Nr. 274. Sonntag, 20. November 1932 Seite 5 Pietätlose Gcsdilditcn von grosen Toten, von ErMi Orlsar. W- imh MMm wrMe." Nur hereinspaziert, meine Herrschaften! Hier sehen Sie den unfehlbaren, einfachsten und wirksamsten, billigsten Schutz gegen alle Gefahren der Bombardierung im zukünftigen Kriege." So etwa war der Ton Patriotischer- Pari­ser Tageszeitungen, als sie vor kurzem eine Schaustellung besonderer Art im Anvalidenhotel ankünoigten. Tort, in einem der Hofe des Pracht­baus, welcher um das Rapoleongrab errichtet ist, wurden die neucrfundenen gas- und splitter­sicheren Unterstände gezeigt: eine überaus not­wendige und humane Erfindung! Denn der Zukunftskrieg ist doch unvermeidlich, nicht wahr? Und er.bringt doch dank den Fortschritten der Kriegstechnik die Bombardierung und Vergasung der Großstädte mit sich? Da ist es doch nur ein Gebot kluger Voraussicht, rechtzeitig vorzusorgen? Nun Wohl, in allen Staaten, wo man dieses Gebot der modernen Zeit richtig begriffen hat, sinken heute bereits Vorkehrungen für den Luft- fckutz im künftigen Kriege statt. AU der Spitze scheint im Augenblick Frankreich   zu marschieren. In Paris   hat sich eine Bereinigung unter dem TitelLOeuvre des abris(Schutzwerk") gebildet, und sie hat die erhabene Aufgabe ent- sprechend großzügig in Angriff genommen. Sie will die Massenherstellung solcher Unterstände organisieren. Der Chirurg Doktor M a r c i l l e hat einen höchst Praktischen Unterstand erfunden «nd auch bereits seine Herstellung rationalisiert. Eine große Glocke von zylindrischer Form, oben spitz endend, wird aus Betonguß hergestellt. Zwölf Personen können in ihr Auf­enthalt finden. Die Wände sollen stark genug sein, um gegen jeden Durchschlag von Bombensplittern zu sichern. Der Luftabschluß gegen außen ist ein vollständiger, weder Luft noch rin Giftgas kann eindringen. Die Erneuerung der Atemlust erfolgt im Innern auf chemischem Weg; ein Ventilator hält die Luft im Umlauf, ein Absorbtionsapparat reinigt sie von den Aus- atmungsgasen und ein Sauerstoffapparat ersetzt den Verbrauch. Die Zeitdauer, welche die Men­schen darin ohne Unterbrechung zubringen kön­nen, hängt nur von der Menge der lufterneuern­den Chemikalien und sonstigen Vorräte ab. Die Herstellung der Glocken erfolgt in großen Serien, der Preis soll verhältnismäßig niedrig sein und und nur etwa 200 X je Person betragen. Die Erzeugung erfolgt durch Guß und dauert nur wenige Stunden. Richt zu ersehen ist aus den Berichten, wo all die Unterstände Platz finden sollen, in welcher Weise sie vor schweren Bomben schützen(denn die schwersten schlagen Betonwände von 4.5 Meter durch, eine Dicke, die hier nicht entfernt erreicht sein kann), ferner ob di« Unter­stände auch gegen die Glühhitze desFeuer­sturms" unfehlbar schützen, nämlich der Feuer­säule, welche durch die Wirkung tausender kleiner Brandbomben in- der angegriffenen Stadt er­zeugt werden sollst Wir wollen' nur hoffen, daß di« Massen­herstellung einer bewährten großen Rüstungs­firma anvertraut wird. Denn so wie die Erzeu­gung der Schiffsgeschütze und der gegen sie ver­wendeten Panzerplatten logischerweis« in den glei­chen Konzern gehört, so doch auch die der Gas­bomben und der gegen sie schützenden Unter­stände? Es liegt doch nur im Interesse der Be­völkerung, welche von Nachrichten über neue mörderische Kriegsmethoden, auch gegen das friedliche Hinterland, aufgeschreckt wurde, daß man nun Schutzmittel erzeugt, welche ihr Hoff­nung geben, im Glücksfalle den Zukunstskrieg vielleicht überleben zu können. Wer sich sein kind­liches Gemüt bewahrt hat und den Herren glaubt, daß sowohl die Rüstungen als di« Schutz­vorkehrungen nur für die Sicherheit der Bevöl­kerung da sind, der braucht bloß die Steuern für Rüstungen aufzubringen und dann auch noch für Unterstände, Gasmasken u. dgl. einen Test seines Einkommens herzugeben. Er bekommt dafür die Versicherung, daß, wenn einmal unter Mitwir­kung der gleichen Herren«in Krieg entfacht wird, einige Aussicht besteht, daß er sein Leben behält; sclbsts wenns so schlimm kommen sollte, daß sein Heim zu Trümmern und Asche wird. E. Als Napoleon   starb, entnahm man dem Leichnam des großen Corsen das Herz, um es nach Frankreich   zu bringen, wo es heute noch, getrennt vom Körper Napoleons  , der 19 Jahre später im Jnvaiidendom seine letzte Ruhestätte fand, aufbewahrt wird. Als der Arzt, der die Einbalsamierung Napoleons   vornahm, nach kur­zer Abwesenheit zurückkam, sah er eine Ratte, die gerade dabei war, das Herz Napoleons   Weg­zuschleppen. Nur der Zufall verhinderte also, daß das Herz Napoleons   von einer Ratte gefressen wurde. Auch die Leiche Valentinas, der als schönster Schauspieler Amerikas   galt, wurde ein­balsamiert. Und während di« Zeitungen darüber' berichteten, wieviel Hüte und Hemden, Kragen­knöpfe und«Liebesbriefe man im Nachlaß des Künstler vorgefunden hatte, defilierten wochen­lang die Anhänger Valentinos an dem Schau­fechter vorüber, in dem man die Leiche des Künstlers ausgestellt hatte. Geradezu unheimlich ist die Geschichte, die mit dem Schauspieler Kainz nach seinem Tode passiert fft. Der Hofschauspieler Treßler wollte dem Toten die Totenmaske abnehmen und machte dabei Wohl Fehler. Jedenfalls konnte er, als der Gips sich verhärtet hatte, die Maske nicht losbekommen..stJn feiner; Derzweistung packte er, wie er selbst erzählt hat, den Toten am Hintcrkopf und begann zu ziehen und zu rei­ßen. Ganze Büschel.Haare hatte er dem Toten bereits ausgerifesn,<ns sich endlich die Maske löste. Nur die hervorstehenden Kiefer boten noch Widerstand. Ein letzter Ruck und auch diese Hemmung war überwunden. Aber wie sah nun das Gesicht des Toten aus? Die Zunge war her­vorgequollen und ließ sich nur mit großer Mühe wieder in den Mund zurückschieben. Der Unter- kriefer hing herab und mußte mit einer Ser­viette hochgebunden werden. Lion Feuchtwanger  hat diese Geschichte in seinem BucheErfolg" erzählt, ohne dabei allerdings anzugeben, daß Kainz der Tote war, mtt dem diese Geschichte geschah. Auch Oskar Wilde durste sein»letztes Gesicht nicht unverstellt mst in die Grube neh­men. Fern von der Heimat, verlassen von sei­nen Freunden, von denen erst auf die Nachricht von seinem Tod« hin einige sich um ihn küm­merten, starb Wilde in einem Keinen Pariser  Hotel. Seit Wochen hatte er seine Miete nicht bezahlt und so war es das erste, was der Wirt, als er erfuhr, daß sein Gast tot sei, tat, daß er ihm die-Goldzähne herausbrach, mit denen er sich bezahlt Machte.. Ein Freund des Dichter-, der sich mst der Absicht trug, den Leichnam Wildes später- auf- dem Pere Lachaffe besetzen zu lassen, sorgt« für die vorläufige Bestattung des Dichters auf dem Friedhof in Baqneux. Auf den Rat eines Aitztes ließ er die Leiche in Kalk betten, west dieser die Eigenschaft hat, die Skelettievung zu beschleuni­gen. Als jedoch die Umbettung der Leiche noch Jahren vorgenommen wurde, zeigte sich, daß der Kalk die Leiche nicht skelettiert, sondern konser­viert hatte. Nur die Haare waren noch getvach- sen, sonst bot sich der Dichter den Augen des Freundes, der ihn mst eigenen Armen in den andern Sarg hob, genau so, wie man ihn be­stattet hatte. Man mußte den Sohn des Dich­ters, der der Umbettung beiwohnte, fortführen, um ihm diesen entsetzlichen Anblick zu ersparen. Auch Schiller   fand nicht sogleich seine letzte Ruhe. Aus Gründen, die heute noch nicht ganz geklärt sind, wurde Schiller mitten in der Nacht ohne lcdes Aussehen zum Friedhof ge­bracht, wo man ihn in einem Gewölbe, das der Bestattung armer Adliger diente, beisetzte. Die­ses Gewölbe wurde von Zeit zu Zeit geräumt, wobei alle Knochen und Dargbeschläge, die an zurückliegende Bestattungen erinnerten, zusam- mengKragen und in einer gemeinsamen Grube bestattet wurden. Als nun die Räumung der Gruft wieder einmal bevorstand und somit die Befürchtung nahelag, daß die Gebeine Schillers für immer in einm Massengrab verschwinden würden, ließ der damalige Bürgermeister Wei­mars, der den Toten sehr geschätzt hatte, die Ueherreste Schillers heraussuchen. Doch trotz aller Mühe,, die man sich gab, konnte nur der Schädel des Dichters mit einiger BvstimmHcit aus dem großen Knochenhaufen festgestellt wer­den. Dieser Schädel wurde oer Stadtbibliothek über geben,.die ihn in einem besonderen Gefäß aufbewahrte. Goethe, der unter anderem auch osteologische Kenntnisse besaß, ließ später einen Jenaer   Gelehrten kommen, der dann aus dem großen Haufen, auf dem die Urberreste von 23 Leichen zusammenlagen, die Knochen Schillers herMlss uchte. Di« Knochen wunden nach einem Plan numeriert und als man sie ziemlich bei- einander hatte, zu einem Skelett zusammen ge­stellt, das dann mst dem Schädel zusammen in der Fürstengrust zu Weimar   beigesetzt wurde. Hundert Jahre später behauptete ein Pro­fessor, der sich nochmal aus die Suche nach Schil­lers Schädel begeben hatte, einen anderen Schä­del als den echten vorweisen zu können, so daß seither zwei Schädel vorhanden sind, die als Schwel Schliers gelten. Auch von Mozart   wird ein Schädel auf­bewahrt, dessen Echtheft nicht einwandfrei fest- steht. Als einzigen Zeugen dafür hatte man nur den Totengräber, der sich die Stelle gemerkt hatte, wo Mozart eingescharrt wurde. Er grub den Schädel später aus und vererbte ihn seinem Bruder. Airs dessen Besitz kam er in den Besitz der Stadt Salzburg  , die ihn heute noch bewahrt, ohne daß man allerdings mst Bestimmtheit weiß, ob sich der Totengräber nich geirrt hat. War es im Fall« Mozarts Pietät, die den Totengräber den Schädel des Komponisten aus­graben ließ, so wurde Haydns Schädel aus reiner Gewinnsucht vom Körper getrennt. Und zwar war es der Besitzer einer Schadelsammlung, in der bis dahin jedoch nur Mörder vertreten waren, der den Totengräber dazu brachte, den Kopf. Haydns vom Rumpfe M trennen. Der Sammler präparierte den«chÄxl, aber dann fürchtet« er doch die Entdeckung seines Ver­gehens und er verkaufte ihn. Als man einige Jahre später Haydns Ueberreste überführte, ent- deckte man, daß der Schädel fehlte. Da auch der derzeitige Besitzer des Schädels Furcht vor Ent- destung hatte, ließ er der Polizei einen Schädel zustellen, der jedoch nicht der Schädel Haydns war. Der echte Schädel kam-1830 in den Besitz eines Musikprofessors, dessen Erben ihn später der Gesellschaft für Musikfreunde schenkten. Heute noch liegt Haydns Skelett ohne Schädel in der Kalvaricnkirche zu Eisenstccht, währen­sein Schädel im Museum der Wiener   Musik- fvimnde aufbewahrt wird. Zum Schluffe mag hier noch eine Geschichte erwähnt sein, die erst vor kurzem bekannt ge­worden fft. Danach trug sich ein reicher Benetia- rrer mit der Absicht,' die Gebeine Casanovas nach Venedig   zu überführen, um sie dort im -Casanova-Museum berfetzen zu lassen. Diese Ab­sicht konnte jedoch nicht durchgeführt werden,! weil das Grab Casanovas nicht bekannt ist. Der Friedhof, auf dem der große Abenteurer bei­gesetzt wurde, ist schon vor langer Zest einge­ebnet worden. Damals wurde der Grabstein, der das Grab Casanovas bezeichnete, in den Garten des Schlosses Waldslein in Dux gebracht, wo man spater das Grab Casanovas vermutete, was sich aber dann als falsch herausstellte. Dieser Tatsache ist es zu verdanken, daß die Gebeine Casanovas nicht 135 Jahre nach sei­nem Tode nochmals auf die Reste müssen. So ward dem großen Abenteurer wenigstens im Tode die Ruhe zuteil, die den Gebeinen manches Größeren nicht vergönnt gewesen fft. Bei ErklltungskrankholtM nimm Qaneraldepot f flr d. ÖSR.: Braoiwrs Apethaka ,,Zum wtiBan LCwsa, Prag   ll. PHkagy 1t Zur konsumuenossensdialtiidien Werbewodie. In der Zeit vom 20. November bis 3. De­zember veranstalten die dem Verbände deutschrr Wirtschaftsgenosselffchaften ongeschlossenen Ko», sumgenossenjchasten eine große» allgemeine Werde» wache. Mit voller Berechtigung können die Kon­sumgenossenschaften darauf verweisen, daß ihre Leistungsfähigkeit trotz der Krise ungeschmä­lert aufrecht erhalten blieb. Während ungezählte Privatbetriebe und Handelsunternehmungen zu- sammengebrochen sind, stehen die Einrichtungen der Konsumgenossenschaften fest und bieten in Wahrheit den Verbrauchern wirtschafte l ich en Schutz. Noch niemals wax die Frage der planmäßi­gen Organisierung der Wirtschaft sp brennend wie heute. Die Anarchie des Kapitalismus, seine völlige Auslveglosigkeit, sein« Unfähigkeit, geord­nete wirtschaftliche Verhältnisse herbeizuführen und den breiten Massen des Volles Arbeit und Brot zu schaffen, muß uns dazu führen, den Kampf gegen ihn zu stärken, damit er vom Schau­platz der Geschichte abtrete. Er hat seine Rolle ausgespielt. Der politische Kampf der Ar­beiterklasse, der bedrückten Schichten des Land» Volkes, muß durch den wirtschaftlichen Kampf verstärkt werden. Es genügt nicht, dem Kapitalismus   irgendwelche Zugeständ­nisse abzuringen und ihm dann die wirtschaftliche Macht weiterhin zu geben, uns zu unterdrücken. Di« arbeitenden Menschen haben durch ihre Kaufkraft«in Mittel, mst dem sie den Kapi­talismus an der Wurzel treffen können. Was jeder einzelne ausqeben kann, ist für die Wirt­schaft kaum von Bedeutung: was aber die Ge­samtheit der arbeitenden Menschen ausgibt, ist entscheidend für den Gang und di« Richtrmg, welche di« Wirtschaft einschlägt. Wenn wir die Einkäufe der einzelnen Familien des schaffenden Volles in den Konsumgenossenschaf­ten zusammenfasfen, erlangen sie eine gewaltige Bedeutung. Je geringer das Einkom­men der einzelnen Familie ist, desto wichtiger wird es für sie, den vollen Gegenwert dafür an Bedarfsgütern zu erhalten- und in weiterer Folge mitzuschaffen, ,daß die Wirtschaft auf- eia« andere Grnndlage gestellt wird. Di« Zahl der Familien, deren Einkommen vernichtet und geschmälert ist, wird von Tag zu Tag größer. Damit wächst in den breitesten Volksschichten das Interesse an der Könsnmge- nossenschaftsbewegung. Dieses Interesse zu stei­gern und zur Tat werden zu lassen, ist das Ziel, das sich die konsumgenossenschaftliche Werbewoche gestellt hat. Meine Frau freut sich... wenn die Post dieUnzu­friedene", dat Wochenblatt der Frau, bringt f Einzelpreis 60 Hellar In Jeder Trafik erhttltiich I VktrtelJahrpreJ* nk Postzusendung w 7-50. Verwaltung: Prag   il Nekazanka 18. Zum Tode reif. Aus Kleists   Briefen an seine Angehörige». Zum Todestag des Dichters am 21. November. Einsam ist das Grab Heinrich von Kleists  an dem laubigen Hang am Kleinen Wannsce. Aber fast nie kommt man an die stille Stätte, ohne daß ein paar Blumen, ein Kranz oder auch nur Laubzweige zu Füßen des Steines lie­gen, der an der Stelle errichtet ist wo Kleist nach wirrem Leben Ruhe fand. Schwermut der Herbsttage drückte ihm die Waffe in die Hand, was aber verlor die Literatur der Welt dadurch, daß dieser Reichbegabte so früh aus dem Leben schied! . Aus seinen Briefen, von denen bedauer­licherweise nicht allzuviele erhalten sind, lernen wir den Menschen Kleist kennen. Im Jahre 1799, furz nach dem Ausscheiden ans dem Heer, das Kleist vollzog, weil der' fein organisierte Mensch das Soldotenleben haßte, schreibt er an seine Stiefschwester Ulrike:Ein freier, denken­der Mensch bleibt da nicht stehen, wo der Zufall ihn hinstößt; oder wenn er bleibt, so bleibt er aus Gründen, aus Wahl des Bessern. Er fühlt, baß man sich über, das Schicksal erheben könne, ja, daß es im richtigen Sinne selbst möglich sei, das Schicksal zu leiten. Er bestimmt nach seiner Vernunft, welches/Glück für ihn das höchste sei, er entwirft sich»einen Lebensplan und strebt seinem Mel ngch sicher anfgestellten Grundsätzen wit allen seinen Kräften entgegen. Solange ein Mensch noch nicht imstande ist, sich selbst einen Lebensplan zu bilden, so lange ist und bleibt er unmündig, er stehe nun als Kind unter der Vor-- mundschaft seiner Eltern oder als Mann unter der Vormundschaft des Schicksals. Die erste Handlung der Selbständigkeit eines Menschen ist der Entwurf eines solchen Lebensplans." An seine Braut, Wilhelmine von Zeuge, schreibt Kleist   aus Berlin   elf Jahre vor seinem Tobe am 22. November, und es ist, als ob der Tag seines Todes verschüttend die sonst so zuver­sichtlichen Töne aus jener Zeit verdunkelt hätte: Liebe Wilhelmine, deinen Brief empfing ich gerade, als ich sinnend an dem Fenster stand und mit dc»n Auge in den trühen Himmel, mit der Seele in die ttübe Zukunft sah. Ich war nicht recht froh, da glaubte ich durch deinen Brief ausgeheitcrt zu werden, aber du schreibst mir, daß auch dich die Zukunft beunruhigt, ja, daß Dich diele Unruhe sogar krank macht, o da ward ich ganz trgurig, da konnte ich es in dem engen Zimmer nicht mehr anshalten, da zog ich mich an und lief, ob es gleich regnete, im Halbdunkel des Abends durch die kotigen Stra­ßen dieser Stadt, mich zu zerstreuen und mein Schicksal zu vergessen." Irgendwie verdunkelt sich nun alles^für Heinrich v. Kleist. Er begibt sich auf eine Reise nach Paris  , geht dann in die Schweiz  , will sich hier ankaufen, fragt seine Braut, ob sie ihm nach der Schwei  ;»folgen werde. Sic lehnt cs ab, m».t Rücksicht auf ihre angeoriffbne Gesundheit. Im Mai 1802 schreibt Kleist   ihr: Siebes Mädchen, schreibe mir nicht mehr. Ich habe keinen andern Wunsch, als bald zu sterben." Der Spätherbst 1803 zeigt den Dichter von neuem in Zwiespalt und Verzweiflung: er spricht dies seiner Stief­schwester Ulrike gegenüber aus:Ich habe in Paris   mein Werk, soweit es fertig war, durch­lesen, verworfen und verbrannt. Und nun ist es aus. Der Himmel versagte mir den Ruhm, das größte der Güter der Erde, ich werfe ihm wie ein eigensinniges Kind alle übrigmr hin." Aus dem Spätherbst 1810, also ein Jahr vor Kleists   Tode, ist dann der seltsame Brief an Adolfine Henriette Vogel  , die Gattin des Ren­danten der Landschaftskasse in Berlin  , erhalten, die mit ihm zusammen in den Tod ging. Dieser Brief ist nur eine einzige Anrede, eine über­schwengliche Lobpreisung und schließt mit den Worten:wie lieb ich!" Die ergreifenden Briefe kurz vor seinem Sterben an Marie v. Klcfft müssen ihr das Herz zerrissen haben. Kleist schreibt ihr am 9. Novem-, ber 1811:Mitten in dem Triumphgesang, den meine Seele in diesem Augenblick des Todes an­stimmt, muß ich noch einmal deiner gedenken und mich dir, so gut ich kann, offenbaren, bie­der Einzigen, an deren Gefühl und Meinung mir etwas gelegen ist; alles andere auf Erden, das Ganze und Einzelne, habe ick völlig in mei­nem Herzen überwunden. Ich habe dich wäh­rend deiner Anwesenheit in Berlin   gegen eine andere Freundin vertauscht, aber wenn dich das trösten kann, nicht gegen eine, die mit mir leben, i sondern, die iut Gefühl, lvß ich ihr ebensowenig j treu sein würde, wie dir, mit mir sterben will. Mehr dir zu sagen, läßt mein Verhältnis zu dieser Frau nicht zu. Nur so viel wisse, daß meine Seele, durch die Berührung mit der ihri­gen, zum Tode ganz reif geworden ist... und daß ich sterbe, weil mir auf Erden nicht« mehr zu lernen und zu erwerben übrig bleibt." Am 19. November folgt ein neuer Brief:Ich schwöre dir, es ist mir ganz unmöglich, länger zu leben; meine Seele ist so wund, daß mir, ich möchte fast sagen, wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht weh tut, das mir darauf schimmert. Das wird mancher für Krankheit und überspannt halten." Am 20. No­vember bestätigt er nochmals seinen Todeswillen: Meine liebste Marie, wenn du wüßtest, wie der Tod und die Liebe sich abwechseln, um diese letzten Augenblicke meines Lehens mit Blumen, himmlischen und irdischen, zu bekränzen, gewiß, du würdest mich gern sterben lassen. Ach, ich versichere dich, ich bin ganz selig." Am Morgen von Kleists Todestag folgt noch als letztes ein Brief an seine einst so aeliebte Schwester Ulrike, der die letzten Jahre ihn fremd gemacht hatten. Jetzt sucht er noch einmal ihre Hand zu fassen:Lebe   wohl. Möge dir der Him­mel einen Tod schenken nur halb an Freude und unaitssprechlicher Heiterkeit dem meinigen gleich: das ist der herrlichste und innigste Wunsch, den ich für dich auszubriuaen weiß." So starb-Heinrich v. Kleist. a; f.