Knzelpreis 70-eüer.(Einschließlich S Heller Porto!12 Zabrgang.Gamstag, 22 Oktober 1932Rr. 220.»stier macht Außenpolitik.Berlin, 21. Oktober. In einem offenenBrief an den ReichskanKer hat Wolf Hitler Behauptungen über den Standpunkt der deutschenRegierung in der Abrüstungsfrage aufgestellt,die der deutschen Außenpolitik nicht" gut tunwerden.Hitler behauptet: Deutschland sei mit einemAufrüstungsprogramm vor die Welt getreten; eShabe die Forderung nach einer 300.ÜÖQ Mann-Armee erhoben; es habe ferner den Bau vonGrpßkampfschiffcn ufw. gefordert.>Dies« drei Bohmlptuntzen sind nach den Erklärungen der Regierung in vollem Umfangeunwahr. Deutschland habe niemals andere Forderungen erhoben, als diejenigen, welche dasMemorandum vom 29. August enthält.Pagen roll Norm Schleicherersetzt werden.Wie uns aus Berlin mitgeteilt wird, sollenernsthafte Bestechungen im Gange sein, umPapen aus dem Sattel zu heben und an seineStelle Schleicher zu setzen. Dieser Plan soll vorallem vom Zentrum und der Bayrischen Polfs-partei, di« sich immer mehr den Hakenkreuzlernnähern, uMerstützt werden, während Hindenburgdem Streich Widerstand leistet.Pagen kurve«die Arbeltsloscnifflcr anBerlin, 21. Oktober. Wie die ReichsanstaltKur Arbeitslosenversicherung und Arbeit»»«»wittlung mitteilt, beträgt die Zahl der Arbeitslosen, die bei den Arbeitsämtern gemeldet sind,Mitte Oktober 1932 rund 3,150.000. Dies« Ziffer liegt um rund 48.000 hrytirr. derjenige» vomEnde des vorhergehenden Monats.SPP. fordert Sozialisierung.Kiel, 21. Oktober. In drei Rlastentund-tzebunaen der sozialdemokratischen Partei kündigt« Professor Erik Noelting umfangreiche So-iialifierungSanträge der SPD an. Für dieseAnträge werde man eine Bolksbeivegung schaffen, der keine Regierung gewachsen sei. Sozialisierung der Schlüsselindustrien sei heute durchaus möglich und entspreche dem Wunsch« vonvier Fünfteln der Bevölkerung.Zusammenstößeim Ssterreitvisdien ParlamentWien, 21. Oktober(AR). Im Nationalratkam es heute zu einem stürmischen Zwischenfall.Zunächst beantworteten Justizminister Schuschnigg, Bundeskanzler Dr. Dollfuß und Staatssekretär Fey die gestern gestellten Anfragen der,Sozialdemokraten. Nach den Erklärungen desStaatssekretärs Feh sagte Bundeskanzler Dr.Dollfuß auf einen Zwischenruf des Abgeordneten Dr. Bauer:„Sie sind em Bolschewik.-Ihnen ist es nur mit der Diktatur des Proletariates ernst!" Darauf antwortete Dr. Bauer:»Ein ehrlicher Bolschewik ist immer noch besserals ein Mensch, der seine Gesinnung ändert, wieer eS braucht." Als Präsident Dr. Renner darnach die Debatte eröffnen wollte, kehrte sichBundeskanzler Dr. Dollfuß zu ihm um und erklärte, Bauer hätte ihn Gesinnungslumpen genannt, Es erhob sich ein ungeheurer Tumult.Bon feiten des HeimatblockeS wurde von Lichten-egger gegen die Bänke der Sozialdemokratenem Tintenfaß geschleudert. Die Abgeordnetenstürmten gegen die Mitte des Saales und eSgelang nur schwer, sic auseinanderzuhalten.Anter ungeheurem Lärm wurde dl« SitzungUnterbrochen.Wien. 21. Oktober. Nach zweistündigerUnterbrechung wurde die unter lebhafter Un-vtchc unterbrochene Sitzung des Rationalrateswieder ausgenommen. Präsident Dr., Rennerdrückte seine schärfste Mißbilligung aus, daß derHeimatblockabgeordnete Licht«negg«r ein Tintenfaß geworfen hatte. Sodann wurde die Debatteüber die dringliche Anfrage fortgesetzt, in derenBerlayf der gvoßdeutschc Abgeordnete Fopstagleichfalls die, Auflösung des Hauses und einMißtrauensvotum gegen die Regierung beantragte. Dieser und der sozialdemokratische Antragauf Ausschreibung der Ncnwahlen würden mitknapper Mehrheit abgelehnt.■Kabincttsrckonstrnktionauf ein Minimum beschrankt.Außer Udrzal, Slavik und Viskovsku, scheidet nur noch»Ola ans.Die neuen Manner: Malppetr, nodZa und Cernu-Drttnn.Beduine Übernimmt das Eisenbahnressort.Prag, 21. Oktober. Am spät«« Nachmittag wurde heut« plötzlich ei« Minister rat,der letzt« der alten Regierung, einberufen. Allgemein zog man daraus de« Schluß, daß dieDemission der Regierung noch heut« amtlich verlautbart werde« wird. Ein« derartig« Berlaut-barung blieb jedoch aus. Jedenfalls will mandie Demission der Gesamtregierung, di« heutetatsächlich bereits beschlossen wurde, erstunmittelbar vor der Verlautbarung des neuenKabinetts veröffentliche«.Die neue Ministerliste, die heute bereitszirkuliert«, weist gegenüber den Kombinationen,di« in den letzten Tagen laut wurden, einig«bemerkenswerte Neuerungen auf, die geplantenAcnderungen sind nämlich bis ans den Wechselinnerhalb der agrarischen Minister auf einMinimum r«-«ziert worden.Bon den vier agrarischen Minister« des altenKabinetts scheiden drei, nämlich Udrral, Slavik und B i 8 k o v s k y überhaupt aus der Regierung ans, während BradaL aus dem Land-wirtschastsministerium in das Verteidigungsministerium übersiedelt; die Landwirtschaft übernimmt Hob!a, während das Innenministeriumdoch durch den mährischen LandespräsidentenO«rny besetzt werden soll, der zwar kein Par-lameMarier ist, aber seit langem zum eisernenBesitzstand der Agrarier gehört."Bon den sonstigen Ministern, mit derenAusscheidung fast sicher gerechnet wurde, soll unsnicht nur der Finanzminister T r a p l, sondernselbst der nationaldemokratisch« HandelsminifterMatoutzek erhalten bleiben. Sein präsump-tiver Nachfolger Jeirk hatte auf das Eisenbahnministerium aspiriert; da es jedoch beim alte«Ressort bleibt, sah der nationaldemokratisch« Klubauch von einem Wechsel in der Person desMinisterkandidaten«ch, wobei die Frag« offenbleibt, wie weit der industrielle Flügel der Partei unter Hoda« dabei die Hand im Spiel hatte.Ausgewechselt wird länglich nur»och derEisenbahnminister Hula, der wiederauf seine« Beamtenposten im Ministerium zn-rückgeht. Sein Ressort übernimmt nicht, wie manfrüher annahm, der Postminister Franke, derwieder das Postministerin« an BechynS hätteabtreten sollen, sondern BechyuS direkt,während das Ernährnngsministerium nicht«««besetzt, sondern von einem der Minister mit verwaltet werden wird.Alle anderen Minister, vor allem die b«i de udeutschen Minister, ferner Dr. Meißnerund Dr. Dorer von den tschechischen Sozialdemokraten, Dr. Benetz und Dr. Franke vonden Nationalsozialisten und von den Tschechischklerikalen K r a m«k und D o st a l«k, verbleibenin ihren bisherigen Refforts.Diese Aufteilung soll nach den am Abendvorliegenden Meldungen schon als, ziemlich feststehend gelten. Am späten Abend tagte der Parteivorstand der tschechischen Agrarier,«m namentlichder Einrechnung- des Richtparlamentaricrs Dr.L e r n Y in den agrarischen Besitzstand zuzustimmen. Wie man erfährt, sollen daraus be«sondere Schwierigkeiten jedoch»i ch t erwachsen.Nachdem die Einigung über die Personalfragen damit gesichert erscheint, wird»unmehrwohl erst die Frage einer Einigung über«in konkretes Arbeitsprogramm zumindest erst in den YZrundzügen gelöst werdenmüffen. Man muß also den weiteren Meldungen,daß die Bildung des neuen Kabinetts noch imLaufe des Samstag offiziell vollzogen werdenwird, vorläufig noch mit einer gewissen Reservegegenüberstehen.Die voraussichtliche Ministerliste.Das neue Kabinett dürfte also folgende Zusammensetzung haben:BOrterlldie Parteien:Tschechische Agrarier:Malypetr Präsidium,L e r« h(Beamter) Jnneres,Hodka Landwirtschaft,B r a d a c Verteidigung.Tschechischklerikal«:Kramet Unifizierung,Zug. Dostalek Arbeite«.Natioualdemokraten:Matoutzek Handel.Deutsche Agrarier:Dr. Spina Gesundheit.Sozialistische Parteien:Tschechische Sozialdemokraten:Bechynö Eisenbahnen,Dr. Meitzner Justiz,Dr. Derer Schule.Tschechische Nationalsozialisten:Dr. Benetz Slentzeres,Dr. Franke Post,Dr. Trapl(Beamter) Finanzen.Deutsche Sozialdemokraten:Dr. E zech Fürsorge.Demonstrationenin London.London, 21. Oktober. Di« Verhandlunggegen drei Arbeiter, die gestern bei der Eröffnungeines Seemannsheimes gegen Prinz Georg vonEngland demonstricrtcn und daraufhin verhaftetwurden, hatten heute im Osten Londons neueZusammenstöße zwischen Polizei und Arbeitslosen zur Folge. Eine große Menge Arbeitsloserversammelte sich vor dem Polizeigerichtshof undbombardierte die Polizei mit deinen und Flamen. Die Geschäfte und Läden wurden ausFurcht vor.Plünderungen geschlossen, Polizei zuPferde und auf Kraftwagen wurde zur Verstärkung herbeigeholt und trieb die Menge auseinander.Königreich Polen In Sicht?Prinz Sixtus von Bourbon als Anwärter.Paris» 21. Oktober. sEig. Drahtb.) Derradikalen„Volonte" wird aus Bukarest gemeldet,daß Prinz Sixtus von Bourbon vor einige«Tagen dort eiugetroffen fei, um di« ZustimmungKönig Earols zu seiner eventuellen Ausrufung zum König von Polen zu erbitten.Marschall Pilsudski, dessen Energie infolge seineshohen Alters nachgebe, habe die Absicht, Polenzu« Königreich zu machen, um ihm innere Unruhen zu ersparen.Versammlungsverbot in Wien.Wien, 21. Oktober. Alle für Samstag undSonntag einberuscnen sozialdemokratischen, kom-nluniftiichen und nationalsozialistischen Versammlungen im elften Wiener Bezirke sind verbotenworden. Auch eine große Versammlung der soziai-demokratischen Jugend, die für nächsten Sonntagin die Sportarena Engelmann im 17. Bezirkeeinberusen war, wurde verboten.Wien, 21. Oktober. Im Verlaufe der heutigen Sitzung des Wiener Gemeinderates stellteder christlichsoziale Gemeindrrat Kunschak denAntrag, den republikanischen Schutzbund aus denWiener Gemeindehäusern zu entfernen. Ter Antrag wurde unter lebhaften Zwischenrufen derChristlichsozichen von der Majorität abgelehnt.Micht ganz echteDemokraten.Am Donnerstag wurde von einer Stell«aus über den„Verfall des Parlamentarismusund der Demokratie" bewegliche Klage erhoben,von der sie einigermaßen überraschend klingt.Di« Stelle ist di« nationaldemokratisch«„Rü-rodni Lisch", also das Blatt des Herrn DoktorKramar, der bekanntlich einmal sein Bekenntnis zur Demokratie in dem Satz zusammenfaßte:„Gott sei Dank, daß wir. Fasristenhaben!" Wenn das Blatt einer Partei, derenFührer lange Zeit hindurch— allerdings nurso lange, als in« Hoffnung bestand, die tschechische Fascistenbewegung werde sich zum Vorteile der nationaldemokratischen Partei ausmünzen lasten— mit den Fascisten gelieb-äugelt hat, urplötzlich fein Herz für die Demo-kvatte entdeckt, so ist das verdächtig und es istin der Tat, wie wir noch sehen werden, garnicht schwer/ die Ursachen dieser- Wandlungaufzuspüren.Was die„Nürodni Lisch" über den Unterschied des Ansehens, den der Parlamentarismus früher, im alten Oesterreich und auchnoch in der ersten Zeit nach dem Umsturzgegenüber heute genoß, zu sagen weiß, istrichtig. Dieses Ansehen sowohl des Parlamentarismus wie des Parlamentariers war früher ein größeres. Wenn das Blatt sich darüber beschwert, die Würde des Parlamenta-riers und auch seine Popularität habe ebensowie das Parlament eine wesentliche.Einbußeerlitten, so wird man das nicht bestreiten können. Freilich wich man dem nationaldemokratischen Blatte dort weniger zustimmen können, wo es die angeblichen Gründe dieser Erscheinung aufzudecken sucht und auf die nocheinzugehen sein wird. Die Hauptursache fürdas reduzierte Ansehen des Parlamentarismus liegt in dem Scheitern der Illusionen,denen sich wette Volkskreise über die Wirkungsmöglichkeiten des allgenreinen' Wahlrechtes zur Zeit des Kampfes um dieses Rechthingegeben haben. Es hat eben immer Ungeduldige und Uneinsichttge gegeben, die glaubten, di« Eroberung des politischen Rechtesallein genüge, um rasch und zuverlässig eineradikale Besserung öffentlicher Zustände herbeizuführen und sie haben übersehen, daß dasallgemeine Wahlrecht nur das Mittel'einkann, um zähe und Schritt für Schritt.Verbesterungen rrnd Fortschritte zu erkämpfen.Die Beseitigung des alten politischen Systems,das auf dem Privilegienwahlrecht beruhte, latnicht auch die mit ihm verbündeten D»rt-schastsmächte beseittgt, diese haben sich vielmehr den neuen Verhältnissen anzupassen t<r-standen und durch raffinierte Äusnütz ingnationaler und religiöser Schlagtvortc, ,'owicdurch ihren auf eine wohlausgebaute Preisesich stützenden Einfluß auf die öffentliche Meinung halten sie noch immer die Mehrheit desVolkes geistig in ihrem Bann. Da nun dasallgemeine Wahlrecht nicht unmittelbar eineSchicksalswende wurde, sind viele an der nmgen Demokratie irre geworden und treibenohne Mast und Segel auf den grauen Meeren der Gleichgültigkeit und Hoffnungslosigkeit dahin, oder fühlen sich do-b irgendwieenttäuscht.Die Auswirkung dieser Enttäuschungwird naturgemäß auch auf die Institution derDemokratie, auf das Parlament und di« Mandatsinhaber übertragen, wozu noch kommt,daß die Demokratie, um sich erfolgreich auswirken zu können, nicht jene politisch geschulteund reif« Bevölkerung vorfand, die Voraussetzung für ihre richtige Wirksamkeit gewesenwäre und daß seitens der zur Herrschaft gelangten Mächte alles getan wurde, um dieDemokratie zu verfälschen. Der frühere Mini-'sterpräsident övehla, der übrigens die schwersteSchuld an der Herabwürdigung des Parlaments zu einer Scheininstitution trägt, hateinmal Erwägungen über das Sinken des