten und Gesetz handelt". Legt er das Schwergewicht auf das Wort unter den Führern frenzen sich mit den prinzipiellen Gegensätzen in der Reaktion stehen. Bernstein aber findet, daß das allgemeine Grpropriation", dann hat er die veraltete Freßlegende in zwischen den proletarierfreundlicheren, nach vorwärts drängenden und Wahlrecht zwar langsam, aber sicher die anderen Stücke Demokratie feiner Stuttgarter Erklärung selbst noch produzirt, in dem Sage: Den ganz zur Bourgeoisie haltenden Politikern, die finden, daß man nach sich zieht. Wenn's nicht schneller geht, so ist die Sozialdemokratie" Die Expropriation der Kapitalisten" gehört zu den Forderungen den bürgerlichen Anhang nicht noch mehr vor den Kopf stoßen dürfe. daran schuld mit der verkehrten Taktit, die sie der Bourgeoisie des Programms der Sozialdemokratie und wird von niemand be- Die liberale Partei kann keine Bourgeoispartei mehr werden, dazu gegenüber einschlägt. Wenn man Bernstein entgegenhält, daß die stritten"." hängt sie zu sehr von den Arbeitern ab, und doch hat sie nicht die