Bunte Woche

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Wochenausgabe für Stadt und Land

Eigentümer, Verleger, Drucker und Herausgeber: Druck- und Verlaganstalt Vorwärts Chefredakteur: Julius Braunthal   Verantwortlicher Redak­teur: Franz Kuderna- Sämtliche in Wien V  , Rechte Wienzeile 97- Filiale der Bunten Woche in der Tschechoslowakei  : Prag   II, Nekazanka 18

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Prag

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Postabonnement für die Tschechoslowakei  : Einzelexemplar 1-, viertel­jährig 13-: für die österreichische Republik monatlich 90 Groschen; für Deutschland  : Einzelexemplar 15 Pfennig, monatlich 65 Pfennig, vierteljährig Mk 2- Für das übrige Ausland: Einzelexemplar Schweizer Franken-20

SONNTAG, 25. DEZEMBER 1932

LESEPROBE

Die Bunte Woche"   Widukind, Cliquenbulle der Dollen Hunde"

bringt heute:

Wenn ich Carnegies Geld hätte... Antworten auf eine Rundfrage der ,, Bunten Woche" von Schalom

al

Asch, Hugo   Breitner,   Alberta 20 Einstein, Robert   Kronfeld, Sinclair   Lewis, Josef   Luitpold, Heinrich  

Mann, Julius   Tandler, Hans   Tietze

Einbruch in den Himmel. Von Prof. James   Jeans

Die Insel der 555 geheimnisvollen Götter. Von Professor Walter Sniden

Die Geheimnisse der   Berliner Unterwelt

Von

ALEXANDER STERN

Bünde jugendlicher Verwahrloster sind eine der schauerlichsten Erscheinungen der Notzeit in  Berlin. Als nach dem russischen Bürgerkrieg und den ihm nachfolgenden Hungerjahren Kinder­horden plündernd das ungeheure Reich durchzogen, konnte sich die gelbe Presse nicht genug tun mit Schilderungen der Bezprisorni". Dagegen schweigen sich dieselben Blätter hartnäckig über die Cliquen" aus, über die zu festen Scharen zusammengeschlossenen Jugendlichen in den Tiefen  Berlins. Fürsorger und Polizei geben über sie nur ungern und ungenau Auskunft, weil sie gegen das Treiben machtlos sind, da sie ja einen Teil seiner Ursache, der herrschenden Gesellschaftsord­nung, bilden. Hier wird vom Häuptling einer solchen Clique berichtet; seine Erzählungen und Füh­rungen boten Anstoß zu gründlicherer Nachschau auf diesem dunkeln Gebiet.

Er hieß wirklich und wahrhaftig Widu­find. Der Teufel weiß, was sich der Vater Lüttenweihnachten. Von Hans des enaben gedacht haben mag, als er seinen  Fallada Einzigen mit diesem lächerlichen Vornamen fürs ganze Leben strafte.

Gibt es eine empfängnisfreie Zeit der Frau? Von Dr. Paul Stein

Widukind kam zu mir, als der Brief. träger Schwan ermordet worden war. Man erinnert sich dieser Bluttat vielleicht noch, weil damals eine Spur nach   Mödling bei Eine Königin amüsiert sich. Von   Wien zu führen schien, die sich nachher als falsch erwies. Der Geldbriefträger war auf Stephan Zweig die übliche Art mit einer kleinen Bostanwei­Kaiser Karl hat Angst vormeinen sung in eine   Berliner Wohnung gelodt und Mordplänen. Von Staatskanzler mit dem erbeuteten Geld nach der Niviera, dort erschlagen worden. Sein Mörder floh a. D. Dr. Karl   Renner und nahm seine beiden Schwestern mit. Er hieß Reins, war ein Maurer, sah aber mit Wenn es Blut und Tinte reg- seiner schwarzen Hornbrille und seinem net... Von Prof. Geoffrey Abendanzug nicht um ein Saar anders aus als die übrigen Gäste der Bars und Dielen Was plauscht Ihr Kind? Ein im   Berliner Westen, wo er sich dauernd mit Preisausschreiben für die Mütter seinen Schwestern herumtrieb. Ein Stragen, den Reins an der Mordstelle zurückließ, und ein Brief, den eines der Mädchen ihrer

Die nächsten ,, Bunten Wochen" bringen u. a.:

Norbert Bauer(   Kairo): Flug über den schwarzen Erdteil

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Ludwig Wagner:   Ludendorff der General ohne Armee

Robert Ehrenzweig: Der 15. März 1938 Anthony Autum: Todeskampf auf dem Meeresgrund

Carlos Ojeda: Wenn das rote Tuch des Torero fliegt... Die Wahrheit über die   spanischen Stierkämpfe Karl  

Ziak: Im Reifrock auf den   Montblanc Prof. Aug. Ginzberger: O Tannenbaum... Emil Maas: Amtsschimmel jenseits des Ozeans Oskar  

Jellinek: Geschichte eines Haus­lehrers

Tom Gill: Das Geheimnis der Dschungel­lagune Adolf  

Dygasinski: Ein Hundelos... Fritz   Rosenfeld: Der Zar von Holy­wood

Mortimer Walsh; Giganten bei der Arbeit Gina  

Kaus: Die Tante mit dem ge­brochenen Herzen

Paul Keri; Bela   Kun, die Geschichte eines Schicksals

Wilhelm Börner: Ferdinand   Sauter Karel  

Capek: Helene

Otto Koenig:   Portikus mit Wind

Eugen Heltay: Susi

Artur Redlich: Hans Sachsens Gewerbe Erich Hülsenbeck: Dampferfahrt in den

Tropen

Jens C. Nielsen: Das Lasterschiff

Prof. Otto Erich   Deutsch: Drei   Wiener Hellseherinnen über den Herzog von Reichstau

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Mutter schrieb, brachte die Polizei auf ihre Spur, und als sie eben unter dem Himmel ihrer Sehnsucht aus dem Zug stiegen, wur­den sie festgenommen.

Der Fall erregte um so mehr Aufsehen, als mehrere ähnliche Bluttaten kurz vorher unaufgeklärt geblieben waren. Die   Berliner Zeitungen waren voll davon, und eines Tages legte man mir dort eine Bisitenkarte auf den Schreibtisch in der Redaktion: Widu­find Welter. Darunter stand mit Blei stift geschrieben: Wichtige Angaben über den Mörder Reins und seine Schwestern.

Schicken Sie ihn herein", sagte ich dem Redaktionsgehilfen. Hat der Mann Schild, Speer und Vollbart? Widukind?" " Wat denn! Is doch' n Junge,' n Pup­penjunge obendrein."

Widukind tritt auf Widukind trug, viele   Berliner Jungs halten das für vornehm, einen Blazer, eine marineblaue Segeljade mit 3ivei Reihen zwei goldener Knöpfe, eine helle Hose und feinen

Hut. Seine blonden Haare waren sorgsam onduliert, unter den Augen lag ein blauer Schimmer Schminke: Ein Puppenjunge, wie sie in   Berlin auf den Strich gehen.

Koks

Ich ließ Widukind reden. In einer son-­derbar nervösen Art erzählte er von den Geschwistern Neins, die er sehr gut fannte, von den Lokalen, in denen er sie getroffen hatte; er sprach merkwürdig fingend und eintönig, sprang immer ab, fragte, ob ich  Alexandria fennte, dort wäre er geboren und in   Stockholm hätte er Verwandte, dann sprach er wieder von den Reins...

Ich hörte schweigend zu und dachte nur immer: Was hat der Bub? Ein Berdacht wurde in mir rege. Diese Art, zu sprechen, zu blicken und während des ungeordneten Nedens nach allem Möglichen zu greifen, hatte ich schon als Student beobachten kön­nen. Sollte der Junge...?

Widukind sprach, sprach, aber plößlich verlor er, alle Zusammenhänge, lallte, fein Stopf schlug auf den Tisch auf, er versuchte, ihn hochzureißen...

Ich sprang zu ihm, fragte: Stofain?" aa Kofs" Er hauchte es, fant

um und schlief.

Wir legten den Knaben auf eine Bank, schoben ihm etwas unter und ließen ihn seinen Rokainrausch ausschlafen. Spätnach mittags erwachte er:" Wo bin ich? Hab' ich was gesagt?"

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Ich beruhigte ihn, kochte ihm einen star­fen Kaffee in jeder anständigen Redaktion fann man Raffee kochen und dann hatten wir eine lange Unterredung miteinander. Er faßte Zutrauen zu mir, ich erfuhr, daß er nicht in   Alexandria, sondern in Neu­  Ruppin geboren worden war, bald nach seiner Geburt fiel sein Vater in   Flandern, seine Mutter brachte sich irgendwie durch, er sah sie oft wochenlang nicht, obwohl sie zusammen wohnten. Ich fragte ihn under­mittelt:

Und zu welcher Clique gehörst du?" Wat wissen Se von Cliquen?" ,, Genug. Ich kenne» Schnapsdrossel«, > Santa Fée, Dredstiebel«,» Mädchenschen, » Waldpiraten<,> Bauernschreck«,» Schwarze Liebe, Roter Schwure,» Nordlicht<,> Tar­tarenblut<<,» Todesverächters, Blutiger Knochen, dann kenne ich noch die Noten Apachens, Trapperblitt und Indianer­blut, außerdem» Marterholz<,> Steinfalle< und noch ein paar."

Meine Kenntnisse machten auf Widukind einen solchen Eindruck, daß er jetzt wiederum mir imponieren wollte. Darum sagte er:

Und wissen Se, wer ich bin? Ich bin der Cliquenbulle von die» Dollen Hunde«." Cliquenbullen,-burschen und-kühe

Die Cliquen heißen richtig" Wilde Cliquen". Nach einer vorsichtigen Schätzung haben sie ungefähr zwanzigtausend Mit­glieder in ganz   Deutschland. Etwa fünfzehn­tausend gehören zu den sogenannten Wan­Sercliquen, also Nudeln, die frei herum­streifen und eigentlich nichts Böses tun. Ge­legenheitsverdienste ihrer Mitglieder werden in eine gemeinsame Rasse gezahlt, Besuch von Rummelplägen, Ausflüge und gelegent­lich Plünderung, von Obstgärten oder Kar­toffelädern wird so finanziert, ebenso ihre ( Für die Bunte Woche" gezeichnet von Arthur   Stadler) Feste, bei denen die Burschen einander ihre Mädel umschichtig zuschieben.

Weihnachten in unserer Zeit...