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Mittwoch, 18. Jänner 1883
Nr. 18
Mankos Verständnis im Innenministerinm für die Bedürfnisse der Bevölkerung. Genosse Kremser für Reorganisation des Verwaltnngsannarates.
Illusion wiegen. Hitler den alleräußersten Anstrengungen von über 10.600 verlorenen Stimmen kaum sechstausend zurückgewinnen, das ist nicht überwältigend und man weiß, daß es bei allgemeinen Reichstagswahlen noch anders aussehen würde. Eben das ist es, die Angst vor Neuwah­len, was Hitler   veranlaßte, seinen ganzen Troß nach Lippe zu werfen. Er weiß, nach neuen Wahlen wäre es mit der Großschnäu­zigkeit, mit dem Auftrumpfen, mit dem For­dern endgültig vorbei, dann hieße es, sich hübsch bescheiden in eine andere Rolle zu fügen. Hiller hat politische und finanzielle Gläubiger. Er hat an sie in den letzten Jah­ren so viele Wechsel ausgestellt, daß diese das Vertrauen zu verlieren beginnen und auf die Einlösung nicht länger warten wollen. Nun sollte ihnen gezeigt werden, daß sowohl die investierten Hoffnungen wie die gespendeten Gelder sich doch noch einstens rentieren wer­den. Es sollte ihnen zum Bewußtsein gebracht werden, daß Hitlers Hoffnung, Kanzler zu werden, noch keineswegs erloschen ist und daß dafür auch alle Voraussetzungen gegeben sind. Schleicher tolerieren? Das fällt dem Ober- osaf nicht ein so will er wenigstens glau­ben machen. Man wird wahrscheinlich schon in wenigen Tagen sehen, wie es in Wahrheit «m Hitlers   großmäulig angekündigten Kampf­willen steht. Am Freitag tritt der Aeltestenrat des Reichstags zusammen, da wird es sich zeigen, welche der Richtungen in der national­sozialistischen Partei die Oberhand hat: Es ist nicht ausgeschlossen, daß es jene ist, die da glaubt, jetzt nach Lippe alles auf eine Karte, das sind Neuwahlen, setzen zu können. Doch bis zum Freitag müssen noch einige Tage verstreichen, bis dahin können die Nazis sich die Sache noch gründlich überlegen. Vor­läufig hat das billige Triumphgeschrei über Lippe den Charakter eines Zwischenspiels und dient dazu, die unzufriedene SA-Mannschaft ünd die verdrossen gewordenen Nachläufer Hitlers   zu beruhigen. Desien Pathetik, nut der er aus dem aufgebauschten Erfolg die Folgerung zieht, nun sei die Zeit etwaiger Kompromisse endgültig vorbei, wird niemand ernst nehmen und soll in Wahrheit nur den Kuhhandel vergesien machen, den er jetzt im eiligen Bestreben, den Wahlausfoll von Lippe auszunützen, mit wie er glaubt gestärk­ter Position erst recht mit Schleicher oder Papen oder Hugenberg betreiben wird. Am Freitag wird jäenfalls Gelegenheit sein, zu beweisen, ob der Nationalsozialismus wirklich bereit ist, mitverdoppelter Kraft" gegen alle Kompromißpolitik zu kämpfen, er braucht nur für den von den Sozialdemokraten und Kom­munisten eingebrachten Mißtrauensantrag zu stimmen. Bisher war das Bestreben der Nazis, der Einberufung des Reichstags entgegen zu wirken, um einer klaren Entscheidung für oder gegen Schleicher auszuweichen. Nun wird es schwer werden, sich noch weiter zu drücken und man wird darum bald sehen/ wie weit es mit der Entschlossenheit Hitlers   her ist. Genoffeni Ztagrt»et leDerdeo  «a8ett tuet &arteia&aeit&en!
Prag  , 17. Jänner. Die Debatte im Budget­ausschuß zum Kapitel Innenministerium gab einer Reihe von Rednern begründeten Anlaß zu verschiedenen Klagen über die Rückständigkeit nnd Verknöcherung dieses Refforts, in dem manchmal noch direkt vormärzliche Zustände herrschen. Von unserer Fraktion nahm Genösse Kremser die Gelegenheit wahr, sich eingehen­der mit den Auswüchsen der Bürokratie zu be- faffen, unter denen namentlich die deutsche   Bevöl­kerung oft schwer zu leiden hat. Beim Kapitel Justizministerium   urgierte Genoffe Kremser eine schnellere Erledigung der ein­zelnen Fälle, namentlich auch der Ausfertigung der Urteile; eine rationellere Einteilung könnte trotz der Ueberlastung der Gerichte noch manches beffern. Der BerwaltungSgerichtshof könnte wesentlich entlastet werden, wenn man bei Dingen allgemeiner Natur den Unterbehörden die Weisung geben würde, die schon vorhandenen Entscheidungen zur Grundlage zu nehmen. Wir begrüßen den Entwurf über den 8 144, in dem zwar noch nicht die endgültige Lösung unserer sozialistischen Forderungen gefunden ist, der aber doch einen wesentlichen Fortschritt bedeutet; ebenso begrüßen wir den Entwurf über dre Todesstrafe. Dringend urgieren wir das Kartellgefetz, weil die Kartelle bei uns in ganz besonderer Art ihr Unwesen treiben. Beim Innenministerium müssen wir leider seststelle», daß die Bürokratie seit der Brrwal- tungSrrform Orgien schlimmster Art feiert und daß hier Auswüchse zu verzeichne« find, deren Abstellung im Interesse der ganzen Bevölkernng und vor allem deS Staate- gelegen wäre. Dor allem ist der Apparat viel zu schwer­fällig, zu umständlich nnd zu kompliziert; daß eine Erledigung jahrelang auf sich warten läßt, ist durchaus nicht selten. Namentlich die Landesbehörde in Böhmen   ist ein Wasserkopf im ganzen Verwal­tungsapparat; die Aufteilung der Agenda im Ein­zelfall auf vier bis sechs Abteilungen führt zu unge- heueren Verzögerungen; dabei gibt eS gewiffenloie Beamte, die an der Aktenverschiebung eine besondere Lust finden- Wenn dann die Bevölkerung auf die Behörden schimpft, so ist das kein Wunder! Die Verwaltungsbehörde« gebe« sich über­haupt keine Mühe, die Entscheidungen des Obersten BerwaltuugsgerichtShoses zu studieren. Io kommt es vor, daß Fälle, die bereits einbeut'g vom Obersten BerwaltungSgericht entschieden wur­den, wiederum den ganzen Instanzenweg. durch­wandern müssen, biS neuerdings dieselbe EbtschcidÄnß erflieht. Raairlelnsume Musik. Eine Ueberspitzung liegt namentlich in der Frag; des Uniformtragens durch Vereine vor. Kaum zeige« sich fünf Leute mit gleichem Hemd auf der Straße, so erblicken die Polizisten und Gen­darmen darin sofort»«erlaubte Uniformen. Im letzten Sommer ist man soweit gegangen, daß man dem Sozialistischen Jugendverband nicht j nur das Tragen von blguen Hemden, sondern auch das Mityehmen pon Musik, beziehungs weise einer roten Fahne verboten hat. Der Bezirks Hauptmann von Aussig   hat wieder ein Verbrechet, darin gesehen, daß junge Leute sich drei Pfeile ins Hemd, eingestickt haben. Wollen Sie mit derartigen
Schikanen Liebe zum Staat erwecke«? Oder war soll man dazu sagen, daß auf Grund der Vorfälle von Dux einfach alle Fackelzüge im deutschen Gebier wegen Feuersgefahr" verboten werden? Nadelstich polltil«. In de« Bezirken ist von Demokratie wenig zu merken; der Bezirkshauptman» regiert meist diktatorisch. Die Behörde« huldigen vielfach der Auffassung, daß sie nur zum Schutz eine- bestimm­te» Teiles der Bevölkerung da find! So wurde in der Gemeinde Kostenblatt dem Kino von der Bezirksbehörde tschechische Unter­titel bei den Filmen vorgeschrieben; die Bezirksbe­hörden in Böhm.-Leipa und Reichenberg gehen noch weiter, indem sie die Gemeinden zwingen wollen, mit de» Behörden und Gerichten ausschließlich tschechisch zu verkehren. Mit derartigen Dingen verstimmt man nur die Menschen! Die Buchführung in deutschen   Bertretungsbezirken wird nur tschechisch geführt. Wie soll dann ein deutsches Mitglied der Finanzkommission diese Buchführung verantwortlich kontrollieren? Ost verstehen auch die Beamten, die immer im politischen Dienst standen, von den Ver­waltungsausgaben des Bezirkes nichts und müssen sich auf einen Beamten verlassen, dem sie völlig aus­gesetzt sind. Wir sehen daS im Falle Mies. Ein be­sonderes Stück ist die Auslösung des von Gemeinde­vertretern gewählten Hilssausschuffes für Arbeits­lose in Deutsch-Gabel durch den Herrn Dr. Byskokil, dessen Tätigkeit man zu kritisieren wagte. Venn der Amtsschimmel gaiioppiert... Daß wir Nebenregierungen haben, wird natürlich nie zugegeben. Kürzlich wurde aber wieder einmal der klare Beweis erbracht, daß diese tat­sächlich existieren. Die Gemeinde Klein-Augezd hat im Amtsblatt vom 8. Dezember v. I. die Posten eines Waffermeisters und eines GemeindcsekretärS ausgeschrieben. Am 8. Dezember hat der Zenttalaus- schuß der Narodni Jednota Severokeska bei der Landesbehörde Beschwerde eingelegt und eine Unter­suchung gefordert, warum nicht die Kenntnis derStaatsspräche verlangt wurde, und schließ, sich die Aufhebung dieser Ausschreibung verlangt. Am 13. Dezember ist dieses Schreiben bei der Lan­desbehörde eingelangt, am 20. Dezember war es bereits bei der Bezirksbehörde in Teplitz-Schönau  Und am selben Tag(!) wurde es noch der Gemeinde zur Aeußerung geschickt. ' Nennen Sie' Ec einen Akt bei. dcic LandeS- behörde, der je ein so schnelles Tempo eingeschlagen hätte. Aber hier hatte es eben die Närodni Jednota verlangt! Andere können aber Monate und Jahre auf eine Erledigung warten, auch wenn ihre Existenz davon abhängt. Redner schloß mit der Erklärung, daß die For- dcrung nach einer wirklich demokratischen Verwaltungsreform immer dringender wird. Nur durch die Reform des Gesetzes vom Jahre 1S27 und durch Herstellung wirklicher Demokratie in Land. Bezirk und Gemeinde können bessere Verhältnisse geschaffen werden..Heute haben die Leute das Gefühl, daß Gendarmerie und Polizei ihre Ausgabe vielfach falsch erfüllt, unterstützt durch einzelne, namentlich politiiche Behörden. Hier wäre noch ein gutes Stück Erziehungsarbeit bei den politischen Beamten zu leisten!
Abgeordnetenhaus. Wettlaufen um die Gunst d* r Demonstranten. Prag  , 17. Jänner. Die heutige Parlaments­sitzung erwies sich, da die erwartete Vorlage über die Glühlampcnsteuer nicht aufgelegt wurde, eigentlich als ziemlich zwecklos. Sie wurde daher nach»weistündiger Dauer, ohne daß auch nur über die zur Verhandlung stehenden Zusatzproto­kolle zum Schweizer   HarDelsvertrag abgestimmt Worden wäre, beendet; die Festsetzung des Ter­mins für die nächste Sitzung wurde dem Präsi­dium überlassen. Man rechnet frühestens mit dem 31. Jänner. Die bchandelten Zusatzprotokolle beinhalten die Verabredung gewisser Kontingente für die Einfuhr tschechoslowakischer Waren nach der Schweiz  ; insbe­sondere kommen Nadelholz, gewisse Baumwolldecken, Teppiche und Bleistifte in betracht. Die Höhe dieser Kontingente, die nach dem BertragSzoll verzollt wer­den, werden besonderen Vereinbarungen zwischen den Regierungen überlassen; darüber hinaus treten die vollen autonomen Zölle in Kraft. Als Gegenleistung verzichtet die Schweiz   auf die Zülljbindung für Tenmsrakets, Verbrennungs- und Explosionsmotoren, wodurch der Tschechoslowakei   die Anwendung der vollen autonomen Zölle auf diese Gegenstände ermöglicht wird. * Die Debatte stand bis auf eine instruk­tive wirtschaftspolitische Rede des tschechischen Nationalsozialisten Stejskal völlig im Zeichen der gleichzeitigen Chauffeur-Demonstra­tionen im Zentrum Prags  . Die Polizei hegte Be­fürchtungen, daß die Demonstranten vor das Parlament ziehen würden, und hatte die Umge­bung des Parlaments in weitem Umkreis besetzt. Einzelne Automobile wurden auch ausgehalten, wobei es gelegentlich zu Auseinandersetzungen kam. Die Auwbusdebatte wurde von einem Kom- munisten eröffnet; ihm machte ein Liga-Mann ernsthafte Konkurrenz. Dem tschechischen Ge- werbeparteiler Jiraöek ging diese unlautere Konkurrenz-seiner Vorredner in dem Werben um die Gunst der Demonstranten scharf auf die Ner­ven und so machte er seinem Unmut in An­griffen auf die Kommuni st en Lust, was wieder Anlaß zu einem nicht gerade sachlich und parlamentarisch geführten allgemeinen Wort­wechsel zwischen Kommunisten und tschechischen Gewerbeparteilern gab. Schließlich wurden wieder einmal die Fri­sten für die Verabschiedung einiger Senats­beschlüsse, darunter des Ministerverantwortlich­keitsgesetzes, um drei Monate verlängert.
Ueber die Zusammensetzung der Sparkom- mission fanden gestern Verhandlungen innerhalb her Koalition statt, die schließlich zu einer prin­zipiellen Einigung über die der Koaliton zuste­henden elf Mandate(von 16 Mtgliedern aus dem Abgeordnetenhaus) führten. In diese Kombina­tion wurde auch die oppositionelle Gewerbe- Partei ausgenommen, die dadurch ebenfalls ein Mitglied(ohne Ersatzmann), erhält. Die Op­position wird also seitens des Parlaments durch fünf Abgeordnete vertreten sein. Tie Aufteilung der Koalitionsmandate erfolgt nach folgendem Schlüssel: Tschechische Agrarier 3 Mitglieder (2 Ersatzmänner); tschechische Sozialdemokraten 2(3), deutsche   Sozialdemokraten 1(1), tschechische Nationalsozialisten 2(2), Bolkspartei 1(2), Na­tionaldemokraten 1(1), Bund der Landwirte 1 (1). Ter Vorsitz in der Sparkommisswn soll dem Abgeordneten Dr. Kramak angeboten werden.
23 Die Kellnerin Molly. Roman von Han» Otto Henel. Copyright bt> gackelreiter-Derlaa. Berlin  . Nachdruck verboten Sie sann also auf eigene Rettung und harre sich große Hoffnung auf die Erntezeit gemacht. Frau Sampel, zu der sie manchmal davon sprach suchte ihr eine Flucht in das Dasein der umher­ziehenden Erntearbeiler auszureden. Tas sei noch schlimmer als bei ständige Dienst auf einem Bauernhöfe. Und als im Juli d'" Erntearbeiter auf Rittergut Rainersdorf einzogen, sah Alale die Berechtigung dieser Warnungen ein. Male besaß nur die notwendige Bildung ihrer Schneidewaldcr Volksschule  . Mer sie hatte doch eine Ahnung von dem, was Sklaverei heißt, llird sie erkannte, wenn es heute noch Sklaven gibt, dann sind zu allererst die Erntearbeiter auf ostelbischen Rittergütern dazu zu rechnen. Vom Gut her kam ihr einmal ein junges Mädchen entgegen, nett und ordentlich anssehcnd aber weinend und ganz verzweifelt. Sie war von Polzin nach Rainersdorf zu Fuß gewandert, wie seinerzeit Male auch, um auf dem Rittergut die Arbeit zu finden, die man ihr auf einem Arbeits­nachweis vermittelt hatte. Ich soll dort mu einent wildfremden Mann znsanunenschlasen, das kann ich nicht, ich bin doch keine Dirne", schluchzte sic.Kann mir denn niemand helfen?" Nein, Male konnte nicht helfen, aber sie erfuhr, wie cs den armen Lernen geht, die wäh­rend der Erntezeit in derSchnitterkaserne" des Rittergutes Haufen. Die Schnitterkaserne ist nur für die ver­hältnismäßig kurze Zeit der Ernte belegt. Eine längere>ind andauernde Betvohnung würde sie auch nicht aushalten, denn es ist eine baufällige,
Knorr   ein Änklagewörtchen gegen diese Zustände reden hören. Und der Pastor wetterte doch sehr häufig gegen ,.dte unchristliche Uwsittlichkeit einer gottlosen Zeit", die sich leider auch schon in den Schulen breitmache. Pastor Knorr   wollte damit den Lehrer Sainpel treffen, der das allerdings nicht hören konnte, weil er nie zur Kirche kam. Gegen die
Gutsherrschast, die im Patronatsgestühl der Kirche saß, eiferte er nie. Allerdings hätte Graf Briesekau um christlicher Sittlichkeit willen nicht auf die Einrichtung der Schnittevkasern« ver­zichtet, denn sie ist für einen Rittergutsbesitzer wohlfeiler als ein nach sittlichen Grundsätzen geregeltes Arbeitsverhältnis. Wie ja auch die deutschen Landjunker, und wenn sie sich noch so patriotisch gebärden, lieber billige Arbeiter pol­nischer, slowenischer, kroatischer, ungarischer Nationalität einstellen, ehe sie deutsche   Arbeiter nehmen, die nicht um jeden Preis genugsam sind.
chon halb vermoderte, große Bretterbaracke. Hier Hausen die Leute, die sich für die Erntearbeit anbieten. Das sind soviel, daß der Ritterguts­besitzer auswählen kann, und es sind nicht die schlechtesten..Häufig sind welche darunter, die quS ganz anderen, unter Arbeitslosigkeit leidenden Berufen kommen, die sich aber um jeden Preis ihr Brot selbst verdienen wollen.?lber nicht nur das große Angebot, sondern eine auf den Ritter­gütern des deutschen Ostens und Nordens sehr merkwürdig« Gepflogenheit erschwert vielen das Finden von Arbeit. Sie werden nämlich nur paschweise", das heißt als Pärchen, eingestellt. Der Rittergutsbesitzer nimmt einfach keinen ein- ^lnen jungen Mann an, sondern verlangt, daß er sich ein Mädchen mitbringe. Diese hat ihm die üblichen Hilfsdienste bei der Arbeit zu leisten, muß aber auch sonst für seine Kleidung und andere Dinge sorgen, und muß schließlich auch mit ihm, schlafen. Tenn in den Schnitterkasernen gibt es so gut wie nie getrennte Räume für die beiden Geschlechter. Meistens müssen sogar mehrere Pärchen in einem Raume, ost sogar aus einem Lager schlafen. Häufig kommt es auch zu einem Tausche der Paare untereinander. Der Zwang ist sg stark, daß, wenn der eine Teil des Paares arbeitsunfähig wird, auch der andere die Stelle verliert. Natürlich kommen nicht immer, sogar in den seltensten Fällen, die Paare aus Grund gegenseitiger Zuneigung zusammen. Sie verbinden sich eben nur unter dem Zwange der Gepfloaerbeit und des qutsherrlichen Willens. Nie hatte Male, die alksonntäglich mit
Der schmale Weg zur Freiheit zwischen Bahnhofspolizei und Bahnhofsmtffion. Es gelang Male, ihr Köfferchen schon vor­her heimlich zu den Sampels zu bringen. Und nun schlich sie sich selbst hinüber in das Lehrer­haus, als am Sonntag abend Fickerts zum Ball­fest des KriegervereinS gegangen waren und die Ma^ch wie gewöhnlich mit ihrem Liebsten einen Abendgang in den Dorfwald machte. Male hätte nicht gleich wieder eine so günstige Gelegenheit zur Flucht gefunden. Und aushalten konnte sie es nicht länger. Fickerts schlugen sie bei jeder Gelegenheit und hatten sie im ganzen Dorfe ver­ächtlich gemacht. Man nannte sie überall kaum anders alsfcte aus de Fürsorje". Einzupacken brauchte Male fast nichts, denn kaufen hatte sie sich nichts können, da Fickerts ihr nie bares Geld in die Hand gegeben hatten, Die Bibel und das Gesangbuch auS deinGarten Gethsemane  " ließ sie bei Fickerts. Außer dem Fickerts;ur Kirche gehen mußt«,, den Pastor! wenigen, was sie auf dem Leibe trug, nahm , nur die abgenutzte Arbeitskleidung mit. Frau Sampel macht«.den eingebrännten Eigen­tumsstempelGarten Gethsemane  " aus dem Holzköfferchen unkenntlich, legte einige mächtige Brotpakete hinein und schenkte Male die ver­sprochenen' 20 Mark. Damit wollte Male bis Stettin   kommen. Torr hoikt« sie eine Stellung als Dienstmädchen zu finden.
Am meisten fürchtete Male sich vor dem zweistündigen Nachtmarsch bis Polzin, wo sie die Eisenbahn erreichen würde. Herr Sampel, obwohl kränklich und zermürbt von den heimtückischen Angriffen, die seit Monaten auf ihn nieder-' prasselten, erbot sich, sie bis Polzin zu begleiten. Für das Mädchen wurde das zweistündige Gespräch mit dem gütigen, gebildeten Manne auf nachtdunkler Landstraße zur schönen Erinnerung. Als sie durch das Dorf kamen, wo Male damals das Erlebnis mit der obdachlosen Frau in Kindsnöten gehabt hatte, die keiner der Hof­besitzer hatte aufnehmen wollen, da schimpft« sie auf die.Hartherzigkeit der Bauern.»Aber Herr Sampel machte ihr klar, daß die Hartherzigkeit dieser Leute eine Folge ihrer mangelhaften Ein­sicht sei, und dies wieder von der Unwissenheit herrührt, die nicht über die Grenze des schwer erarbeiteten Eigentums hinaussehen kann. Diese Dummheit aber sei ganz natürlich bei dem Land­volk«, von dem die Junker und die Kirche seit vielen Jahrhuitderten jeden Einfluß der mittler­weile in der Welt verbreiteten Bildung fern­halten. Die ihr von Frau Sampel geschenkten 20 Mark brauchte Mal« noch nicht anzureißen. Herr Sampel war io gütig, chr di« Fahrkarte bis Stettin   zu bezahlen. Das Mädchen weinte, als sie sich von ihm verabschiedet«. In Schivelbein   mußt« Male umsteigen. Tai schlief sie ein. Als sie erwachte, lag die schieler zarte Morgensonne des Porherbstes über Stop- helfeldern und Wäldchen. Boll Glück dacht« das Mädchen daran, daß heute keine keifend« Bäuerin sie in den Stall prügeln, kein Bauer ihr nach- schleichen würde, um sie zu betasten. Müde war sie zwar, aber sie braucht« nicht zu hungern. Mit dankbarem Gedanken an Frau Sampel packte sie ihr Brot aus An jedem kleinen Dorfe hielt der Zug, aber jeder Orr vergrößerte den Zwischen- aum, der-wischen Rainersdorf und der Freiheit !ag?di« sie in der großen Stadt sind«« würde. 1(Fvltletzung folgt.)