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Sozialdemokrat

Zentralorgan d. Deutschen ſozialdemokratischen Arbeiterpartei i.d.Tschechoslowakischen Republik.

13. Jahrgang.

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Donnerstag, 23. November 1933

Soziale Fürsorge

in ärgster Krisenzeit

Exposee des Genossen Dr. Czech im Budgetausschuß

Brag, 22. November. Fürsorgeminister Genosse Dr. Czech erstattete heute im Bud­getausschuß ein umfassendes Erposee über die raftlose Tätigkeit seines Ressorts bei der Be lämpfung der Krise und zur Linderung wenigstens der ärgsten Folgen der jahrelangen Ar­beitslosigkeit weiter Bevölkerungsschichten. Welchen persönlichen Anteil der Ressortchef selbst nicht nur an der Zielsetzung, sondern auch an den Kleinsten Details dieses unermüdlichen Kampfes für die sozial Schwachen und Schwächsten nimmt, braucht hier wohl nicht beson­ders hervorgehoben zu werden. Seiner Initiative, seiner unermüdlichen Arbeit, die keine Rüdsicht auf die eigene Person fennt, ist es in erster Linie zu danken, gaß das Ministerium auch bei den beschränkten Budgetmitteln, die zur Verfügung stehen, das Menschenmöglichste leisten konnte.

Und wenn von den guten Absichten noch vieles nicht verwirklicht werden konnte, so liegt das nicht an dem Ressort, sondern an jenen, die sich oft in gehässigster Weise gegen jede systema­tische Fürsorge für die Krisenopfer stellen. Diese Kreise mögen sich das Exposee ganz besonders gut durchlesen. Sie werden darin unschwer erkennen, was sie bisher schon durch ihren Wider­ftand gegen die weit vorausschauenden Pläne des Ministeriums in der Frage der Arbeitszeits verkürzung usw. angerichtet haben; hoffentlich ziehen sie daraus auch die entsprechenden Fol gerungen für ihr fünftiges Verhalten!

Dem Exposee entnehmen wir folgende Stellen: Auch im heurigen Jahre steht die Arbeit des

gegen die Arbeitslosigkeit in erster Linie auf die Arbeitsbeschaffung zu konzentrieren und alle Kräfte für die Verwirkt chung eines vollen Erfolges der Arbeitsanleihe einzuseßen.

Da von der Arbeitsanleihe vorläufig lediglich 1.2 Milliarden verbraucht sind, hoffen wir durch den Einsatz der restlichen 800 Millionen, die für das tommende Jahr reserviert sind, wieder ein Stück des Arbeitslosenelends abbänden zu können.

Nr. 274.

Wo Sozialisten regieren

Wahrheit gegen Fascisteniligen

Wir haben zur Zeit den Besuch des dǎni­schen sozialdemokratischen Journalisten Oskar Jörgensen, wohl eines der ältesten sozial­demokratischen Journalisten in Europa  , der seit vierzig Jahren Mitarbeiter des Kopenhagener Socialdemokraten", und mehrere Jahre dessen Chefredakteur gewesen ist. In den letzten zehn Jahren lebte er als Korrespondent seiner Sei­tung in Berlin  . Ende März 1933 ging er nach Wien  . Am Abend nach seiner Abreise fantest drei Hitlerpolissten, um ihn zu verhaften. Genosse Jörgensen hat an dem legten Partei­tag in Wien   als Vertreter unserer dänischen Bruderpartei teilgenommen. Er hat uns einen Besuch abgestattet und uns dabei über die Situa­tion der Sozialdemokratie in den nordischen Ländern folgende interessante Mitteilung- macht:

Nicht unerwähnt wollen wir in diesem Zu Dänemark   und Schweden   haben sozial sammenhange laffen, daß wir bei alledem auch auf demokratische Regierungen und nach dem gro die private Initiative rechnen, die auch Ben Wahlsieg der Arbeiterpartei in Norwegen  ihrerseits endlich zur Wiederbelebung der Wirt ist auch dort mit dem Kommen einer Arbei schaft und zur Erschließung neuer ausgieb ger Beschäftigungsmöglichkeiten beitragen muß. Dieser terregierung zu Anfang des nächsten Jahres Appell ist um so notwendiger, als wir uns dessen zu rechnen. voll bewußt sind, daß wir auch wenn es ge- Die Mussolini  , Hitler und der kleine lingen sollte, der Bollswirtschaft den stärksten An- Diktator von Oesterreich   sagen immerzu, die trieb zu geben auf lange Zeit hinaus Sozialdemokvatie sei unfähig zu regieren, der rechnen müffen, die keine Aussicht haben, zu wirtschaft. Wie steht es damit in Wahrheit? threm alten Berufe zurückzukehren, und für die Auch wir im Norden haben unter den unbedingt andere wirtschaftliche, ſoziale und mate- Wirkungen der Weltwirtschaftskrise zu leiden, rielle Vorsorgen zu treffen sein werden.

Fürsorgeminiſteriums völlig im Zeichen der Wirt harten Winter, der nis neben fo manden neuen mit Sunderttausenden Arbeitslofen Marrismus führe im Staatsleven zur Wiz

schaftstrise, die auch die soziale Verwaltung nicht nur ihre bisherigen Errungenschaften und Leistungen in empfindlichstem Maße beeinträchtigt, sondern auch ihren Aufgabenfreis vervielfacht.

Das Tragische an dieser Entwidlung ist, daß

zurüdzuführen ist. Merdings stehen wir vor einem davierigkeiten sicherl'ch wieder einen neuerlichen Aufstieg der Arbeitslosigkeit bringen dürfte.

Gerade die erwähnten Arbeitslosenziffern zei­gen und deutlich, wie richtig es war, den Kampf|

fich in dem Augenblice, in dem die zunehmende Menschenleere Fabriken

Es soll dies mit ein paar Beispielen belegt werden, d'e dem in Vorbereitung befindlichen Be­richte des Zentralgewerbeinspektorates entnommen sind und aus denen zu ersehen ist,

Verschlechterung der Lage der arbeitenden Bevöl­ferungsschichten erhöhte Anforderungen Der Irrsinn überspitzter Rationalisierung an den Staat stellte, die finanzielle Situation des Staates zusehends verschlimmerte und Die Rationalisierung unserer Industrie machte] sich dadurch die Möglichkeiten, den dringlichsten troß ihrem desolaten Zustand auch im zurüdliegen Lebensnotwendigkeiten der bedürftigen Bevölke- den Jahre, das gänzlich im Zeichen der Depression rungsfreise wenigstens annähernd gerecht zu wer- stand, weitere Fortschritte. den, immer mehr verringerten. Ein Bld in das Budgetfapitel des Ministeriums der sozialen Fürsorge offenbart dies mit erschreden der Deutlichkeit. Wohl partizipiert das Fürsorge ministerium, wenn d'e im Finanzgesetze für die. Ar­beitslosenfürsorge vorgesehenen 700. Mionen mitge­rechnet werden, mit dem sicherlich respektablen Be­trage von rund Milliarden an den gesamten Staatsausgaben, aber selbst dieser Betrag erweist fich gegenüber den wachsenden Aufgaben der sozialen Verwaltung als durchaus unzulänglich. Es Von dem gleichen Schidsale wie die Industrie ist wohl richtig. daß sämtliche Ressortsbesonders hinsichtlich ihres Sachaufwandes- sehr empfindliche arbeiter wurden insbesondere in der Glasindustrie Abstriche hinnehmen mußten, um d'e Erzielung des durch den fortschreitenben Rationalisierungsprozeß hubgetären Gleichgewichtes zu ermöglichen, aber auch die allerärmsten der Arbeiterschaft, die Seim auf einem Gebiete des öffentlichen Lebens sind arbeiter betroffen. die Abstriche und restriktiven Maßnahmen in solchem Grade fühlbar als im Bereiche der sozialen Fürsorge

daß die fortschreitende Technisierung des Produ! tionsprozeſſes Tausende und Abertausende von Arbeitern dem Fluch der Arbeitslosigkeit überant wortet, indem sie an ihre Stelle de menschen fressende Maschine treten läßt.

aber es gibt sicher kein anderes Land der Welt, das, die Krise so gut übersteht, wie Dänemark  . Wir sind ein landwirtschaftliches Land und unser Wohlstand hängt ab von der Ausfuhr unserer landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Aber Einen ansehnlichen Fortschritt in der Wärme- fein Land und keine Regierung hat mehr als wirtschaft und in den hygienischen Verhältnissen Dänemark   verstanden, die internationale Wirt­bedeutet die Venüßung eines neuen Tunnel- schaftskrise abzudämmen. Diese Sozialdemo ofens zum Porzellanbrennen in einer fraien, zumeist gewöhnliche Arbeiter, die in Fabrik im Karlsbader Gebiete: Der Ersparnis von 25-40 Prozent an Brennmaterial steht leider die der dänischen Regierung sizzen, haben durch traurige Tatsache gegenüber, daß ein Fünftet Verhandlungen mit der fonservativen Regie­aller Beschäftigten überflüssig wurde. rung Großbritanniens   troß mancher Einbu­In geradezu verblüffender Weise werden die ßen und Schwierigkeiten doch erreicht, daß die Schädlichen Wirkungen der Nationalisierung durch die dänischen Landwirte mit den Landwir en in Einführung der automatischen Northrop stühle Mitteleuropa  ( Tschechoslowakei  , Oesterreia), in der Textilindustrie versinnbildlicht. In Ungarn   und selbst Deutschland  ) gar nicht ver­einer Textilfabrik in Königgräs wurden probeweise glichen werden können; natürlich bestehen auch automatische Webstühle eingeführt. Sur Ledienung für die dänischen Landwirte Schwierigkeiten, von 20 Webstühlen ist ein einsiger Arbeiter erfor derlich. Die Maschinen sind derart konstruiert, daß aber lange nicht in dem Maße mie in der übrigen Welt. Das ist das Werk der sozial fie nach dem Weggang der letzten Arbeiterschicht längere Zeit ohne weitere menschliche demokratischen Regierung. Und daran ermei­Beihilfe meiterlaufen und den in die sen sich die Reden der Hitler, Dollfußz und Maschinen eingesetzten Gamworrat vollständig ver Mussolini   von der Unfähigkeit der Sozial­arbeiten. demokratic zur Regierung vollkommen als Durch diese wenigen Beispiele sollte aufgezeigt Phantasie. werden, daß der Rationalisierungsprozeß der Indu- Ueber die Lage der dänischen Ar Krise und Arbeitslosigkelt er erzeugen, während die gleiche Zahl von existenzen hinwegführt und in der daneben herlaufen haben natürlich auch in Dänemark   wie in der reparates binnen& Stunden ca. 60 Milagron eget bin ber beiter jagte uns Genoſſe Jörgensen: Wir Auch im letzten Jahre haben die wirtschaftlichen Heimarbeitern in derselben Zeit mur 16 Kilogramm den Dekonomisierung des Produktionsprozesses sowie Berhältnisse eine wesentliche Verschlechterung erfah Ware zu verfertigen vermag. Wenn man sich dabei in der Konzentration des Erzeugungsapparates eine übrigen Welt eine große Arbeitslosigkeit. ten. Den zahllosen Betriebseinstellungen vergegenwärtigt, daß die Erzeugungskosten der ma fich fozial auf das schwerste auswirkende Ergänzung Durch Kontingentierung der Einfuhr und zahlreiche öffentliche Arbeiten wie Anlage sind inzwischen weitere gefolgt und fast mit jedem ichinellen Perlen auch sonst um zwei Drittel niedri findet. und Verbesserung von Straßen, Wegen, Brüf­Tage ist dabei das gewaltige Arbeitslosenheer weiter ger sind als jene der Handproduktion, dann veciteht angewachsen. Ale Induſtrien verzeichnen eine wei- man es, we sehr die Existenz der Heimarbeiter durch Staatliche Gegenmaßnahmen tere ſtarte Senkung des Beschäftigungsniveaus. Dies die Einführung der neuen Maschinen bedroh: enotwendig! spiegelt sich in den Außenhandelsziffern unseres cheint.

Arbeitsanleihe

So verwendet eine Glasfabrik in Nordböhmen  zur Erzeugung von Glasperlen 11 Apparate, die es ermöglichen, daß 2 Personen mittels cines einzigen

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Staates wider, die auf 27.5 Prozent gegenüber dem Eine große Prager   Maschinenfabrik hat sämt Jahre 1929 gesunken sind. So ist es zu verstehen, liche Nietarbeiten das Nieten von Dampffcffeln daß die durchschnittliche Mitgliederzahl der Stranfen ausgenommen durch Schweißen ersetzt. Auf diese bersicherungsanstalten, die im Jahre 1929 noch Weise wurde nicht nur eine Ersparnis an Material 2,701.982 betrug, im Jahre 1983 auf rund 2,030.800 erzielt, sondern auch der Bedarf an menschlicher zurückging, und daß die Arbeitslosigkeit im Monate Arbeit um ca. 20 Prozent verringert. Feber des heurigen Jahres auf 920.182 emporsticg. Eine mährische Schloß- und Eisenwarenfabrik während sie im selben Monate des Vorjahres nur errichtete die Fließerzeugung von Bauscharnieren am die Höhe von 749.876 erflommen hatte. laufenden Band. Nach der neuen Methode erzeugen jet: 8 Arbeiter 20 Stüd Scharniere in einer Minute, wegegen früher in der gleichen Zeit 11 Arbeiter bloß 6-7 Scharniere zu verfertigen vermodyten. Außerordentlich ungünstig wirfte sich auch die Das einzig Erfreuliche an diesen bedrückenden Automatisierung der Erzeugung in einer Barlet Erscheinungen ist, daß es in den letzten Monaten ge- ten fabrit aus, in der die neue Arbeitsmethode lungen ist, die im Feber auf 920.181 angeſt egene ein ganzes Drittel des gesamten Arbeiterstandes um Rahl der Arbeitslosen gegen Ende Oftober auf die Beschäftigung brachte. In einer Sutfabrik machte 627.121 her abzu drüden, was zu einem fleinen die Einrichtung von Walzenfilzmaschinen die Hälfte Teile auf gewisse, noch bestehende Saisonarbeiten, der bisherigen 40 Arbeiter dieser Abteilung über­zum größten Teile aber auf die durch die Arbeits  - flüssig und erseyte durch Einführung dreies neuer anleihe. erschlossenen Beschäftigungsmöglichkeiten Ballinaschinen die Arbeit von 30 Wollem

Schafft Arbeitsplätze

ten, sowie durch den Bau neuer Ciendan­

linien und durch fördernde Anregung der Bautätigkeit überhaupt, hat die sozialdemokra­Unter solchen Umständen wirft sich von selbst tische Regierung Dänemarks   die Arbeitslosig­die Frage auf, ob der Staat hter ruhig zusehen feit im legivergangenen Jahr um die Hälfte fann und ob er nicht ähnlich wie in Amerifa und verringert. Diese Regierung ist jetzt bereits in auch in anderen großen Industriestaaten Maß- verringert.

nahmen treffen muß, um angesichts der der zweiten Wahlperiode am Ruder; die über­Massenarbeitslosigkeit der planlosen Ratio wiegend landwirtschaftliche Wählerschaft hat nalisterung entgegenzuwirken und bei der Neuwahl des Parlaments der Sozial­insbesondere für eine etwa beabsichtigte Einstel- demokratie und ihrer Regierung ein noch lung menschensparender Maschinen oder eine Ver- stärkeres Vertrauensvotum als vorher erteilt. größerung oder Ausgestaltung des Produtions: Die Hauptstadt Kopenhagen   steht seit apparates eine staatliche Regelung play- zwanzig Jahren unter sozialdemokratischer

greifen zu lassen.

Uebrigens hat auch unsere Regierung in der Verwaltung. Als die Banken vor einiger Zeit besprochenen Richtung einen ersten Schritt der Auslegung einer großen Stadtanleihe getan, als sie verfügte, daß bei der im Rahmen der Schwierigkeiten bereiteten, brachte die Bewoh­Arbeitsanleihe durchzuführenden Investitionsarbei- nerschaft Stopenhagens in wenigen Stunden ten Maschinen, die hinsichtlich der menschlichen den Betrag aus eigenen Mitteln auf. Arbeitskraft ersparend wirken, nicht in Anwven- Die Arbeiterlöhne in Dänema

dung gebracht werden sollen, wenn dies nicht un- sind ungefähr dreimal so hoch als in bedingt notwendig erscheint. der Tschechoslowakei  , sechsmal so hech wie in Italien  , zweinmal so hoch wie in

Corijepung auf Seite 2)