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Sozialdemokrat

Zentralorgan d. Deutſchen ſozialdemokratischen Arbeiterpartei i.d.Tschechoslowakischen Republik.

13. Jahrgang.

Erscheint mit Ausnahme des Montag täglich früb.

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Dienstag, 13 Juni 1933

Schrankenlofer Naziterror in Oefterreich.

Studentenkrawalle.

Revolverattentat gegen Dr. Steidle.- Borabenexplosionen mit tödlichem Ausgang in Wien .

Wien , 12. Juni. ( Eigenbericht.) Ganz Desterreich steht unter dem Ein­drud einer nationalsozialistischen Terrorwelle, die sich in einer Reihe von Attentaten in Innsbrud, Wien und anderen Orten äußert.

Nazi- Terroristen den Auschlag durch führt haben, der dem seinerzeitigen Anschlag auf den Journalisten Bell gleicht.

Saussuchungen vorgenommen; ungefähr zwanzig Funktionäre wurden verhaftet, unter ihnen der Gauführer und der Standartenführer sowie alle nationalsozialistischen Gemeinderäte.

Zusammenstöße.

In Wien ist es heute früh zu einem Bombenanschlag gekommen, der bis­her zwei Todesopfer gefordert hat.

In Graz lam es auf der Universität eben falls zu schweren Ausschreitungen von Halen kreuzstudenten, die für heute angejezte Bereidi­gung vereiteln wollten. Sie beseßten in der Uni­

Nr. 137.

Gleichschaltung: Jung- Stříbrný!

Der Komotauer Parteitag der Nazi schwimmt in Loyalität.

Der Parteitag der Nationalsozialisten in Komotau hat keine Ueberraschungen gebracht, sondern die Bestätigung dessen, was seit Wochen aus den Kundgebungen des Herrn Jung und seiner Presse herauszulesen war, was wir im übrigen seit Jahren kommen saben und zu einer Zeit, da es noch unwahr­scheinlich genug erschien, vor den Gemeinde­

gen war, die Wassen zum Kampf gegen die Weimarer Republik , zum Sturz der Demo­fratic und zur Aufrichtung einer konterrevo­lutionären Diktatur zu gewinnen. Was in hatte, daß die Bourgeoisie allein niemals mit

Sonntag wurde um 22 Uhr 30 in Inns Der Sicherheitsausschuß der Landesregierung versität alle Hörsäle, Stiegen und Gänge und ver­bruck auf den Sicherheitsreferenten der Tiroler verfügte die sofortige Sperre der Grenze barritadierten alle Eignänge, um den anderen Landesregierung Dr. Steidle, der auch der gegen Deutschland . Die Gendarmeric Studenten den Zutritt zu verwehren. Die Theo- wahlen im Herbst 1930 ganz konkret behaup Führer der Tiroler Heimwehren ist, von Nazis wurde alarmiert, eine Rompagnie des Bundes- logiestudenten wurden dabei von den Nazis in tet haben. Die Deutsche nationalsozialistische cin Revolverattentat verübt, als er vor seiner heeres mit zwei Maschinengewehrzügen sperrte Schußhaft" genommen und in einem Arbeiterpartei, die wir nie für wirklich natio­Wohnung in der Leopoldsgaffe aus seinem Auto die Straßen in der Umgebung des Innsbruder Hörsaal eingesperrt, nach einer Meldung dort jo- nal, nie für sozialistisch gehalten haben, be­stieg und eben die Haustür aufsperren wollte. Braunen Hauses ab. Bei dessen Untersuchung gar angebunden. Ein Theologieprofessor fennt sich jetzt, und insofern kommt dem Par­Aus einem blauen Auto, das vor dem Hause durch die Gendarmerie wurde eine auffallende wurde beschimpft und mußte die Universität ver- teitag von Komotau geschichtliche Bedeutung stand und in dem außer dem Chauffeur noch ein Unordnung festgestellt; die Nazi scheinen in gro- lassen, um sich den Anpöbelungen zu entziehen. Fahrgast saß, wurden auf Dr. Steidle etwa achter Eile Material weggeschafft zu haben. Nach Auf dem Dache der Universität hißten die randa- zum erstenmal offen zu ihrer wahren ge­bis zehn Revolverschüsse abgegeben, der Durchsuchung ergriff Heimwehr - Hilfspolizei lierenden Studenten eine Hakenkreuzfahne. Ihren schichtlichen Rolle. Die ist weder der Kampf worauf der Wagen, dessen Erkennungszeichen von dem Gebäude Befiß; eine Kompagnie der Zwed, die Eidesleistung der Professoren zu ver- um Schule, Scholle, Arbeitsplay" noch der verschmiert waren, rasch davonfuhr. Zwei Schiffe Heimwehr benüßt das Braune Haus, von dem die hindern, erreichten sie jedoch nicht. Um die Mit- für die sudetendeutsche Selbstverwaltung", trafen Dr. Steidle in den rechten Unterarm und Heimwehrfahne weht, jeßt als Raserne. lagsstunden verließen die Helden dann auf Zu- sondern die Sammlung der kleinbür­berursachten eine Knochensplitterung. Alle An In den Morgenstunden wurden bei den reden des Rektors die Universität. gerlichen Massen des Sudeten zeichen sprechen dafür, daß reichsdeutsche nationalsozialistischen Führern in Innsbrud deutschtums in einer Partei, die bereit Anschlag gegen Rintelen? und instande ist, dieſe politische Kraft de m tschechischen Bürgertum als Bun­Samstag abends fam es in dem steirischen Ort des genossen im Kampfe gegen den ,, Mar­Kirchdorf zu einer geheimnisvollen Explorismus" zuzuführen. Der Kraftwagen, den die Attentäter benüßt In einer Schmiede bei Jenbach , die von ion. Dort explodierten um dreiviertel 11 Uhr Das ist den alten deutschbürgerlichen hatten, wurbe Montag um halb 2 Uhr früh leer den Nazis gemietet worden war, wurden 250 nachts an einem Bretterzaun, der nationalsoziali. in der Nähe von Seefelden gefunden. Es Büchsen, die als Behälter für Sprengstische Anschlagtafeln trug, zwei mit Dyuamit ge- Parteien jo wenig gelungen, wie es im Reiche wurde festgestellt, daß er einem Razi namens hofftörper dienen sollten, gefunden. Sie füllte Eisenröhren. Unmittelbar nach der Explo- den Vorfriegsparteien der Bourgeoisie gelun­Fuchs aus Zierl gehört. Auffällig ist, daß im find aus Eisenblech hergestellt und zeigen an sion fuhr der ſteirische Landeshauptmann Dr. Laufe des Sonntag nachmittag wiederholt durch einer Seite eine runde Deffnung, die entweder intelen in einem Auto an ber Explosions Ferngespräche in Steibles Wohnung nach seiner für einen Stiel oder zum Durchstecken der Zünd- ſtelle vorüber. Da das Auto des Landeshaupt­Seite te obern Rüdkehr gefragt wurde; als Aurufer stellte sich schnur bestimmt ist. Für heute abends befürchtet manns furz vorher fast einen Unfall durch einen ein Graf Lerchenfeld" vor, der reichsdeutschen man in Innsbrud weitere Ausschreitungen und quer über die Straße gestellten Rarren erlitten Deutschland die Wahl von 1928 bewiejen hätte, tauchte die Vermutung auf, daß ein Atten Dialekt sprach. tat auf den Landeshauptmann geplant war.)? Die Behörden neigen der Auffassung zu, daß dem Marrismus" fertig werden kann und der Auschlag bloß der Nazi: afel gegolten habe. Es daß der antimarxistische Kampf unter der ist nicht ausgeschlossen, daß hier eine Van der Flagge fonservativer Parteien aussichtslos ist, Lübbe- Aftion durchgeführt werden sollte. Das zeigte hierzulande die Wahl von 1929. Es wäre dies schon der dritte Anschlag in der letz- Die Wirtschaftskrise hat diese Erfahrung noch ten Zeit, bei dem zuerst Marxisten als Täter erhärtet. Der Zusammenbruch des kapitaliſti­vermutet wurden. In den beiden früheren Fällen schen Produktionsapparates, die Unfähigkeit hat sich bereits sicher herausgestellt, daß dieser der Wirtschaftsführer und der von ihnen ab­Verdach unhaltbar ist und die Täter im La- hängigen Politiker der Bourgeoisie, der Strije ger der Rechtsradikalen zu suchen sind. auch nur auf einem Gebiete beizukommen, lassen die Massen des arbeitenden Volkes in weitestem Sinne, zugleich aber auch die große Masse der Kleinbürger am Kapitalismus ver zweifeln. Eine Partei, die sich mit der konjer­vativen Parole des Schutzes der bestehenden Wirtschaftsordnung an sie wendet, hat ausge spielt, che sie noch in den Kampf eintritt. Ta­gegen ist der Boden für die Saat des pseudo­sozialistischen Unkrauts, für den verlogenen und sich fälschlich Sozialismus nennenden Fascismus aufgelockert. Wie sich die reichs­deutsche Bourgeoisie 1930 dem Fascismus in die Arme warf, um unter der neuen Firma das alte Geschäft mit besserem Erfolg betrei ben zu können, so hat auch das judetendeutsche Bürgertum zwischen 1929 und 1931 definitiv erkannt, daß es mit Christlichsozialen, Deutsch­nationalen und Roscheliberalen feinen Schritt vorwärts fommt. Nun hat der Umstur; in Deutschland , dessen bestialischeste Erscheinungs­formen unseren judetendeutschen Spießbür­Parteiapparat der Bürgerlichen vollends über den Haufen geworfen. Mehr denn je erhoffen Das Attentat gegen Venizelos fie heute von den Nationalsozialisten die Ret­Blutrache? tung vor dem Marxismus ". Athen , 12. Juni. Die Untersuchung gegen In der Inneren Stadt tam es heute vormit. In romantischem Ueberschwang haben tags zu wüst en nationalsozialisti Die Landesleitung der NSDAP . erklärt zu den verhafteten Vorstand der Sicherheitsabtei- fic zunächst geglaubt, die Jung und Krebs sen Ausschreitungen, die ihren Ur- den Attentaten auf den Sicherheitskommiffär lung Polychoropulos und dessen Bruder hat er würden sie unmittelbar ins heilige Dritte sprung im Bereich der heute wieder eröffneten Tirols Dr. Steidle und den Landeshauptmann geben, daß es sich bei dem Attentat gegen Veni- Reich hunnischer Nation überführen, die Universität hatten. In der Universität wurden von Steiermart, Dr. Rintelen, daß die NSDAP . zelos um einen Akt der Blutrache handelt. Ein Grenzpfähle ausreißen und das Hitlerbanner Nazistudenten bei den ersten Demonstrationsver- felbstverständlich" den Anschlägen vollkommen Bruder der beiden Verhafteten war seinerzeit von auf den Rathäusern von Reichenberg, Teplitz ſuchen zerstreut. Sie ſammelten sich neuerdings fernstehe und weder die Urheber noch die Täter den Liberalen ermordet worden. Da die beiden und Eger aufziehen. Daß es damit Eſſig iſt, beim Rathaus und beim Parlament. Einige der selbst tennt. Sie mißbilligt, getreu ihrer feit aus einer Gegend stammen, in der noch heute hat ihnen Herr Jung mit aller Kaltschnäu­Demonstranten ließen Feuerwerkskörper Jahren betonten legalen Einstellung, derartige die Blutrache besteht, wollten sie sich an Veni­explodieren, was von anderen Nazis bazu Attentate, gleichviel von wem sie ausgehen, auf zelos, dem Führer der liberalen Partei, rächen. zigkeit selbst gesagt. Sie haben ohne weiteres benüßt wurde, die angesammelte Menge mit der das schärfste, sieht sich aber andererseits zu der Die Behörden schließen die Annahme aus, daß begriffen, daß es unwichtig ist, ob Hitler oder Behauptung, daß aus dem Rathaus geschossen Feststellung gezwungen, daß diese Attentate durch bei dem Attentat gegen Benizelos auch politische Stříbrný, Hugenberg oder Hodáč sie bom worden sei, gegen das Rathaus zu heßen. Die die Terrormaßnahmen der höchsten Stellen Momente mitgespielt haben. Marxismus ,, befreit". Sie folgen ihrem Füh­

Um halb 11 Uhr früh wurde in das Ge- Polizei machte diesen Demonstrationen ein Ende. schäft des Juweliers Futterweit in der An anderen Stellen der Inneren Stadt wurden Meidlinger Hauptstraße ein in Papier gehüllter, Auslagescheiben bürgerlicher Zeitungen zertrüm rauchender Sprenglörper geworfen. Der Juwe- mert. Gegen eine Delikatessenhandlung in einem lier wollte den Gegenstand noch schnell auf die äußeren Bezirk wurde von Nazis ein Tränen Straße zurüdwerfen, in diesem Augenblick erfolgte a as anschlag verübt. Auch vor anderen Hoch­gas jedoch bereits die Explosion. Dem Juwelier schulgebäuden kam es zu Demonstrationen. wurden beide Hände abgerissen und andere schwere Verlegungen zugefügt, so daß er auf der Stelle tot liegen blieb. Vier weitere Personen, darunter eine Verkäuferin, wurden schwer, vier andere leicht verlegt. Einer der Schwerverletten, ein 63jähriger Auftreicher, ist in den Nachmittags­stunden seinen Verlegungen erlegen, ein zweiter Schwerverletzter befindet sich noch in Lebensgefahr.

Die Polizei stellte fest, daß ein Raubüber fall nicht in Frage kommt; ein Racheakt iſt ebenfalls unwahrscheinlich, da Futterweil sehr beliebt war. Er war jedoch Jude und so bleibt nur die eine Möglichkeit, daß er einem Nazi anschlag zum Opfer gefallen ist. Diese Auffassung wird gegenwärtig von ganz Wien als richtig an genommen.

Im Café der Wiener Produktenbörse im II. Bezirt, das hauptsächlich von jüdischen Ge­schäftsleuten besucht wird, machten sich heute mit­tags zwei junge Leute verdächtig, die die Flucht

ergriffen, als sie ten, daß sie Verdach: er

regen. Nachher fand ein Stellner in einer Ede des Raffeehauses einen Koffer, der zwei fachmännisch fonstruierte Bomben im Gewicht von zwölf Stilo cinthielt. Sie sollen von ähnlicher Stonstruktion sein, wie die in Weidling verwendeten. Polizei machte die Bomben unschädlich.

Radikale Maßnahmen der Regierung?

Die Regierung scheint sich nun unter dem Eindrud dieser nationalsoziali: stischen Attentate zu schärferem Vorgehen zu entschließen. Wie die Reichspost" meldet, wurden heute nach einer telephonischen Rücksprache mit dem in London weilenden Bundeskanzler Dollfus; gewisse grundsätzliche Vorentschei dungen" getroffen, wonach die Zentralbehörden Entwürfe ausarbeiten sollen, die geeignet sind, staatsfeindlichen Organisationen das Handwerk zu legen. Ent­wartet. Sicherheitsminister Fey erklärte heute, man werde in Oesterreich radi­scheidende Maßnahmen werden von der morgigen Sitzung des Ministerrates er: fal Ordnung machen und allen Unruhestiftern das Handwerk gründlich legen.

Inzwischen wurde die Besetzung und Schließung des Wiener Braunen Hauses und der Wiener Bezirkslokale der Nazis angeordnet und durchgeführt. Weiters soll der Deutsche Soldatenbund aufgelöst und alle reichsdeutschen Nazis, dic feinen Erwerb nachweisen fönnen, aus Oesterreich ausgewiesen werden.

Mit allen diesen Maßnahmen allein könnte die Regierung nicht das Aus­langen finden. Man wird abwarten müssen, ob sie sich nun doch einmal zu entscheidenden Maßnahmen entschließen wird.

Ein halbes Eingeständnis von Naziscite.

"

Berlin , 12. Juni. Der Angriff" veröf­fentlicht folgende Erklärung der Pressestelle der österreichischen NSDAP. :

et provoziert und heraufbe- gern noch als Kulturtaten erscheinen, den alten

schworen werden.